Aserbaidschan: Europaspiele 2015 im Land der Unterdrückung

Public viewing am Züri-Fäscht auf dem Bellevue-Platz. Public viewing of the world cup during the Züri-Fäscht at Bellevue.viewing area at Bellevue how Germany wins against Argentina.

Kann der Fussball(verband) mehr bewegen, als nur feucht-fröhliches Gejohle? Bild: GMC/Gerd Müller

Einschüchterung, exzessive Polizeigewalt, Festnahmen von Regierungskritikern – dies sind  die Markenzeichen des Regimes in Aserbaidschan, das sich gerade als Gastgeber auf die Europaspiele vorbereitet. Das stellt Amnesty International in einem Bericht fest, der heute, hundert Tage vor der Eröffnungsfeier, veröffentlicht wurde.

Der Bericht «Guilty of Defending Rights: Azerbaijan’s human rights defenders and activists behind bars» dokumentiert die zunehmende Verfolgung von Regierungskritikern. Sie werden aufgrund falscher Anschuldigungen geschlagen, bedroht und eingesperrt, Zugang zu einem Anwalt oder dringende medizinische Hilfe wird ihnen verwehrt.

«Keiner sollte sich vom Glanz und Glamour der geplanten Eröffnungsfeier in Baku blenden lassen. Damit will die Regierung ihr Ansehen weltweit aufpolieren und ausländische Investoren anlocken. Das Regime in Aserbeidschan gehört zu den repressivsten in Europa. Wenn es Medaillen gäbe für die Zahl der inhaftierten Aktivistinnen und Menschenrechtsverteidiger, würde Aserbaidschan ganz oben auf dem Treppchen stehen», sagt Lisa Salza, Zentralasien-Koordinatorin bei Amnesty International Schweiz.

Mindestens 22 Gewissensgefangene befinden sich zur Zeit in Aserbeidschan im Gefängnis oder in Polizeigewahrsam und warten auf ein Gerichtsverfahren, in dem ihnen von Betrug über Unterschlagung bis hin zu Drogendelikten und Landesverrat alles vorgeworfen wird.
Präsident Ilham Alijew hat im Juni 2014 in einer Rede vor dem Parlament versichert, dass die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit im Lande garantiert seien. Die Aussagen von bekannten Menschenrechtsverteidigern zeugen vom Gegenteil. Sie sprechen von mehr als 90 Fällen, bei denen Menschen bedroht, eingeschüchtert, willkürlich verhaftet oder mit politisch motivierten Anklagen überzogen wurden, weil sie es wagten, die Regierung zu kritisieren.

«Die letzte Welle von Verhaftungen hat die Zivilgesellschaft gelähmt und die Meinungsfreiheit gedeckelt. Dies markiert in Sachen Menschenrechten einen historischen Tiefpunkt seit der Unabhängigkeit des Landes», so Lisa Salza.

Einschüchterung von Aktivistinnen und Journalisten

Die 60-jährige Leyla Yunus, eine der bekanntesten Kritikerinnen des Regimes, wurde im Juli 2014 verhaftet. Einige Tage zuvor hatte sie dazu aufgerufen, die Europaspiele wegen der verheerenden Menschenrechtlage im Land zu boykottieren. Leyla Yunus erzählte ihrem Anwalt, dass ein Gefängniswärter sie aus ihrer Zelle geholt und in einen leeren Raum eingesperrt habe. Dort sei sie zu Boden geschmissen und getreten worden. Ein anderes Mal sei sie von Gefängniswärtern sexuell belästigt worden. Sechs Monate wartete sie im Gefängnis auf ihre Gerichtsverhandlung. Unterdessen ging es ihr gesundheitlich immer schlechter, sie leidet an Diabetes und Hepatitis C. Leyla Yunus wurde wegen Verrats, krimineller Geschäftsaktivitäten, Steuerhinterziehung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Betrugs und Fälschung angeklagt. Die Anschuldigungen sind frei erfunden und eindeutig politisch motiviert.

Auch kritische Journalisten stehen im Fokus des Regimes. Am 5. Dezember wurde zum Beispiel die preisgekrönte investigative Journalistin Khadija Ismayilova unter fadenscheinigen Gründen festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, einen ehemaligen Kollegen in den Selbstmord getrieben zu haben.

Die Regierung hat es auch explizit auf junge Aktivistinnen und Aktivisten abgesehen. Ihnen werden Drogenvergehen oder Rowdytum zur Last gelegt. Faraj Karimov, ein bekannter Blogger des Landes, sagte aus, dass er von der Polizei geschlagen worden sei, damit er zugebe, mit Drogen gehandelt zu haben.

Im Gefängnis wird häufig Gewalt ausgeübt. Orkhan Eyyubzade, ein 19-jähriger Demokratie-Aktivist war zwanzig Tage lang in Administrativhaft, weil er an einer nicht genehmigten friedlichen Demonstration teilgenommen hatte. Polizisten haben ihn nackt ausgezogen, gefesselt und verprügelt. Die Beamten drohten zudem, ihn mit einer Flasche zu vergewaltigen. Die Vorwürfe wurden nie untersucht. Stattdessen wurde Eyyubzade später vorgeworfen, er habe die Polizisten angegriffen. Eyyubzade wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Amnesty: politische Gefangene freilassen!

«Mit dem Blick auf die Petrodollars aus Aserbeidschan hat die internationale Gemeinschaft weggeschaut. Sie schweigt über das repressive Vorgehen der Behörden in Aserbeidschan und die andauernden Menschenrechtsverletzungen. Das ist extrem kurzsichtig und eine Missachtung der Menschen, die im Gefängnis sitzen», sagt Lisa Salza.

Amnesty International fordert die Behörden in Aserbeidschan auf, alle politischen Gefangenen bedingungslos freizulassen und alle Vorwürfe von Misshandlungen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zu untersuchen. Ausserdem fordert Amnesty, dass die Behörden damit aufhören, Menschen zu bedrohen oder sie wegen krimineller Machenschaften anzuklagen, nur weil sie von ihrem Recht auf Meinungs- oder Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben. (Quelle: Amnesty)


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