Asads brutales Geschäft mit dem Verschwindenlassen

Gedenkstätte der drei Massaker von Qana, Marwahine, Chiah im Schatila Flüchtlingszentrum in Beirut:

Die Massaker hören nicht auf im Nahen Osten. Gedenkstätte der drei Massaker von Qana, Marwahine, Chiah im Flüchtlingsviertel Schatila in Beirut. Bild: GMC Photopress/Gerd Müller

Seit 2011 hat das syrische Regime mindestens 65‘000 Menschen verschleppt und in überfüllten Kerkern verschwinden lassen. Der Verkauf von Informationen über den Verbleib der Verschwundenen ist inzwischen eine wichtigere Einnahmequelle für das syrische Regime. Amnesty International dokumentiert die Auswüchse dieses grausamen und zynischen Schwarzmarktes in einem neuen Bericht.

«Wenn jemand im Gefängnis ist, weisst du, wo er ist.Wenn jemand umgebracht worden ist, weisst du, dass er tot ist. Aber wenn jemand einfach verschwindet, dann ist das, als sei er zwischen Gefängnis und Grab. Das ist das Schlimmste.» Mutter eines Verschwundenen zu Amnesty

Im Bericht «Between Prison and Grave. Enforced disappearances in Syria» dokumentiert Amnesty International, dass syrische Geheimdienste und Milizen systematisch Menschen verschwinden lassen und dass Mittelmänner mit engen Verbindungen zum Regime den Angehörigen Informationen zum Verbleib der Verschwundenen verkaufen. Dieser Schwarzmarkt ist inzwischen zu einer wichtigen Einnahmequelle des Regimes geworden.

Amnesty International untersucht die Praxis des Verschwindenlassens in Syrien seit 2011. Für diesen Bericht hat Amnesty zwischen Juni und September 2015 zahlreiche Angehörige und Freunde von Verschwundenen, Freigekommene sowie Expertinnen und Experten in der Türkei, im Libanon, in Deutschland und in Grossbritannien interviewt.

Die Monitoring-Gruppe «Syrian Network for Human Rights» führt eine Liste mit über 65’000 Namen von Menschen, die seit 2011 verschwunden sind und über deren Verbleib am 30. August 2015 nichts bekannt war. Anfänglich liess das Regime systematisch Demonstrantinnen, Aktivisten, Journalistinnen, Ärzte und Deserteure verschwinden. Um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, nahm es zunehmend auch Angehörige von Oppositionellen ins Visier. In letzter Zeit geht es beim Verschwindenlassen zunehmend um persönliche Racheakte und finanzielle Motive.

Zahlreiche Akteure sind daran beteiligt, vor allem die vielen Geheimdienste, die Armee und die regimetreuen Shabiba-Milizen. Die Verschleppten werden in einem weit verzweigten Netz von Haftanstalten und Geheimgefängnissen festgehalten – ohne jeden Kontakt zur Aussenwelt. Die Haftbedingungen in den meist völlig überfüllten Zellen sind grauenvoll, das haben Amnesty und andere Organisationen mehrfach dokumentiert. Zahlreiche Gefangene sterben wegen der katastrophalen hygienischen Zustände und fehlender medizinischer Versorgung an Krankheiten, andere werden systematisch zu Tode gefoltert.

Salam Othman zum Beispiel verschwand von 2011 bis 2014 für drei Jahre im berüchtigten Saydnaya-Gefängnis und berichtete Amnesty von Folter, die darauf ausgerichtet war, maximale Schmerzen an besonders empfindlichen Stellen auszulösen: «Menschen sterben und dann kommen neue. Ich habe die Zelle in den drei Jahren nie verlassen, nicht ein einziges Mal. Viele Gefangene sind verrückt geworden oder haben ihr Gedächtnis verloren.»

«Diese systematische Praxis des Verschwindenlassens ist ein kalt kalkulierter Angriff auf die Zivilbevölkerung Syriens, um Terror zu verbreiten und jeden Widerspruch im Keim zu ersticken. Es sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit», so Philip Luther, Leiter des Nahost-Programms von Amnesty International.

Besonders stossend ist, dass das Regime in den letzten Jahren zunehmend auch finanziellen Profit aus der Praxis des Verschwindenlassens gezogen hat: Inzwischen besteht ein Netz von Mittelsmännern und Händlern mit engen Kontakten zum Regime, die den Angehörigen für Beträge zwischen einigen hundert und mehreren zehntausend US-Dollar Informationen über den Verbleib oder den Tod von Verschwundenen verkaufen. Da Nachforschungen auf eigene Faust sehr gefährlich sind, haben die Angehörigen keine andere Wahl, auch wenn regelmässig falsche Informationen verkauft werden. Ein Anwalt in Damaskus sagte gegenüber Amnesty, dass die Angehörigen von Verschwundenen «Cash cows» für das Regime geworden seien und eine zunehmend «wichtige Einnahmequelle, auf die es angewiesen ist.»

Ein Mann, dessen drei Brüder 2012 verschleppt wurden, zahlte insgesamt 150‘000 Dollar, um etwas über ihren Verbleib herauszufinden, ohne Ergebnis. Er versucht nun in der Türkei, seine Schulden abzuarbeiten.

Im Februar 2014 hatte der Uno-Sicherheitsrat die Resolution 2139 verabschiedet, die ein Ende der Praxis des Verschwindenlassens fordert. Massnahmen zu ihrer Umsetzung sind indes bis heute ausgeblieben.  «Staaten wie Russland und Iran, die unlängst militärische Operationen zur Stützung des Asad-Regimes begonnen haben, können ihre Augen nicht verschliessen vor den Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die letztlich mit ihrer Rückendeckung begangen werden. Gerade Russland, dessen Unterstützung für das Asad-Regime überlebenswichtig ist, wäre in der Position, ein Ende der grausamen und zynischen Praixis des Verschwindenlassens durchzusetzen», so Philip Luther.

Auch bewaffnete Gruppen, die in Opposition zum syrischen Regime stehen, sind für Entführungen und Geiselnahmen verantwortlich. Amnesty wird dazu in den kommenden Monaten einen separaten Bericht veröffentlichen. (Quelle: Amnesty)

Dieser Beitrag wurde am von unter Foreign Affairs, Menschenrechte, News veröffentlicht.

Über gmc

1992 gründete der Zürcher Fotojournalist Gerd Müller die Presse- und Bildagentur GMC Photopress und reiste hernach als Agenturfotograf und Fotojournalist in über 80 Länder. Seine Reportagen wurden in zahlreichen Reise- und Spa-Magazinen publiziert. 2021 publizierte er Auszüge aus seinem Buch Highlights of a wild life -Metamorphosen politischer und ökologischer Natur.

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