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Trauer um „Madiba“: «Eine Lichtgestalt hat die Erde verlassen»

Versöhnliche Worte auch an die Schweiz, obschon diese das Apartheidregime bis zu letzt unterstützte. BIld: © GMC/Gerd Müller

Versöhnliche Worte auch an die Schweiz, obschon diese das Apartheidregime bis zu letzt unterstützte. Nelson Mandela spricht als frischgekürter Präsident bei seinem ersten Staatsbesuch zur Schweizer Hochfinanz. Bild: © GMC/Gerd Müller

Allmynews-Herausgeber Gerd M. Müller lebte Ende der 80er Jahre mehrmals in den Townships in Soweto mit der unterdrückten schwarzen Bevölkerung und ANC-Aktivsten im Untergrund zusammen.  Er verfolgte die Apartheid-Politik aus nächster Nähe und traf Nelson Mandela zwei Mal – erst kurz nach seiner Freilassung in Südafrika, dann als frischgekürter Präsident und Nobelpreisträger im Dolder Hotel. Wie es dazu kam und was daraus wurde. 

Nelson Mandela als frischgekürter Präsident im Dolder. Bild: © GMC Photopress/Gerd Müller

Beeindruckend sanft: Nelson Mandela bei seinem ersten Staatsbesuch als frischgekürter Präsident im Dolder Zürich. Bild: © GMC Photopress/Gerd Müller

Der Zürcher Fotojournalist Gerd Müller erinnert sich an diese bewegte Zeit von Mitte bis Ende der 80er Jahre, die mit dem Beginn seiner publizistischen Karriere und seinem ersten humanitären Ausland-Engagement eng verknüpft waren, bestens. Seine erste Reise nach Südafrika bezeichnet er als «einer der prägendsten Abschnitte meines Lebens».

Zu seinem Aufenthalt während der Apartheitzeit in den Townships von Südafrika kam es, weil er zuvor in London stationiert war und dort einige  ANC-Exilanten und ihre dramatischen Geschichten näher kennen lernte.

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Charismatisch und diplomatisch: Madiba signiert sein Buch beim Treffen mit der Schweizer Politik und Hochfinanz. Bild: © GMC Photopress/Gerd Müller

Ihre Schilderungen über das brutale und menschenverachtende Vorgehen des Apartheid-Regimes beeindruckten Müller so stark, dass er sich entschloss, selbst ein Bild von der humanitären Lage in Südafrika zu machen.

«Dass die humanitäre Schweiz ein menschenverachtendes und mit UNO-Sanktionen belegtes Regime so lange unterstützte und die UNO-Sanktionen schamlos umging», daran störte sich der Zürcher Fotojournalist Gerd M. Müller gewaltig.

Vor seiner Abreise nach Südafrika kehrte er in die Schweiz zurück, schloss sich der Anti-Apartheid-Bewegung an und half mit bei der Boykott-Kampagne gegen die damalige SBG (UBS), welche das Apartheidregime trotz scharfen Protesten aus dem In- und Ausland weiterhin munter allimentierte und aufmunitionierte, wie Südafrika-Kenner berichteten.

Plakat in Soweto mit der Aufschrift : Zusammen bauen wir eine bessere Zukunft

Zynisch: Mitte der 80er Jahre war im Apartheidsstaat noch keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft in Sicht. © Bild: GMC Photopress/Gerd Müller

Die Schweiz pflegte damals schon jahrzehnte lang intensive Kontakte zu Südafrika auf allen Ebenen: wirtschaftlich, militärisch, politisch und finanziell. Die Zusammenarbeit lief wie geschmiert. Pilatus Porter, Waffen und anderes Kriegsmaterial wurden ebenso nach Südafrika geliefert, wie Chemikalien, pharmazeutische Produkte, Medikamente und technisches Bauteile sowie Know how für den Bergbau und Bau von Kernkraftwerken. Unser rohstoffarmes Land war wiederum  besonders an den Rohstoffen sowie Gold- und Diamantenvorkommen interessiert.

«Die Sklavenarbeit in den Minen interessierte damals kein Schwein hierzulande vom Establishment und den Bankgesellen», sagt ein ehemaliger AAB-Aktivst.

Nelson Mandela bat die Schweiz, sich konstruktiv für das neue Südafrika einzusetzen

Nelson Mandela bat die Schweiz im Dolder kurz nach seinem Amtsantritt, sich auch für das neue Südafrika einzusetzen und die Regenbogennation zu unterstützen. Bild: GMC Photopress/Gerd Müller

Die Schweizer Exportwirtschaft geschäftete jahrzehnte lang sehr gut mit dem Apartheidstaat und dem Segen des Bundesrates. Und das bis zu letzt. Natürlich hatte schon damals die Hochfinanz das Sagen in der Politik. Und diese zeigte lange keine Spur von Menschlichkeit oder Gewissensbisse gegenüber der unterdrückten Bevölkerung, die zu Hunderttausenden wie Viehherden umgesiedelt, vom politischen Leben ausgegrenzt und als Menschen 3. Klasse  misshandelt wurde. Tausende verloren ihr Leben, zehntausende wurden inhaftiert und gefoltert, Hunderttausende vertrieben. Die offizielle Schweiz interessierte das nicht. «Die damalige humanitäre Politik befand sich inetwa auf dem Niveau des heutigen China», kommentiert Müller trocken. Oder mit der sarkastischen Feder von Barrigue, einem der bekanntesten Karikaturisten der Westschweiz, ausgedrückt:

Die Entschuldigung der Schweiz aus der Sicht von Barrigue: «Sorry, wir wussten damals nicht, dass Menschenrechte auch für schwarzen Menschen gelten»

UNO-Inspektion in einer Zelle des Pollsmoor Gefängnis in Kapstadt. UN-Inspection in the Pollsmoor jail in Cape town

Über 30 % der Häftlinge im Pollsmoor-Gefängnis waren damals schon HIV positiv. Bild: © GMC/Gerd Müller

Zurück in der Schweiz, trat Müller der Anti-Apartheits-Bewegung (AAB) bei und beteiligte sich an der Kampagne gegen die von hohen Militärs durchsetzte Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) – die heutige UBS.

Einige Monate später und weiteren Kontakten zu ANC-Aktivisten, reiste Müller nach Südafrika und lebte einige Monate im Untergrund mit der schwarzen Bevölkerung zusammen. Oft pendelte er mit den Schwarzen im Zug zwischen den Townships hin- und her, da diese ja die Innenstädte Abends immer verlassen und in ihre Elendsviertel zurück gehen oder fahren mussten. Er erlebte hautnah wie die schwarze Bevölkerung in den Townships unter der Apartheidpolitik leidete und der Willkür der Südafrikansichen Polizei (SADF) schutzlos ausgesetzt war;  wie ihre Häuser nachts von den Panzerfahrzeugen einfach niedergewalzt wurden. Wie sie zu Tausenden von ihrem Grund und Boden vertrieben und wie Vieh in die Bantu-Enklaven verfrachtet wurden. Oder im Gefängnis landeten, sobald sie sich gegen die menschenunwürdige Unterdrückung aufmuckten.

Gegen 7000 Häftlinge im hoffnungslos überfüllten Pollsmoor-Jail. Bild: GMC

Gegen 7000 Häftlinge im hoffnungslos überfüllten Pollsmoor-Jail. Bild: GMC

„Zwei Mal sei er nachts beinahe von den gefürchteten SADF-Polizeieinheiten in ihren Panzerfahrzeugen über den Haufen fahren worden. Beim Schusswechsel war es besonders brenzlig“, so Müller.

Als der Staat die Zensurschrauben immer drastischer anzog und auch das katholische Kirchenblatt von Erzbischof Desmond Tutu «The New Nation» verbot, war Müller auf der Redaktion als der zwölfseitige Beschluss des Innenminister eintraf, als erster Weisser sah und darüber in der «WochenZeitung» (WOZ)  berichtete.

Auch die «New Nation wurde

Auch die «New Nation wurde „zum Schweigen verurteilt“ wie Gerd  Müller mit seinen Bildern und dem Faksmile des verhassten Innenministers illustrierte.

Nach der Schliessung der «New Nation» recherchierte Müller weiter bei der Gewerkschaft «Cosatu» und der Frauenbewegung «Black Slash», die beide wie auch die United Democrartic Front (UDF) im «Khotso-House» in Johannesburg domiziliert waren.

Nach einem abenteuerlichen Abstecher zum Okavango-Delta in Botswana kehrte Müller wieder in die Schweiz zurück, doch blieb er in den nächsten Jahren intensiv mit Südafrika verbunden und unternahm zahlreiche weitere Reisen während der Metamorphose vom Apartheidsstaat zur Regenbogennation.

1990 nach der Freilassung Mandela’s traf er den politischen Häftling, der 27 Jahre lang unbeugsam und geduldig hinter Gittern verbracht hat, zum ersten Mal bei einer Kundgebung in Soweto und erlebte wie Madiba mit Besonnenheit seine versöhnlichen Worten an die Adresse der weissen Minderheit und seinen eindrücklichen Apell an die schwarze Mehrheit seiner Landsleute richtete.

Diese unglaublich charismatische Ausstrahlung und Würde, seine warmen und strahlenden Augen und die bedachten Worte hatten etwas magisches, wie ich es zuvor noch nie bei einem Menschen erlebt habe.

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Friedensnobelpreisträger Mandela signiert sein Buch im Dolder in Zürich. Bild: GMC/Gerd Müller

Da sich Müller bei seinen weiteren Südafrika-Reisen auch intensiver mit der Zulu-Kultur auseinander setzte und den Bantu-Schriftsteller und höchsten Zulu-Sangoma Credo Vusama Mutwa kennen lernte sowie jahrelang intensiv mit Südafrika’s Ökopionieren – den Varty-Brüdern und dem Shamwari Game Reserve von Adrian Gardiner und dem Rhinozeros-Retter Dr. Ian Player eng zusammenarbeitete, kam er zu vielen wertvollen Kontakten und übernahm schliesslich für das Südafrikanische Fremdenverkehrsamt  (SATOUR) und die südafrikanische Fluggesellschaft SAA die Kampagnen in der Schweiz.

Darüber hinaus publizierte er in den 90er Jahren Dutzende von Reportagen in fast allen überregionalen Tageszeitungen und in der Sonntagspresse und mutierte zu einer Art Botschafter für das neue Südafrika. Als Nelson Mandela als frisch gekürter und demokratisch gewählter Präsident Südafrika’s seine erste Auslandreise antrat und in die Schweiz kam, war der Zürcher Fotojournalist einer der wenigen Reporter, die von der Südafrikanischen Botschaft zum Treffen mit dem neuen Staatsoberhaupt eingeladen wurde.

Nelson Mandela traf sich im Grand Hotel Dolder in Anwesenheit der südafrikanischen Botschafterin mit ranghohen Bundesvertretern aus Bern vor der versammelten Schweizer Hochfinanz und den Spitzen der Nationalbank, um ihnen zu versichern, dass Südafrika keine Ressentiments gegen die hartnäckige und lang anhaltende Schweizerische Unterstützung der Apartheidspolitik habe und Schweizer Investoren weiterhin am Kap der guten Hoffnung willkommen seien. Ein starkes Signal der Versöhnung sendete die Lichtgestalt der Regenbogennation also auch an die Adresse der Schweiz, von der Südafrika stark abhing.

Mandela bot stets die Hand zur Versöhnung. Auch den Gnomen von der Bahnhofstrasse.

Mandela bot stets die Hand zur Versöhnung. Auch den Gnomen von der Bahnhofstrasse. BIld: GMC

«Man merkte Mandela schon an, dass er sich im Kreis der Schweizer Hochfinanz nicht sehr wohl fühlte und er einige der Herren als verlängerter Arm des Apartheitregimes ansah.  Dennoch breite er seine Arme und seine Güte aus und sein Kalkül ging auf».

Nach seiner Ansprache mischte sich Mandela beim Empfangscocktail unter die Anwesenden und sprach mit höflichen Worten auf die Banker ein. Diese erlebten einen sehr distinguierten, höchst respektvollen und diplomatisch nachsichtig gestimmten Mandela, der es den Bankgesellen und Konsorten gestattete, ihr Gesicht und ihren Einfluss zu wahren. Ein Meisterstück des politischen Kalküls. Über soviel taktisches Feingefühl und staatsmännisches Gespür verfügte die ganze Truppe nicht.

«Ich traute meinen Augen nicht, als sich Mandela aus dem Kreis der Class politique und mit edlem Tuch gekleideten Herren löste und auf mich (diskret im Hintergrund stehend) zukam, da er mich offensichtlich von der ersten flüchtigen Begegnung in Soweto wieder erkannte.»

«Unglaublich, dass Mandela sich überhaupt an mich erinnert oder mein Gesicht wiedererkennt»,  fährt Müller fort, geschweige denn,  dass er hier als Friedens-Nobelpreisträger und erster schwarzer Präsident Südafrika’s «auf mich zukommt. Als wären wir zwei alte Freunde, umarmte er mich in herzlich und raunte mir ein paar Worte zu, die ich nie vergesse: «Erfreulich, so ein vertrautes, menschliches Gesicht und ein Freund Südafrika’s unter all diesen steinernen Masken sehe».

So war Mandela eben, er kümmerte sich immer auch um die einfachen Leute und liess sie spüren, dass er für sie da ist und sich für sie einsetzt. Seine Weisheit, Grossherzigkeit und Prinzipientreue machten ihn zu einem Engel auf Erden. Er war das Gesicht einer menschlicheren und gerechteren Welt. Diese Lichtgestalt hat uns nun verlassen. «Das ist ein grosser Verlust für Südafrika und die ganze Welt», sagt Müller. Denn, ein Ersatz ist noch nicht in Sicht.

Apendix:

Der Zürcher Fotojournalist erlebte auch den blutigen Bürgerkrieg zwischen ANC und IFP während der Metamorphose vom Apartheidstaat zur Regenbogen-Nation , als er sich mit einem Schweizer IKRK-Delegierten ein Bild in den Flüchtlingscamps machte und mit UN-Inspektoren dem berüchtigten Pollsmoor Gefängnis  in Kapstadt einen Besuch abstattete. Mehr dazu in Kürze.

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