„Die OSZE – Brückenbauerin für Frieden und Sicherheit in Europa“

Bern, 19.09.2015 – Ansprache von Bundesrat Didier Burkhalter anlässlich der Verleihung des Kaiser-Otto-Preises der Landeshauptstadt Magdeburg an die OSZE. Magdeburg, 19.09.2015 – Es gilt das gesprochene Wort

Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit einem Preis ausgezeichnet wird – noch dazu mit einem so renommierten wie dem Kaiser-Otto-Preis. Und nur selten findet die Feier in einem so aussergewöhnlichen Kirchenbau statt, der seit seiner Errichtung so viele geschichtliche Ereignisse erlebt hat. Deshalb verspüre ich ein Gefühl der Dankbarkeit, aber auch der Bescheidenheit und des politischen Willens.

Die OSZE nimmt seit ihren Anfängen in den frühen 1970er Jahren auch in der Schweizer Aussenpolitik einen wichtigen Platz ein. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) fand überwiegend in Genf statt. Den mehreren hundert Delegierten aus 35 Staaten, die im Sommer 1973 in der Schweiz ankamen, wurde damals eine kurze Konferenz in Aussicht gestellt. Am Ende dauerte sie beinahe zwei Jahre und mündete in die Schlussakte von Helsinki.

Die Genfer Verhandlungen umfassten 2400 Sitzungen. 4660 Dokumente wurden produziert und in 6 Sprachen übersetzt. Das alles ergab 41 Millionen Tonnen Papier. In vielen Hauptstädten verlor man zunehmend den Überblick darüber, was in der KSZE eigentlich verhandelt wurde.

Diplomaten waren monatelang damit beschäftigt, Kompromisslösungen zwischen Ost und West auszuhandeln und Paketlösungen zu schnüren.

Das Ergebnis dieser komplizierten Verhandlungen aber war bemerkenswert. Die Schlussakte, auf die sich die KSZE-Staaten vor vier Jahrzehnten einigten, hat Europa nachhaltig verändert. Die Helsinki Prinzipien, die Verankerung der Menschenrechte als Teil der europäischen Sicherheit, der Leitgedanke von kooperativer Sicherheit – Sicherheit miteinander statt vor einander –, all dies sind zentrale Elemente der europäischen Friedensordnung geworden, wie sie insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer Gestalt angenommen hat. Diese Prinzipien sind heute wichtiger denn je und wir müssen sie verteidigen. Sie sind eine Stärke Europas und der OSZE. Aber sie sind auch in Gefahr.

Als die Schweiz im Januar 2014 den Vorsitz der OSZE übernahm, wussten wir nicht genau, was uns erwartet. Auf der einen Seite haben wir uns – typisch schweizerisch – gut vorbereitet – für alles, wie wir glaubten… Auf der anderen Seite war es seit einigen Jahren ruhig geworden um die OSZE. Um die europäische Sicherheit stand es zwar nicht gut, aber auch nicht so schlecht, dass das Thema weit oben auf der internationalen Agenda gestanden wäre. Das erwies sich als Fehler.

Und das änderte sich mit der Ukrainekrise schlagartig. Sie hat die OSZE mitten ins Herz getroffen. Sie hat aber gleichzeitig das Bewusstsein dafür gestärkt, wie nützlich und leistungsfähig die OSZE sein kann.

Die Arbeit als Vorsitzender dieser konsensbasierten Organisation mit 57 gleichberechtigen Staaten ist stets „spannend“ – sagen wir es so… Schon früh wurde dabei klar, dass die OSZE in der Ukrainekrise eine wichtige Rolle spielen kann und muss – als inklusive Dialogplattform, aber auch mit ihrem breiten Instrumentarium zur Förderung von Deeskalation vor Ort.

Als Vorsitzender durfte ich letztes Jahr selber erleben, wie lebendig diese Organisation ist. Die OSZE ist die einzige Organisation in Europa, in der alle relevanten Staaten der Ukrainekrise an einem Tisch sitzen. Sie ist eine Brückenbauerin, eine Klammer, die wichtige Beiträge an Frieden und Sicherheit leisten kann – wenn die Teilnehmerstaaten dazu Hand bieten.

Den permanenten Dialog in der OSZE aufrechtzuerhalten braucht einen steten Einsatz, gerade in diesen Zeiten. Doch dieser Dialog ist eine grosse Stärke dieser Organisation.

Ich denke dabei nicht nur an den Ständigen Rat, sondern auch an die vielen Kontakte zwischen Ministern, an das Menschliche – am Telefon, per SMS oder auch bei informellen Treffen wie bei einem Schweizer OSZE-Fondue, das wir am Rande des WEF organisiert hatten.

Nur mit Dialog lassen sich Lösungen finden. Nur dank Dialog und Beharrlichkeit ist es erstmals seit mehr als zehn Jahren gelungen, in der OSZE einen Konsensentscheid zur Lancierung einer grossen Feldmission herbeizuführen.

Mit der Special Monitoring Mission setzte die OSZE ein Zeichen: Auch zum Zeitpunkt grösster Spannungen konnten sich die Teilnehmerstaaten auf gemeinsame Massnahmen zur Konfliktbewältigung einigen. Die Arbeit, die die mittlerweile mehr als 500 Monitore der SMM, aber auch alle anderen Vertreter der OSZE leisten, hat mich tief beeindruckt und verdient unseren Dank und Respekt.

Die OSZE ist dabei nicht nur mit Friedenssicherung zwischen Staaten befasst – sie ist auch nahe bei den Menschen. Sie ist eine Organisation für die Menschen.

Die Schweiz und Serbien haben in diesem Kontext einen OSZE-Dialog mit der Jugend lanciert. Die Gespräche mit diesen engagierten jungen Menschen über ihre Vorstellungen der Zukunft Europas und der OSZE, über ihre Ängste, Hoffnungen und Erwartungen, gehören zu den denkwürdigsten Momenten, die ich als Vorsitzender erleben durfte. Die junge Generation kann wirklich schön sein!

Diese Menschlichkeit der OSZE und ihr Ansatz der Einbindung statt Ausgrenzung gehören zu den Gründen, warum diese Organisation als Anker kooperativer Sicherheit in Europa viel Potential für die Zukunft bereithält.

Ein zusätzlicher Trumpf ist das umfassende Sicherheitsverständnis der OSZE. Zu Beginn dieser Woche nahm ich am Wirtschafts- und Umweltform der OSZE in Prag teil. Dort arbeiteten wir auf eine Stärkung der OSZE in der Förderung von kooperativer Sicherheit in grenzüberschreitenden Wasserfragen hin. Ich bin überzeugt, dass die OSZE auch mit solchen Engagements einen wichtigen Beitrag zu mehr Sicherheit in Europa leistet.

Während des Schweizer Vorsitzjahrs habe ich vor allem eines gemerkt: Die OSZE ist eine Chance – eine Chance für uns alle. Deutschland hat viel zur Revitalisierung dieser Organisation beigetragen, ebenso Serbien. In Anspielung auf die fünf klugen Jungfrauen im Magdeburger Dom kann man die OSZE als Gruppe kluger Menschen verstehen, die gemeinsam und vorausschauend an Lösungen arbeiten. Es ist mir deshalb eine grosse Ehre und Freude, hier mit Frank-Walter Steinmeier und Ivica Dacic und mit Ihnen allen der Verleihung des Kaiser-Otto-Preise an die OSZE beiwohnen zu dürfen. (Quelle: EDA)

Dieser Beitrag wurde am von unter Foreign Affairs, Humanitäres Inland, News veröffentlicht.

Über gmc

1992 gründete der Zürcher Fotojournalist Gerd Müller die Presse- und Bildagentur GMC Photopress und reiste hernach als Agenturfotograf und Fotojournalist in über 80 Länder. Seine Reportagen wurden in zahlreichen Reise- und Spa-Magazinen publiziert. 2021 publizierte er Auszüge aus seinem Buch Highlights of a wild life -Metamorphosen politischer und ökologischer Natur.

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