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Soziales/Ältere werden bei der Jobsuche systematisch diskrimminiert

Über 50 jährige Stellensuchende haben kaum eine Chance, wieder einen Job zu finden. Ein Drittel der Bevölkerung ist bereits ab 45 Jahren beruflich ausgemustert. Schuld daran ist die erhöhte Belastung für den Arbeitgeber bei der Vorsorge aber auch die Einstellung der Wirtschaft, die nur in einem Prozent aller Fälle gezielt nach älteren Arbeitnehmern sucht. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass diese weniger leistungs- und anpassungsfähig sind, obschon auch Wissenschaftler klar belegt haben, dass Ü50-Jährige noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Was läuft schief?

Im Auftrag des Tages Anzeiger wertete das grösste Online-Stellenportal der Schweiz Jobs.ch seine aktuellen Inserate aus und untersuchte dabei insbesondere die Altersvorgaben der Firmen. Bei rund 43 Prozent der 24897 offenen Stellen gaben die Unternehmen ein Idealalter an. Dieses liegt in der Regel bei 35 Jahren. In bloss 20 Inseraten werden explizit Kandidatinnen und Kandidaten in der Altersgruppe von 45 bis 65 Jahre gesucht. Eine noch unveröffentlichte Studie des Institutes für Organisation und Personal der Uni Bern kommt zum Schluss: „dass die gezielte Gewinnung von älteren Arbeitnehmern in vielen Unternehmen wenig beabsichtigt“ sei. Das ist fatal, denn Ende 2013 lebten in der Schweiz aber fast 2,4 Millionen Menschen im Alter zwischen 45 und 65 Jahren, was einem Bevölkerungsanteil von 34 Prozent entspricht.

Ein Drittel der Bevölkerung ist de facto beruflich ab 45 bereits ausgemustert

Ein Drittel der Bevölkerung muss sich allein schon altersbedingt um die berufliche Zukunft ernsthaft Sorgen machen. Denn viele Unternehmen hätten intern eine klare Weisung für Alterseinschränkungen, würden diese aber unter keinen Umständen nach Aussen kommunizieren, um keine Angriffsfläche zu bieten, sagt Pascal Scheiwiller, die bis Ende 2014 bei der Personalrekrutierungs-Firma Lee Hecht Harrison arbeitete, gegenüber dem Tages-Anzeiger.

Für Norbert Thom, emeritierter Professor für Organisation und Personal an der Uni Bern, fängt die berufliche Einöde für ältere Arbeitnehmer schon bei 40 Jahren an: „Es gibt zwar keiner zu, dass die Altersdiskriminierung weitverbreitet ist, aber alle schrauben die Alterslimite kräftig herunter und bedienen sich jüngerer Personalkräfte aus dem Ausland.“.

Dabei hat eine Studie des Institutes für Organisation und Personal an der Uni Bern, die 2014 veröffentlicht wurde, klar ergeben, dass ältere Arbeitnehmer dem Unternehmen einen Mehrwert geben. Der wissenschaftliche Befund lautet: „Negative Feststellungen zur Leistungsfähigkeit respektive zum Leistungswandel werden durch empirische Befunde widerlegt“. Denn ältere Personen könnten durch Ihre Lebenserfahrung und Wissensbasis Veränderungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit meistens kompensieren, sodass ihre Produktivität im Alter nicht so rasch nachlasse.

Was soll gegen die Alterdiskiminierung unternommen werden?

Fachleute und Forscher schlagen ein aktives Überdenken der fixen Alters- und Lohnvorstellungen vor. Firmen müssten eine altersorientierte Personalpolitik und eine neue Firmenkultur definieren und diese auch im Leitbild verankern. Auch auf die Nennung des Idealalters sollte in den Stelleninseraten weitgehend verzichtet werden, es sei denn es liegen klar nachvollziehbare Gründe für ein Höchstalter vor. Und was sagt der Schweizerische Arbeitgeberverband Economiesuisse: Es könne Gründe geben, wo eine Altersangabe sinnvoll sei, doch in der Regel unterstütze der Verband den Ansatz, dass auf Altersvorgaben und -einschränkungen verzichtet werde.

Die Gewerkschaft Travailsuisse hat in einer Studie zur Bildungspolitik für ältere Arbeitnehmer die mangelnde Bereitschaft und Leistung der Arbeitnehmer punkto Weiterbildung offen gelegt. Sie konnte dabei auch auf die Erhebung des Bundesamtes für Statistik (Bfs) aus dem Jahr 2011 zurückgreifen. Darin steht, dass fast alle Unternehmen in der Schweiz „die beruflichen Weiterbildungsangebote eingeschränkt haben“. Auch geben die Arbeitgeber in der BfS-Studie klar zu, dass als Alternative dazu Personen mit entsprechenden Qualifikationen eingestellt würden. Statt die eigenen Leute weiter auszubilden greift man also lieber auf Neurekrutierungen und damit zumeist auf jüngere, ausländische Fachkräfte zurück.

Bei der Weiterbildung wird gespaart, lieber stellen die Firmen ausländische Fachkräfte ein

Institute und Fachkreise bestätigen einen Rückgang bei der Unterstützung von klassischen Weiterbildungsangeboten. Der Personalexperte Mölleney ortet die Hauptursache im falschen Verständnis der Patrons, die im Zeitalter des Kostendrucks die Weiterbildungen als Sparpotential entdeckt hätten. Die Arbeitgeber halten dem entgegen, dass vermehrt interne Kurse und Workshops für Geräte oder Softwareschulung eingesetzt würden.

Auch die neuste BfS-Statistik weist in diese Richtung. Sie stellt fest, dass Arbeitergeber vermehrt nicht formale Bildung wie Vorträge, Kongresse, Konferenzen anbieten. Das krasseste Beispiel seien Banken, die ihren Mitarbeitern Online-Fernkurse verschreiben, die oft in der Freizeit, in Randstunden oder sozusagen nebenbei erledigt werden müssten. Das sei für viele Mitarbeiterinnen eine grosse Belastung, sagt Denise Chervet, Geschäftsführerin des Bankpersonalverbandes.

Travailsuisse fordert als Lösung für die Bildungsmisère bei den Unternehmen nun staatlich Unterstützung in Form von Stipendien und Gratis-Laufbahnberatung, die der Staat zur Verfügung stellen soll. Denn laut der BfS-Studie werden 81 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht im Betrieb weitergebildet. Im Schnitt finanzieren mehr als die Hälfte aller Arbeiternehmer ihre Ausbildung selber.

In diese Kerbe haut der Arbeitgeberverband: „Es liegt heute primär an den Arbeitnehmenden, ihre fachlichen und persönlichen Qualifikationen weiterzuentwickeln und damit ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten“, sagt Jürg Zellweger vom Schweizerischen Arbeitgeberverband.

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Caritas will die Armut in der Schweiz bis 2020 halbieren

Die Stärke einer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen. Darum ruft Caritas zu einer Dekade der Armutsbekämpfung auf: Bis 2020 soll die Armut in der Schweiz halbiert werden.

Mit der Erklärung „Armut halbieren“ forderte Caritas Ende 2009 eine Dekade der Armutsbekämpfung (2010 – 2020) in der Schweiz. Ziel der Dekade ist es, die Zahl der armutsbetroffenen Menschen zu halbieren und das Risiko der sozialen Vererbung von Armut markant zu verringern. Die Kampagne wird von allen Mitgliedern der Schweizerischen Bischofskonferenz und zahlreichen weiteren Organisationen mitgetragen.

Caritas formuliert in der Erklärung „Armut halbieren“ vier zentrale Forderungen an Politik und Wirtschaft: Bund und Kantone müssen alljährlich Rechenschaft darüber geben, was sie zur Bekämpfung der Armut unternehmen. Die Sozialhilfe soll nach landesweit einheitlichen Grundsätzen festgelegt werden. Bund, Kantone und Wirtschaft sollen die Bildung von Sozialfirmen fördern. Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sind, finden so Arbeit und soziale Integration. Bund und Kantone müssen dafür sorgen, dass alle einen Berufsabschluss machen können.

Aber Caritas intensiviert auch ihr eigenes Engagement in der Armutsbekämpfung: Das Hilfswerk beobachtet und überprüft die Anstrengungen von Bund und Kantonen in der Armutspolitik. Armut muss ein Thema sein! Es verstärkt die Sozialberatungen und die Überbrückungshilfen für Arme in prekären Lebenssituationen, erhöht die Anzahl der Caritas-Märkte auf 30 Läden und baut das bisherige Angebot an Sozialfirmen aus.

Seit Beginn der Kampagne wurden auf Initiative der Caritas in zahlreichen kantonalen Parlamenten Vorstösse eingereicht, die einen jährlichen Armutsbericht fordern. Die Sozialberatung wurde durch eine umfassende Schuldenberatung erweitert und die Zahl der Caritas Märkte hat sich von 19 auf aktuell 24 erhöht.

Weiterführende Informationen

 

Sozialalmanach 2015

Der Sozialalmanach nimmt jährlich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz unter die Lupe. Zudem widmet er sich einem ausgewählten Thema aus der aktuellen Sozialpolitik. Expertinnen und Experten analysieren das Thema in seinen verschiedenen Facetten und und schlagen Stategien für eine sozial gerechte Politik vor.

Jeder Fünfte von uns ist eine Migrantin oder ein Migrant. Fast ein Drittel des Arbeitsvolumens wird von Migranten erbracht. Die Migrantinnen und Migranten steigerten die staatlichen Nettoeinnahmen 2011 um 11 Milliarden Franken. Kurzum: Sie tragen zum Wohlstand der Schweiz wesentlich bei.

Dennoch beschäftigt sich die Schweiz intensiv mit ihrer Migrationspolitik. Dabei konzentriert sich die Debatte auf die Eingrenzung der Zuwanderung. Einwanderer werden für strukturelle Probleme im Land verantwortlich gemacht. Angesichts der einseitigen und festgefahrenen Diskussion um Vor- und Nachteile der Zuwanderung hat sich Caritas Schweiz entschlossenen, einen ungewöhnlichen Sozialalmanach 2015 herauszugeben: persönlich und berührend.

Der erste Teil des Buches zeigt mit dem «Bericht über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz 2013/2014» von Bettina Fredrich sozialpolitische Trends auf. Der zweite Teil und Schwerpunktteil «Herein. Alle(s) für die Zuwanderung» ist ein Bekenntnis der Caritas zur Zuwanderung und zu einer Migrationspolitik, die soziale Chancengerechtigkeit zum Ziel hat. 20 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft äussern sich in persönlichen Essays, Beiträgen und Interviews zu einer Schweiz der offenen Türen.

„Gesunde Paranoia“ vor Datenbank, die „vor Misstrauen krank macht“

Der Kanton Zürich schafft eine Datenbank, in der Patientendaten zusammengeführt erfasst werden. Darin sollen die Patientendaten von Computerdaten der Spitäler, Ärzte und Apotheker über mehrere Register miteinander verlinkt sein. Die Immunabwehr im Zeitalter von NSA und BIG-Data schaltet da automatisch auf Abwehr feindlicher Angriffe von Aussen.

Jeder Bürger soll dabei frei entscheiden können, ob er eine E-Akte will und welche Angaben er dieser anvertraut. Er allein soll Zugriff auf die Daten haben? Schon dieser Satz macht stutzig, liegt doch das Daten-Hoheitsgebiet nicht beim Patienten, sondern bei den Datenlieferanten und –sammlern. Immerhin darf ich dann als E-Akten-Informationsspender sehen, wer meine Daten eingesehen hat. Wunderbar, erst ritze ich mir alle Poren auf, dann darf ich überall Pflästerchen auflegen, wo es angezeigt ist.

Gesunde Paranoia zur Zwangspsychose und politischen Manipulation

So eine Gesundheitsdatenbank ist brandgefährlich, weil da so viele substanzielle Informationen über meinen geistigen und psychischen Gesundheitszustand drin stehen, dass mir schlecht werden könnte, auch wenn ich ein kerngesunder Mensch bin. Denn wir alle wissen, dass die Pathologisierung des Menschen nun schon bei den Spermien und im prenatalen Zustand fortschreitet, dass Zappelphilippe heute mit Ritalin und Anti-Depressiva ruhig gestellt werden. Von der bedenklichen Tatsache, dass jeder Vierte in den Psychiatrien zwangsintegriert wurde und eingesperrt ist und oft gegen seinen freien Willen mit Medikamenten vollgestopft wird. Und wir wissen geflissentlich auch, dass keine Datenbank jemals sicher ist und auch kein Recht auf Vergessen herrscht. Bewusst ist uns auch, dass Big Data bewirtschaftet und kommerziell genutzt werden will. Alles andere kann man nicht einmal mehr einem Blinden oder Gehörlosen andrehen – ohne diese Betroffenen desavouiren zu wollen.

Kamikazie-Projekt für E-Akteninhaber

Was wir aber nicht so genau wissen, ist, wie in ein paar Jahren mit diesen Daten umgegangen wird. Administrativ, politisch wie technisch und auch aus krimineller Sicht gesehen. Da ist nur eins gewiss: Wir werden noch unser blaues Wunder erleben. Zum Beispiel: Werden Krankenkassen uns ablehnen, weil wir zuviele Kosten verursachen oder noch einfacher, weil wir mit einer Erbkrankheit oder einer auto-immunschwäche ausgestattet sind? Werden wir einen Job nicht erhalten, weil der Arbeitgeber rausfindet, dass wir ein Alkoholproblem haben oder regelmässig Psychopharma zu uns nehmen?  Wird uns das Autobilett entwendet weil wir hin und wieder einen Joint rauchen? Wissen nun alle über unseren Schwangerschaftstest oder den -abbruch oder den HIV-Test Bescheid?

Statt heile Welt und Prävention, Ausgrenzung und Repression

So wie jedes Computersystem zu knacken ist, können auch Schutzwälle und Intimsphären unter politischem oder privatem Druck erodieren und zum tickenden Pulverfass werden. Die Freiwilligkeit endet heute sehr schnell beim kollektiven Zwang. Und wer keine E-Akte will, könnte schon bald ebenso ausgeschlossen werden, wie diejenigen, die auf Kreditkarten und Smartphones verzichten oder den ganzen Social-Media-Zirkus in die Wüste schicken. So gesehen, entblösen sich Risikopatienten gleich selber.  Daher gleich nochmals die Frage: Wollen wir das? Dass irgend einer in 20 Jahren veröffentlich, der hat schon mit 15 und dann mit 23 in die Hosen gepinklt und dass die da schon mit 15 Geschlechtsverkehr oder -krankheiten hatte und ähnliches dann flugs auch die Runde in den Social Media’s machen?