Saudi-Arabien: Ein Jahr blutiger Repressionen

Vor einem Jahr wurde der Blogger Raif Badawi öffentlich mit 50 Stockhieben bestraft, weil er von seinem Recht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch machte. Seitdem hat sich die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien stetig weiter verschlechtert. Die kürzliche Massenhinrichtung von 47 Menschen, unter ihnen der schiitische Kleriker Scheich Nimr al-Nimr, versetzt die ganze Region in Aufruhr.

Während bei den Kommunalwahlen im Dezember 2015 erstmals Frauen zugelassen waren, hat Saudi-Arabien im vergangenen Jahr seine umfassende Repression gegen Menschenrechtsverteidiger ebenso fortgesetzt wie die desatrösen Bombardierungen in Jemen, die zu massiven Verletzungen des Völkerrechts bis hin zu Kriegsverbrechen führten.

«Ein Jahr nach dem weltweiten Aufschrei gegen die an Raif Badawi vollzogene barbarische Prügelstrafe befinden sich Raif Badawi und Dutzende weiterer Gewissensgefangener weiterhin in Haft. Für ihre friedliche Meinungsäusserung drohen ihnen nach wie vor grausame Strafen und Misshandlung», sagt Reto Rufer, Nahost-Experte der Schweizer Sektion von Amnesty.

«Unter dem 2014 verabschiedeten neuen ‹Anti-Terror›-Gesetz verschwinden immer mehr Menschenrechtsverteidiger für Jahre im Gefängnis. Im Namen des so genannten ‹Kriegs gegen den Terror› verleihen die Verbündeten des Königreichs dieser Repression Rückhalt.»

Abschaffung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Unter den vielen Inhaftierten befindet sich auch der ehemalige Anwalt von Raif Badawi, Waleed Abu al-Khair, der erste Menschenrechtsverteidiger, der im Februar 2014 nach einem unfairen Prozess unter dem «Anti-Terror»-Gesetz verurteilt worden war. Dutzende weitere folgten 2015, so die Gründungsmitglieder der inzwischen aufgelösten saudischen Vereinigung für zivile und politische Rechte (ACPRA), Dr. Abdulkareem al-Khoder und Dr. Abdulrahman al-Hamid. Lange Haftstrafen unter dem Vorwurf der «Gründung unbewilligter Vereinigungen» sind Teil der Unterdrückung jeglicher unabhängiger Menschenrechtsorganisationen. Sämtliche öffentlichen Versammlungen einschliesslich friedlicher Demonstrationen bleiben seit einem entsprechenden Erlass des Innenministeriums 2011 verboten.

Die Anwendung des «Anti-Terror»-Gesetzes und Anklagen vor dem berüchtigen «Anti-Terror»-Gericht (Specialized Criminal Court, SCC) richteten sich insbesondere auch gegen jegliche Aktivitäten von Aktivisten der schiitischen Minderheit im Osten Saudi-Arabiens: Mehrere ihrer Vertreter wurden nach eklatant unfairen Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet, so auch der bekannte schiitische Geistliche und Regimekritiker Scheich Nimr al-Nimr. Er gehörte zusammen mit drei anderen schiitischen Aktivisten zu den 47 Opfern der Massenhinrichtung am 2. Januar 2016

Todesurteile auch gegen Minderjährige

Drei der zum Tode verurteilten schiitischen Aktivisten, unter ihnen Ali al-Nimr, der Neffe des hingerichteten Scheichs, waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung minderjährig. Nichtsdestotrotz wurden sie verurteilt, gestützt ausschliesslich auf «Geständnisse», die ihren Aussagen zufolge unter Folter zu Stande kamen. Die Gerichte lehnten es ab, die Foltervorwürfe zu untersuchen.

«In ihrer blutigen Unterdrückung jeglichen Dissens‘ schreckt das saudische Regime nicht vor Todesurteilen gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige zurück, allein gestützt auf Geständnisse, die vermutlich unter Folter erpresst wurden. Dies ist eine eklatante Verletzung internationalen Rechts», sagt Reto Rufer.

Insgesamt wurden in Saudi-Arabien zwischen Januar und November 2015 mindestens 151 Menschen hingerichtet – so viele wie seit 1995 nicht mehr.

Verbündete der Militärkoalition in der Pflicht

Saudi-Arabien führt auch ein Militärbündnis an, dass seit März 2015 für Tausende von Luftangriffen in Jemen verantwortlich ist. Dabei wurden Hunderte von Zivilpersonen getötet sowie Spitäler, Schulen, Fabriken, Elektrizitätswerke, Strassen und Brücken und andere zivile Einrichtungen zerstört. Amnesty hat dokumentiert, dass zahlreiche Militäroperationen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden haben, unverhältnismässig und in einigen Fällen sogar direkt auf zivile Objekte gerichtet waren. Nichtsdestotrotz leisten die USA und Grossbritannien der von Saudi-Arabien angeführten Koalition nach wie vor logistische Unterstützung und liefern Waffen.

«Die USA und Grossbritannien und andere Verbündete sollten ihre engen Beziehungen zu Saudi-Arabien nutzen, öffentlich und diplomatisch Druck auf die Regierung in Riad auszuüben mit dem Ziel, die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien zu verbessern und die Völkerrechtsverletzungen im Krieg in Jemen zu beenden», so Reto Rufer.

Amnesty International setzt auch im neuen Jahr das Engagement für die bedingungslose Freilassung von Raif Badawi und allen anderen Gewissensgefangenen in Saudi-Arabien fort. Zum Jahrestag am 8. Januar findet eine Mahnwache in Zürich statt (Bahnhofbrücke Zürich, 17h-18h30).

Dieser Beitrag wurde am von unter News veröffentlicht.

Über gmc

1992 gründete der Zürcher Fotojournalist Gerd Müller die Presse- und Bildagentur GMC Photopress und reiste hernach als Agenturfotograf und Fotojournalist in über 80 Länder. Seine Reportagen wurden in zahlreichen Reise- und Spa-Magazinen publiziert. 2021 publizierte er Auszüge aus seinem Buch Highlights of a wild life -Metamorphosen politischer und ökologischer Natur.

Schreibe einen Kommentar