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Schweizer Agrarhandelsplatz hat massive Menschenrechtsprobleme

Acht Jahre nach dem bahnbrechenden Rohstoffbuch über „unsere“ Öl- und Kohlehändler publiziert Public Eye eine Pionieranalyse der Schweiz als Drehscheibe im globalen Agrarrohstoffhandel. Demnach wird heute die Hälfte des weltweiten Getreides, 40 Prozent des Zuckers und jede dritte Kakao- sowie Kaffeebohne über am Genfersee oder in der Zentralschweiz domizilierte Firmen gehandelt. Deren zunehmende Marktmacht und ihre Ausdehnung in den Anbau von Agrarrohstoffen hat Hungerlöhne, Landraub oder Korruption zur Folge. Immer wieder kommt es auch zu undurchsichtigen Deals wie dem Public Eye vorliegenden „Memorandum of Understanding“, mittels welchem der Kanton Genf 2017 COFCO, den staatlichen Agrarhandelsarm von China, nach Genf lockte.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat sich die Schweiz in den letzten Jahrzehnten zum führenden Handelsplatz für Agrarrohstoffe entwickelt. Von den rund 500 zwischen Genfer- und Zugersee domizilierten Rohstoffhändlern haben sich etwa 150 entweder auf Landwirtschaftsprodukte spezialisiert oder führen diese zumindest im Portfolio. Glencore und Trafigura sind inzwischen – auch dank Public Eye – keine Unbekannten mehr, doch wer hat schon von ADM, Bunge, Cargill oder gar COFCO gehört? Dabei erzielen diese Handelsriesen fast ebenso grosse Umsätze und verschulden in der Produktion von Soja, Kaffee, Baumwolle oder Zucker auch diverse Menschenrechtsverletzungen. Die Lieferketten der ehemals reinen Handelshäuser reichen mittlerweile «vom Acker bis auf den Teller», und viele besitzen gar eigenes Anbauland.

Damit mutieren sie zunehmend zu «Global Value Chain Managers». Ihre Marktmacht und Gewinnoptimierung führen vielerorts zu Menschenrechtsverletzungen. Entlang globaler Wertschöpfungsketten bestimmen die Handelskonzerne, was unter welchen Bedingungen angebaut und wie viel dafür bezahlt wird. Den Menschen, die diese Produkte anbauen, fehlen hingegen jegliche Mittel zur Durchsetzung fairer Vertrags- und Arbeitsbedingungen. Diese Asymmetrie hat gravierende Folgen, die von Zwangs- und Kinderarbeit über Gesundheitsgefahren durch Pestizide und die Zerstörung von Lebensgrundlagen durch Abholzung oder Landaneignungen bis hin zu Steuervergehen und Korruption reichen. Mehrere Dutzend Fälle betreffen Schweizer Agrarhändler.

Dies zeigt der Bericht «Agricultural Commodity Traders in Switzerland: Benefitting from Misery?». Die Pionieranalyse durchleuchtet die Strukturen und Aktivitäten von 16 Branchenführern, die entweder ihren Hauptsitz oder zentrale Handelsabteilungen in der Schweiz haben und durch Zukäufe oder Fusionen zu integrierten Agrarkonglomeraten geworden sind. Zu den Faktoren, welche die Schweiz auch für diese Branche attraktiv machen, gehören neben der fehlenden Regulierung bezüglich Transparenz und Menschenrechtsschutz im Ausland auch diskrete Steuerdeals. Ein solcher steht auch im Zentrum des von Public Eye mittels Öffentlichkeitsrecht erwirkten «Memorandum of Understanding» (MoU) zwischen dem Kanton Genf und der COFCO-Gruppe, Chinas grösstem und staatlich kontrollierten Lebensmittelkonzern mit Hauptsitz in Peking. Dort unterzeichnete der umstrittene Genfer Staatsrat Pierre Maudet am 13. Mai 2017 ein MoU, welches COFCO die «aktive Unterstützung im Dialog mit unseren Steuerbehörden» zusichert. Im Gegenzug eröffnete COFCO seinen globalen Handelshauptsitz in Genf.

Die Ansiedlung des mit fast 40 Milliarden Franken Umsatz bereits fünftgrössten «Schweizer» Agrarhändlers unterstreicht nicht nur die handelspolitische und geostrategische Bedeutung des Schweizer Rohstoffplatzes. Der Aufstieg via Genf von Akteuren wie COFCO, deren undurchsichtige Geschäfte und diversen Menschenrechtsverletzungen besonders hellhörig machen müssten, zeigt, dass Transparenz und eine Sorgfaltsprüfungspflicht, wie sie die Konzernverantwortungsinitiative verlangt, auch in diesem Sektor nötig ist. Die Schweiz als Sitzstaat vieler der weltweit wichtigsten Agrarhändler ist hier besonders gefordert. Quelle: Public Eye

Glencore und Appleby: Die Plünderung Afrikas und die Untätigkeit der Schweiz

Die Paradise Papers, das neueste Datenleck des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), belegen, was Public Eye seit 2011 sagt: Der Rohstoffhandel ist das gefährlichste Geschäft der Schweiz. Aggressive Steuervermeidung, akuter Korruptionsverdacht, strukturelle Interessenskonflikte: Die massiven Vorwürfe gegen Glencore zeigen einmal mehr die politische Mitverantwortung der Schweiz für den Rohstoff-Fluch und die Passivität unserer Behörden.

Das Flaggschiff der Schweizer Rohstoffhandelsbranche ist einer der wichtigsten Kunden von Appleby. Selbst bei der Offshore-Kanzlei war Glencore berüchtigt, weil sich die Wünsche des Konzerns häufig am Rande der Legalität bewegten. So verlangte Glencore mehrmals die Falschdatierung von Beschlüssen. Die „Krake von Zug“ konstruierte 107 Offshore-Gesellschaften und ihr Name erscheint in mehr als 34’000 der ICIJ-Daten. Die Paradise Papers zeigen erstmals, welche Strukturen Glencore aufgebaut hat und mit welchen Strategien die Steuerzahlungen, etwa in Australien und Burkina Faso, substanziell reduziert wurden.

Vor allem erhellt eine Vielzahl von Dokumenten aber, wie sich Glencore in der Demokratischen Republik Kongo – einem der ärmsten Länder der Welt – zu Spottpreisen seine Lizenzen zum Abbau von Kupfer und Kobalt besorgte. Dafür griff die Firma auf die Dienste von Dan Gertler zurück, einem israelischen Tycoon mit mehr als zweifelhaftem Ruf, dessen korrupte Praktiken bei der Vergabe von Minenlizenzen im Kongo bei der US-Justiz aktenkundig sind. Glencore hat immer behauptet, die Geschäftsbeziehung mit Gertler im Vorfeld sorgfältig abgeklärt zu haben.

Sein problematisches Profil war spätestens 2007 bekannt, ebenso seine dubiose Rolle im kongolesischen Bergbaugeschäft und seine Nähe zu Präsident Kabila. Diesem hatte er schon 2001 im Austausch gegen ein Monopol für den Diamantenexport Waffen geliefert, was von der UNO, der Weltbank und dem kongolesischen Parlament verurteilt wurde. Die in den Paradise Papers enthüllten Offshore-Strukturen erlaubten Glencore die Vergabe von Krediten an ihren Geschäftspartner Gertler genau in dem Moment, wo dieser seine im Visier der US-Strafbehörden befindlichen Zahlungen an Präsident Kabila und Katumba Mwanke, die Nummer 2 des Regimes, tätigte. Entscheidend dabei: Glencore bezahlte auf Kosten der kongolesischen Bevölkerung letztlich vier Mal weniger für die Kupferrechte als alle anderen ausländischen Investoren.

Durch Enthüllungen der britischen NGO Global Witness wurden die Schweizer Behörden schon 2012 auf die höchst zweifelhaften Geschäfte von Glencore und Gertler aufmerksam gemacht. In der Antwort auf eine damalige Interpellation im Nationalrat bekräftigte der Bundesrat aber nur seine Erwartung, „dass solche Firmen im Rahmen einer verantwortungsvollen Unternehmensführung besondere Sorgfaltspflichten wahrnehmen“. Und er stellte fest: „Das Reputationsschadenspotenzial hängt wesentlich davon ab, wie effektiv die Schweiz solche Vergehen bekämpft.“ Bisher gibt es aber in der Schweiz keine Untersuchung der Zusammenarbeit von Glencore und Gertler. Im Gegenteil: Der Bundesrat vertraut weiter darauf, dass diese Firmen „integer und verantwortungsvoll“ handeln. Gemäss der Tagesschau von SRF sind mindestens drei Schweizer Rohstoffhandelsfirmen unter den multinationalen Konzernen, deren Geschäftspraktiken mit der Auswertung der Paradise Papers nach und nach ans Licht kommen. Wie viele Skandale braucht es noch, bis die Schweizer Behörden endlich handeln?

Quelle: „Public Eye“