Politische & ökologische Metamorphosen

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

Vorwort:

Das Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen rund um den Globus. Er beleuchtet das Schicksal indigener Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund und analysiert scharfsichtig und gut informiert die politischen Transformationsprozesse. Müller prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse in einigen Ländern auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend. Eine gelungene Mischung aus globalen Polit-Thrillern, geho-bener Reiseliteratur, gespickt mit sozialkritischen und abenteuerlichen Geschichten sowie persönlichen Essays – den Highlights und der Essenz seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Es erwartet Sie eine Reise durch die epochale Vergangenheit und metamorphorische Phasen vieler exotischer Länder rund um den Globus. Nach der Lektüre dieses Buchs zählen Sie zu den kulturell, ökologisch sowie politisch versierten Globetrotter.

ZUR KAPITELÜBERSICHT

1. Jugendunruhen & Politskandale in den 80er Jahren 

«Legal», illegal, scheissegal, das war das Motto der Jugend

MTV und der Walkman revolutionierten die Musik & Medienwelt                 

Jährlich starben Hunderte an Heroin 

Im Strudel Schweizer Politskandale

Die Schweiz als Apartheid-Gehilfe der Buren

2. Internationalisierung, Politisierung und Solidarität

Senegal 86: Zwischen den Fronten und in der Welt der Hexer & Heiler

Warschau 86: In Pole Position hinter dem Eisernen Vorhang                       

London 87: Die ersten Kontakte zu «ANC»-Exilanten 

Aufarbeitung eines düsteren Kapitels der Schweiz in Südafrika      

Makabere Waffengeschäfte und Atomdeals

3. Südafrika: Im Kampf gegen die Apartheid im Untergrund

93: Mandelas Freilassung und sein Besuch in Zürich                         

93/94: IKRK-Einsätze im «ANC-IFP» Bürgerkrieg           

2011: Gadaffis Milliarden in Zumas Händen untergetaucht

2017 Gupta-Leaks: Wie Zuma und indische Kleptokraten Südafrika plündern

Botswana: Mit den Khoi San durch die Kalahari gestreift

Afrika: Wegweisende Wildlife-Projekte in Botswana, Südafrika

Kenya: Nach ethnischen Konflikten in der IKRK-Mission in Eldoret

Namibia: EZA, HIV-Schule Oa Hera und im Reich der Geparde

Komoren: Die Parfüminseln tauchen aus der Versenkung empor

Das dunkle Kapitel Deutschlands: Völkermord, Sklaverei, Landraub

4. Karibik, Kuba, Karneval und US-Invasoren 

Mexico 84: Von Göttern inspiriertes, von Gott beseltes Reich

Mexico 94: Zeuge der zapatistischen MAROS Aufstände in Chiapas

Kuba 1993: Auf der Insel der Idealisten, die sich von Hoffnung ernähren 

Karibiktörns: Lebenslust und Protest zu Calypsoklängen in Trinidad, London und Zürich

Grenada 92: Zum Frühstück auf dem Flugzeugträger «US John Rodgers»               

Kolumbien 97: Höllentrip im Dienste der Swissair

Frz. Guyana: Vom Urwald direkt in den Weltraum

Salvador de Bahia 2002: Im Hexenkessel magischer Sklavenenergie

Highlights in Brasilien und Amazonas Cruise-Expedition

Urwald-Expedition und Amazonas Cruise Trip mit Wissenschaftlern

5. Asien: magische Highlights und Desasters  

Sri Lanka 1992: Die Perle des Orients nach dem Bürgerkrieg

Malediven 93: Die ersten Anzeichen des Klimawandels         

Malaysia: Bei den versehrten Orang Utans in Borneo 

Indonesien: Dramatische Abholzung und Artensterben in Kauf genommen       

1996: Bali, Lombok und die Gili-Inseln

Philippines 95: Auf den Spuren der Geistheiler

Vietnam 1993 entwickelte sich schneller als ein Polaroid

Magische Mekong Delta Cruise durch die Mäander der 4000 Inseln

2013: Flussreise durch Laos im Norden und im Mekong Delta            

Im Reich der liebenden Hände bei den Ayurveda Pionieren in Kerala

Gujarat 13: Das Treffen mit Narenda Moodi in Ahmedabad

6. Orient: Im Sinai, im Libanon und in der iranischen Botschaft

    

Ägypten 2004: Bei den Beduinen im Sinai zwei Terroranschläge miterlebt              

Libanon 2006: In Beirut im Palästinenser-Flüchtlingscamp «Schatila»            

Iran 70er Jahre: Der persische Mohn-Schah und seine diplomatischen Drogenprinzen    

Der mörderische Gottesstaat, die Botschaft in Bern und Qassam Soleimanis Exekution

Komoren: Die Parfüminseln tauchen aus der Versenkung empor

7. Sehnsuchtsorte: Australien & Südsee-Perlen

Fraser Island & Cape Tribulation: Wale vor der Evolutionsperle 

Opalsucher in Coober Pedy: «Die Hoffnung lebt im Untergrund» 

Südsee-Highlights: Bora Bora, Huhine, Moorea, Tetiaroa 

8. Spirituelle Reisen und Heilverfahren mit Cannabis & Co.

Die Prohibition hat noch nie funktioniert, das medizinische Potenzial wurde kastriert 

9. Klimawandel: Wie begegnen wir dem epochalen Challenge

Artensterben & Pandemien: Werden wir das überleben?                

Endzeit: Das sechste Massensterbern hat begonnen, gehen wir mit ihm unter?

Ohne radikalen Paradigmenwechsel schaufeln wir unser eigenes Grab  

Schmetterlingseffekt: Hedge Fonds, Kriege und der Klimawandel

10. (A)soziale Medien, Big Data, KI, Whistleblower und disruptive Medienmogule 

Die Rolle aller Medien und Quellen kritisch hinterfragen und Konsequenzen ziehen      

Der Fluch Von Big Data und unsere vorsätzliche Fahrlässigkeit im Umgang damit 

Mensch oder Maschine: Wer übernimmt das Kommando? 

Verkehrte Welt: Whistleblower werden gefoltert, die Massenmörder laufen frei herum

1. Kapitel:  Die «Bewegten Zeiten» während den Jugendunruhen in den 80er Jahren

Die Reise rund um den Globus zu verschiedenen Konfliktherden und kulturellen Highlights beginnt in meiner Heimatstadt Zürich. Mit 18 Jahren bereits berufstätig rollte ein Tsunami auf das konservative Bürgertum und die politische Klasse zu. 1980 war das Jahr, das die biedere Gesellschaft in der Schweiz aufrütteln und im Laufe der 80er-Jahre umpflügen sollte. Im Mai desselben Jahres begannen die «Opernhauskrawalle» als Auftakt zu den nachfolgenden «Zürcher Jugendunruhen». Auslöser dafür war die latente Unzufriedenheit der Jugend mit den für sie zur Verfügung stehenden Einrichtungen und Freiräumen. Das manifestierte sich am augenfälligsten Beispiel der bevorstehenden Abstimmung über einen städtischen Subventionsbeitrag von 60 Mio. Franken an das Opernhaus und im Gegenzug dazu keine 10‘000 Franken für die «Rote Fabrik», damals das einzige Jugendkulturzentrum der Stadt Zürich. Zu jener Zeit gab es noch die Sperrstunde für alle um Mitternacht, eine halbe Stunde später mussten alle brav zu Hause sein. Der Freizeitspass und weitere kulturelle Angebote hielten sich in engen Grenzen. Freiräume für pubertierende Jugendliche gab es überhaupt keine, nur ein oder zwei Freizeitzentren, die hautpsächlich auf Sport fokussiert waren.

Drei kurze Sätze waren in meiner Jugend prägend: „Das kannst du nicht!“ „Das darfst du nicht!“ Und: „Das geht nicht!“. Dies war für uns Motivation pur für eine Revolution nach dem Motto: „Na klar geht das!“ Warst du einen Zacken neben der Spur, das heisst abseits der biederen bürgerlichen Norm von Moral und Ordnung, wurdest du eines Aussätzigen gleich behandelt. Radio und TV waren damals tote Hose. In der Schweiz und in ganz Europa mutete es einen in den 70er grau Jahren und trist in jeder Hinsicht an, die Bevölkerung verharrte in ihrem bieder-konservativen Korsett. Ein Nachtleben, Internet oder Streaming gab es nicht. Gute Musik oder Filme waren rar bis Videotheken aufkamen und der «Walkmen» die Musikwelt veränderte. Aber Handy, Labtop, PC, Social Media und Co. existierten noch nicht. Kein Wunder, dass es in der jugendlichen Szene schon länger brodelte und plötzlich entlud sich das Pulverfass, das die Gesellschaft nicht nur in der Schweiz sondern in ganz Europa erschüttern sollte. Nach den 68ern kam die nächste anarchistische Jugendrevolte.

Diese Tristesse war eine Folge der Ölkrise, des «Kalten Krieges», der Mauer und der Bedrohung durch die kommunisten Regime, des Vietnamkrieges, der immer brutaler und grotesker wurde. Erst die flächendeckenden Napalm-Bombardements auf die vietnamesische Zivilbevölkerung mit den grauenhaften Bilder von brennenden Menschen und Kindern, dann die «Agent Orange» Entlaubungsaktionen und all den verstümmelten Toten sowie der unmenschlichen Gefangenenlager. („Das war einfach nur grauenhaft und sinnlos“). Da schrien Herz, Seele und Verstand nach Gerechtigkeit, wenn nicht gar nach Vergeltung! Unerklärlich an diesem Vernichtungskrieg war, dass er jahrzehntelang nicht vom US-Kongress abgesegnet, sondern allein von der «CIA» finanziert wurde und die hat die Kriegskosten dadurch bezahlt, indem US-Truppen im Goldenen Dreieck das Opium tonnenweise in die leeren Bombenflugzeuge verfrachteten und dann nach Mexico brachten, wo das Opium zu Heroin verarbeitet wurde. So hat sich Amerika die Heroinflut vor die eigene Haustüre geschafft und den Mexikanern ihre Drogenlabore und -kartelle beschert.

Bei dieser kafkaesken Operation ist der «CIA» definitv das «I» also die «Intelligence» abhanden gekommen oder man könnte es auch anders sagen und die «CIA» als «Criminal Intelligence Agency» bezeichnen. Nebst dem «Kalten Krieg» kam noch die atomare Bedrohung im «Kalten Krieg» hinzu und nicht zuletzt auch die Gefahr vor den Atommeilern selbst. Auch die Schweiz wollte damals eine Atommacht werden und im Zuge dieser irrwitzigen Absicht, ist es in der Schweiz im Januar 1969 zu einem Reaktorunfall in Lucens im Kanton Waadt gekommen. Dann kam es zu dem Reaktorunfall in Tschernobyl, der bis heute das Gemüse im Tessin und anderswo in Europa belastet. Später haben dann die Gebrüder Tinner wieder einmalskandalträchtig bewiesen, dass man das Schweizer „Atom Know How“ auch exportieren kann, zum Beispiel nach Pakistan.

Schon Peter Regli, ein Schweizer Geheimdienst-Offizier, arbeitete mit dem Apartheidregime beim ABC-Waffenprogramm zusammen. Die opportunistische Schweiz hat also nicht nur ihre politische Kurzsichtigkeit exportiert, sondern auch Südafrika und Pakistan mit Atom-Know-how und Uran versorgt. Doch zurück nach Zürich zur hiesigen explosiven Lage im Vorfeld der Abstimmung für den „Opernhauskredit“. Am jährlich stattfindenden «Allmendfest» über Pfingsten mit den ersten Open Air Konzerten, wurden Flyer für eine Demo verteilt und Jugendzentren gefordert. An jenem warmen und wunderschönen Pfingst-Wochenende wurde mir die Bedeutung der Hippie-Bewegung vor Augen geführt, so nach dem Motto: «Peace, Love, Happiness & Freedom». Natürlich kifften fast alle auf dem Gelände, einige hatten auch einen LSD-Trip intus und die Stimmung war absolut grandios. Die Musik war rockig, punkig und auf Rebellion getrimmt, denn schliesslich brodelte es schon seit den 68ern in der Subkultur unter den Jugendlichen und so kam dieser Power-Sound gerade zur richtigen Zeit.

Zufällig fuhr ich am Samstag-Nachmittag dem 30. Mai 1980 mit dem Tram beim Zürcher Opernhaus vorbei, exakt in dem Moment, als Hundertschaften von Polizisten aus dem von Demonstranten blockierten Opernhaus-Eingang herausquollen und auf die am Boden liegenden Personen (die sogenannten «Kulturleichen») einschlugen. Sie malträtierten Frauen und Männer gleichermassen ein. Diese nackte Staatsgewalt und brutalen Szenen verschlugen mir und anderen Passanten den Atem und liessen die Wut in unseren Bäuchen explodieren. Sogleich stieg ich aus dem Tram, da brannten schon die ersten Container und die Scharmützel mit der Polizei begannen. Als die Polizisten sogleich mit aller Härte vorgingen und mit Tränengas und Gummigeschossen um sich schossen, als auch Wasserwerfer einsetzten, eskalierte die Situation innert wenigen Stunden, da sich an diesem frühen Samstagabend viele Jugendliche infolge des Bob Marley Konzert im Hallenstadion auf dem Heimweg befanden und dann in die Innenstadt strömten. Viele nahmen spontan an den Protesten teil, die sich schon nach kurzer Zeit zu veritablen Strassenschlachten ausgeweiteten. Von da an hatte die Polizei für drei, vier Tage nichts mehr unter Kontrolle und die Strassenkämpfe entluden sich mit voller Wucht.

Der Kantonspolizeiposten am Limmatquai wurde umzingelt, zwei der Polizeifahrzeuge brannten völlig aus und auch der Eingang zum Rathaus sah dementsprechend übel aus. Die Luft im Niederdorf war geschwängert mit beissenden Tränengasrauchschwaden, dichter, als London im November-Nebel. Das Ausmass der Zerstörung war unfassbar, ebenso die Ohnmacht der Sicherheitskräfte, als sich der jahrelang aufgestaute Frust der Jugendlichen und Alt-68iger in blanke Wut verwandelte, mit dem die Demonstranten den Opernhausbesucher die einseitige Subventionspolitik aufzeigen wollten. Der ersten Krawallnacht folgten einige weitere Strassen-Schlachten im Lauf dieses Jahres, in der sich die «Bewegig» der Autonomen jeweils Mittwoch’s in den Volksversammlungen (VV’s) im Volkshaus oder vereinzelt auch auf dem Platzspitz formierten. Fast jeden Samstag waren Demonstrationen angesagt, regelmässig verbarrikadierten die Geschäfte im Niederdorf um 14.00 Uhr ihre Schaufenster mit Brettern, weil die Proteste weiterhin an Fahrt aufnahmen und sich bis hin zu Grossdemonstrationen mit fast 20‘000 Personen formierten. Die Forderung der Jungend war schlicht und einfach: „Wir wollen ein autonomes Jugendzentrum“, ein «AJZ» muss her! Und zwar „subito!“

Dann am 15. Juli 1980 spielte sich in der Sendung «CH-Magazin» einer der grössten Skandale in der Geschichte des Schweizer Fernsehens ab und wurde zum Gesprächsthema Nr. 1 des Landes. Die Zürcher Jugendunruhen, die mit solcher Heftigkeit über das biedere Land hereingebrochen waren, schlugen Wogen bis zum Hudson River und wurden auch von der «New York Times» aufgegriffen. Die beiden vom Fernsehen eingeladenen Vertreter/innen der Jugendbewegung, Herr und Frau Müller, liessen den beiden Stadtvertreter/innen, im Gespräch mit Stadträtin Emillie Lieberherr und dem Polizeikommandanten mit ihrer Polit-Persiflage die Hosen runter. Die Protagonisten der Jugendbewegung, „Herr und Frau Müller“, kehrten den Spiess um und präsentierten sich als stock-konservatives Paar, dass die Politik geradezu unverschämt dazu aufforderte, mit aller Härte gegen die «Krawallanten» vorzugehen, denn zur Option stünden viel grössere und härtere Geschosse (z.B. aus Nord-Irland). „Auch der Einsatz von Napalm müsse diskutiert werden“. Ansonsten wäre es auch mit einem «Ticket nach Moskau einfach“, also ohne Rückfahrkarte getan. Verblüfft und konsterniert, traute ich erst meinen Ohren nicht, verstand dann aber rasch die Pointe des kafkaesken Auftritts, der schweizweit für Entrüstung und Schlagzeilen sorgte.

Die überschäumende Kreativität der «Bewegig» und ihrer Aktivisten und Aktivistinnen sollte in einem weiteren Medien-Coup gipfeln. Als der Tagesschausprecher Leon Huber am 3. Mai 1981 die Nachrichten verlass, hielten ihm plötzlich zwei maskierte Männer das Schild «Freedom für Giorgio Bellini» (ein anarchistischer Tessiner Buchhändler, der mit einer Gruppe militanter Autonomer Sprengstoffanschläge auf AKWs verübte und einen Strommasten in die Luft sprengte, weil sie Atomkraftwerk-Gegner waren) vor die Brust und in die Kamera und verschwanden unerkannt. „Wir haben uns köstlich amüsiert über diese unverfrorene und medial spektakuläre Aktion“. Weitere Details gefällig, wie die spektakuläre TV-Aktion ablief? Insgesamt fünf als PolizistInnen verkleidete Personen (zwei Frauen und drei Männer), betraten das Fernsehstudio unter dem Vorwand einer Drogenrazzia, was damals offenbar beim Schweizer Fernsehen kein Stirnrunzeln oder einen Verdacht hervor rief. So drangen zwei Personen in den Regieraum ein und sorgten dort für Ablenkung und ein wenig Chaos. Zeitgleich betraten zwei weitere Personen in die Sprecherkabine und hielten dem Nachrichtensprecher das Schild frech vor die Nase in die Kamera der Hauptausgabe.

Doch es kommt noch besser: Als die beiden Chaoten aus dem Regieraum angehalten und der Polizei übergeben werden sollten, holten die KollegInnen von der Sprecherkabine die beiden ab und sagten, sie nähmen sie gleich mit und so kamen alle fünf unerkannt davon. Zurück zum Tessiner Giorgio Bellini, dem Anarchisten der in Zürich einen revolutionären Buchladen an der Engelstrasse betrieb. Als das Schweizer Stimmvolk am 18. Februar 1979 die «Atomschutzinitative» mit einem knappen Anteil von 51,2 Prozent ablehnte machte sich eine kleine Gruppe von militanten AKW-Gegnern auf den Weg ins Fricktal. Die Gruppe «Do it yourself» hatte acht Kilo Sprengstoff im VW-Bus und sprengte damit den Informations-Pavillion beim geplanten KKW Kaiseraugst in die Luft. Personen kamen dabei keine zu Schaden – darauf legte die Gruppe grössten Wert, doch über den materiellen Schaden hinaus, entzündeten die AktivistInnen eine harsche politische Debatte, denn Sprengstoffanschläge hatten in der Schweiz bis anhin zum Glück Seltenheitswert. Nach diesem Sprengstoffanschlag in Kaiseraugst folgten weitere Anschläge auf die AKW‘s Leibstadt und Gösgen. Auf die Frage, wie die Gruppe an den Sprengstoff heran gekommen sei, sagte Bellini, dass dieser in der Landwirtschaft und auf dem Bau verfügbar war und zu seiner Zeit sowas wie „das Spielzeug für die, dem Kindesalter entwachsenen war“. In der Tat kann ich das bestätigen und hinzu fügen, dass wir schon als Kinder auch mit Armee-Pistolen und anderen gefährlichen Waffen oder explosiven Material gespielt haben und bereits als 14 jährige auf grösseren Motorrädern ohne Helm mit riskanten Jumps die gut zehn Meter hohe Steilwand in der Kiesgrube hochbretternd unsere Stunts und Akrobatenküste übten. Das was damals alles nichts Aussergewöhnliches und natürlich auch mit gewissen Risiken verbunden. Doch welch eine grossartige Freiheit unter vielen weiteren. „Kein Vergleich zur heutigen Schisskultur und Risikoarmut!“

Doch zurück zur Gruppe «Do it yourself». Die AktivistInnen gingen sehr professionell vor und lernten vom „Klassenfeind“ und seinen Institutionen. So wurde das berühmte Guerilia-Handbuch eines Schweizer Geheimdienst-Offiziers «Der totale Widerstand – Kriegsanleitung für jedermann» zur Hilfe genommen und bei der Spurentilgung half die Fachzeitschrift «Kriminalistik» den militanten AKW-Gegnern weiter. Zur selben Zeit gab es auch noch den zum Bündner «Öko-Terroristen» abgestempelten Marco Camenisch, der 1979 ebenfalls zwei Sprengstoffanschläge auf Strommasten verübte und zu zehn Jahren Zuchthaus verbannt wurde. Die beiden waren aber nicht die einzigen radikalen AKW-Gegner. Einer ging noch weiter, Chaim Nissim, der später für die Grünen im Genfer Kantonsparlament sass, griff 1982 mit einem Raketenwerfer sowjetischer Bauart, Typ RPG-7 den Reaktor Creys-Malville im französischen Rhônetal an, ohne ihn allerdings in die Luft jagen zu wollen.

Dann kam der Aushebungstermin für die Rekrutenschule beim Militär, auf die ich gar nicht erpicht war, denn im Zuge des Vietnamkriegs und des Eisernen Vorhangs, der Europa teilte, war mir nicht danach zu Mute, Teil einer Kriegsmaschine zu werden. Ganz im Gegenteil: Ich war pazifistisch eingestellt und habe auch für die Armee-Abschaffungsinitiative gestimmt, womit ich also ein veritabler Staatsfeind in den Augen von Politik und Militär war. Nichts desto trotz, setzte ich alles daran, nicht eingezogen zu werden. Und der Zufall half mir dabei, denn kurz vor dem Aushebungstermin fand das Allmendfest statt, einer der ersten Hippie-Events in Zürich. An besagtem sehr heissen Pfingswochenende, lief ich mit nacktem Oberkörper auf dem Festivalgelände rum und traf einen alten Schulkollegen, der mit Siebdruck grosse Cannabisblätter auf die T-Shirts druckte. Da ich keines anhatte, druckte er das Hanfblatt direkt auf meinen Rücken und da ich schnell bräunte, war drei Tage später beim Abwaschen der Farbe, erstrahlte das grosse Cannabisblatt viel heller, auf der gebräunten Rückenhautoberfläche, was dazu führte, dass ich bei der Musterung in der Reihe stehend auffiehl und sich schallendes Gelächter verbreitete, als die angehenden Rekruten und die Aushebungsoffiziere das sahen worauf ich sofort zum Aushebungsoffizier überstellt wurde. Als der dann im Fragebogen auch noch las, dass ich Marihuanna täglich konsumiere und auch noch ein paar andere Substanzen aufführte, wurde ich zwei Jahre zurückgestellt und beim zweiten Aushebungstermin dann in Folge unveränderter Situation vom Militärdienst befreit und dem Zivilschutz zugeteilt. Das war einer meiner glücklichsten und befreiendsten Momente, auch wenn damit eine Pilotenkarriere ausgeschlossen war, doch eine pazifistische Haltung war mir weitaus wichtiger.

Legal? Illegal? „Scheissegal!“, das war das Motto der rebellischen Jugend

Als nach monatelangen Protesten endlich das «AJZ» (Autonomes Jugendzentrum Zürich) auf dem heutigen Car-Parkplatz in einer alten Fabrikanlage aufging, entlud sich zu unserer Freude das ganze Kreativpotential, das so lange im Verborgenen schlummerte. Das war ein radikaler Schub für uns gebeutelte «StadtindianerInnen». Autonome sprossen aus allen WG-Löchern hervor und die Hippies lebten ihren Kult und ihre Musik nun hemmungslos in aller Öffentlichkeit aus. Zumindest im «AJZ» – einem in der Tat rechtsfreien Raum aber mit massiver Polizeiüberwachung durch Spitzel. Das Zürcher Polizeicorps wurde daraufhin «subito» um über 30 Personen aufgestockt nur zur Überwachung der „Bewegung“ und überdies ein weitaus grösseres Heer von Spitzeln in der ganzen Stadt rekrutiert, um die Hippie-Szene und alle anderen subversiven Elemente zu überwachen. Und deren waren viele. Zugegeben: Nach all den Repressionen und drakonischen Strafen wurden die Sprüche der Jugendlichen radikaler. „Macht aus dem Staat, Gurkensalat», war nur eine der unmissverständlichen Parolen, die überall an den Wänden prangten und bei den Demos lauthals skandiert wurden. Das war damals für Papa Staat schon «Landesverrat» und so wurden wir Sympatisanten auf die Stufe von Terrorristen gestellt und wahlweise als Kommunisten, Maoisten oder Palästina-Freunde abgestempelt.

Der Staat ging mit aller Härte auf die Aktivistinnen und Aktivisten los. Es gab im Bildungssystem, in der Verwaltung und in Teilen der Wirtschaft geheime Absprachen über Arbeits- und Ausbildungsverbote von „Linken“ bei Tätigkeiten wie Lehrer und Pädagogen, Piloten, Ingenieure oder kommunale Tätigkeiten. Auch den Militärdienstverweigerern wurden viele Berufsbildungstüren verschlossen und deren Tätigkeiten verwehrt. So kam es auch zu vielen subtilen Verstössen und weniger subtilen Gewaltexzessen seitens der Polizei und Staatsorgane. Ich erinnere mich an einen Vorfall, bei dem ich mit dem Moped und zwei Mädels vorne und hinten drauf vom Niederdorf zum AJZ rüber fahren wollte, dabei am Polizeiposten Urania vorbei kamen, worauf uns beim Landesmuseum ein Polizeifahrzeug den Weg abschnitt, indem der Fahrer das Auto unmittelbar vor uns quer stellte (halb auf der Strasse und halbwegs schräg auf dem Trottoir) zum Stehen kam, worauf drei Türen aufgerissen wurden und drei heldenhafte, flinke Polizisten heraus sprangen, gerade noch bevor ich mit dem Moped in die hintere, offene Tür rein fuhr. Was für eine hinreissend filmreife Aktion, um drei Jugendliche auf einem lahmen Töffli, die nun wirklich keinen Fluchtweg hatten und wie eine hoch kriminelle, schwer bewaffnete Bande überwältigt wurden. Die Schwerverbrecher-Jagd endete mit einer Busse und mein Vater musste mich vom Polizeiposten abholen. Nicht bei allen Einsätzen verlief es so glimpflich.

Während den Unruhen verlor einer meiner Freunde durch ein Gummigeschoss ein Auge und meine Freundin Lena schleiften sie an den Haaren herum bis ihr Gesicht arg zerschrammt war. Ich wurde ein zweites Mal, zusammen mit 300 anderen Personen während einer Demo an der Nüschelergasse verhaftet und während der 24 stündigen Untersuchungshaft illegal erkennungsdienstlich behandelt, danach freigelassen und später mit Fr. 80.- für die Haft entschädigt. Weitere spektakuläre Guerilla-Aktionen, zeigten uns, dass die Demut und der Respekt vor der Obrigkeit am erodieren war. «Underground»-Bar’s und illegale Clubs schossen wie Pilze aus dem verdorrten Zürcher Boden. Gekifft wurde überall auch im Freien und in den Parks kreisten die Joints, so dass die Polizei gar nicht mehr nach kam, überall einzuschreiten. Die Marihuana- Euphorie» und der Duft der Freiheit waren einfach zu gross und der süssliche Gras-Geruch überströmte den Abgas und Dieselgeruch bei weitem. „Nie war die Freiheit lebendiger, grossartiger, vielfältiger und anarchistischer, als in den 80er Jahren“, einer Zeit, die ich als „Freiheits-Zenit des 20. und des 21. Jahrtausends“ bezeichne.

Am Zürichsee-Ufer wurde weit verbreitet oben ohne gebadet und die Frauen genossen die Freiheit und die Freuden und die neue Unabhängigkeit, die Ihnen die Pille und damit die Möglichkeit zur autonomen Schwangerschaftsverhütung verschaffte voll auszuleben, was sich auch in ungehemmter Sexualität und Polygamie oder in Form der ersten Schwulen- und Trans-Parties ausdrückte. Es war damals unter uns kein Verbrechen und weder für Frauen noch für Männer verpönt, mit Dutzenden von Partner Sex zu haben und im Verlauf eines Jahres verschiedene Partnerschaftsmodelle auszuprobieren. «Sex, Drugs & Rock & Roll» oder lieber «Amore et Anarchia»? Nun, warum die Qual der Wahl? Am besten alles zusammen! Jede Art von Einschränkung wurde abgelehnt, Hedonismus pur war das Ziel und die Zeit der Paradiesvögel war angebrochen. Wir wollten uneingeschränkt auf allen Ebenen experimentieren und die freie Liebe ausprobieren, derweil unverheiratete Paare damals gesetzlich noch nicht einmal zusammen leben durften.

So prüde war Zürich und die ganze Schweiz damals. Umso erstaunlicher ist es, dass die Mädels nur so dahin schmolzen wie Eiscreme oder selbst das Zepter übernahmen, heftig flirteten und auf einen One Night Stand aus waren. Jedenfalls wurde man damals als junger Mann hin und wieder hemmungslos von Frauen angemacht, die nur ein Ziel hatten, die Lust und das Bett zu teilen und alle möglichen Sachen auszuprobieren. Eine ebenso aphrodisierende wie inspirierende Zeit, die bis heute ihres gleichen sucht! Die Frauen waren für uns Lichtgestalten, viele von ihnen sehr feministisch selbstbewusst und experimentierfreudig. „Emanzipation, ja klar, sagten wir uns und führten endlich auf politischem Weg das Frauenstimmrecht ein. One (wo)man, one vote“, das galt bei der Jugendbewegung für Männer und Frauen gleichermassen. Es gab sehr viele Aktivistinnen, die sich entweder Gehör verschafften oder einfach taten, was sie wollten und wie sie es wollten und es störte sich aus unseren Kreisen niemand daran. Wir, also auch die Männer, schminkten uns gegenseitig und liefen öfters mit schwarz geschminkten Lippen, farbenfroh bemalten Gesichter und flatternden Haaren durch die Strassen zur «Roten Fabrik“, ins «Drahtschmidli» oder ins «AJZ» und haben so auch vor 50 Jahren das Frauenstimmrecht unterstützt und schliesslich durchgesetzt.

In meiner frühen Jugend war ich begeistert von Pippi Langstrumpf, vom Buch und der TV-Serie. Das freche Mädel war revolutionär und mein anarchistisches, feministisches Vorbild für die „Befreiung von Kinder, Küche und Kirche“ damit vorgespurt. Die autonomeste und frechste Rotzgöre und der erste weibliche Punk, der mir begegnete, hat wohl auch mein Frauenbild geprägt. Sinnlich, frech, unkonventionell, unabhängig und voll geil drauf! Handkehrum waren Tom Sawyer und Huckley Berry Finn meine abenteuerlich, brüderlichen Vorbilder. Ich liebte ihre Lagerfeuer-Romantik und Streiche. Sie waren unsere Vorbilder und die Schreckgespenster unserer Eltern. Doch auch wir betrieben viel Unfug und loteten die Grenzen mächtig aus. Kitas gab es nicht, mein Spielplatz war der grosse Zollikerberg-Wald mit all seinen tierischen Bewohnern und Geheimnissen. So verschwand ich den ganzen Tag im Gestrüpp des Zolliker Waldes, verweilte bei den Kaulquappen und Feuersalamandern an den Teichen, kletterte bis in die Baumspitzen und baute Baumhütten und Staudämme wie die Biber und kam nur zum Mittagessen und dann erst Abends wieder zurück. Eine Aufsicht gab es nicht, dafür jede Menge Abenteuer bis eben hin zu Schusswaffengebrauch, frisierten Floretts und Motocross-Töffs mit denen wir die Steilwände der Kiesgruben hochfuhren, lange bevor wie einen Führerausweis hatten und anderen wilden Spielereien. Wir konnten uns irre austoben, etwas was den Jugendlichen heute für die persönliche Entwicklung fehlt, da sie oft nur noch virtuell am Geschehen teilnehmen und schon da reizüberflutet durchdrehen. Ein weiteres Problem ist auch das eher abstrakte, virtuelle Anbandeln und der digitale Austausch mit dem anderen Geschlecht sowie das heutige Sexual- und Rudelverhalten an sich, dass einerseits wieder ultra konservativ, andererseits extrem egozentrisch geworden ist. Da kann kein Spass mehr aufkommen, wenn man sich auf ein Rudel Jungs oder eine Mädchen-Traube einlassen muss, um in die Nähe des oder der Auserwählte/n zu kommen.

Zurück in die experimentell sehr bewegten 80er Jahre. Die ungehemmte Lust an der Befreiung von allen sexuellen Zwängen hielt bis zu den ersten HIV-Infektionen ab Mitte der 80er Jahre an und erschütterte dann vorerst einmal nur die Schwulenszene. «AIDS» war zu «AJZ»-Zeiten noch kein Thema und so entwickelten sich auch in der Horizontalen viele neue Experimente und Lebensentwürfe. Die ersten Teenager kamen gerade von Indien, von Baghwan aus Poona oder von Goa zurück und waren entweder spirituell total «high» oder ständig «stoned». Der Afghanistan Krieg dagegen spülte unendlich viel Afghan-Haschisch und Heroin, der Bürgerkrieg im Libanon den «roten Libanesen» in unsere verrauchten WG-Stuben und veränderte das Leben, das Stadtbild und auch die politische Weltanschauung. «Thai-Sticks» und «Acapulco Gold» aus Mexico oder «Durban Poison» aus Südafrika machten die Runde und «Zenzemillia» wurde zum geflügelten Wort in der Kifferszene.

Es war die Zeit der Rebellion, der freien Entfaltung, der Politisierung, der Sex- und Drogenorgien und Strassenschlachten, musikalisch untermalt von den «Rolling Stones», «Doors» oder «Deep Purple», die ebenso zu unseren Musikgöttern zählten wie Bob Dylan, Janis Joplin und Jil Scott Heron. Nichts war mehr wie früher und es gab auch kein zurück! Als Mitte der 1970er die «Punks» erst in New York und dann die Punkszene in London aufkam, schwappten die Ausläufer auch auf die Schweiz über. Die Sex Pistols und Talking Heads, Ramones oder under sex zählten zu den heissesten Bands, der damaligen Zeit. Bald entwickelten sich in lokale Szenen, allen voran in Zürich. 1977 gab es in Zürich einen harten Kern von etwa 50 Jugendlichen, welche die Schweizer Punk– und New Wave-Bewegung massgebend beeinflusste. Ihre ersten Treffpunkte waren der Punk-Kleiderladen «Booster» und der «Hey Club», die erste Punk-Disco in Zürich oder die Reithalle in Bern sowie bei Hausbesetzungen, bei denen die Punks an vorderster Front standen. Auch in Winterthur gab es eine stark politisierte Punk-Szene, die sich häufig als Gegenbewegung zum rechtsextremen Umfeld, also zu den Skinheads in der Schweiz verstanden. Auch in Basel gab es ein «AJZ», indem die Punks und Autonomen sich trafen.

Mit dem Piratensender «Radio 24» von Roger Schawinski, der erst vom «Piz Gropera» aus Italien sendete, wurde auch die karge Medienlandschaft, bestehend aus «Radio Beromünster» (unsäglich) dem Schweizer Fernsehen (langweilig und einfältig), dem «ORF» (ebenso bieder) und der «ARD» (nicht viel besser), umgepflügt. «MTV» hielt Einzug mit den ersten Kultvideos revolutionierte nicht nur die Musik- und Medienwelt, sondern auch die Jugendszene und Subkultur und mit Radio «DRS3» kam hierzulande noch ein genialer Jugendsender in der Schweiz hinzu. Erst später bekamen dann auch Lokalradios eine Lizenz und bald gab es in jedem Kanton mindestens einen, wenn nicht zwei alternative Radio-Sender.

Die ersten Wohngemeinschaften zu Beginn der 70er Jahre bereicherten die neuen Lebensentwürfe und Formen der Jugendbewegung und schufen so auch viel Solidarität und Engagement mit anderen Untergrundbewegungen, Freiheitskämpfern und unterdrückten Staaten wie Palästina, Nicaragua und das von US-Soldaten besetzte Vietnam. Die Zeit war reif, für grosse gesellschaftspolitische Veränderungen. Zürich wurde zum Hot Spot für die aufblühende Jugendkultur, die gerade in allen Farben und Formen explodierte und die Grundlage für den unglaublichen Liberalisierungsschub hinsichtlich kultureller Freiräume lieferten. „So ausgeflippt und trendy hat man die Städte Zürich, Bern und Basel nie zuvor und nie mehr danach gesehen“! Wir gingen neugierig und mit Respekt auf das andere Geschlecht ein und auf Andersdenkende oder Aussehende zu und das machte die Bewegung so einzigartig.

Es war die Zeit der Anarchisten und Utopisten. Wir debattierten und kritisierten heftig, stritten und solidarisierten uns mit den unterdrückten Völkern. Im Strudel dieses explosiven Befreiungsversuchs und des grenzenlosen Lebens wurden rauschende Parties ohne Ende gefeiert, doch immer mehr harte Drogen, wie Heroin, Kokain und Amphetamine kamen dazu. Als das «AJZ» in einer alten Fabrikanlage beim Carparkplatz am Sihlquai aufging, spülte es allerlei schräge Vögel und Drogendealer mit rein. Bald lieferte sich die italienische Drogenmafia mit der türkischen einen Bandenkrieg, der teilweise auch im «AJZ» ausgetragen wurde. Eine Weile lang, war es richtig gefährlich, sich mit diesen Typen anzulegen und wir mussten einen Wachdienst aufziehen, um die schlimmsten Eskalationen zu verhindern. In den frühen 80er Jahren starben jährlich hunderte Jugendliche an einer Überdosis «Aitsch» (der Slang-Name für Heroin). Die Situation verbesserte sich erst, als Emilie Lieberherr, die Frauenrechtsvorkämpferin und spätere Sozialvorsteherin und Stadträtin die Methadon-Abgabe einführte und die Fixer, Dealer und Drogentoten von den Zürcher Strassen verschwanden und die Süchtigen sich in den Kontakt- und Methadon-Abgabestellen wieder trafen.

Jährlich starben Hunderte von Jugendlichen an Heroin

Ich bin damals mit 17 Jahren aus der Elternwohnung aus- und in eine Wohngemeinschaft (WG) an der Forchstrasse gezogen, in der Rico B. und Tommy M., zwei Literaten wohnten und die Kulturzeitschrift «Babayaga» (russische Hexe) herausgaben, die in der Spinnerei Wettingen von Kaspar P. gedruckt wurde. Andy, ein weiterer Wohngenosse arbeitete im grössten Plattenladen von Zürich und er hatte seine über 1200 LPs (Schallplatten) umfassende Kollektion in unsere WG verfrachtet. Dadurch eröffnete sich ein unfassbares musikalisches Universum für uns und wir schwebten musikalisch im siebten Himmel. Von da an ging die Post ab, denn wir waren alle „subversive“ Elemente in den Augen der Obrigkeit. „Lieber subversiv, als konservativ“, sagten wir uns gelassen und legten los, die Welt zu verändern. Wie gesagt, durften unverheiratete Paare damals noch nicht zusammen leben. Da uns dies offensichtlich „Wurscht“ war, sah die Polizei öfters mal ungebeten in der WG rein. Da sich dort in der zu unterst befindlichen 5-Zimmer Wohnung zumeist Tag und Nacht gut 10-15 Leute aufhielten, waren die Zweier-Patrouillen leicht überfordert und zogen unter Hundegebell und jugendlichen Beifall rasch wieder ab. Umso mehr wurden wir dafür bespitzelt, da hier auch viele «AJZ»-Aktivistinnen und Aktivisten ein und aus gingen. Doch statt «aus dem Staat Gurkensalat“ zu machen, explodierte das Kreativpotential in der Gastronomie, Clubszene, der graphischen Industrie und in der Medienlandschaft. Schliesslich ging es uns ja nicht um die eine Konterrevolution und Abschaffung der Demokratie oder der Etablierung einer Anarchie anstelle von Parlament und Bundesrat, sondern schlicht um mehr Freiheit in der Freizeit, im Beruf, in der Familie, bei der Sexualität, beim Drogenkonsum und dem Nachtleben. So wurden die Bewegten medial sehr kreativ, gaben Strassenzeitungen heraus, druckten Flyer und Poster, hängten sie auch überall auf (Wildplakatierung) und probierten allerlei Neues aus. Zürich entwickelte sich von einem Provinznest zur Weltstadt und die Aufbruchstimmung führte zu einem der bedeutendsten, gesellschaftspolitischen und kulturellen Wandel der letzten 50 Jahre in der Schweiz.

Sobald das «AJZ» beim heutigen Carparkplatz aufging, machten wir uns daran, das alte Fabrikareal und die Gebäude umzubauen und einzurichten. Es wurden allerlei Gremien gebildet: Handwerker-, «Beizen-», «Frauen-», «Drogen-» und die «Kurvengruppe», also für Jugendliche, die von zu Hause ausgebüxt und polizeilich ausgeschrieben waren. Zwei meiner Freunde, die Rimoldi-Brüder, waren in der «Beizengruppe», meine erste und meine um sechs Jahre ältere Freundin Michele Lang in der «Kurvengruppe» und ich bei der „Drogengruppe“. Es war eine rauhe, aber herrliche Zeit einer grandiosen Aufbruchstimmung. Das «AJZ» war in der Tat sehr autonom und wir alle eine grosse bunte Familie von kreativen Individualisten, Alchemisten, Anarchisten und Überlebenskünstlern. Doch einhergehend mit der Heroinschwemme kam es zu vielen sehr Toten, die Jüngsten waren damals gerade 13 Jahre alt. Auch Mandy, meine spätere, damals ein Jahr jüngere, also 17 jährige Freundin starb später an einer Überdosis. Diese unmenschliche Misere dauerte so lange, bis das Methadon-Programm auch infolge von HIV-Infektionen zum Zug kam und Dr. Uchtenhagen zusammen mit der Stadträtin Emilie Lieberherr die Junkies von der Gasse holte, um sie nun endlich menschenwürdig im Methadon-Programm zu betreuen. Das war ein mutiger Schritt in die richtige Richtung und das Methadon-Modell wurde auch international kopiert.

Das AJZ war unsere Heimat! Hier traffen wir uns, hier schliefen wir oft, hier engagierten wir uns sehr kreativ. Einer der Höhepunkte zu dieser Zeit war das spontane Konzert von Jimmy Cliff auf dem Carparkplatz. Er kam eines Morgens ins «AJZ» mit seiner Entourage und war begeistert von der Zürcher Jugend Bewegung und dem autonomen Jugendzentrum Und zwar so sehr, dass er sich zu einem spontanen Konzert hinreissen liess und wir in Windeseile versuchten eine Bühne zu bauen und die Installationen für die Musikanlage und die Lautsprecher vorzunehmen. Radio 24, Roger Schawinskis Piratensender auf dem Piz Gropero in Norditalien erfuhr davon und so sprach sich das Spontankonzert schnell in der ganzen Stadt rum. Ab 16.00 Uhr strömten immer mehr Jugendliche zum AJZ und brachten den Tram und Strassenverkehr am Sihlquai zum Erliegen. Auf dem Platz fanden sich an die 3000 Personen zusammen, die frenetisch und musikalisch als auch mit Marie-Jane voll berauscht mit Jimmy Cliff in Ekstase gerieten. „Unforgetable times, indeed – und prägende Momente für viele meiner Generation.“ Auch Bob Marley seinerseits hat uns im AJZ besucht, er war aber eher reserviert und mit sich selbst beschäftigt.

Während dieser Zeit verbrachte ich auch viel Zeit in der Roten Fabrik, die ebenfalls zu einem der wenigen Hot-Spots in Zürich für Jugend-liche der damaligen Zeit gehörte. Dort lernte ich auch meine dritte Freundin, eine ebenfalls sieben Jahre ältere Frau und Künstlerin namens Betty Weber kennen. Sie war eine Nubierin, also eine schwarze Frau und zudem eine sehr kreative Malerin, Fotografin und Skulpteurin. Ich hatte keine Berührungs-ängste zu reiferen Frauen jeglicher Hautfarbe und lernte zudem offensichtlich auf „alten Pfannen kochen“, wie wir damals eine Beziehung zwischen einem jüngeren Mann und einer älteren Frau salopp nannten.

Nach der Lehre reiste ich erst einmal sechs Monate lange durch die USA. Ich kaufte mir in Danville (Ill.) einen grossen Chevi Station Wagon und fuhr damit quer durchs Land bis nach San Francisco und L.A. und wieder zurück bis nach Chicago – ganz nach dem Motto des Buches von Jack Kerouack, «On the road again». Die Reise verlief ebenso wild und aufregend, wie in diesem fantastischen Buch beschrieben, mit dem Unterschied, dass ich alleine unterwegs war, aber genau deshalb spontaner auf eine unmenge Leute und Frauen traf. Hier zwei kleine Anek-toden: Ausgerechnet in der keuschen Mormonen-Staat Salt Lake City wurde ich, damals ein knackiger junger 19-jähriger Hippie von zwei Frauen auf dem Parkplatz angesprochen, derweil meine Ex-Freundin aus der Schweiz, die mich gerdade für 14 Tage besuchte, im Einkaufszentrum shoppen ging. Die beiden attraktiven Frauen hatten mein Licence Plate entdeckt und wollten wissen, ob ich auch aus Chicago sei. Aus dem Gespräch entwickelte sich eine spontane Einladung, die ich gerne befolgte und so landeten wir in dem Haus der beiden Ladies. Ich hatte eine gute Zeit und spannende Diskussionen mit den beiden, während meine Ex-Freundin, die kaum englisch sprach, sich langweilte. Irgendwann legte sie sich schlafen, worauf die eine Lady mich ungeniert anmachte, ich aber eher auf ihre Freundin scharf war. Später erfuhr ich, dass die Lady, die mit mir flirtete, was das Zeug hielt, meine Ex-Freundin mit einer Schlaftablette abserviert hatte, damit wir uns ein wenig vergnügen konnten. Die kennen nichts, dachte ich mir und so hatte ich letztlich mit beiden zusammen ein amouröses Abenteuer, an dass ich mich noch lange errinnerte. Das war so ein bisschen Woodstock Feeling mit Sex, Drugs and Rock‘n Roll.

In San Franzisco blieb ich über einen Monat bis zum Greatfull Dead Neujahrskonzert. Ich parkierte meinen Chevi Station Car auf dem Parkplatz unter der Golden Gate Bridge und dort gab es eine grosse Community von Leuten, die dort in ihren Wohnmobilen oder Station Cars lebten. Man konnte sich dort locker die ganze Zeit aufhalten, musste aber jede Nacht nach drei Uhr für drei Stunden verschwinden. Dann fuhr ich jeweils nach Berkley rüber und hängte dort mit den Nachtschwärmern rum, um gegen sechs Uhr in der Früh auf den Parkplatz zurückzukehren und mich schlafen zu legen. Auch hier gab es zwei formidable Femme fatal, die fast jeden Abend eine Nummer schoben. So gab es u.a. recht viele freizügige und experimentelle Eskapaden auf der Reise 1981, die quer durch die USA von der Ost- zur Westküste und zurück führte mit über 20‘000 bewältigten Meilen und mindest zehn Reifenwechseln. Fast jede dritte Nacht wurde ich von der Polizei kontrolliert, egal wo ich gerade parkierte. Mit der Zeit liess ich dann im Strahl der Scheinwerfer, die Scheiben runter, streckte schlaftrunken den Schweizer Pass raus und sagte, dass ich Morgen schon wieder weiter ziehen würde. Damit war die Sache erledigt. Beeindruckend war auch der junge Pastor in Denver, der nicht nur kokste sondern seine Nächte auch bei Zockerrunden verbrachte und dann frisch fröhlich und unschuldig wie ein Engel wieder in der Kirche stand und Psalme sang. Soviel zu den Evangelischen Geistlichen, aber eben doch viel besser, als die klammheimlichen pädophilen Priester, die es ja zu Hauf gab und immer noch gibt. Es gäbe noch ganz viel über den USA-Trip im wahrsten Sinne des Wortes zu erzählen, doch kehren wir in die Schweiz der 80er Jahre zurück.

Im Strudel SchweizerPolitskandale

In den 80er Jahren gab es noch hinreichend gute Jobs. Erst arbeitete ich noch im Rechenzentrum der Oerlikon Bührle, danach bei einer internationalen Handelsfirma, später bei der «Brauerei Hürlimann» im Export, danach wieder für kurze Zeit bei einer Handelsfirma, der ich den gesamten Import von Getreidemehl aus Schweden vom Strassenverkehr auf die Bahn verlagerte und so schon in den frühen 80er Jahren ein erstes ökologisches Ziel umsetzte, dass der Firma auch noch viel Geld sparte, da die Bahnlösung erheblich günstiger war. Danach kamen drei Reiseleiter-Einsätze für je drei Monate im Senegal, in Polen und in London. Als ich von den drei Auslandeinsätzen und dem anschliessenden Aufenthalt im Untergrund in Südafrika von dort zurückkehrte, arbeitete ich beim «Media Daten Verlag», der die «Werbewoche» und das «Media Trend Journal» heraus gab und wurde dann Anzeigenleiter der «Neuen Zürcher Zeitung» für die Bereiche Tourismus, Schulen und Institute und war der Verkaufsleiter der «Swiss Review of World Affairs», dem damaligen, hochkarätigen, englisch sprachigen Magazin der «Neuen Zürcher Zeitung» «NZZ». Später produzierte ich die Wälzer, der «Portraits der Schweizer Werbewirtschaft» und «Portraits der Schweizer Kommunikationswirtschaft» beim «Bertschi-Verlag». Durch die Verlagstätigkeit rückte ich dem Journalismus immer näher und beschloss das Handwerk über eine PR-Ausbildung am «SAWI» zu erlernen.

Im Oktober 1989 nahm ich an einem einwöchigen Journalismus-Workshop mit dem „linken“ Journalisten, Schriftsteller und Historiker Niklaus Meienberg teil, der kurze Zeit zuvor den «Villiger-Skandal» im 2. Weltkrieg aufgedeckt hatte. Und uns nun überraschend nach Kreuzlingen zur Asylantenempfangsstelle führte, bei der wir noch am selben Abend unserer Ankunft eine menschenunwürdige Situation vorfanden. Vor der geschlossenen Asylanten-Empfangsstelle hatten gut ein Dutzend frierender Flüchtlinge ein Feuer angezündet, um sich vor der bitteren Oktoberkälte zu schützen und aufzuwärmen, denn sie seien von der Asylanten-Empfangsstelle ausgeschlossen worden, erklärten sie uns. Die Polizei war gerade dabei das Feuer zu löschen, was uns in Rage brachte. Niklaus Meienberg kam so richtig in Fahrt und der wortgewaltige Hühne orchestrierte eine verbale Schandtirade feinster Didaktik. Aber Meienberg wäre nicht Meienberg, wenn den Worten nicht auch Taten folgen würden und so wies er uns an, die Flüchtlinge in die Jugendherberge zu verschieben, die zum Glück gerade noch geöffnet hatte. Der arme Herbergen-Verwalter fiel fast vom Stuhl als er das Dutzend frierender und heruntergekommener Flüchtlinge im Schlepptau der JournalistInnen vor sich sah, so ging das übliche bürokratische Prozedere mit den Papieren los und musste nach den ersten fünf Personen, aufgrund fehlender Identitäts-Papiere, als hoffnungslos, abgebrochen werden, worauf die Flüchtlinge wenigsten mit ein bisschen Druck und Kostenübernahme (durch die Teilnehmenden) diese Nacht in der Wärme verbringen konnten.

Meienberg indes hatte schon am nächsten Morgen die halbe Deutschschweizer Presse auf den Plan gerufen und über die menschenunwürdigen Vorkommnisse und Praktiken (Strafaktion) vor der Flüchtlingsstelle hingewiesen. So sahen wir uns plötzlich im Presse-Trubel mit einer Schar Journalisten konfrontiert und belagerten mit diesen zusammen das Flüchtlingszentrum, bis wir mit dem Leiter der Empfangsstelle eine Aussprache hatten. Dann kamen die Politiker und Stadträte zu Wort, die mauerten. Auch Peter Arbenz, der damalige Flüchtlingsdelegierte des Bundes meldete sich zu Wort und stellte dem Empfangsstellenleiter einen Persilschein aus, derweil die kirchlichen Organisationen mehr Menschenwürde einforderten. Und so war die ganze Woche action. Der Kurs ging am Freitag-Abend zu Ende, jeder konnte über Nacht eine Story über das Geschehen der letzten Woche schreiben und sie Meienberg am Samstag-Morgen zeigen, der dann einen kurzen Kommentar dazu abgab, der allerdings lausig und launisch ausfiehl. Doch hatte ich das Glück, dass mein Beitrag in der damals renommierten «Weltwoche» mit der Essenz eines anderen Schreibwerkstatt-Teilnehmers gemeinsam just zu meinem Geburtstag abgedruckt wurde. Das war der Einstieg und Ansporn, weiter in diese Richtung zu gehen und weil Fotografieren schon länger zu einer Leidenschaft herangewachsen war, wollte ich Journalismus und Reportage-Fotografie miteinander kombinieren. Zoff und Stoff gab es ja genug, wie ihr gleich erfährt.

Im Jahre 1990 war ans Licht gekommen, dass sowohl die Bundesbehörden, als auch die kantonalen Polizeikorps seit Beginn des Jahrhunderts rund 900‘000 «Fichen» über politisch verdächtige Personen angelegt hatten. Laut offiziellen Angaben waren mehr als 700‘000 Personen und Organisationen erfasst, also über ein Zehntel der Bevölkerung wurden als subversiv eingestuft. Der Beobachtungsradius zielte zuerst auf ausländische Anarchisten, Schweizer Sozialisten und Gewerkschafter, Schriftsteller, unwillkommene politische Flüchtlinge und Ausländer, die oft wieder ausgewiesen wurden. Mit dem Aufkommen des Antikommunismus wurden vor allem linksstehende Politiker und Mitglieder von Gewerkschaften überwacht. Offizielles Ziel der «Fichierung» war es, das Land vor aus dem Ausland gesteuerten subversiven Aktivitäten zu schützen. Die Bekämpfung der Subversion war während des Kalten Krieges ein weitverbreitetes Schlagwort. Die Parlamentarische Untersuchungskommission «PUK» brachte zu Tage, wie weit dieser schwammige Begriff aufgefasst wurde.

Wie aus den Unterlagen der «Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr» (UNA) hervorging, empfanden eifrige Staatsschützer „Alternative“, „Grüne“, Friedensbewegte, Drittwelt-Aktivisten, Frauenbewegungen und Fremdarbeiterbetreuer, Anti-AKW-Aktivisten, „Linke“ aller Art per se, als potentiell gefährlich einzustufen seien, denn sie könnten kommunistisch unterwandert, feind- oder fremdgesteuert oder sonst wie manipuliert sein. So bestellte auch ich meine «Fiche» beim Polizei und Justizministerium, die dann doch detaillierter als angenommen ausfiehl, was das Bewegungsprofil und die Kontakte angeht, aber ansonsten sehr belanglos war, bis auf die vielen schwarzen Stellen in dem 14 seitigen Protokoll, das wohl mehr die Spitzel-Identitäten verdecken und schützen sollte, als Staatsgeheimnisse, staatsfeindliche Aktivitäten oder einen «Landesverrat» des Überwachten zu Tage gebracht hätte. Es zeigte den blinden Eifer der Behörden und das traurige Abbild ihrer Spitzel. Die wenigsten von uns waren Marxisten, Leninisten, Maoisten oder Kommunisten oder Staatsfeinde auch wenn das Motto: «Macht aus dem Staat Gurkensalat» skandiert wurden. Da wurde viel Staatspropaganda aufgefahren, um mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen. Aber ein «Ticket nach Moskau einfach», haben wir «Chaoten» trotzdem nie erhalten.

Dann gab es noch einen weiteren Politskandal: Die «P-26» Geheimloge (Projekt 26) war eine geheime Kaderorganisation zur Aufrechterhaltung des Widerstandswillens in der Schweiz im Fall einer Besetzung. Sie wurde 1979/1981 als Nachfolgerin des Spezialdienstes in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) eingesetzt und 1990 nach der Bekanntmachung durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) durch Bundesrat Moritz Leuenberger aufgelöst. Für die P-26-Mitglieder war in Friedenszeiten keine Bewaffnung vorgesehen, doch darum scherte sich der illustre Geheimbund nicht. Vorgesehen war, dass sie als Gruppe auf Befehl einer allenfalls im Ausland verbleibenden Exilregierung aktiv würden, um als Nachrichtenquelle zu dienen, ein Kampfauftrag war nicht vorgesehen, denn der war allein der Armee vorbehalten. Dennoch hortete die Untergrund-Organisation Waffen und legte grosse Munitionsdepots an. Ein weiterer Skandal setzte dem ganzen Abhör-, Bespitzelungs- und Geheimdienstzirkus noch die Krone auf. Doch es kommt noch viel dicker. Auch der Schweizer Nachrichtendienst war unterwandert mit „Kalten Kriegern“.

Die Schweiz als Apartheid-Gehilfe der Buren

Peter Regli war so eine Kultfigur der «Kalten Krieger» und als Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes 1991 bis 1999 eine illustere, zwielichtige Geheimdienst-Figur. Er organisierte in den frühen 1980er Jahren geheime Pilotenaustausche mit dem Apartheidregime. Laut dem ehemaligen Geheimdienstchef Südafrikas, Chris Thirion, vereinbarten die Geheimdienste der Schweiz und Südafrikas 1986 auch einen Know-how-Austausch über C-Waffen. Am 25. Januar 1988 traf der Leiter des südafrikanischen ABC-Waffen-Programmes, Wouter Basson, der später als «Doktor Tod» in die Geschichte einging, sowie Polizeigeneral Lothar Neethling sich mit Vertretern des «AC-Laboratoriums Spiez» in Bern zusammen. Unter dem «Project Coast» wollte der Militärarzt Basson mit B- und C-Waffen damals mögliche Aufstände der schwarzen Bevölkerung im Keim ersticken. „Eine grauenhafte Vorstellung, dass die Schweiz bei diesem teuflischen Plan im geheimen mitgewirkt hat und an der Vernichtung von zehntausenden von Schwarzen hätte beteiligt gewesen sein können.“ Dies zeigt die damalige Doktrin und das schablonenartige Denken der Geheimdienste. Heute ist das vermutlich nicht viel besser mit politisch hochstilisierten Feindbildern und den Algoryhtmen.

Vor Reglis erzwungenem Rücktritt liess er 1999 sämtliche Akten über die nachrichtendienstliche und militärische Zusammenarbeit mit dem Apartheidregime vernichten. 2003 reichte das (VBS) eine Strafanzeige und leitete eine Administrativuntersuchung gegen ihn im Zusammenhang mit den umstrittenen Kontakten des Geheimdienstes zum südafrikanischen Apartheid-Regime ein. Obwohl auch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) diese Operation als unrechtmässig bezeichnete, wurde Regli 2007 vom Bundesrat vollständig rehabilitiert. Die Aktenvernichtungen sei im Interesse der Schweiz gewesen. Reglis Rehabilitierung war allerdings umstritten, sie wurde von Hilfswerken und der politischen Linken (Sozialdemokraten, Partei der Arbeit, Grüne) mit Empörung quittiert. Doch wie kam Regli überhaupt zu diesen hochrangigen ausländischen Kontakten zur «CIA», zum «Mossad» und zum südafrikanischen Geheimdienst? Quellen aus dem «NDB»-Umfeld führen zu den geheimen Sitzungen des «Club de Berne». Diese informelle Organisation wurde während des Kalten Kriegs 1971 in Bern gegründet. Sie vereinigt die Chefs aller Geheimdienste und der Bundespolizeien aus etwa zehn Ländern wie Deutschland, den USA, Grossbritannien und der Schweiz und ist auch heute noch operativ tätig. Ziel ist der regelmässige Infor-mationsaustausch zwischen westlichen Geheimdiensten und Bundespolizeikorps über aktuelle Bedrohungen. Zu den Gründungsmitgliedern zählte auch die Schweiz. Auch Israel spielte eine entscheidende Rolle und der Austausch mit dem israelischen Inlandgeheimdienst «Schin Bet» und dem Auslandpendant «Mossad» waren intensiv. Initiator des «Berner Clubs» war der italienische Geheimdienstchef Umberto Federico d’Amato.

Ziel war es damals, ein gemeinsames Chiffrier-System aufzubauen, das auch hervorragende Dienste bei der Abhörung fremder Nationen und 2020 zur «Crypto-Affäre» führte.. Mitte der 70er Jahre erhielt der «Club»  eine aktive Rolle beim Vorgehen gegen linke Terrororganisationen wie die «RAF», die Rote Armee Fraktion in Deutschland oder die «Roten Brigaden» in Italien und so wurde ein weiteres, vom ersten getrenntes Meldesystem aufgebaut. Nach den Terroranschlägen vom 11.September hat der «Club» eine verstärkte Bedeutung als Gremium der politischen Konsultation zwischen Geheim- und Staatsschutzdiensten erhalten. Aus der Organisation ist ein breit abgestütztes internationales bekanntes aber immer noch sehr diskretes Gremium geworden. 2001 initiierte der «Club» die «Counter Terrorism Group» (CTG). Diese soll angeblich seit 2016 ein europäisches Geheimdienstzentrum in Den Haag leiten. Seit 2016 laufen Sondierungen mit «Europol», da die «CTG sich mit den polizeilichen Strukturen der EU oder einzelner Mitgliedstaaten vernetzen wollte. 2017 bezeichnete der deutsche Abgeordneter Andrej Hunko den «Berner Club» und dessen informellen Zusammenschluss «CTG» als „kaum kontrollierbar. Er kritisierte auch die zunehmende Vergeheimdienstlichung der Polizeiarbeit. In Österreich wurde der «Berner Club» im Rahmen der «BTV-Affäre» in den Medien genannt. In Deutschland anlässlich der Kontroverse um die Äusserungen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maassen zu den Ausschreitungen in Chemnitz 2018  bekannt. Seine Rede vor dem «Berner Club» am 18. Oktober 2018 hatte seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zur Folge.

Aviva Guttmann, eine Historikerin am «King’s College» in London, ist eine der Forscherinnen mit Zugang zu den «Club-de-Berne» Aufzeichnungen der 80er- und 90er-Jahren, die in ausländischen Archiven gelagert sind. Sie sagt, „dass Regli Kraft seines Amts Mitglied gewesen sein muss“ und ist sich sicher ist, „dass Regli stets über einen Wissensschatz verfügte, der weit über seinen Dienstgrad hinausging“. Durch die Teilnahme am «Club de Berne» erhielt Regli Informationen der «CIA» und vom «Mossad». Ein klassischer Modus Operandi für jeden Nachrichtendienstchef. Doch Regli ist dabei zu weit gegangen, «indem er ein zu hohes Risiko einging, die Sicherheit des Landes und die internationalen Verpflichtungen sowie Neutralität der politischen Schweiz zu gefährden. Dass Regli sich mit «CIA und «Mossad austauschen konnte, hat auch mit anderen Personen zu tun, die ihm den Rücken frei hielten und Türen öffnete, wie der Leiter des internen Nachrichtendiensts «DAP». Urs von Daeniken und sein Vorgesetzter, Peter Huber, beide Mitglieder im «Club de Berne». Sie fielen nach der «Fichenaffäre» 1989 in Ungnade und wurden aufgrund des öffentlichen Drucks kaltgestellt. Alt-Bundesrat Adolf Ogi erinnert sich und erzählt, dass der Geheimdienstchef für ihn immer mehr zum „Problem geworden sei, weil „Regli zu eng mit Personen aus dem Apartheid-Regime verbandelt war, die ein chemisch-biologisches Waffenprogramm aufgebaut hatten.“

Carla Del Ponte wollte Regli wegen der damals bekannt gewordenen Südafrika-Affäre sogar verhaften. Doch dazu kam es nicht, erst kam noch die Bellasi-Affäre dazwischen, benannt nach dem ehemaligen Geheimdienstbuchhalter Dino Bellasi, der von Regli mit 8,9 Millionen Franken ausgestattet und beauftragt wurde, ein geheimes Waffenarsenal aufzubauen. Als Bundesrat Ogi im November 1995 die Leitung des Militärdepartements übernahm und in sein Amt einarbeitete, hoffte er, von seinem Vorgänger, dem FDP-Bundesrat Kaspar Villiger Informationen zu erhalten, doch der liess seinen Nachfolger auflaufen. Dieser gab ihm keine Informationen über die Abläufe des «SND» oder über die Amtsführung von Peter Regli. So kam es auch, dass Ogi bis zum 12. Februar 2020 nichts von der Kontrolle des «CIA» und «BND» über «Crypto AG» wusste, wie er selber sagt.

Beruflich hatte ich zu Beginn der 90er Jahre bei meiner Public Relation Ausbildung und bei der PR-Agentur «Leipziger & Partner» in Zumikon mit dem Militär zu tun, obschon ich als Dienstverweigerer und Befürworter der «Armeeabschaffungs-Inititave» und daher kein Armee-Freund oder Kriegswaffen-Fetischist war. Mein Chef, Dr. Emil S., war Oberst im Militär, «AUNS»-Mitglied und ein „kleiner Nazi“ und gehörte so betrachtet nicht zu meinen speziellen Freunden oder Vorbildern. Aber beruflich gesehen, war er ein PR-Ass und bestens vernetzt, wodurch ich trotz meiner Aversion gegen Ernst Cincera, Peter Sager und Christoph Blocher viel von seinem Know-How und Kontakten zum militärischen Kader oder zu gemässigten Zivilorganisationen wie «Helvetas» und dem «Europa Institut» profitierte. Bei der PR-Agentur «Leipziger & Partner» organisierte ich u.a. das «Forum 91» und das «Colloquium Sicherheitspolitik & Medien» mit «NATO»-General Klaus Naumann als Gast, zwei hochpolitische Foren mit hochrangigen Militärs, Politikern, Wissenschaftlern und Medienvertretern.

Da prallten zwei Welten aufeinander: Hier der junge Freak, der Sympathie für die «Armee-Abschaffungs-Initiative» zeigte und sich der Rekrutenschule entzog, dafür aber gerne Zivildienst leistete. Einer der auch mit der Anti-AKW-Bewegung sympathisierte! Auf der anderen Seite das bürgerliche Establishment, die Spitze der Schweizer Armee bis hin zum Gastreferenten, «NATO»-General Klaus Naumann, der nur von drei Kantonspolizisten eskortiert in die Aula hereingeführt wurde. Da ich das Sicherheitsdispositiv im Detail kannte, wäre es für mich einfach gewesen, einen Terrorakt zu verüben, bei dem die Schweizer Armeespitze einen empfindlichen Schlag hätte hinnehmen müssen. Insgeheim malte ich mir aus, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich die hiesige Militärelite mit einem Schlag mit einem der 35mm Flabgeschosse aus meinem früheren Lehrbetrieb «Oerlikon Bührle» oder einem anderen Sprengsatz hätte vernichten können. Da habe ich gemerkt, dass man selbst als Pazifist einige abgründige Szenarien in Erwägung ziehen kann, wenn man in militärischen Kategorien denkt, so wie das in Militär- und Spionagekreisen und bei meinem Chef eben alltäglich und branchenüblich war. 

Die 80er Jahre waren also geprägt von grossen politischen Umwälzungen, die die Jugendbewegung ausgelöst hatte und so eine ganze Generation politisiert hat, denn die innenpolitischen Umwälzungen hatten auch viel mit der internationalen Lage zu tun. Mit den Schematas des Kalten Krieges, dem Vietnam-Krieg, dem Sechs Tage Krieg und Einmarsch Israels in den palästinensischen Gebieten, den Befreiungsbewegungen in Lateinamerika wie den Sandinisten in Nicaragua, den Tupamors oder dem «Sender Luminoso» in Peru sowie der Kampf der «Roten Armee Fraktion» (RAF) in Deutschland und der «Roten Brigaden» in Italien. Dadurch befeuert waren die jungen Aktivisten auch geneigt, die Armee abzuschaffen und die AKWs abzuschalten (mitunter eine Reaktion wegen des Reaktorunfalls von Tschernobyl). Wir schauten also weit über den Tellerrand hinaus und solidarisierten oder engagierten uns mit den Sandinisten in Nicaragua, die sich von Diktator Somoza verabschieden wollten und mit den Palästinänsern. Während den Jugenunruhen trugen wir alle die pälästinänsischen Tücher als Schutz gegen die Tränengaspetarden. Auch die imperialistischen Scharmützel der USA in Kuba, auf Grenada und in Panama brachten uns in Rage. Und so ist es kein Wunder, dass wir in die Welt hinaus zogen, um Neues zu entdecken und altes abzuschaffen.

Natürlich waren mir/uns damals all diese politischen Fakten nicht in dieser Dichte und Detailtreue bekannt, doch die vielen Skandale passten in das «ideologische Feindbild», dass ich auf privater und geschäftlicher Ebene beim Lehrbetrieb Oerlikon Bührle und später bei der PR-Ausbildung erlebte.

2. Internationalisierung und Politisierung

Senegal 86: Zwischen den Fronten und in der Welt der Hexen und Heiler

Der Senegal ist eine Welt der Geister, Hexen, Heiler und Wahrsager. Alles ist sehr mystisch angehaucht. Es werden Flüche ausgesprochen und Leute verhext und irgendwie fürchtet sich jeder davor. Daher tragen auch alle einen Boubou, einen Glücksbringer, der sie schützen soll. Auch der Kleiderkult ist legendär. Die schönsten, sehr farbenprächtigen Kleider und Kostüme werden in Dakar feilgeboten. Die bunt bemalten Pirogen, die Einbaumboote reihen sich am Strand im Getümmel der Fischer und Händler auf. Als Transportmittel gibt es Minibusse, die in alle Richtungen fahren und überall anhalten, wo ein Fahrgast ein- oder aussteigen möchte. Dakar ist eine äusserst pulsierende Metropole. Tag und nachts, denn erst ab den Abendstunden ist die Temperatur angenehm, derweil sie über Mittag bis auf 40 Grad ansteigt.

Mich faszinierte vor allem der Silberschmid-Markt. Hier wurden unglaublich schöne Ringe aus Horn, mit ziseliertem Silber reich geschmückt, angefertigt. Spannend waren auch die hier feilgebotenen Textilien und Kleider. Zum ersten Mal im Leben suchte ich mir die Stoffe für meine Lokal-Kolorit-Bekleidung selbst aus, brachte sie zum Schneider und liess mir die Kleider nach Wunsch und auf Mass zuschneidern. Für alle Völker des Senegals ist Musik, kombiniert mit Tanz und Erzählung, die wichtigste kulturelle Ausdrucksform. Ich hatte das Glück bei einem Konzert von Fela Kuti dabei zu sein.

1986 wurde ich als Stations- und Reiseleiter erst drei Monate im Senegal, dann in Warschau in Polen (also im damaligen Ostblock) und zuletzt in London für weitere drei Monate eingesetzt. Beim ersten Resident Manager Einsatz im Senegal war Flaute angesagt (sowie in Covid-Zeiten), denn damals war «AIDS» gerade erst auf dem Radar aufgetaucht und noch rätselte die Medizin darüber, woher das Virus kam und wie es übertragen wird. Erst vermutete man noch durch eine Fliege aus Afrika, dann kamen Affenbisse in Frage. Daher war nicht viel los im «Club Aldiana» nahe M’Bour. Hier, rund vier Stunden Autofahrt von Dakar aus in den Süden, entlang der Küste gelegen, gab es einen prächtigen Fischermarkt mit quirligem Treiben und buntbeamlten Pirogen, den Einbaum-Fischerbooten. Im «Club Aldiana», in dem die meisten Gäste logierten, fuhr ich drei Mal pro Woche mit den abreisenden Feriengästen zum Flughafen nach Dakar hoch und brachte die ankommenden Gäste in den Club runter. Dies war jedes Mal eine recht abenteuerliche Reise, weil viele Transfers bei Dunkelheit statt fanden. Interessant war auch, dass sich zu dieser Zeit auffallend viele weisse Frauen mitte 40 und älter als Touristinnen dort aufhielten, um sich offensichtlich mit viel jüngeren Senegalesen die Zeit zu vertreiben.

Die islamische Republik Senegal erstreckt sich von den Ausläufern der Sahara im Norden, wo das Land an Mauretanien grenzt, bis an den Beginn des tropischen Feuchtwaldes im Süden, den Nachbarn Guinea und Guinea-Bissau, sowie von der kühlen Atlantikküste im Westen in die heiße Sahel-Region an der Grenze zu Mali im Osten. Gut 90 Prozent der Bewohner des Landes bekennen sich zum sunnitischen Islam. Das Land befindet sich also an der Atlantikküste im Übergang von der kargen Vegetation der Sahelzone im Norden zu den fruchtbareren Tropen im Süden und wird genau in Ost-West-Richtung verlaufende Landgrenze von einem 300 Kilometer tiefen Einschnitt durchtrennt, der das Staatsgebiet von Gambia bildet. Wer also von Dakar aus in den Süden des Landes in die Casamance will, muss zwangsläufig durch Gambia hindurch. Diese Grenze zwischen Gambia und Senegal erschwert die Verbindung der senegalesischen Südwestregion Casamance zum Rest des Landes.

Der Salzsee Lac Retba unweit Dakars ist wegen seiner rosa Verfärbung aufgrund der Aktivität von Organismen im Wasser berühmt. Er ist bedeutend für die Salzgewinnung und den Tourismus; die UNESCO hat ihn zum Welterbe erklärt. Sehenswert sind auch die Region Saint-Louis, sie erstreckt sich in West-Ost-Richtung über rund 300 Kilometer bei einer durchschnittlichen Breite von 65 Kilometer entlang des Südufers des Senegal-Stroms. Im Westen der Region liegt der Nationalpark Djoudj, der Heimat von tausenden Vogelarten ist.

Das bedeutendste Volk des Senegal sind die Wolof und das ist auch die meistverbreitete Sprache unter den vielen Dialekten. Die Wolof gründeten zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert mehrere feudalistische Königtümer, deren Spuren bis heute in der Gesellschaft des Landes sichtbar sind. Dann gibt es die Serer, ein katholisches Bauernvolk im Zentrum und Westen des Senegal, der sonst zu 95 Prozent islamisch ist. Die Diola leben im Süden des Landes, in der Casamance und sind vor allem Reisbauern. Die Mandinka, Bambara und Soninke sind Ethnien, die starke, grenzüberschreitende Verbindungen, vor allem nach Mali, haben. Der Senegal ist also ein Vielvölkerstaat.

Durch die «AIDS»-Krise, die den Afrika-Tourismus drastisch reduzierte, hatte ich Zeit für eine kurze Reise in den Süden Senegals in die Casamance und durchquerte dabei auch Gambia. In einem kleinen Kaff mietete ich einen Bungalow und lief mit meiner Kamera in der Wildnis nahe der Grenze rum und wurde unvermittelt im Gestrüpp von einer Soldatentruppe des Militärs von Guinea-Bissau angehalten und stundenlang verhört. Da der Kommandant nur portugiesisch sprach, dauerte es eine Weile, bis ich erfuhr, dass es einen Konflikt wegen des Öl-Vorkommens im Grenzgebiet zwischen den beiden Ländern gäbe und ich erinnerte mich an einen TV-Beitrag vor wenigen Tagen, dass sich exakt zu diesem Zeitpunkt die Streitparteien in Genf zu Verhandlungen trafen.

Dies war mein Rettungsanker und Trumpf, als Schweizer in dieser prekären Situation. So versuchte ich dem Kommandanten klar zu machen, dass es äusserst schlecht wäre, wenn sie mich gefangen nähmen und damit die Verhandlungen in Genf gefährdeten. Das verstand er und liess mich dank einer verhältnismässig grosszügigen Geldspende unbeschadet von Dannen ziehen. Erleichtert lief ich in die Casamance, also in den Senegal zurück. Dort angekommen, hatte ich kein Bargeld mehr, um die Miete für die Lodge zu zahlen. Dazu musste ich erst eine Tagesreise entfernt nach Zuiginchor reisen, um den Reisecheck zu wechseln. Also erzählte ich dem Hotelier vom Grenzerlebnis und meiner Spende, bei der die Miete drauf ging und lief dann erschöpft zum Bungalow, um erst einmal schlafen zu gehen.

Doch es dauerte nicht lange, dann fuhren zwei Militärjeeps mit Getöse vor meiner Hütte vor und acht waffenstarrende Soldaten stiegen aus. Diesmal waren es senegalesische Soldaten, aber das beruhigte mich nicht eben. „Sie hätten Befehl, mich zum Militärgouverneur zu eskortieren“, sagten sie zu mir. „Was ist denn jetzt schon wieder los?“, dachte ich und versuchte den Adrenalinschub zu bremsen. Eine halbe Stunde später sass ich vor dem Militärkommandanten, der mich über den Grenzvorfall ausfragte. Er habe vom Vermieter davon Kenntnis erhalten und möchte mehr dazu wissen. „Scheisse“, dachte ich mir, heute ist aber ein anstrengender Tag, geht nun die Kriegs-Diplomatie wieder von vorne los? Jetzt gilt es, möglichst alles runter zu spielen und so wenig wie möglich zu sagen, dachte ich mir. Das übte ich dann gute vier Stunden lang mit dem senegalesischen Kommandanten, worauf wir beide ziemlich fix und fertig war. An einem Tag zwei Militärverhöre bei verfeindeten Staaten, das war schon eine Härteprobe spezieller Güte.

Am Ende des Einsatzes im Senegal, der von den ersten «AIDS-Kranken und «HIV»-Fällen überschattet wurde, lud ich meine letzten Gäste in M’Bour in ein maurisches Cafe ein, dass auch «Vielle Prune» also einen ganz feinen «Zwetschgenschnaps» servierte – eine absolute Rarität in Afrika. Meine Gäste wussten aber sofort, um welches Getränk es sich dabei handelt. Schmunzelnd erklärte mir der etwas über 50 jährige Mann, dass er VR-Präsident der «Destillerie Willisau» sei und dieses Getränk herstelle und vertreibe. So freuten wir uns noch mehr über die nächsten paar Tropfen und als der Gast erfuhr, dass ich nach Warschau versetzt werde, meinte er sofort: „Oh, da kenn ich einen ganz feinen Menschen und hochrangigen Politiker, da wir den Wodka aus Polen importieren“. Also schrieb er mir den betreffenden Namen auf einen Zettel und gab ihn mir zur Empfehlung und Kontaktaufnahme mit. Dank dieser „Schnaps-Connection“ im Senegal hatte ich, ohne es damals gerade zu ahnen, ein Ass für meine nächste Mission gezogen. wie wir gleich erfahren nach einem kurzen, zeitgemässen Diskurs über den Senegal wie man ihn heute sieht.

Der Senegal ist eine sehr junge Nation, mit rund 40 Prozent arbeitslosen Jugendlichen, die im März 2021 einen fünf Tage andauernden gewalttätigen Protest ausgefochten hat, bei dem Gerichte, Polizeistationen, Rathäuser, regierungsnahe Medien, die Häuser von Politikern und viele francophone Einrichtungen angegriffen wurden. Derweil die Jugend gegen die Korruption und Unfähigkeit der Regierung(en) auf die Barrikaden stieg, geht fast die Hälfte der Kinder gar nicht zur Schule, in abgelegenen Regionen sogar bis zu 70 Prozent. Bildungspolitisch haben alle Regierungen komplett versagt und mit ihnen die französische Regierung, worin schon mal das Grundproblem liegt. Der Zorn richtet sich auch gegen die Abhängigkeit von Frankreich, welche wirtschaftlich als auch währungspolitisch mit dem CFA eng mit Frankreich verbunden ist. Im Land der „Teranga“, was auf Wolof soviel wie Gastfreundschaft bedeutet, gibt es fast 250 Niederlassungen von französischen Unternehmen. Seit Jahren weigern sich die korrupten Politiker in Dakar, die immer wieder vorgebrachten Forderungen einzugehen, die neokoloniale Abhängigkeit endlich zu beenden. Das ist auch der Hintergrund der Antiimperialistischen Panafrikanischen Revolution (Frapp) des Aktivisten Guy Marius Sagna.

Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind der Export von Erdnüssen nach China, die Fischerei- und Landwirtschaft, der Tourismus sowie der Bausektor. China ist zu einem wichtigen Akteur in der Region geworden, doch die senegalesischen Fischer beklagen sich, dass die chinesischen Trawler auch die Fischbestände vor Senegals Küste leerfischen. Die traditionellen Grundnahrungsmittel der Bevölkerung des Senegal sind Hirse und Sorghum, die vorwiegend als Brei gegessen werden, sowie Hülsenfrüchte und Kuhmilch. Doch zählt auch der Senegal zu den Ländern die immer mehr unter dem Klimawandel und der dadurch fortschreitenden Desertifizierung leiden. Nun will man einen 15 Kilometer breiten grünen Gürtel quer durch Afrika mit Bäumen bepfanzen um der fort-schreitenden Desertifizierung Einhalt zu gebieten. Denn der eklatante Wassermangel in vielen Regionen am Rande der Sahelzone, die Dürre und das Austrocken und Veröden ihrer Böden, treibt viele Menschen in die Verzweiflung. Aber immerhin ist Senegal eines der stabilsten Länder Afrikas mit einer funktionierenden Demokratie und keinem einzigen Militärputsch aber einigen Hundert Toten beim Abspaltungskampf der Casamance.

Warschau 86: In Pole-Position hinter dem Eisernen Vorhang

Bei meiner Ankunft in Warschau, wo 14 Tagen zuvor ein Verkehrsflugzeug der «LOT» abgestürzt war und dabei rund 140 Menschen starben, konnte ich mit einem älteren Mann sprechen, der Englisch verstand und mir bei den Zoll- und Einreiseformalitäten für die 70 Fluggäste aus dem Westen behilflich war. Als ich mich bei ihm für seine Hilfe bedankte und nach seinem Namen fragte, antwortete er: „Mein Name ist Henry Zwirko. Wie bitte, entfuhr es mir, dies war doch der Name, der auf dem besagten Zettel stand, den mir der letzte Gast im Senegal überreicht hatte. Das konnte doch kein Zufall sein, dachte ich intuitiv, war aber gleichzeitig mit den Pässen und Einreisepapieren beschäftigt, was sich wohl noch stundenlang hinziehen konnte, insbesondere da ich ja nach einem kurzen Briefing von wenigen Stunden in der Schweiz als Neuling hier hinter dem «Eisernen Vorhang» in Warschau angekommen war. Doch das Prozedere wurde durch den Mann der sich als eben dieser Henry Zwirko vorgestellt hatte, mit wenigen sanften, aber entschiedenen Worten an den Grenzbeamten, erheblich abgekürzt und wir konnten alle rasch ungehindert die Grenzkontrolle passieren. „OK“, dachte ich mir, der Mann ist in der Tat vielversprechend. Kein Wunder reicht sein Einfluss weit, schliesslich ist er ja polnischer Kabinetts-Minister und sein Vater ein Kriegsheld des 2. Weltkrieges. Soviel wusste ich schon über ihn. Aber dass ich diesen besonderen Mann gleich bei meiner Ankunft in Warschau treffen würde, war schon sehr unheimlich. Im Nachhinein bestätigte sich meine Vermutung, dass der VR-Präsident dem Treffen ein wenig nachgeholfen und mir damit den Weg in eine aussergewöhnlich verschlossene Welt eröffnet hat, um die mich viele Geheimdienstler zu dieser Zeit inklusive unsere Spionageabwehr sicher beneidet hätten.

Auf ganz natürliche Art und Weise entwickelte sich eine vorzügliche Kooperation zwischen Henry Zwirko und mir. Da der offizielle Touristen-Umrechnungskurs von Schweizer Franken und D-Mark gut sieben Mal höher lag, als der in Warschau angebotene Schwarz-marktkurs, stieg ich alsbald jede Woche ein bis zwei Mal mit einer halben Million Zloty’s, die Henry mir besorgte, in den Transferbus ein, mit dem wir die neuen Gäste aus Zürich abholten. Und während dem Transfer vom Flughafen zu den Hotels, erzählte ich den Gästen, wie mühsam und gefährlich der illegalen Umtausch sei und offerierte, als guter Reiseleiter während der Fahrt ins Stadtzentrum jedem Gast 200 Franken zu einem guten Kurs zu wechseln. Das Geschäft lief wie geschmiert und der Buschauffeur und die lokalen Guide’s kamen dabei auch immer auf ihre Kosten und schauten diskret weg. So arbeitete ich mich souverän in die Tiefen von Korruption, Komplizen- und Planwirtschaft ein und hatte bald Geld wie Heu oder Millionen von Zloty’s in Lokalwährung ausgedrückt.

Nur, es gab nichts zu kaufen! Gar nichts, ausser Schnaps und käuflichem Sex an jeder Ecke. Ausserhalb der Touristenhotels war es sehr trist, abgesehen von ein paar sehr geheimen Orten für die Elite, in denen all die Leckerbissen, wie ein Chateau Briand oder Tartar und frische Säfte aufgetischt wurden. Ich war nur drei Mal an diesem erlauchten Ort, der für Polens Elite bestimmt war. Aber einmal sass auch Präsident Wojciech Jaruselski (der Einäugige, der den Russen die Stirn bot) mit seiner Entourage an einem der Nebentische. Das war für mich schon fast so, als wäre ich im Kreml angekommen!

Einige Jahre später hatte ich ein unerwartetes Treffen mit Gorbatschew’s Aussenminister Eduard Schewardnadse in der Sauna eines berühmten Medical Wellness Hotel mit herausragendem Schlafdiagnostik-Center im Vorarlberg. Zum Glück oder wie der Zufall es so will, hatte ich eine russisch sprachige Ukrainerin als Fotomodell dabei, daher konnten wir ein paar Worte mit ihm zusammen wechseln. Offensichtlich plagten den russischen Aussenminister Schlaflosigkeits-Symptome! Wohl aufgrund der aussenpolitischen Spannungen, denn es lief ja nicht gerade gut für die Russen. Doch zurück nach Warschau; keine zwei Wochen nach meiner Ankunft in Warschau und einer ersten Rundreise in Polen nach Krakau und Zakopane, trafen die Leichenspezialisten und Forensiker aus dem Ausland ein, um den Flugzeugabsturz vor drei Wochen zu untersuchen.

Daraufhin wurde unsere ganze Reisegruppe (stets so um die 50 bis 70 Personen) von einer Stunde auf die andere aus dem einzigen Mittelklassehotel, dem «Forum» in Warschau, rausgeschmissen. Wir mussten fortan für die nächsten 14 Tagen mit lausigen, heruntergekommenen Hotels auskommen und manchmal zu Dritt ein Hotelzimmer oder zu zweit ein Doppelbett teilen. Das war dann in etwa so wie im Militärdienst – den ich ja nur vom Hören Sagen kannte. Doch die zu 90 Prozent männlichen Gäste nahmen es relativ gelassen hin, „wir sind ja hier im Ostblock“.

Und sie waren mit kistenweise Vodka und Champagner, die ich zur Krisenbewältigung aufgeboten hatte, gut versorgt und damit echt zufrieden gestellt. Die meisten waren eh nur für eine „Touristen-Attraktion“ hier: Warschau war damals das Bangkok Europa’s und das weibliche Angebot reichlich anzüglich in jeder Hotelbar verfügbar. Ganze Bauernverbände und Aussendienstmitarbeiter mit „schwarzen Provisions-Kassen“ kamen aus der Schweiz hier her, um sich ein wenig hinter dem Eisernen Vorhang zu vergnügen.

Nur dafür hatte ich absolut keine Zeit und Muse! Der eigenen Loge beraubt und dazu täglich auf der Suche nach neuen Unterkünften, die Transfers, die komplizierte Benzinbeschaffung auf dem Schwarzmarkt und andere bürokratischen Hürden hielten mich auf Trab. Schwierig war es vor allem, immer wieder Sprit für meine Arbeitsfahrten und Transfers ergattern. Ich schlief die ersten fünf Tage im Auto – zusammen mit dem Fahrer, dann teilte ich mit einem geschäftlich in Polen weilenden Schweizer Geschäftsführer ein paar Nächte ein durchhängendes Doppelbett. Dies gab mir den Rest! Als mir das sozialistische Zigeunerleben zu bunt wurde, liess ich mit dem bündelweise verfügbaren Dollarschmiermittel die lokalen Gäste aus den Hotels rausschmeissen, in dem ich das Doppelte oder Dreifache des Zimmerpreises auf den Tisch legte. Mit der Zeit liefen dergestalt einige Dinge wie geschmiert und als Sahnehäubchen mietete ich mir eine der schönsten und teuersten Luxussuiten im einzigen 5-Stern Hotel in Warschau, damals das «Victoria» Hotel direkt am Hauptplatz. Von dieser Staatsgast-Suite konnte ich dann auch den Papstbesuch des polnischen Pontifatius Karol Józef Wojtyła besser, als alle anderen Kamerateams von meinem Fenster aus mitverfolgen. Pontifatius Wojtyła sah ich übrigens 1993 in Kuba wieder, als der polnische Papst der Karibikinsel und Fidel Castro einen Besuch abstattete. Auch dort war ich beim päpstlichen Umzugs Tam Tam an vorderster Front dabei.

Hatte ich Zeit für mich, holte ich die arbeitslosen Mädchen in der Lobby und von der Hotel-Bar hoch, denn zu meiner Suite gehörte auch ein Piano Player im Salon zwischen den beiden Flügeln, denn Platz gab es genug in meiner Suite mit zwei Schlafzimmern und einem Salon. Bald hatte ich ein halbes Privat-Bordell bei mir zu Gast. Die drei Monate in Polen waren unvergesslich und viel spannender, als die Zeit im Senegal. Mit einer jungen polnischen Studentin, die ein paar wenige Worte Englisch konnte, gingen bei mir dann die Pferde durch. Ich fuhr mit ihr in den Wald zu einem naheliegenden Gestüt, wo wir uns zwei Hengste ausliehen, um in einem Höllentempo durch die herrlichen Wälder zu preschen. Also genauer gesagt, hatte ich einfach keine andere Wahl, denn sie galoppierte davon und mein Gaul raste sofort hinter her, da gab es kein Bremspedal mehr. Das Wettrennen der Pferde hatte begonnen und meine zweite Reitstunde im Leben verlief nicht eben im Anfängermodus sondern im gestreckten Galopp.

Die herabhängenden Äste streiften und peitschten uns die ganze Zeit ums Gesicht, sodass wir tief gebückt den Höllenritt vollführten bis zu der Stelle, als ihr Gaul scharf bremste, worauf mein Hengst ebenfalls eine Notbremse vollzog und wir beide elegant und recht virtuos nach einem Salto Mortale im Gebüsch landeten. Immerhin hatte ich das Zaumzeug noch im Griff und es in meiner zweiten Reitstunde etliche Kilometer im gestreckten Galopp durch Polens wilde Wälder geschafft, unversehrt zu bleiben. Einfach grandios! Wild, ja geradezu hemmungslos ungestüm war auch der Sex, den wir hatten, bevor wir wieder aufstiegen und mit den Pferden zurück trotteten.

Leider war es aufgrund der sprachlichen Verständigung sehr schwierig mit der Lokalbevölkerung in Kontakt zu kommen, mit ihnen zu kommunizieren und an ihrem Leben teil zu nehmen. Da blieben mir nur die hübschen Hostessen im Hotel übrig, deren Sprache ich verstand. Doch nun geht es weiter nach London, heisst es im Fax aus der «Imholz» Reiseleiter-Zentrale in Zürich.

London 87: Die ersten Kontakte zu «ANC»-Exilanten

In London angekommen und nach kurzer Zeit eingelebt, traf ich nach einem „Betriebsunfall“ eines italienischen Reiseleiter-Kollegen, der ohne Aufenthaltsbewilligung hier arbeitete und den ich dann im Gefängnis besuchte, auch auf «ANC»-Exilanten, die vor dem rassistischen Apartheid-Regime geflüchtet waren. Gerade erst waren die UNO-Sanktionen in Kraft getreten und das südafrikanische Regime wurde erstmals an den Pranger gestellt. Da der Bruder eines unserer Londoner Reiseleiters in Südafrika lebte, wollten ein paar aus unserer Reiseleiter-Crew in diesen turbulenten Zeiten ans Kap der guten Hoffnung reisen und hernach in Botswana durch das Okavango Delta streifen. Das klang verheissungsvoll und wurde nach unserem Einsatzende in London auch so in die Tat umgesetzt, doch zuvor kehrte ich in die Schweiz zurück, um hier im Lande mit «ANC»-Exilanten und mit der «Anti-Apartheid Bewegung» (AAB) Informationen aus London auszutauschen und um weitere Kontakte im südafrikanischen Untergrund zu knüpfen. Dergestalt gut für die Südafrika-Mission gerüstet, kam der Abflug im November 1989 rasch näher. Doch blenden wir kurz zurück, was in Südafrika in den letzten zehn Jahren geschehen war.

1950, als die Südafrikanische Regierung ihr Volk in Rassen unterteilte (Population Registration Act 35), zahlten die Schweizer Banken die ersten Kredite über 35 Millionen Franken. Als die Regierung dann Mischehen verbot (Prohibition of Mixed Marriage Act), flossen weitere 85 Millionen Franken an den Appartheid-Staat, der bis 1983 über dreieinhalb Millionen Schwarze enteignet und in «Homelands» deportiert hat. Und so gehörten 87 Prozent des Landes auf einmal den 16 Prozent Weissen.

Am 26. Juni 1955 beschliesst der ANC mit anderen Schwarzenorganisationen die Freiheitscharta und proklamiert Südafrika gehöre allen Menschen, die hier leben. Am 21. März 1960 kommt es in Sharpville zum ersten Massaker, bei der 69 Menschen von der Polizei erschossen und weitere 180 Personen schwer verletzt werden. Die Regierung ruft den Notstand aus und erlässt immer neue Gesetze, um die Schwarzen in Schach zu halten. 1962 wird Nelson Mandela verhaftet. Daraufhin empfiehlt die UNO-Vollversammlung einen Abbruch der Beziehungen mit Südafrika und 1963 doppelt der UNO- Sicherheitsrat mit einem Waffenembargo nach. Die Schweiz beschliesst zwar ein Exportverbot, aber keine Sanktionen. Dennoch werden 35 mm Kanonen von «Oerlikon Bührle» und PC-Pilatus Porter nach Südafrika geliefert.

1967 werden fast 700‘000 Schwarze innerhalb eines Jahres verhaftet, weil sie gegen die Passgesetze verstossen haben sollen. Die Ausgaben für die Innere Sicherheit betrugen bereits 17 Prozent des Bruttosozialproduktes. Als die Briten im März 1968 eine zweiwöchige Einstellung des Goldhandels beschliessen, sprintet die Schweiz in die Bresche. Nun fliesst Südafrikas Reichtum in rauhen Mengen in die Goldhandelsmetropole Schweiz. «SBG», «SKA» und «SBV» sichern sich dreiviertel des weltweiten Goldhandels.

Ein Jahr später platzt die «Bührle-Affäre». Die Oerlikoner Waffenschmide hatte via Frankreich Waffen im Wert von 52,7 Millionen Franken nach Südafrika geliefert. 1973 beschliesst die «UNO» Vollversammlung Südafrika mit der «Resolution 3068» auszuschliessen und die Apartheid als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» einzustufen, derweil die Anleihen der drei Schweizer Banken schon auf 2,2 Milliarden Franken angestiegen sind. Während jedes zweite Kind unter fünf Jahren in den Homelands stirbt, geht es den weissen Herren am Kap und der «Zürcher Goldküste» immer besser. «Oerlikon Bührle» hat mehrmals die Sanktionen umgangen. Ich erinnere mich daran, dass ich in der Exportabteilung als Lehrling die Ausfuhrbewilligungen, Frachtpapiere und Akkreditive einfach auf die «Oerlikon Bührle» Holding in Spanien oder in Italien ausstellen musste.

1979 kommt es zum Massaker in Soweto, als am 16. Juni 15‘000 Schüler dagegen protestierten, fortan in Africaans unterrichtet zu werden. 575 Menschen starben bei dem Aufstand, der sich über Monate hinzog. Die Schweizer Banken verdoppelten ihr Kreditvolumen. 1980 erklärt der reformierte Weltbund» die Apartheid zur Häresie. Dies liessen die Schweiz und den Schweizer Geheimdienst kalt. Peter Reggli richtet unbeeindruckt von den Sanktionen den Pilotenaustausch mit südafrikanischen Kampfpiloten in die Wege, der Bundesrat wurde darüber aber erst 1986 orientiert. Die Summe der Kreditvergaben der Schweizer Banken an das Apartheid-Regime vervierfachte sich. Jahr um Jahr um 100 Prozent.

Infolge der internationalen Ächtung des Apartheid Regimes profitierte die Schweiz von der Menschen verachtenden, rassistischen Politik der Weissen am Kap. Die «ILO» forderte die Weltkonzerne auf, sich aus Südafrika zurückzuziehen und kritisierte die «SBG» namentlich als Sanktionsbrecherin. Nichts desto trotz erhält das südafrikanische Regime 1985 von Schweizer Banken weitere 75 Millionen Franken an Krediten zur freien Verfügung. 1986 wird der Ausnahmezustand über das hochverschuldete Land verhängt und über 10‘000 Menschen wurden verhaftet, 1800 von ihnen kamen dabei um. „Der Frieden wurde zur Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“, sagt Erzbischoff Desmond Tutu, als das Kirchenblatt, die «New Nation» geschlossen wurde.

Als 1987 die USA Firmen bestrafen wollte, die sich nicht an die Sanktionen hielten, kam Südafrikas Präsident Peter Botha und sein Aussenminister nach Zürich um sich mit «SBG»-Vizedirektor Georg Meyer und den Vorstand der «Vereinigung Schweiz-Südafrika» zu treffen, wo ihnen an Ort und Stelle ein „Orden der guten Hoffnung“ und weitere 70 Millionen übergeben wurde. Und 1989 kommt Südafrikas Regime dank Robert Jeker auch noch zu einer Verschnaufpause bei der Rückzahlung der offenen Kredite über acht Milliarden Franken. Dies war die Ausgangslage damals, die mich bewog, in Südafrika für einen Augenschein und weitere Recherchen in den Untergrund zu gehen. Da ereignete sich noch ein kleiner Schicksalswink, der mich in dem Vorhaben bestärkte.

Wie so viele Aktivisten, schrieb ich der damaligen «SGB» (und heutigen «UBS»), die damals sehr stark in Südafrika aktiv war und das Apartheid-Regime unterstützte, einen Brief in der ich der Bank mitteilte, dass ich mein Konto aus Protest gegen die Finanzpolitik und das «SBG» Engagement auflöse und sie bat, das Guthaben auf ein anderes Konto zu überweisen. Das geschah auch mit einem unwirtlichen Belehrungsbrief der «UBS». Auf meinem neuen Konto trafen dann aber aus Versehen 5000 Franken mehr ein. Das war wie ein Zeichen „von höheren Mächten“, dass ich auf dem richtigen Pfad bin und die Mission „von oben“ genehmigt und befürwortet wird. Also beantragte ich ein «loose leaflet» Visa, das auf einem Papier und nicht im Pass gestempelt wurde, damit kein geächteter Eintrag im Pass stand, der aufgrund der Sanktionen zu Reiseeinschränkungen geführt hätte und flog ich nach Johannesburg. Ich hatte ja zuerst in London und dann auch in der Schweiz Kontakte zu ANC-Exilanten und war gerüstet mit einigen Kontakten in Soweto und andern Orts im Land der weissen Herren, zu denen die Schweizer Regierung, Finanzbranche und Bergbauindustrie noch immer gute Kontakte pflegte.

Der Schweizer Geheimdienst diente Wouter Basson alias «Doktor Tod»

Die Beziehungen der Schweiz zu Südafrika waren politisch, militärisch und rüstungsindustriell in den 1980er Jahren am intensivsten, als die Durchsetzung der südafrikanischen Politik der Rassentrennung (Apartheid) am stärksten und von schweren Menschenrechtsverletzungen sowie offener Gewaltanwendung begleitet war. Die Schweizer Industrie hat das Waffenembargo, das die Uno über Südafrika verhängte, in grossem Stil unterlaufen. Sie verletzte selbst die von der Schweiz definierten Regeln über die Waffenausfuhr, obschon sie weit enger gefasst waren, als jene der Uno. Die Verwaltung war über viele illegale und halblegale Geschäfte informiert. Dies trifft auch auf die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Südafrika zu. Der Austausch nachrichtendienstlicher Informationen trug direkt zur Anbahnung von Rüstungsgeschäften, der Bekämpfung von Apartheidgegnern und zur politischen Propaganda zugunsten der südafrikanischen Regierung bei. In der dunkelsten Zeit der Apartheid in Südafrika: in den 80er-Jahren organisierte Peter Regli, damals Chef der Luftwaffe, einen geheimen, Austausch von Militär-Piloten mit Südafrika. Laut Aussage des ehemaligen Chefs des südafrikanischen Geheimdiensts Chris Thirion, pflegten die schweizerischen und südafrikanischen Dienste einen jahrelangen Informationsaustausch über chemische Waffen. Damals war Wouter Basson Leiter des südafrikanischen Chemiewaffenprogramms. Die südafrikanischen Medien gaben ihm den Übernamen «Doktor Tod». Er leitete die «Operation Coast», ein streng geheimes und tödliches Programm der Apartheidregierung, das an politischen Gegnern und Schwarzafrikanern getestet werden sollte.

All dies ist in einem klassifizierten Bericht von Professor Schweizer und in der Studie «Mit der Apartheid-Regierung gegen den Kommunismus» von Peter Hug festgehalten. Anfang 1988 trafen sich also Wouter Basson und der südafrikanische General Lothar Neethling in Bern mit Vertretern des AC-Labors Spiez. Gemäss Basson wurde das Treffen von Jürg Jacomet arrangiert. Der ominöse Waffenhändler war Reglis «Agent in Südafrika». 1991, ein Jahr nach dem Sturz des Apartheidregimes, statteten Basson und Neethling Bern einen weiteren Besuch ab, diesmal direkt im Büro von Regli. 1992 half Jacomet Basson, eine halbe Tonne «Mandrax»  zu beschaffen, ein extrem giftiges Lähmungsmittel. Ein Deal, der Regli einfädelte. Zwei Jahre später konnte Regli im Gegenzug auf Jacomets Unterstützung beim Kauf von zwei russischen SA-18-Boden-Luft-Raketen zählen. Die «Operation Coast» wurde 1992 abgebrochen. Die parlamentarische Aufarbeitung dieser problematischen Beziehung begann viel zu spät und nur durch Medienberichte ausgelöst.

Der Bundesrat war blind auf beiden Augen und kaum informiert über die engen Verflechtungen Reglis mit Südafrika. Die Wahrheit kam Stück für Stück ans Licht. Nur ein Mitglied des Bundesrats wusste von Reglis Deals, gemäss der parlamentarischen Untersuchung von 2003, nämlich Kaspar Villiger. Professor Schweizer, der Villiger ebenfalls befragt hat, zweifelte aber an der Kooperationsbereitschaft des ehemaligen FDP-Bundesrats und sagte: „Sicher hat er mir gegenüber nicht alles gesagt“. Für den emeritierten Professor ist der Fall Regli und Südafrika nicht abgeschlossen auch wenn Reglis Beziehungen zu Südafrika offiziell abgeschlossen sind und 2007 zu seiner Rehabilitation führten. Irre, nicht? Trotz eindeutiger Kontakte, problematischer Kontakte, privater Geschäfte und mehrerer Kompetenzüberschreitungen konnte ihm keine direkte Beteiligung am «Projekt Coast» nachgewiesen werden, auch wenn Regli in Gegenwart seines Anwaltes zugegeben, hatte, dass er Wouter Basson, den Leiter des Chemiewaffenprogramms, mindestens sechs Mal getroffen und mit ihm vertrauliches besprochen habe. Von den verbrecherischen Forschungen dieses Arztes hatte Regli also Kenntnis, sagt Schweizer, aber diese gut dokumentierten Befunde blieben für ihn bisher folgenlos.

Das lag daran, dass Regli sämtliche Akten und Memos über seine Besuche im September 1999 vernichtet hatte. Wenige Monate bevor er vom Bundesrat wegen der laufenden Untersuchung in Frühpension gedrängt wurde, wird Regli ins Armeearchiv versetzt. Dort nutzte er die Gelegenheit, alle Dokumente im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten in Südafrika zu vernichten. Er berief sich dabei ironischerweise auf den Datenschutz, seine Persönlichkeitsrechte und den «Fichenskandal» der damaligen Bundespolizei. Die Aktenvernichtung sei in den 70er- bis 90er-Jahren eine typische schweizerische Eigenheit gewesen, sagen Geheimdiensthistoriker. Vor allem über die Kooperationen mit ausländischen Intelligence Services seien Akten geschreddert worden, sofern überhaupt etwas schriftlich festgehalten worden sei.

Zu den «Cryptoleaks». «SRF-Rundschau», «ZDF» und die «Washington Post» hatten gezeigt, dass die Zuger Exportfirma «Crypto AG» im Dienste des amerikanischen und deutschen Geheimdiensts über lange Jahre hinweg manipulierte Verschlüsselungsgeräte verkauft hatte. Die «Crypto AG» ist nur die Spitze des Eisbergs. Der gesamte Schweizer Nachrichtendienst war in den 1990er-Jahren geprägt von Dünkel, Intrigen und informellen Beziehungen zu westlichen und anderen illusteren Geheimdiensten. Es gab einen kleinen Zirkel von Insidern an der Spitze, der unbeaufsichtigt von Bundesrat und Parlament den persönlichen Austausch mit amerikanischen, südafrikanischen oder israelischen Spionen pflegte. Dank des 280-seitigen Dokuments namens «Minerva» wurde beweisen, dass der «BND» und die «CIA» zwischen1970 und 1993 ein Geheimbündnis hatten, um rund 100 Staaten auszuspionieren.

Auch das Verfahren gegen die «Crypto AG» musste ergebnislos eingestellt werden. Auch hier stellen wir ein hohes Mass an politischer Verschleierung fest. In den Medien sind diverse Namen aus dem bürgerlichen Lager aufgetaucht. Der geheime CIA-Bericht «Minerva» nannte als Mitwisser beispielsweise den Zuger FDP-Parlamentarier Georg Stucky, ein Mitglied des Verwaltungsrats von «Crypto AG» und AltBundesrat Kaspar Villiger. Dann war da noch die «Affäre Bühler», der 1992 beim Verkauf von Verschlüsselungsgeräten an das iranische Verteidigungsministerium verhaftet wurde. Der Aussendienst-Mitarbeiter wurde der Spionage verdächtigt und sass neun Monate lang in einem iranischen Gefängnis. Der Fall Bühler zwang die Bundesanwaltschaft, eine Untersuchung zur «Crypto AG» durchzuführen. Diese kam fälschlicherweise zum Schluss, dass es keine Manipulation an Geräten gab. Mehrere Quellen aus dem «NDB»-Umfeld bezeugen aber, wie eng der Ex-Chef des Strategischen Nachrichtendiensts mit den Amerikanern zusammenarbeitete. Sie nannten ihn «den Souffleur» mit engem Draht zum damaligen «CIA»-Direktor William H. Webster, dem israelischen Geheimdienst «Mossad» oder dem südafrikanischen Geheimdienst – alles Protagonisten aus dem «Club de Berne». Der militärisch ausgerichtete Nachrichtendienst «SND» punktete mit dem Satelliten-abhörsystem «Onyx» in Leuk, Zimmerwald und Heimenschwand. Damit gelang es der Schweiz uneingeschränkt alle Datenübertragungen via Fax, E-Mail oder Telefon nach Suchkriterien abzuhören. Zudem gab es den «Dienst für Analyse und Prävention» (DAP). Dieser wurde nach der «Fichenaffäre» 1989 gegründet und war beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement angesiedelt.

Die Schweizer Industrie gehörte zu den Stützen des geheimen südafrikanischen Atomwaffenprogramms. Die «Gebrüder Sulzer AG» und die «VAT Haag» lieferten wichtige Komponenten zur südafrikanischen Urananreicherung, die für die sechs von Südafrika hergestellten Atombomben das notwendige spaltbare Material bereitstellte. Damit war die Schweiz ohne Zweifel in mehrfacher Hinsicht eine Stütze der Apartheidregierung. Wie kam es dazu? Durch die Distanz zur Uno blieben auch nach 1945 eine Neigung zu rassistischen Vorstellungen politisch wirksam, die ab Ende der 1970er Jahre durch einen ebenso unreflektierten Antikommunismus abgelöst wurde. Im Klima des Kalten Krieges wurde jede Kritik daran mit dem Argument erstickt, das antikommunistische Bollwerk am Kap müsse erhalten bleiben. Denn sowohl in Angola als auch in Mocambique machte sich der Kommunismus mit Hilfe der Kubaner breit.

Der begrenzte Einblick in das Schweizerische Bundesarchiv und die des «Vorort» des Schweizerischen Handels- und Industrievereins» zeigen auf, dass die Schweiz während der Apartheidzeit zu Südafrika sehr enge militärische, geheimdienstliche, rüstungsindustrielle und nukleare Beziehungen unterhielt. Auch empfing die Schweiz schon zu Beginn der 60er Jahre die Spitzen der Verwaltung, Armee und Wirtschaft sowie hochrangige Delegationen der südafrikanischen Streitkräfte. Das Militärdepartement in Bern und die diplomatische Vertretung der Schweiz in Südafrika halfen bei der Anbahnung und Abwicklung von Rüstungsgeschäften aktiv mit und stellte die Schweizer Armee der privaten Rüstungsindustrie ihre Schiess und Waffenplätze zur Verfügung, damit diese ihre Produkte den südafrikanischen Beschaffungsdelegationen vorführen konnte.

Es bestand aus Schweizer Sicht kein Anlass, gegen die südafrikanische Regierung Beugemassnahmen zu ergreifen. Erst aufgrund der ungeschickten Informationspolitik von Bundesrat und der arroganten Haltung von «Oerlikon-Bührle» sah sich die Schweizer Regierung im Dezember 1963 aus innenpolitischen Gründen gezwungen, die Waffenausfuhr nach Südafrika zu stoppen.Dieser Stopp war aber nur als vorübergehend konzipiert. Von einem politischen Willen, ein Ausfuhrverbot durchzusetzen, fehlte nach wie vor jede Spur. Nach dem «Stopp der Waffenausfuhr» nach Südafrika von 1963 blieb der politische Wille in den massgebenden Kreisen der Schweiz allgegenwärtig, die südafrikanische Regierung beim Ausbau der Streitkräfte und rüstungsindustriellen Basis zu unterstützen. Menschenrechtsfragen wurden in diesen Kreisen nie angesprochen.

Ab 1965 war in der Schweiz ein südafrikanischer Militärattaché akkreditiert. 1966 knüpften der damalige Generalstabschef der Schweizer Armee, Paul Gygli, und Oberst Helmut von Frisching von der «Untergruppe Nachrichten und Abwehr (UNA) zum Chef des «südafrikanischen Heeres, General Charles Alan Fraser, «herzliche Kontakte». Auf Gyglis Vorschlag reiste eine südafrikanische Militärmission in die Schweiz, um im Hinblick auf die Streitkräftereform Südafrikas das Rekrutierungs- und Ausbildungssystem der Schweizer Armee kennenzulernen. Auf besonderes Interesse stiess beim militärischen Nachrichtendienst Südafrikas die Art und Weise, wie die Schweizer Armee im Rahmen der «psychologischen Kriegführung» so genannt «Subversive» bekämpfte.

Kaum hatte die südafrikanische Regierung mit Unterstützung des US-Geheimdienstes «CIA» 1969 das berüchtigte «Bureau of State Security» (BOSS) als zivilen Nachrichtendienst errichtet, unterhielt dessen nicht minder berüchtigter Chef, General Hendrik Van Bergh, persönliche Kontakte zu Vertretern der Partnerdienste in der Schweiz. 1974 führte die «BOSS»-Abteilung «Z-Squad» von der Schweiz aus eine der ersten von der südafrikanischen Regierung angeordneten aussergerichtlichen Ermordungen eines schwarzen Oppositionellen durch. Ab 1972 bauten auf Bestreben des damaligen UNA-Chefs Oberstbrigadier Carl Weidenmann auch die militärischen Nachrichtendienste der Schweiz und Südafrikas einen engen Informationsaustausch auf. 1974 unternahm Brigadier Friedrich Günther-Benz zwei Reisen nach Südafrika und liess in einem breit gestreuten Bericht keine Zweifel an ihrer Unterstützung der südafrikanischen Regierungspolitik offen. 1975 war der Chef Abteilung Nachrichtendienst in der UNA, Oberst i Gst Peter Hoffet, mitsamt Frau und Tochter während drei Tagen Gast des südafrikanischen Militärattaché.

Makabere Waffengeschäfte und Atomdeals gedeckt vom Schweizer Politfilz

Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass sich «Oerlikon-Bührle» nicht an den Waffenausfuhrstopp von 1963 gebunden fühlte und 1964/1965 nicht nur die vom Ausfuhrstopp betroffenen 30 Oerlikon 35-mm-Geschütze illegal nach Südafrika, sondern 1965 zusätzliche 90 Geschütze für 52,7 Mio. Franken und – über Italien – 45 Superfledermaus-Feuerleitgeräte für 54 Mio. Franken nach Südafrika lieferte. Selbst nachdem im Zuge des Bührle-Skandals vom November 1968 ein Teil dieser illegalen Geschäfte bekannt wurde – die widerrechtliche Lieferung von Geschützen und Munition nach Südafrika – ging einfach weiter! Die letzten 16 Geschütze wurden 1969 über den Hafen von Genua nach Südafrika verschifft, was den Schweizer Behörden bekannt war, aber nie Gegenstand der damals laufenden Strafuntersuchungen wurde. „Sie übten sich konsequent in fahrlässiger Ahnungslosigkeit, aktiver Duldung und Mitwirkung, was die illegalen Geschäfte von «Oerlikon-Bührle» erst möglich machte“, schrieb der Autor der Studie, Peter Hug.Wie neue Dokumente aus Südafrika erstmals belegen, ging zudem das illegale Rüstungsgeschäft mit dem Apartheidstaat weit über den «Oerlikon-Bührle-Konzern hinaus.

Auch die «Hispano Suiza (Suisse) SA» in Genf lieferte im grossen Stil illegal 20-mm-Geschütze nach Südafrika. Grundlage bildete ein Liefervertrag von 1967 für 126 Hispano-20-mm-Geschütze, Munition und die Übertragung von Lizenzrechten im Wert von über 21 Mio. Franken. Per Bundesratsentscheid wurde 1969 eine Ausdehnung der Strafuntersuchung über die «OerlikonBührle AG» hinaus auf politischem Weg ausgeschlossen. Mit Unterstützung des damaligen Verteidigungsministers Giulio Andreotti und Geheimdienstchefs General Egidio Viggiani unterliefen auch die «Contraves Italiana» in Rom und die «Oerlikon Italiana» in Mailand in grossem Stil das italienische Waffenausfuhrverbot nach Südafrika. „Die Schweizer Behörden unterstützten die Unterlaufung des Waffenembargos über Tochter- und Partnerfirmen in den Nachbarstaaten, indem sie bei der Zulieferung von Bestandteilen aus der Schweiz keine Endverbraucher-Bescheinigungen forderten, so dass diese von dort problemlos nach Südafrika weitergeschoben werden konnten“,protokollierte Peter Huber in seinem Bericht zur Aufarbeitung des düsteren Kapitels bei den Beziehungen der Schweiz zum sanktionierten Apartheidstaat.  .

Das wichtigste Schlupfloch bildete die Weigerung der Schweiz, die Uno-Resolution 182 (1963) vom 4. Dezember 1963 umzusetzen, die alle Staaten aufrief, den Verkauf und die Auslieferung von Ausrüstungsgütern und Material zu stoppen, das in Südafrika zur Herstellung und den Unterhalt von Waffen und Munition diente. Erst 1996 unterstellte die Schweiz die Übertragung von Lizenzrechten für die Herstellung von Rüstungsgütern im Ausland einer Bewilligungspflicht. Das «Lyttelton Engineering Works» in Pretoria fertigte ab 1964 Läufe zur 35-mm Oerlikon-Kanone und ab Anfang der 1970er Jahre ganze Geschütze. Die «Pretoria Metal Pressings fertigte gestützt auf Lizenzverträge mit der Werkzeugmaschinenfabrik «Oerlikon Bührle»ab 1964 Oerlikon 30-mm und 35-mm-Munition, die «African Explosives» and Chemical Industries» die dafür benötigten Treibladungsmittel. Ab 1967 fertigte Südafrika auch die 20-mm Geschützläufe und –Munition der «Hispano Suiza in Lizenz.  Um 1964 stieg die «Plessey (South Africa) Ltd. in die Fertigung von «Contraves Mosquito» Panzerabwehrraketen ein, wobei diese Lizenzproduktion nicht restlos geklärt werden konnte. Dies gilt auch für die Fertigung von «Tavaro»Zünder-Bestandteilen durch die «Instrument Manufacturing Corp of South Africa» in Plumstead bei Kapstadt. 1972 schloss die «Gretag AG» Regensdorf in Südafrika einen Lizenzvertrag zu Fertigung ihrer Chiffriergeräte ab. 1974 stieg die Tochtergesellschaft der «Wild Heerbrugg AG»im St. Gallischen Rheintal, die «Wild South Africa» in Johannesburg, in die Fertigung optischer Geräte für die südafrikanischen Streitkräfte ein. All diese Lizenzübertragungen waren von Zulieferungen und technischen Beratungsdienstleistungen begleitet. All dies wurde von den weitmaschigen Bestimmungen der Schweizer Kriegsmaterial-Ausfuhrregelungen nicht erfasst. Weder in der Industrie noch bei den Behörden wurden jemals Stimmen laut, die sich gegen die Nutzung dieser Schlupflöcher ausgesprochen hätten.

Die Militär- und Nuklearsanktionen der Uno von 1977 und die Schweiz Anfang der 1970er Jahre leiteten die Vereinten Nationen einen intensiven Diskussionsprozess über die Frage ein, inwiefern internationale Wirtschaftsbeziehungen auf die Lage der Menschenrechte einwirkten. Einige Uno-Gremien gingen sehr weit, indem sie behaupteten, jegliche wirtschaftliche, politische und kulturelle Tätigkeit in Südafrika trage zur Erhaltung der Apartheidpolitik bei. Indem die schweizerische Aussenpolitik jeweils bestritt, dass zwischen Direktinvestitionen in Südafrika und gegenseitigen Handels- und Finanzbeziehungen und der Lage der Menschenrechte in Südafrika ein Zusammenhang bestand, stand sie in einer Extremposition. Und ich war damals als 16 jähriger plötzlich ins Weltgeschehen involviert, da ich von 1975 bis 1978 meine kaufmännische Ausbildung bei der «Oerlikon Bührle» in Zürich machte und sechs Monate in der Exportabteilung arbeitete und dort all die Exportpapiere, Ausfuhrbewilligungen, Akkreditive usw. ausfertigte und mich daran erinnerte, wie ich stutze, gewisse Rüstungsgüter über die Tochterfirmen in Italien und Spanien auszuführen und einfach deren Adresse als Exporteur einfügte.

Nachdem die politische Verunsicherung, die 1976 das Massaker von Soweto und die darauf folgende Repressionswelle innerhalb und ausserhalb Südafrikas in der Schweizer Regierung erneut kaum Spuren hinterliess, sah sich die Schweiz auf internationaler Ebene zunehmend isoliert. In dem Masse, wie sich die soziale Basis des Widerstandes in Südafrika Anfang der 1980er Jahre verbreiterte und die Repression der südafrikanischen Regierung härter wurde und sich militarisierte, rückte die Schweiz noch näher an Südafrika heran. Alle anderen Staaten schlossen sich dem Ruf nach mehr oder weniger weitgehenden Sanktionen an. Die Schweiz war mit ihrem kategorischen Nein im Uno-System sehr einsam geworden. Parallel schlossen sich auch in der Verwaltung die Reihen. So etablierte sich über alle Departemente hinweg eine gegenüber konkreten Veränderungen immune und stark ideologisierte Haltung, die nicht in der Lage war, auf die das breite Spektrum der Uno-Südafrika-Diskussion differenziert zu reagieren. Innenpolitisches Gegenstück dieser starren Haltung bildete eine Verhärtung der Fronten entlang des links-rechts-Schemas.

Die Selbstverständlichkeit, mit der alle wichtigen Bundesämter und die mit ihnen verbundenen Verbände und Anstalten die Politik unterstützten, die Schweiz in der Südafrikafrage ausserhalb der überwältigenden Mehrheit der Uno-Mitgliedstaaten zu positionieren, mag heute überraschend wirken. Gerade diese Selbstverständlichkeit bestätigt indes, dass der Konsens und die Blindheit in der Bandbreite weit verbreitet und verankert war. Trotz Widerstand der Bundespolizei traf sich der südafrikanische Sanitätsarzt 1980 auch mit dem Schweizer Oberfeldarzt; weitere Treffen folgten. Nahmen 1977 das Departement für auswärtige Angelegenheiten und 1979 das Militärprotokoll noch gegen den Austausch von Offizieren der Flieger- und Flabtruppen zwischen den beiden Staaten Stellung, leitete Flugwaffenchef Arthur Moll 1980 eine Wende ein. Er traf den südafrikanischen Luftwaffenchef an der Flugschau in Farn-borough und lud diesen zum Erstaunen seines Partners wenige Tage später zu einem offiziellen Besuch nach der Schweiz ein. Grundlage bildete das 1983 abgeschlossene Geheimschutzabkommen. Damit erhielten die südafrikanischen Militärpiloten Einblick in geheime Methoden der Kampfführung und technische Einzelheiten der Schweizer Flugwaffe. Der Pilotenaustausch setzte sich während den ganzen 1980er Jahren fort. Neben der militärisch-technischen ist auch die politische Ebene zu beachten. Mit der Verschärfung der gesellschaftlichen Konflikte innerhalb Südafrikas und dem sich erhöhenden internationalen Druck auf Südafrika bauten die südafrikanischen Streitkräfte im Verlauf der 1980er Jahre ihre Propagandatätigkeit massiv aus.

Die Streitkräfte und vor allem der militärische Nachrichtendienst scheuten zur Durchsetzung ihrer sogenannten «Comops»-Projekte Geld noch Kontakte bis hin zu gewaltbereiten rechtsextremen Kräften. In der Schweiz baute der südafrikanische Militärattaché und andere Kontaktpersonen Kontakte zu teilweise schillernden Figuren am äussersten rechten Rand des politischen Spektrums auf, darunter zu Jürg Meister, Chefredaktor der von Karl Friedrich Grau herausgegebenen «Intern-Informationen». Wie aus den Unterlagen des militärischen Nachrichten-dienstes Südafrikas hervorgeht, mass dieser dem Kontakt zu Leuten wie dem Zürcher «Subversivenjäger» Ernst Cincera, dem Leiter des Schweizerischen Ostinstituts, Peter Sager, und dem Präsidenten der Arbeitsgruppe südliches Afrika, Christoph Blocher, grosse Bedeutung zu. Comops»Operationen in der Schweiz betrafen Pressionsversuche auf Fernsehen, Radio und Printmedien.

Proteste der «Anti-Apartheid-Bewegung» der Schweiz blieben ungehört. Mehr Fragen als Antworten werfen eine lange Reihe unaufgeklärter Fälle auf, bei denen die Bundespolizei und andere Untersuchungsorgane starke Hinweise auf Verbrechen und Sanktionsbrüche erhielten, aus Rücksichtnahme auf die südafrikanische Regierung und ihre prominenten Freunde in der Schweiz aber davor zurückschreckte, die beschafften Informationen gerichtlich zu verwerten. Im Falle einer Rüstungsfirma in der Ostschweiz, die im grossen Stil Waffenschiebergeschäfte mit Südafrika abschloss, begnügte sich die Bundespolizei damit, der Konzernspitze zu empfehlen, einen der ungeschickt operierenden Mitarbeiter aus dem Verkehr zu ziehen und dafür zu sorgen, dass die Schiebereien diskreter abgewickelt wurden. Sehr weit ging die Zusammenarbeit der Eidgenössischen «Pulverfabrik Wimmis» mit dem führenden südafrikanischen Hersteller von Munition und Treibladungspulver «Somchem».

«Wimmis» stellte der «Somchem» 1979 via «Oerlikon-Bührle AG» eine Produktionslizenz für Treibladungspulver für 20-mm- und 35-mm-Munition zur Verfügung, bildete «Somchem-Ingenieure in topgeheimen Anlagen in «Wimmis» aus und hielt sich mit ihren Spitzenkräften, darunter dem Direktor und dem Chefchemiker, mehrfach während Wochen bei der «Somchem» auf, um aufgetretene Probleme bei der Lizenzproduktion und der übrigen Herstellung militärischer Explosivstoffe zu lösen. «Oerlikon-Bührle»gewährte im Rahmen des Projektes «Sleeve» und «Skavot» im grossen Stil technische und Management-Hilfe zur Fortentwicklung des 35-mm-Fliegerabwehrsystems. Zahlreiche topgeheime Geschäfte liessen sich in den 1980er Jahre nachweisen, die Südafrika mit Unterstützung des militärischen Geheimdienstes in der Schweiz abwickelte, darunter vom Heer die Projekte vdas die Beschaffung von Ausrüstungsgütern im Raume Genf betraf, das Projekt «Janitor», das dem Aufbau eines zivilmilitärischen Luftraumüberwachungssystems diente, oder die Projekte «Alexandri» und «Bessie», die die südafrikanische Flotte in den 1980er Jahren in der Schweiz abwickelte.

Der Schweizerische Bundesrat hatte am 16. April 2003 allen Grund, die Einsicht in Südafrika-Akten in der Schweiz zu stoppen. Denn es sind in der Schweiz viele, die aus tiefer politischer Überzeugung die Apartheid-Regierung in Südafrika unterstützt und am völkerrechtswidrigen und völkerrechtskonformen Geschäft mit dieser kräftig mitverdient haben. Diese rabenschwarze, rassistische Haltung und nahe an Kriegsverbrechen andienende Schweizer Vergangenheit wurde bis heute nur mangelhaft aufgearbeitet und hatte für keine der Beteiligten rechtliche Konsequenzen. Alles wurde helvetisch diskret und sauber unter den Tisch gewischt und jegliche Mitverantwortung abgelehnt. Dabei haben wir es hier mit einer ebenso rassistischen Nazi-Doktrin und den übelsten Menschenrechtsverbrechen zu tun.

Das war also die Ausgangslage, die mich antrieb, mir selbst ein Bild von der Situation und den Lebensumständen der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika unter dem Apartheidregime zu machen, wie wir gleich im nächsten Kapitel erfahren. Doch zuvor noch einen Blick auf die heutigen helvetischen Rüstungsgütern allen voran der PC-12 Spectre Pilatus Porter, der den Amerikanern bei Aufklärungsflügen und gezielten Tötungen ausgezeichnete Dienste leistet. Insgesamt 28 modifizierte PC-12 stehen derzeit für die US-Luftwaffe im Einsatz. Im Februar 2021 feierte die US-Air Force 600000 PC-12 Flugstunden und einen preisgekrönten Flug im Rahmen der «Find, fix and finish»–Spezialoperationen in Afghanistan, im Irak, in Somalia und im Jemen, bei denen auch Zivilisten und Kinder ums Leben kamen. Der preisgekrönte PC-12 «Draco»-Flug (der Spitzname für den modifizierten PC-12 Spectre) fand am 14. August 2018 im afghanischen Gebiet von Ghasni statt, als die Taliban die afghanischen Streitkräfte aufrieben. Bei dieser Schlacht kamen 150 Soldaten der afghanischen Arme, 220 Taliban und 95 ZivilistInnen ums Leben.

Und nun zur politischen Dimension. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (secco) wuste seit spätestens 2008, dass der PC-12 Spectre der Pilatus Flugzeugwerke AG in Stans auch in den USA für militärische Zwecke verwendet und durch die Firma Sierra Nevada Corporatioin (SNC) mit gesicherten Datenverbindungen ins Pentagon und zur NATO-Einsatzzentrale und FUll-Motion-Videoübermittlung ausgerüstet wurden. Das secco wusste auch, dass die Amis damit die afghanischen Streitkräfte ausrüsten wollten – also dass es sich um brandaktuelle Kriegseinsätze handelt, als weitere achtzehn Stück bestellt wurden. DAS galt trotz besseren Wissens nicht einmal als Rüstungsgüter-Export qualifiziert unter dem fadenscheinigen Vorwand, die Schweiz liefere nur die zivile Standart-Version. Dass das secco mit dieser scheinheiligen Argumentatioin durchkommt ist ein Skandal.

3. Im Kampf gegen die Apartheid im südafrikanischen Untergrund

3. Im Kampf gegen die Apartheid im südafrikanischen Untergrund

Durch die Jugendunruhen der frühen 80er Jahre politisch sensibilisiert, als AKW-Gegner, Pazifist, und Dienstverweigerer auf der politisch linken Seite angelangt sowie durch die berufliche Tätigkeit während der Lehre bei der «Oerlikon Bührle Waffenschmiede für das Geschehen auch in humanitärer Hinsicht auf Südafrika fokussiert, beschloss ich also durch die in London geknüpften Kontakte zu ANC-Exilanten und die durch die «Anti Apartheid-Bewegung» (AAB) in der Schweiz zusätzlich geknüpften Kontakte Ende 1986 nach Johannesburg zu fliegen mit dem Ziel, die angespannte Situation und die menschenunwürdigen Zustände selbst vor Ort kennenzulernen. Und da der Bruder eines der Reiseleiter-Kollegen in London in Südafrika lebte, hatte und wir 1987 eine Expedition ins Okavango Delta im benachbarten Botswana planten, hatte ich ein ambitiöses und abenteuerliches Programm vor mir.

Erst lebten mein ehemaliger Vorgesetzter in London und ich einige Wochen im Nobelquartier der Weissen in Hillbrow. Gewöhnungsbedürftig war zunächst einmal die schwarze Haushälterin, die im Mietpreis inbegriffen war! Dann natürlich die Beschränkungen für die schwarze Bevölkerung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, jene menschenverachtende Rassentrennung und –diskriminierung, mit den entsprechenden Passgesetzen für die jeweiligen Ethnien. Es gab auch eine indische Community in Durban und die malayischen Mischlinge in Kapstadt, was ganz schön kompliziert war, vor allem die Umsiedlungspläne, die auch in die Tat umgesetzt wurden. So wurde gemäss Angaben des Innenministeriums und der NGO «Black Sash», über eine halbe Million Schwarze Menschen in die Homelands zwangsumgesiedelt und enteignet. Damit kamen die weissen Farmer zu ihren grossen Farmen in ertragsreichen Regionen.

Behutsam machte ich mich mit den lokalen Verhältnissen vertraut, besuchte in Johannesburg das «Khotso House» in dem einige Widerstandsorganisationen wie die «Black Sash» aber auch die «UDF» Gewerkschaft ihre Büro’s hatte. Das Haus wurde rund um die Uhr bespitzelt und öfters von der Polizei durchsucht. Viele engagierte «ANC»-Aktivistinnen und Aktivisten wurden verhaftet, gefoltert oder ohne Anklage eingesperrt. Eines der prominentesten Opfer des Apartheid-Regimes, neben Nelson Mandela war Stephen Biko. Biko beteiligte sich 1972 an der Gründung der Graswurzelbewegung «Black Community Programmes» (BCP), die von der Regierung mit einem Bann belegt wurde. Auch war er an der Gründung des «Zimele Trust Fund», einem Fond für die Opfer des Apartheid-Regimes beteiligt. Im August 1977 wurde er von der Sicherheitspolizei verhaftet, weil er gegen Auflagen verstossen hatte. Sie verhörten und folterten Biko und schleppten ihn bewusstlos 1000 Kilometer nach Pretoria, wo er am 13. September 1977 verstarb. Die gewaltsame Tötung Biko’s führte zu einem internationalen Eklat. Biko wurde zu einem Symbol der Widerstandsbewegung gegen das Apartheid-Regime.

Ich kam just zu dem Zeitpunkt in Südafrika an, als die «New Nation», eines der letzten liberalen, kritischen Blätter der katholischen Bischofskonferenz unter Desmond Tutu verboten und geschlossen wurde und führte mit dem soeben entlassenen Chefredaktor Gabu Tugwana ein letztes Interview, das damals in der «WOZ» (Wochenzeitung) erschien und war somit der erste ausländische Journalist, der das Dekret des verhassten Innenministers sah und fotografierte. Das Apartheid-Regime zensurierte oder verbot viele Zeitungen, bis alle möglichen kritischen Stimmen verstummt waren. Die Ausgaben für die Innere Sicherheit, das heisst für die Aufrechterhaltung des rassistischen Apartheidsystems verschlang über 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Dann getraute ich mich, mit dem Vororts-Zug von Down town Johannesburg nach Soweto, also in die schwarzen Townships zu fahren, damals eine äusserst gefährliche Sache. In Soweto angekommen, war man als Weisser zu dieser Zeit ziemlich allein und auffällig unterwegs.

Zum Glück hatte ich lange Haare und sah weder wie ein Bure noch wie ein Engländer aus, was wohl viele davon abhielt, mich in den Town Ships umzulegen. Da wuchs dann doch eher die Neugier in ihnen, was ich denn hier zu suchen hätte und so konnte ich sie dank meinen in London und Zürich geknüpften «ANC»-Kontakten beruhigen, sodass sie mir vertrauten und mich in die Town Ships einführten. Einige Wochen lebte ich bei einer achtköpfigen Familie in einer kleinen Bretterbude umgeben von zehntausenden weiteren Bretterbuden ohne Licht, Strom oder Wasseranschluss.

Ziel war es, die Lebensbedingungen der Schwarzen und ihren Alltag im Rahmen der rassistischen Gesetze am eigenen Leib zu spüren und mit eigenen Augen zu sondieren. Bald war es mir möglich, mich mit meinen schwarzen Freunden in Soweto frei und sicher in der näheren Umgebung zu bewegen. Und so erschrak ich selbst höllisch, wenn ich plötzlich wieder vor einem Panzerfahrzeug der «SADF» (South African Defence Force) stand und Schusswaffen auf mich gerichtet waren und einer der Bewaffneten von oben runter rief; „What are you doing here? Beim ersten Treffen fiel mir nichts Besseres ein, als dieselbe Frage an ihn zu richten, nur noch einen Unterton schärfer. „What the hell are you doing here?“ und zog behutsam meinen Schweizer Pass hervor, was half, die angespannte Situation zu entschärfen und sie liessen mich dann jeweils unbeschadet laufen.

1994: Mandelas Freilassung und sein Besuch in der Schweiz

Aus dieser ersten Reise entstand eine tiefe Verbindung mit dem Land, dass ich über 20 Mal besuchte und dabei Nelson Mandela zwei Mal traf. Das erste Mal kurz nach seiner Freilassung hier in Soweto, das zweite Mal, als Präsident von Südafrika und frisch gekürter Nobelpreisträger im Zürcher «Dolder Hotel» vor der «class politique» und wirtschaftlichen Elite (Nationalbankpräsident und Bankenvertreter), als Mandela über seine Vision eines neuen Südafrikas als „Regenbogennation“ sprach. Auch ich war zu diesem historischen Treffen eingeladen und machte ein paar Bilder von Mandela. Allerdings war ich nicht darauf vorbereitet, dass er infolge seines durch die lange Haft eingebüssten Augenlichts durch Blitzlicht geblendet würde und hatte ohne Blitzlicht die falsche Filmempfindlichkeit im Kasten. Ich hätte mich ohrfeigen können, keine andere Filmrolle dabei zu haben.

Als Mandela sich nach seiner Ansprache beim Apéro unter die Menge mischte, hielt ich mich diskret im Hintergrund auf. Doch offensichtlich hatte Mandela ein gutes Gedächtnis und sehr aufmerksame Augen, vielleicht erinnerte er sich sogar, wo und wann in Soweto ich in der Menge der Schwarzen kurz nach seiner Freilassung als einziger Weisser stand. Auf jeden Fall veranlasste ihn das, auf mich zuzutreten und mich darauf anzusprechen, ob wir uns schon mal getroffen hätten. Da war ich erstaunt! Als ich ihm antwortete, „ja in Soweto“, reichte er mir verblüffenderweise beide Hände. Das war sehr berührend! Dieses Gefühl, vielleicht doch etwas bewirkt zu haben und dafür einen prominenten Dank samt unglaublicher Wertschätzung zu erfahren. Daraufhin starrten mich alle anwesenden Banker und Politiker im Raum an und fragten sich, wer wohl der langhaarige Freak hier sei. Das blieb zum Glück ein Geheimnis von mir, Mandela und der südafrikanischen Botschafterin in Bern, Frau Dr. Konji Sebati, bei der ich einst zu Gast in der Botschaft in Bern bei einem hochrangig besetzten Anlass war.

Durch diesen Kontakt kam ich als Reisejournalist und PR-Berater zu dieser Zeit tätig zu einem PR-Mandat für das südafrikanische Fremdenverkehrsamt «SATOUR» und erhielt dazu das PR-Mandat der südafrikanischen Fluggesellschaft («SAA») über Jahre hinweg. Das hatte ich dem diplomatischen Spagat zwischen den Untergrund-Kontakten (von denen nur wenige wussten) und den Kontakten zur weissen Elite, die ebenfalls sehr diskret abliefen, zu verdanken. Und auch dem traurigen Umstand, dass die Schweizer in Südafrika eine zentrale Rolle beim Goldhandel spielten, bei den «AKW’s», bei der militärischer Unterstützung des Apartheid-Regimes mit Kampfjets und Pilotentraining und letztlich sowohl bei der Umschuldung als auch beim Transformationsprozess eine wesentliche Rolle spielten und so auch den Goldhandel übernahmen. Bis heute ist die Schweiz die Goldhandelsgrossmacht geblieben und wickelt fast 80 Prozent des Edelmetallhandels ab.

Blenden wir an dieser Stelle knapp zwei Jahrzehnte zurück, zum 5. August 1962, als Mandela zusammen mit Cecil Williams während einer Autofahrt nahe Howick in Natal unter dem Vorwurf festgenommen wurde, er führe den verbotenen «ANC» im Untergrund an. Die Verhaftung erfolgte, nachdem er knapp eineinhalb Jahre in Freiheit und im politischen Untergrund gearbeitet hatte, unterbrochen von öffentlichen Auftritten für den «ANC» im Ausland. Der Prozessauftakt wurde auf den 15. Oktober 1962 festgesetzt. Die Folge war Mandelas Verurteilung am 7. November 1962 zu fünf Jahren Gefängnis wegen Aufruf zur öffentlichen Unruhe (drei Jahre Haft) und Auslandsreisen ohne Reisepass (zwei Jahre). Er übernahm in dieser Gerichtsverhandlung seine Verteidigung selbst.

Nach Verkündigung des Urteils wurde er Ende Mai 1963 auf die Gefängnisinsel Robben Island geschafft, aber schon bald wieder nach Pretoria geholt, nachdem am 11. Juli die übrige «ANC» Führungsspitze festgenommen worden war. Ab dem 7. Oktober 1963 stand Mandela in Pretoria im «Rivonia»-Prozess mit zehn Mitangeklagten wegen «Sabotage und Planung bewaffneten Kampfes» vor Gericht. Am 20. April 1964, dem letzten Prozesstag vor der Urteilsverkündung, begründete Mandela in seiner vierstündigen, vorbereiteten Rede ausführlich die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes, weil die Regierung weder auf Appelle noch auf den gewaltlosen Widerstand der nicht-weißen Bevölkerung in ihrem Bestreben nach Gleichbehandlung eingegangen sei und stattdessen immer repressivere Gesetze erlassen habe.

Am 11. Februar 1990 wurde Mandela nach 26 Jahren aus der Haft entlassen. Staatspräsident Frederik de Klerk hatte dies veranlasst und Tage zuvor das Verbot des «African National Congress» (ANC) aufgehoben. Mandela und de Klerk erhielten 1993 den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste. Am Tage seiner Freilassung hielt Mandela eine Rede vom Balkon des Rathauses in Kapstadt aus, Tage später richtete er einen weiteren Appell an die gut 120‘000 Zuhörerinnen und Zuhörer im Fussballstadion in Johannesburg. Dort stellte er seine Politik der Versöhnung («Reconciliation») vor, indem er «alle Menschen, die die Apartheid aufgegeben haben», zur Mitarbeit an einem «nichtrassistischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle» einlud.Im Juli 1992 wurde Mandela einstimmig zum Präsidenten des «ANC» gewählt. So konnte er die Verhandlungen mit der Regierung über die Beseitigung der Apartheid und Schaffung eines neuen Südafrikas an die Hand nehmen. 1994 als er zum Präsidenten Südafrikas gekürt worden ist, erschien seine Autobiographie «Der lange Weg zur Freiheit» und dort schrieb er:«Während dieser langen, einsamen Jahre der Haft wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit aller Völker, ob weiß oder schwarz».

Südafrika 94: IKRK-Einsätze im «ANC-IFP» Bürgerkrieg

Nach dem das Apartheid-Regime durch den UNO-Boykott und den südafrikanischen Widerstand zusammenbrach, kam es zu einem erbittertem Machtkampf zwischen dem «ANC» (African National Congress) und Buthelezi`s «IFP» (Inkhata Freedom Party). Der Bürgerkrieg forderte X-tausend Opfer und machte Zehntausende zu Flüchtlingen. Eine weitere Tragödie, denn zuvor hatte das weisse Regime im Zuge der Rassentrennung Hundertausende von schwarzen Menschen wie Vieh zwangsumgesiedelt. Nun gab es wieder eine Welle von Vertriebenen im Land und Grabenkämpfe unter den Schwarzen. Es war eine erklärte Strategie, der abtretenden beziehungsweise gefährdeten Machthabern, mit allen Mittel Zwietracht unter den Schwarzen zu säen und so hat das Botha-Regime Buthelzi als Gegenkandidat zu Mandela aufzustellen. Alle Mittel der Destabilisierung wurden angewandt und die Saat ging auf. Der darauf folgende Bürgerkrieg war fürchterlich.

Im Südafrika der Nach-Apartheid beschäftigten die Menschen vor allem eins: die ständig wachsende Gewalt-Kriminalität. Hatte die Polizei früher in erster Linie die Verfolgung politischer Gegner zum Ziel, fochten die Sicherheitskräfte und Politiker nun einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Brutalität der Kriminalität aus. Der «Taxi-/Minibus-Krieg» in Durban forderte seit Jahren zahlreiche unschuldige Menschenleben. In Kapstadt tobte ein Bandenkrieg unter 80000 Jugendlichen, auch Johannesburg wurde Schauplatz zahlreicher Verbrechen. Als Tourist oder Geschäftsreisender spürte man die «Atmosphäre der Angst» intensiv. Die Polizeikräfte operierten wie paramilitärische Organisationen und hatten einen üblen Ruf, in den jeweiligen Städten.

Die Arbeitslosigkeit betrug fast 40 Prozent und liess so die weit verbreitete Armut und die Kriminalität in die Höhe schnellen, begünstigt durch die Ohnmacht und Korruption des mit sich selbst beschäftigten Justiz- und Polizeiapparates, der im Zuge des radikalen Umbaus gelähmt war. Täglich wurden in Südafrika über 60 Menschen, also jährlich insgesamt gegen 20‘000 Personen umgebracht. Südafrikas Gefängnisse platzten aus allen Nähten. Strafuntersuchungen bleiben jahrelang unbearbeitet liegen. Auch Jugendliche unter 14 Jahren waren vielfach lange Zeit inhaftiert.

Ende 1993begleitete ich einen Freund von mir, Daniel S., der als IKRK-/Rotkreuz Südafrika-Delegierter in Johannesburg stationiert war, auf seiner Reise in die Flüchtlingslager, um die dortige Lage zu sondieren, den Opfern zu helfen und die Friedensbemühungen zur Stabilisierung des Landes im Hinblick auf eine demokratische Verfassung und Regierung der «Regenbogen-Nation» zu unterstützen. Wir fuhren zu den damaligen Hotspots «Margate» und «Ladysmith», «Ezakhweni» und «Emphangeni», «Mfung» und «Obizo» sowie «Empendle» protokollierten die abgebrannen Häuser und die Toten, führten Gespräche mit Hinterbliebenen und versuchten zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Eine schwierige, wenn nicht fast aussichtslose Aufgabe.

1994 kam es zu einem weiteren interessanten Treffen, mit Miss South Africa Basetsana Kumalo und an ihrer Seite Kwezi Hani, die junge Tochter von Chris Hani, der gerade ermordet worden war. Chris Hani war Generalsekretär der South African Communist Party (SACP), ein hochrangiges Mitglied des «ANC» sowie Stabschef von dessen bewaffnetem Arm «Umkhonto we Sizwe» (MK).

Als sich in den frühen 1990er Jahren das Ende der Apartheid abzeichnete, war er im «ANC» nach Nelson Mandela eine der beliebtesten Führungsfiguren. Hani wurde im April 1993 von dem polnischen Einwanderer Janusz Waluś ermordet. Dahinter stand ein Komplott, dessen Drahtzieher der ehemalige Parlamentsabgeordnete Clive Derby-Lewis von der Konserwatiewe Party war. Ziel war es, den Verhandlungs-prozess, der zur Beendigung der Apartheid führen sollte, zu zerstören.

Ein teuflischer Plan, der aufging. Das Treffen mit Basetsane fand in einem Spielcasino statt und wurde offensichtlich beobachtet. Es war ja auch eine brandheisse Zeit und die Bespitzelung politischer Akteure und deren Familien und Umfeld eine wohlbekannte Tatsache. Und so wurde auch ich zur Observationszielscheibe. Erst versuchte ein Schwarzer und später zwei Weisse Herren mich unauffällig diskret aber mit Nachdruck auszufragen. Und eine weitere illustre Person versuchte mich dann sogar in Gabarone, also in Botswana zu kontaktieren und in Südafrikas interne Machtkämpfe zu involvieren. Ich lehnte alle Annäherungsversuche ab und kam so ungeschoren aus den Wirren der politischen Machtkämpfe davon.

Im Februar 1996 begann die von Mandela eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) unter Leitung des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu. mit der Aufarbeitung der Verbrechen zur Zeit der Apartheid. Die wurde vor allem zur Abrechnung und Demontage von Winnie Mandela genutzt, die in diesen Jahren nach Madibas Freilassung viel mehr gelitten hatte und härter kämpfen musste, als ihr Mann. Es war die damalige ANC-Spitze, die beschloss Winnie müsse sich von Nelson trennen um ihm die Wahl zum Präsidenten zu sichern. Winnies Stern stand immer unter dem Nelsons, aber sie war die eigentliche Powerfrau, die während seiner Haftzeit Mandelas Augen und Ohren waren und sie war es, die die Massen mobilisierte. Einigen Gruppen gingen die in Mandelas Amtszeit erreichten sozialen Verbes-serungen auch in Bezug auf die AIDS-Krise, nicht weit genug. Kritiker bemängelten ebenso, dass die Verbrechen des Apartheid-Regimes nicht strafrechtlich genug gesühnt wurden.

Kinder unter sechs Jahren, schwangere und stillende Mütter erhielten zum ersten Mal eine kostenlose Gesundheitsfürsorge; 1996 wurde die Gesundheitsfürsorge für alle Südafrikaner kostenfrei. Mit dem «Land Restitution Act» (1994) und dem «Land Reform Act 3» (1996) wurden Schritte zu einer Landreform unternommen. Während seiner Amtszeit wurden zahlreiche Gesetze der Apartheid-Zeit widerrufen, Armee und Polizei wurden neu aufgestellt.

Im Rahmen meines humanitären Engagements in Südafrika konnte ich dank dem Zulu-Heiler Credo Vusama Mutwa 1997 auch das Pollsmoor-Gefängnis in Kapstadt (in dem Nelson Mandela die letzten Jahre seiner Haft verbrachte) mit einem kanadischen UN-Gesundheitsinspektorenteam besuchen. In dem für 3‘000 Häftlinge konzipierten Gefängnis waren rund 7‘000 Häftlinge inhaftiert. Fast 30% der Insassen waren damals HIV-positiv und viele Häftlinge wurden jahrelang ohne Anklage festgehalten, etliche verstarben. Es waren schockie-rende Zustände, die wir da antrafen. Ein Esslöffel als Kostprobe in der Gefängnisküche reichte aus, dass ich hernach Staphylokokken und Streptokokken hatte. Pädagogisch befremdend war auch, dass es im Kinderspielzimmer einzig eine Plastik-Schusswaffe als Spielzeug gab. So züchtet man von Kindesbeinen an eine neue nach-wachsende Generation von Armut getriebener Krimineller heran.

Den Zulu-Sangoma, Bantu-Schriftsteller & Historiker Credo Vusama Mutwa lernte ich im «Shamwari Game Reserve» kennen zusammen mit Dr. Jan Player, dem Rhinozeros-Retter und «Wilderness-Leadership-School»-Gründer. Die ganze Nacht über erzählte mir der gebildete Mensch die spirituellen Geheimnisse und ethnischen Zusammenhänge sowie kulturellen Eigenschaften und Besonderheiten der Bantu-Völker von Nord- bis Südafrika. Auch war er der erste, der den Klimawandel erkannte und mir erklärte, was es für die Völker und Regionen bedeutet, wenn der eine oder andere Käfer, diverse Insekten, die Schildkröten oder andere Wildtierarten und Meeressäuger aussterben und das zu Dürren und Plagen führe. In prophetischer Weitsicht hat Credo die Konflikte erkannt die daraus entstehen würden sowie es auch bei Staudamm-Projekten immer wieder zu Konflikten kommt, weil das ja die Lebensgrundlage vieler Menschen in mehreren Ländern verändert. Auch die Plagen wie wir sie in den letzten 20 Jahren erleben, hat er voraus gesagt. Und das gute 10 Jahre vor dem erste «IPPC» Klimabericht.

Nur war ich gerade mit meiner Tochter und ihrer Mutter unterwegs und hatte noch Termine und Treffen bezüglich Wildlife- und Ökoprojekte und konnte nicht hier bleiben, um Credo beim «Kaya Lendaba» zu helfen. Ich war hin und her gerissen. Der Zulu-Heiler wollte die Wunden der Regenbogennation heilen und beim «Shamwari Game Reserve» ein multikulturelles Dorf bauen, in dem alle südafrikanischen Ethnien vertreten sein würden. Es sollte als Leuchtpfahl für die Wiedervereinigung Südafrikas dienen und helfen, die Konflikte zu beenden. Gerne hätte ich die Ausbildung zu einem «Sangoma», also einem Heiler gemacht, da Credo mir die Qualifikationen und die geistig spirituelle Weltsicht zutraute.

Dies erfüllte mich mit Stolz und wäre wohl eine wegweisende Weiche in meinem Leben gewesen, denn ursprünglich wollte ich auch mal als Game Ranger in einem dieser neu entstehenden Wildlife-Reservate arbeiten. Ich konnte mir nichts Schöneres vor stellen, als Wildlife-Manager in einem intakten und geschützten oder schützenswerten Umfeld zu arbeiten. Daher reiste ich immer wieder nach Botswana, Südafrika und Namibia, um mir einen Teil dieses Traums zu erfüllen und es war immer ein grossartiges Gefühl im Busch und in der Wildnis unterwegs zu sein.

Kommen wir nun zur aktuellen Lage am Kap der guten Hoffnung, die keineswegs rosiger geworden ist. Nach den Freveln des Apartheidregimes kam eine neue schwarze Elite, die sich an Südafrika ebenso schamlos bereicherten, wie ihre weissen Vorgänger. Hier zwei Beispiele:

2011: Gadaffis Milliarden in Zumas und Ramaphos Händen untergetaucht

Aziz Pahad wurde von Mandela 1994 als stellvertretender Aussenminister berufen und war von 1999 – 2008 für die Regierung tätig. Zuvor sammelte er für Mandelas Wahlkampf Spendengelder und erhielt auch von Gadaffi ca. 15. Mio. Der libysche Diktator unterstütze auch Thabo Mbeki. Doch dieser wollte Gadaffis Wunsch „König von Afrika“ zu werden nicht nachkommen und versagte ihm die Unterstützung, was dazu führte, das Gadaffi sich als nächsten Jacob Zuma kaufte und ihm zur Wahl zum südafrikanischen Präsidenten verhalf. Durch die jahrzehntelangen Beziehungen zum «ANC» plante Gadaffi, im Schlimmsten Fall einen Rückzugsort und Stützpunkt im Ausland zu haben von wo aus er die Konterrevolution starten konnte und dazu hatte er ein Teil seinen unvorstellbaren Vermögens von ca. 150 Milliarden Dollar (Forbes) am 26.12.2010 nach Johannesburg fliegen lassen. Die Maschine landete direkt auf dem am 2. Weihnachtstag verwaisten Militärstützpunkt Waterkloof. Angeblich gab es insgesamt 179 solcher Flüge von Tripolis, die allesamt von Militärpiloten ausgeführt wurden. Die Flugdaten wurden nach jeder Operation. gelöscht,

Der Wert der Fracht, die in ICRC Halbmond beschrifteten Containern mit lybischem Dialekt aus Syrte beschriftet geliefert wurden, betrug. 12,5 Mia. US Dollar. Nebst Bergen von Bargeld auch Tonnen von Gold und Diamanten. Der Serbe George Darmanovitch, ein als Zumas Handlanger bekannter Secret Service Agent fotografierte die Sendung bei der Ankunft in Johannesburg und bestätigte Rechercheuren, dass das Geld mit Lastwagen vom «ANC» abgeholt wurde. Er war offensichtlich ein wenig zu lautselig über den Inhalt und Umfang der Fracht. Jedenfalls wurde Darmanovitch kurze Zeit später in Belgrad, wo er seine Familie traf, auf offener Strasse erschossen und seine beiden Killer fand man hernach ebenfalls nur noch alsLeichen. Das war also eine Nummer zu gross für Darmanovitch und seine Mördergewesen.

Ab diesem Zeitpunkt verschwanden Gaddafis Milliarden irgendwo in Südafrika und nur wenige wissen, wo sie sind. 2012 kamen die ersten Gerüchte auf, dass beträchtliche Vermögen des toten Diktators in Südafrika sind. Daraufhin kontaktierte die lybische Übergangsregierung den Tunesier Eric Goaied, der ein enger Freund Gaddafis war. Er sollte in Südafrika nach den verschwundenen Vermögenswerten suchen. Unter anderem auch, weil die neue Regierung eine Armee aufbauen und dazu über 200 Kampfhelikopter und G5 sowie anderes Kriegsmaterial für gut fünf Milliarden beschaffen musste, aber kein Geld hatte.

Als die libysche Regierung, namentlich Taha Buishi den hohen Finderlohn (von 10 Prozent also 1, 25 Mia. Dollar) für die Rückführung der Gaddafi-Vermögen bestätigt hatte, lockte dies ein paar Schatz-sucher auf den Plan, die sich diesen Deal nicht entgehen lassen wollten. Der Tunesier Goaied kontaktierte in Südafrika seinen Freund Johan Erasmus, ein ehemaliger Agent des Apartheid-Regimes und schillerndem Waffenhändler mit guten Kontakten zu Waffenkonzernen wie «Denel» in Südafrika aber auch in Libyen. Auch Darmanowitch war bei dem Kriegswaffen-Deal dabei. Und er war es ja, der den Libyern verriet, dass sich Teile ihres Volksvermögens hier befände. Er sandte auch Fannie Fondse, dem damaligen Chef einer Sondereinheit des «ANC Secret Service» und einer speziellen Söldnertruppe, die zum Schutz Gaddaffis in Libyen völkerwiderrechtlich tätig war, zu. Beim Aufstand mussten die Söldner Hals über Kopf fliehen. Er kannte auch Darmanovitch und erhielt von ihm die Fotos mit den Containern.

Als Taha Buishi, der libysche Gesandte, den ehemaligen Sicherheitschef des «ANC»  Tito Maleka kontaktierte und den ANC beschuldigte, sich das Gadaffi-Vermögen angeeignet zu haben, ging dieser mit seinem Freund Dr. Jackie Mphaphudi, der Winni Mandela gut kannte und Mandelas Tochter Zondwana Gadaffi Mandela behandelte zu Jacob Zuma, um nach den verschwunden Milliarden zu Fragen. Dieser antwortete: Er sei zwar der Präsident Südafrikas, „dies ist aber die Sache des Finanzministers Matthew Phosa“.Dann kam es zu einem weiteren Treffen hochrangiger «ANC»-Mitglieder zur Thematik Libyen-Gelder, die Jackie Mphaphudi protokollierte. Schliesslich organisierte Jackie auch ein Treffen zwischen Taha Buishi, dem libyschen Regierungsvertreter und dem südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma auf dessen Anwesen in Khandla bezüglich der 12,5 Millarden Dollar die Gadaffi 2010 nach Südafrika verfrachtete.

Also wussten Zuma, Esposa und einige andere ANC Spitzen von dem Geld, doch beschieden sie den lybischen Gesandten, dass erst ein formelles Gesuch der Libyschen Regierung vorliegen müsse, um welche Werte es gehe. Und dieses Gesuch müsste von einer stabilen Regierung legitimiert und durch die Unterschriften des amtierenden lybischen Premierminister, dem Finanzminister und dem Gouverneur der Nationalbank als auch vom Leiter der Rückführungsbehörden unterzeichnet werden. Mit dem libyschen Mandat und dem Glauben, der Südafrikanischen Regierung zu dienen, will das Team um Tito Maleka nicht nur den ANC vom Schmutz befreien und der Staatsplünderung einen Riegel vorschieben, sondern dem libyschen Volk das Geld zurück zu geben.

Mohammed Dschibril, Premierminister Übergangsregierung Libyen 2011, traf sich mit Zuma und wollte ihm klarmachen, Gaddafi zum Rücktritt zu bewegen. Das klappte nicht. Doch im Frühling flog Zuma nach Lybien, danach ruft Zuma Dschibril für Treffen mit Zuma und Phosa an, doch dann geriet alles ausser Kontrolle: Offensichtlich gab Gaddafi Zuma Geld, damit er an der Macht bleibt und Zuma ihm Gaddafi bei der Flucht aus Libyen helfen könnte. Matthey Phosa leitete als Schatzmeisterdie Operation, Gadaffi und sein Vermögen ausser Land zu schaffen. Beide Teams kommen zum selben Schluss, dass Phosa die Schlüsselfigur sei, denn er wollte einen Teil der Provision. Fannie hat den Beleg für„die Provisionzahlung“. Phosa machte also seinen Anspruch auf einen Teil des Geldes geltend. Dies machte er auch Titos Team klar, die mittlerweile Taha Buishi in Libyen ausgebootet hatten.

Als wäre dies nicht schon spannend genug, wird der Schatzsucher-Krimi noch um ein dubioses Kapitel reicher. Denn Gaddafis Finanzminister, Bashir Al Sharkawi, alias Bashir Saleh, ein mittlerweile seit Jahren von Interpol gesuchter Mann läuft noch immer frei in Johannesburg herum, derweil der untergetauchte Sohn Gaddafis, Said, sich auf eine Präsidentschaftskandidatur im unbekannten Exil vorbereitet. Nachdem Gaddafis Ex-Banker Johannesburg bei einem Attentat verletzt und sein Laptop gestohlen wurde, floh er ins Ausland.2018 wurde Zuma aufgrund der „Staatskorruption im grossen Stil“ zum Rücktrittgezwungen und Libyen versank im Bürgerkrieg.Nun zum nächsten Kapitel von Korruption und Kleptokratie in Südafrika.

Gupta Leaks: Südafrika als Beute indischer Klepokraten

Der Menschenrechtsanwalt Brian Currin erhielt 2017 Informationen zugespielt die von einem Laptop des Gupta Clans stammten. Das führte ihn auf die Spur eines riesigen Korruptionsskandals, der die Züge von Staatsvereinnahmung durch private Unternehmer erreichte. Das Land am Kap der guten Hoffnung wurde systematisch geplündert. Die Guptas machten Milliardengeschäfte im Energie- und Transportsektor, wuschen das Geld in Dubai, den Arabischen Emiraten und in Hong Kong und als es ihnen an den Kragen gehen sollte, setzten sie sich mit all dem gestohlenen Geld nach Dubai ab. Wie es zur südafrikanischen Staatsplünderung kam, recherchierten auch die beiden Investigativ-Journalisten Susan Comrie und Thanduxolo Jika (Sunday Times/Mail & Guardian). Zum ersten Mal aufgefallen sind die Guptas, als sie rund 200 Hochzeitsgäste mit Charter-Flugzeug auf  Militärflugplatz eingeflogen, von Polizeifahrzeugen und vom Sicherheitsdienst eskortiert. Die Kosten von rund zwei Millionen Dollars für die Hochzeit haben die Guptas über «Estina» aus der Milchwirtschaft abgezweigt und dafür die Beiträge für die schwarzen Bauern geplündert. Das Geld wurde mit Hilfe von «KPMG» in Dubai gewaschen und dann damit die Kosten für die Hochzeit in Millionenhöhe bezahlt. Auch «McKinsey» und «SAP» profitierten erheblich von den Schatteneliten und korrupten Ministern im Dienste der Guptas. Pravin Gordhan, Südafrikas Finanzminister (2009 bis 2014) sagt, dass Südafrika schon wenige Wochen nach Zumas Inthronisierung einen gigantischen Stromausfall hatte und dass der nicht von Ungefähr kam. Barbara Hogan, die damalige Ministerin für staatliche Unternehmen wurde von Zuma gefeuert. Auch sie geht hart mit ihm ins Gericht: Zuma versprach zwar gigantische Investitonen in die Infrastruktur des Landes, doch das Geld dafür hatten wir nicht. „Das begriff er einfach nicht“, sagt Hogan und fuhr fort mit den Worten: „Ihm geht es nicht ums Land, nicht um die Probleme Südafrikas, ihm geht es einzig um seine Auserwählten“.

Mit Malusi Gigaba fing das Unheil an, als er in die Regierung kam und alle wichtigen Posten in den Staatsunternehmen sukkzessive mit Gupta-Vertrauten besetzte. Wo werden die meisten öffentlichen Gelder ausgegeben und wie kommen wir daran? Das war das Geschäftsmodel der drei indischen Brüder, die mit ihrem mausarmen Vater 1993 nach Südafrika kamen. Zuerst kam«Transnet» dran. «Transnet» verwaltet alle Flughäfen, Bahnhöfe und Transportfirmen. Malusi Gigaba setzte Brian Molefi als CEO und Arnosch Sinn als Finanzvorstand ein (2 Aufträge für Lokomotiven im Wert von 5 Mia. gingen an zwei chinesische Firmen) «Mc Kinsey» erhielt mehr als eine Milliarde für Berateraufträge von Salim Essa, Geschäftspartner der Guptas. 450 Mio. Provision sprangen für die Guptas beim Lokomotiven-Deal heraus. Gelder die über Offshore Firmen nach Hong Kong und in die Arabischen Emirate abflossen. Dann kam Duduzane Zuma,der Sohn Zumas zum Zug. Er war eng mit den Guptas verbandelt und hat mit ihnen die Korruption perfektioniert und der Kleptokratie Vorschub geleistet.

Auch Cyril Ramaphosas, einst ein Gewerkschaftsanführer, der durch die Lizenzen der Bergbau-Unternehmen am Ende der Apartheid zum  Milliardär wurde, wird Vizepräsident von Zuma und reist kurz darauf nach Russland für einen Atom-Deal und den Bau von acht Atomkraftwerken in Südafrika, die mehr als 100 Mia. US Dollar kosten würden, worauf die «Shiva» Uranmine von den Guptas gekauft wurde und Zumas Sohn einen Führungsposten zugeschanzt bekam. So brachten sie sich für den Atom Deal in Stellung, der den Geldregen noch vergrössern sollte. Und Russland wollte damit erreichen, dass Südafrika vom Geberland abhängig ist und der Zuma-Clan beabsichtigte sich mit Hilfe der Guptas einer noch grösseren Staatsplünderung zu verschreiben. Moe Shaik, Leiter des südafrikanischen Geheimdienstes (2009 -2011) wurde zwar von Zuma angeheuert, aber als die Amerikaner besorgt waren, dass das Geld für die Atomkraftwerke aus dem Iran kämen, musste der damalige Geheimdienstchef mit seinem Chef, Präsidenten, also mit Zuma darüber sprechen und kurzerhand aufgrund der Meinungsverschiedenheiten von seinem Job zurücktreten.

Zuma ist wie Trump, nur die eigenen Interessen zählen. Nicht viel besser erging es Finanzminister Nhlanhla Nene, der das Geld für den Atom-Deal mit Russland einfach nicht herbei zaubern konnte. Er wurde ebenfalls entlassen und durch Freunde der Guptas ersetzt. Desmond van Rooyen wurde darauf hin zum neuen Finanzminister erkürt, kam mit drei Beratern ins Finanzministerium, war aber nur vier Tage lang im Amt, dann wurde Zuma aufgrund der Proteste und gewaltigen Kursstürze an der Börse dazu gezwungen, das Trio wieder ab- und durch den langjährigen Finanzminister Pravin Gorham zu ersetzen.

Ab 2016 gab es immer mehr Enthüllungen über die Kleptokratie der Guptas und ein mutiges ANC Mitglied, der damalige stv. Finanz-minister Mcebesi Jonas enthüllte, dass auch ihm ein Ministerposten von den Guptas angeboten wurde. Mcebesi  war der erste, der die Käuflichkeit einzelner Personen und das enge Korruptionsgeflecht zwischen Zuma, den Guptas und einigen ANC-Profiteuren offen aussprach und kritisierte. Er lehnte es ab, ein Vasall der Guptas zu werden, weil es der hart umkämpften Demokratie Südafrikas einen Dolchstoss versetzen würde. Die Guptas Leaks bestätigen die krummen Deals mit den staatlichen Konzernen «Escom», «Transnet» im Kohlebergbau und bei beim Waffenkonzern «Denel». 2015 wird Brian Molefi auch noch zum Chef von «Eskom» gemacht und auch Arnosch Sinn stösst dazu. Die beiden plündern das Unternehmen schamlos aus und machen den Zuma-Clan und die Guptas noch viel reicher.

Mandela würde sich im Grab umdrehen und schäumen vor Wut, wenn er sähe, wie rasch sich die schwarze Elite bereichert und das Land am Kap der guten Hoffnung ausgebeutet hat. Daher verlassen wir nun Südafrika und machen eine Reise ins Nachbarland nach Botswana, das dank seiner Diamantenminen eines der reichsten afrikanischen Ländern ist und überdies durch den Reichtum auch seine Tierwelt besser schützen konnte, als die umliegenden Länder. Die Central Kalahari und das Okavango-Delta, das weltgrösste Binnendelta sind auch der Lebensraum der Bushmänner und Frauen.

1986-2006: Mit den Khoi-San durch die Kalahari gestreift

Botswana darf für sich in Anspruch nehmen, alle Facetten eines funkelnden Diamanten zu besitzen. Der grandiose Artenreichtum im Okavango-Delta von Fauna und Flora, die facettenreiche Wildnis, die ihr Antlitz ständig ändert. Ein Augenschein als Zaungast im Garten Eden Afrikas, wo sich ein lebenswichtiges Geflecht von Wasseradern befindet, das grösstenteils ausgedorrte südliche Afrika vom Atlantik bis zum Indischen Ozean mit dem lebenswichtigen Elixier versorgt. Der Okavango, drittgrösster Fluss unter dem südlichen Wendekreis, entspringt dem regenreichen Hochland Angolas. Obschon es nur wenige Hundert Kilometer zum Meer wären, steuert der Strom nach 1600 Kilometern Irrweg auf die 800‘000 Quadratkilometer grosse Kalahari zu – und fächert sich im weltgrössten Binnendelta auf.

In Mändern dringen die Flussarme in die öde und dürstende Wüste vor und formen ein einzigartiges Biotop mitten in der Kalahari. Das weltgrösste Binnendelta hat ungefähr die Grösse Schleswig-Holsteins. 95 Prozent aller Wasserreserven Botswanas stammen aus dem Okavango-Delta durch das in normalen Jahren mehr als 18,5 Milliarden Wasser fliessen. Wobei der grösste Teil fast 80 Prozent im Sand der Kalahari versickert. Blickt man von oben auf die urwüchsige Landschaft der Okavango-Sümpfe, die von einem Labyrinth aus Flussarmen, Sümpfen, Inseln, Steppen und Lagunen durchzogen ist, so schillert die Kalahari bis zum Horizont mal goldgelb, dann wieder tiefgrün mit blauen Tupfern.

1986 nach dem ersten Aufenthalt in Südafrika mit drei Schweizer Reiseleiter aus London, brach ich zu einer Expedition ins Okavango Delta im Nachbarstaat Botswana auf. Von Johannesburg fuhren wir mit zwei Landrovern erst nach Pretoria, dann weiter nördlich bis wir den Grenzfluss Limpopo erreichten, da kam auch schon die erste echte Herausforderung. Die Überquerung des gut 40 Meter breiten Flusses konnte nur dank zwei Fahrzeugen und Seilwinden bewerkstelligt werden. Das heisst, dass die Seilwinde des vorderen Fahrzeugs schwimmend oder mit einem Boot über den Fluss gebracht und dort an einem Baum befestigt wird. Die zweite Seilwinde wird hinten am ersten Fahrzeug angemacht und dann geht’s ab ins Wasser, das nur so über die Motorhaube schwappt. Der Zug der vorderen Seilwinde und die Stabilisierung mit der hinteren mit dem am Ufer stehenden Landrovers erfordert eine gute Kooperation beider Fahrzeuglenker. Die Durchquerung des Limpopo mit dem zweiten Vehikel erfolgt dann nur noch mit der Seilwinde des zuvor durch den Fluss gefahrenen Fahrzeuges und verläuft etwas turbulenter aber doch meisten glatt, da man ja schon eine Spur gelegt hat.

Dann ging es durch die Madikgadikdadi Salt Panels, einer öden, salzverkrusteten, topfebene Salzpfanne nach Maun und von dort über Kasane weiter zur 3rd Bridge, dann zum Savuti Channel im Moremi Game Reserve und schliesslich gelangten wir bei den Victoria-Fällen an. Das hört sich jetzt ganz einfach an, war aber ein höllisch heisser Trip mit vielen Lehrstücken zum Überleben in der afrikanischen Wildnis. Zum Glück war Johann, ein erfahrener und verlässlicher südafrikanischer Safari-Guide, der uns in die Gefahren der Bush-Erlebnisse einführte. Es war beängstigend in einem kleinen Zelt zu schlafen und ein paar Elefanten des Nachts vor bzw. über einem stehen zu haben und dabei prasselten die Äste herunter, als sie mit ihren Rüsseln über uns in den Kronen frassen. Erst wollten wir nicht im, auf oder unter den Landrovern schlafen und so umstellten wir unser Zelt mit den Camping Stühlen zur dilettantischen Abwehr (und als eine Art „akustisches Alarmsignal“ vor dem Gefressen werden).

Zum Glück hatte unser Guide ein gutes Ohr und den sechsten Spürsinn eingeschaltet und warnte uns eines Nachts mit den Worten. „Die Löwen sind da, kommt schnell her und klettert aufs Dach rauf.“ Also hüpften wir flink wie die Gazellen mit Riesensprüngen zu den Fahrzeugen und dort angekommen geschmeidig hoch und siehe da, schon ertönte das laute Löwengebrüll und ein beachtliches Rudel strich als gleich um unsere Fahrzeuge herum. Da wäre es im Zelt höchst ungemütlich geworden, denn die Raubtiere haben schliesslich von Natur aus einen riesen Hunger und müssen auch noch ihre Babies füttern. In einer anderen Nacht wachte ich auf und musste das viele Bier ausspülen, das wir jeden Abend tranken. Also suchte ich mit der Taschenlampe aus dem Zeltschlitz heraus die Umgebung nach reflektierenden Augen ab, die im Schein der Taschenlampe aufblitzen würden. Noch etwas benommen vom Alkohol und der nächtlichen Hitze über 40 Grad sah ich nichts dergleichen und wollte schon raus, da lief ein Flusspferd, das direkt keine zwei Meter vor dem Zelteingang stand und graste, ein paar Schritte weiter und nun sah ich bedeutend mehr von der nächtlichen Umgebung, blieb aber infolge des tierischen Nachbarn vorsichtshalber geräuschlos im Zelt liegen, denn Flusspferde sind die Todesursache Nummer 1 in Botswana.

Als wir nach einer Woche staubtrockener Tour bei über 40 Grad (nachts) halb verdurstet endlich bei 3rd Bridge, ankamen, gab es kein Halten mehr, als wir das köstliche Rinsal endlich sahen. Alle stürzten sich wie übermütige Kinder in den Hippo- und Krokodil-Pool rein und planschten fröhlich rum, als gäbe es keine Gefahren. Wir waren damals ziemlich „lucky“, denn normalerweise wimmelt es hier ja von Krokodilen, Flusspferden und anderen gefrässigen Wildtieren. Jahre später zu Gast bei den feudalen Wildlife-Lodges kurvte jeweils ein Motorboot im Kreis um die Schwimmer rum, damit gewiss kein Krokodil oder Hippo in der Nähe der Badenden Gäste tummelt und Fressgelüste entwickelte. Ein anderes Mal musste ich beim Durchstreifen des Bushs einen herannahenden Löwen mit Steinwürfen, Staub aufwirbelnd und wütendem Fauchen sowie gottverdammten Flüchen in die Flucht schlagen. Was genau den Ausschlag für seinen majestätischen Rückzug gab, erfuhr ich nie. Der Puls blieb jedenfalls noch lange in Rekordhöhe. Doch fiel mir ein Stein vom flatternden Herzen.

Dann stiessen wir auf Willy Zingg, einen ehemaligen Schweizer Militärpiloten, der hier in Botswana hängen blieb und zu einer Legende heran wuchs. Nicht nur seine furchtlosen Alligator-Beutezeuge auch seine tollkühne Flugakrobatik war weit herum bekannt war. Er war ein Haudegen wie er im Bilderbuch steht. Wir lernten ihn damals unter höchst dramatischen Umständen kennen. Gerade fuhren wir auf einen der selten anzutreffenden Safari-Trupp im menschenleeren Okavango Delta zu und sahen, zu unserem Schrecken, dass ein mächtiger Elefant den einen Landrover in die Mangel genommen hatte und mit seinem Rüssel kräftig durchrüttelte. Später erfuhren wir von Willy, dass es dem Elefanten dabei um die Orangen gegangen war. Als nächstes sahen wir einen Mann zum anderen Fahrzeug spurten, der mit diesem dann kurzerhand durchstartete und von hinten in das Hinterteil des Elefanten rein fuhr. Das wirkte bestens! Der Elefant bog mit lautem Trompetengeheul links ab, trampelte dabei aber versehentlich über ein Zelt, in dem eine Frau lag und die er dann bei seiner Flucht an der Hüfte schwer verletzt. Ja, solche oder ähnlich heisse Situationen gab es einige auf diesem abenteurlichen Trip.

Doch wir blieben gottseidank alle verschont. Der helle Wahnsinn! Eine weitere abenteuerliche Situation ergab sich, als besagter Schweizer Safari-Pionier seine Landepiste bei den Tsodillo-Hills, den heiligen Bergen der Khoi-San, die auch als Bushmänner bekannten Ureinwohner der Kalahari fertiggestellt hatte und mit dem San-Oberhaupt einen Rundflug machen wollte. Da bei der Landung das Fahrwerk nicht raus klappen wollte, musste der erfahrene Kampfpilot einen tollkühnen Looping drehen und das Flugzeug überrollen, um dank der Fliehkraft das verklemmte Fahrwerk wieder auszufahren. Das gelang ihm und der erste Bushman, der in den Himmel abhob, war danach zwar etwas aus dem irdischen Gleichgewicht gebracht aber dennoch hell begeistert. Das muss für den Khoi-San in etwa so gewesen sein, wie wenn wir plötzlich mit einer Mondrakete durchstarten würden.

In der Zentral-Kalahari leben damals rund 16‘000 Buschmänner und im gesamten südlichen Afrika schätzt man ihre Zahl auf rund 100‘000. Sie sind meisterhafte Spurenleser, berüchtigte Jäger, begnadete Bogenschützen – und wahre Ökologen. Sie leben nach dem Eros-Prinzip, das alles mit allem verbindet: «Alles gehört Mutter Natur und Mutter Erde. Keiner besitzt etwas. Alles wird geteilt», erklärt mir der junge Khoi-San Suruka die Weltanschauung der San am Fusse der Tsodillo-Hills, der vier heiligen, flüsternden Hügel mit den uralten Felszeichnungen, die ältesten von ihnen sollen über 30‘000 Jahre alt sein, womit wir vermutlich bei der Wiege der menschlichen Zivilisation angelangt wären. Und dann gibt es noch die Höhle der steinernen Pythonschlange, die nach Angaben von Wissenschaftlern vor rund 70‘000 Jahren bearbeitet wurde.

Um ihre naturverbundenheit zu verdeutlichen, erzählen uns die kleinwüchsigen, zähen Menschen mit den kurzen, pechschwarzen Locken und pfirsichfarbenen Hauttönen von der Jagd. Sie bestreichen den Schaft ihrer Pfeile mit einem Gift, das sie aus Raupen gewinnen. Die Dosis des Gifts wird je nach Tier, das erlegt wird, exakt gewählt. Nichts wird verschwendet – nicht einmal ein Tropfen des Giftes. So ist das mit allen anderen Dingen ebenso, die Bushmänner und ihre Frauen nehmen nur das, was sie gerade zum überleben brauchen. Graben sie eine Frucht oder ein Gemüste aus dem Boden, schneiden sie sie unten ab und lassen den Rest mit den Wurzeln in der Erde, damit wieder neue Triebe wachsen können.

Die San haben gelernt, auch in den unwirtlichsten und trockensten Regionen der Kalahari zu überleben. Diese Anpassungsfähigkeit wurde aus der Not geboren, wie uns Suruka weiter erzählt: „Als uns die Buren und andere weisse Herren bedrohten, vertrieben und töteten mussten wir in Gebiete ohne Wasser fliehen. Also füllten wir Strausseneier mit Wasser und vergruben sie im Wüstensand. So konnten wir auch da überleben. Zudem kennen wir Buschmänner kein Privateigentum, weder Zäune noch Grenzen. Unser Lebensrhythmus ist auf die Wanderung der Tiere und die Gezeiten abgestimmt und wir leben nach dem Prinzip, dass die Natur allen Menschen gehört und jeder sich nur das nehmen soll, was er braucht. Doch hat man unser Volk während Jahrhunderten wie Freiwild gejagt, vertrieben und getötet. Täter waren sowohl andere afrikanische Stämme als auch die europäischen Kolonialherren unter ihnen die Deutschen.

Im Nordwesten der Kalahari liegt also der grosse Schatz der Khoi-San, sozusagen der „Louvre der Bushmen-Kultur“. Heute führt eine Strasse von Shakawe nach Tsodillo, das Sir Laurence van der Post in seinem Bestseller „Die verloren Welt der Kalahari“ so glänzend beschrieb. Rund um den steil aufragenden Pyramidenhügel „Male“ sind über 6000 Jahre alte Felsmalereien der Buschmänner zu sehen. Seit Juni 2002 zählt diese Kulturstätte zu den UNESCO Weltkulturerben. Die Nebenhügel werden von den San „Female“, „Child“ und „Grandschild“ genannt. Ein wahrlich mystisches Erlebnis hatte ich dann beim Aufstieg zu den uralten Felszeichnungen in den zerklüfteten Felsen. Suruka versuchte mir in seiner Klicklaut-Sprache irgend etwas zu sagen, so in der Art, dass wir auf Wächter stossen würden, vor denen ich mich aber nicht fürchten sollte. Die Wächter waren wohl die beiden Klapperschlangen, die vor unseren Augen quer von einem Felsvorsprung auf den anderen rüber glitten und zwar gleichzeitig von zwei Seiten. Wäre ich allein gewesen, wäre ich wohl nicht weitergegangen. Mit Suruka fühlte ich mich sicher und durfte mit ihm die magischen, uralten Felsmalereien bestaunen. 12 Jahre später sah ich einen Film auf dem britischen TV-Sender «BBC» bei dem Suruka wieder auftauchte und die Filmcrew eben zu den Tsodillo-Hills führte, wie mich damals.

Das Okavango-Delta ist ein einzigartig schillerndes ja geradezu überirdisches Naturparadies und ein Tierreich, solange der Mensch aussen vorbleibt. Dies ist der Regierung in Botswana, einem der reichsten afrikanischen Ländern, dank den reichhaltigen Diamentenvorkommen gut gelungen. Sie hat die Vorteile des nachhaltigen Safari-Tourismus früh erkannt und gefördert und viele grosse Gebiete unter Schutz gestellt. Ich bin im Laufe der 90er Jahre mehrfach ins Okavango-Delta gereist, dann aber schon eher auf luxuriöse Art und Weise mit Besuchen in den teuersten Luxus-Lodges von «Wilderness Safari». Auf der Pirschfahrt mit dem M’koros, dem Einbaum-Boot, in dem die Tswanas auch zwei ausgewachsene Rinder transportieren können, staken wir durchs dichte Schilf an den Flusspferden, Wasserbüffel und Krokodilen vorbei zum Jao Camp. Es ist, als würde man auf einem Seerosenblatt über die spiegelglatte Wasseroberfläche durch das dichte Schilf gleiten, da der Bootsrand der M’koros nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragt. Ein mulmiges Gefühl. Öffnet ein Hippo sein riesiges Maul, könnte man mit dem M’koros wie in einen Tunnel hineinfahren. Doch blieb uns dieses Schicksal dank der Vorsicht des aufmerksamen und kundigen Stakers erspart.

Als der Autor vor 1986 das erste Mal im Okavango-Delta war, war dieses komplett ausgetrocknet und hatte nur wenige Wasserlöcher. Mit den traditionellen Fortbewegungsmitteln den M’koros kam man nicht sehr weit. Beim zweiten Besuch war es gerade umgekehrt. Seit 46 Jahren wurde das Delta in der Senke Afrikas nicht mehr so stark geflutet. Ein Fortkommen mit 4×4 Fahrzeugen war in vielen Teilen des Okavango Deltas rund um Moremi und Chief Island unmöglich. Was war passiert? Jao Game Ranger Cedric Samotanzi kennt die Antwort: „Nach tektonischen Verschiebungen kam zum ersten Mal das Wasser auch wieder durch das unterirdische Geflecht in den Lynanti und Savuti-Channel zurück“, so erklärte und Cederic das Phänomen Wüste unter Wasser.

Statt auf ausgetrockneten und staubigen Sandpisten zwischen kargem Buschwerk herumzukurven und nach Wildtieren zu spähen, fuhr der Landrover meilenweit auf den halbwegs erkennbaren Sandpisten durch riesige Seen, das Wasser immer bis zur Tür hochquellend und immer einer leichten Strömung ausgesetzt. Der erfahrene Game Ranger lotete alle Grenzen des Machbaren mit seinem 4×4 aus, bevor wir endgültig aufgeben und aufs M’koro umsteigen mussten. Bei einem steckengebliebenen Fahrzeug zurück zum Camp zu schwimmen, wäre keine gute Alternative gewesen. Gewiss hätte man bald im Schlund eines Nilpferdes oder Krokodiles geendet.

Botswana bietet mit seiner natürlichen Umwelt und unberührten Natur sowie dank den zahlreichen geschützten Reservaten die höchste Wildlife-Konzentration im südlichen Afrika und daher auch spektakuläre Wildtierbeobachtungen. Botswanas grösster Schatz sind die riesigen Diamantenvorkommen, die das Land zu einem der reichsten afrikanischen Ländern machen. „Bereits seit 1990 geniesst der Schutz von Fauna und Flora und die Entwicklung eines ökologisch orientierten nachhaltigen Tourismus höchste Priorität in Botswana, sagte die damalige Direktorin des Tourismusministeriums in Botswana Tlhabolongo Ndzinge. Nahezu Zweifünftel des Landes sind geschützte Naturflächen, die zu den grössten ökologischen Ressourcen der Welt zählen. Botswana hat «Global Codes of Ethics for Tourism» der Welthandelsorganisation «WTO», der den Rahmen für verantwortliche und nachhaltige Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzten. Dem fortschreitenden Aufbau von Öko- und Ethnotourismus kommt der schonenden Entwicklung des ländlichen Raums besondere Bedeutung zu: So sind mehr als ein Drittel der in Botswana laufenden 90 Programme im Rahmen der „Community based Developpment projects“ angesiedelt.

Doch das Problem der illegalen Wilderei verschärft sich nun noch durch eine neue Seuche, die infolge des Klimawandels auf die Elefanten zu kommt. Allein 2020 waren in Botswana im Okavango Delta beim Moremi Game Reserve 330 tote Tiere gezählt worden und das rätselhafte Massensterben setzte sich auch 2021 fort. Damals hatten die Behörden Cyanobakterien, auch Blaualgen als mögliche Todesursache ausgemacht. Der «Internationale Tier-schutz Fonds» (IFAW) kommt zum Schluss, dass das Massensterben mit einem beschränkten Zugang zu Frischwasser haben und deren Lebensräume u.a. durch die Viehwirtschaft immer mehr eingeengt werden. Zudem ist das Ansteigen der Cyanobakterien auf den Klimawandel zurückzuführen. Der unsäglichen Wilderung könnte wohl nur Einhalt geboten werden, wenn China den Import stoppen und die Einfuhrbeschränkungen drastisch kontrollieren und auch konsequent durchsetzen würde. Warum also sollte die internationale Staatengemeinschaft und die Länder Afrikas nicht den Hauptverursacher für das Schlachten zur Verantwortung ziehen und den Druck auf China massiv zu erhöhen, um die chinesische Regierung dazu zu bewegen, im eigenen Land gegen den Elefenbeinhandel rigoros vorzugehen. China allein wäre mit all ihren Uberwachungs- und Erziehungsmassnahmen in der Lage, einen signifikaten Beitrag zur Lösung des Problems beizutragen.

Afrikas wegweisende Wildlife- und Ökoprojekte

Bei insgesamt über zehn Reisen zwischen 1986 und dem Millennium in das Südliche Afrika, habe ich schon 1993 das «Shamwari Game Reserve» nahe Port Elisabeth beim Addo Elephant Park entdeckt. Dieses entwickelte sich damals gerade zu einem der wegweisenden und in der südlichen Hemisphäre einmaligen Tierschutz und Wildlife-Wiederansiedelungsprojekte. Dazu wurde ehemaliges Farmland renaturiert und in Busch umgewandelt, danach wurden nach und nach die «Big Five» dort wieder angesiedelt. Zu Beginn der 90er Jahre hat Adrian Gardiner, der Besitzer, die ersten fünf schwarzen Nashörner vom «Natal Parks Board» für eine halbe Million Euro gekauft und an der Garden Route nahe des Addo Elephant Park und Port Elisabeth wieder angesiedelt. Bei meinem ersten Besuch wurden das Farmland gerade renaturiert und ich erinnere mich an die selbst gebauten Feuertöpfe und Kaminschlots, mit denen jeder einzelne Baumstrunk ausgeräuchert wurde.

Nach kurzer Zeit ist aus der damals 1200 ha grossen Farm ein Wildtierschutzgebiet von über 20‘000 ha mit einem Wildtierbestand von über 10‘000 Wildtieren geworden. Dies geschah im Zeitraum von 1993 bis 1997. Neben dem Long Lee Manor House hat das Shamwari Game Reserve fünf weitere exklusive Lodges geschaffen, zu dem neben dem Eagles Crag und der Bushmen River Lodge auch noch die Lobengula Spa Lodge gehörte. Im November 2005 erhielt Adrian Gardiner zum sechsten Mal die internationale Auszeichnung am «Word Travel Market» in London (WTM) als «weltbester privater Tierpark mit den höchsten ökologischen Anforderungen». Zudem wurde das «Shamwari Game Reserve» auch als «zweitwichtigstes Projekt der südlichen Hemisphäre» eingestuft und mit dem «British Airways for tomorrow-Award» ausgezeichnet

Nicht nur dieses, auch andere wegweisende Öko- und Wildlife-Projekte in Südafrika und Botswana begleitete oder vertrat ich fast ein Jahrzehnt lang und berichtete immer wieder über die Fortschritte und Hindernisse, weil ich ja sowieso jedes Jahr in Südafrika an der südafrikanische Tourismusfachmesse «INDABA» war. Beim «Londolozi Game» Reserve der Varty Brothers, die spektakuläre Tierfilme drehten, war ich von Anbeginn dabei und hatte auch hier den richtigen Riecher, wie an den verschiedensten Orten in der ganzen Welt. Auch in Australien bewiese ich mit der «Daintree Forest Lodge» und in Botswana mit der «Wilderness Leadership School» ein feines Gespür für Trends. Hinzu kamen das «Mara Mara», «Sabi Sabi» und «Phinda GameReserve» und schliesslich noch das «The Pezula» in Knysna, wo das Schweizer Tennis-Ass Roger Federer seine Villa hat. Im noblen «Mount Nelson Hotel» in Kapstadt, sass plötzlich Margret Thatcher neben mir im Coiffeur-Salon, was das Gespräch mit der ehemaligen britischen Premierministerin sehr einfach machte. Nur machte die alte Dame der britischen Politik einen dementen Eindruck.

Aufgrund meiner vielen Kontakte in Südafrika, erhielt ich vom südafrikanischen Fremdenverkehrsamt (SATOUR) über den Botschaftskontakt den Auftrag Südafrika in der Schweiz mit PR-Kampagnen zu vertreten, wodurch ich infolge meinen aviatischen Kenntnissen auch noch an das «South African Airways»-Mandat heran kam und in der Folge meiner vielen Südafrika-Besuche zwei Reiseführer über Südafrika schrieb. Ob es sich nun um «Ökotourismus – und seine soziale Bedeutung» (Bund), um den aufrüttelnden Bericht und die erfolgreiche Spendenaktion für die bedrohten «Orang Utan im Regenwald von Borneo» («Brückenbauer»), um die «Rettung der Wale» (in der «SonntagsZeitung») oder die «Klimakatastrophe in den Alpen» («Südostschweiz») geht, stets hatte ich meine markante Nase im (Gegen-)wind und war meiner Zeit oft weit voraus. So war es auch beim «Swissair-Skandal», deren Untergang ich schon 1997 im «Der Bund» mit dem Bericht «Wird die Swissair überleben?» und bei zwei anderen Zeitungen vorweg nahm. Der Klimawandel, der heute fast 30 Jahre später immer noch ein brandaktuelles Thema und das grösste Problem auf dem Planeten Erde ist, beschäftigte mich schon sehr früh und ich zog daraus Konsequenzen und verzichtete ab 1999 weitgehend auf Flugreisen und seit 10 Jahren gänzlich. Für Reiseziele in Europa habe ich nie ein Flugzeug benutzt, da war die Bahn angesagt. Natürlich kann man mir zu Recht vorwerfen, dass ich, als Reisejournalist mit meinen Reisereportagen den globalen Flugverkehr angekurbelt habe, was ich nicht bestreiten kann. Doch habe ich mir immer die Mühe genommen, ökologisch nachhaltige Projekte und umweltverträgliches Reisen zu fördern. und ich habe mir immer viel Zeit an einem Ort genommen, meistens war ich 20-30 Tage in einem Land. Schliesslich habe ich die radikalen Konsequenzen mit meinem Flugverzicht in Kauf genommen, obschon meine Tätigkeit damit öder und schwieriger wurde.

Als Konsequenz auf den «IPPC»-Bericht habe ich das «Tourismus und Umwelt Forum Schweiz» gegründet und mich auch hierzulande nachhaltig für ein Umdenken und Umschwenken eingesetzt. Ich könnte heulen vor Wut über all die politischen Lippen-Bekenntnisse, die leeren Versprechen von Wirtschaftsverbänden, dem bis heute klimasteuerbefreiten Luftverkehr, den Todsünden der Billig-Airlines und die «SUVs», anstelle von Autos, die in den letzten 20 Jahren – wohlwissend um den schlechten Zustand des Planeten-, getätigt wurden. Die Generation «Easy Jet» war mir ein Dorn im Auge. Nebst den Fernreisen war ich immer öfters auch in Frankreich, Deutschland und Österreich auf Pressereisen, die meisten so vier, fünf Tage dauerten. Das Presse- und Bildagenturgeschäft lief wie geschmiert. Kooperationen mit führenden Bildagenturen wie «Action Press» und «dpa» in Deutschland und «Ringer», «Keystone» in der Schweiz und die immer zahlreicheren Publikationen sowie das auf gut 30‘000 Dias aus fast 50 Ländern angewachsene Bildarchiv, waren eine solide Basis für meinen Job. Hinzu kamen die Kooperation mit «Singapore Airlines» und mit «Malaysia Airlines» aufgegleist hatte. Ein spannendes PR-Mandat, bei dem ich für «Malaysia Airlines» die PR-Kampagnen konzipierte, die Anzeigenschaltungen disponierte und viele spannende Reisen machte und hernach die Berichte veröffentlichte. Die Zusammenarbeit mit «Singapore Airlines» dauerte fast 15 Jahre. So kam ich mehrmals nach Sri Lanka, Vietnam, Thailand, Kambodscha, auf die Malediven und mehrmals nach Australien, wo ich fast alle Bundesstaaten bis auf die Northern Territories besuchte und tausende von Kilometer allein im Off-Roader zurücklegte. Doch zurück nach Afrika, einem der faszinierendsten Kontinente.

Kenya: IKRK-Mission im Rift Valley nach den ethnischen Unruhen

Als ich 2008 nach Kenya kam, besuchte ich erst die Region beim Samburu Nationalpark und war im «Joys Camp» stationiert. Das Samburu-Nationalreservat ist ein 165 qkm großes Naturschutzgebiet im Zentrum Kenias. Das östlich davon gelegene Shaba-Nationalreservat gehört zum gleichen ökologischen Gebiet. Charakteristisch sind die hier sehr trockener Lebensräume für Oryxantilopen, Gerenuks, Grantgazellen, zwei Dikdikarten und Grevyzebras. Auch typisch für die Region sind die Netzgiraffen, die sich durch ihre besonders kontrastreiche Färbung von anderen Giraffen-Unterarten unterscheiden. Weitere Huftierarten des Reservates sind Elenantilopen und Wasserböcke. Unter den Raubtieren sind Löwen, Leoparden, Geparden und Streifenhyänen hier vorhanden. Darüber hinaus zeichnete sich der Park einst durch grosse Elefantenherden und zahlreiche andere Wildarten wie Wasserböcke und Nilkrokodile aus.Traurigerweise nehmen auch hier die Elefantenbestände ab. Deren Zahl im Samburu-, Buffalo-Springs- und Shaba-Nationalreservat betrug 1973 noch über 2500 Tiere, 1976/1977 hatten sie sich schon auf 531 verringert. Jetzt sind es noch weniger. Es war eine schöne, entspannte Reise und dann ging es nach Mombasa weiter, um die Touristenenklave an den Gestaden des Indischen Ozeans kennenzulernen.

Unweit von Mombassa liegt der Haller Park, ein von einem Schweizer renaturiertes Wildlife-Reservat. Das war äusserst beeindruckend! Abgesehen von Chimpansen, Makkaken, Krokodilen und Riesenschildkröten gab es eine grosse Vielfalt von Tieren. Schulkinder kamen in Scharen zu Besuch. Für sie war es nicht nur ihr Ausflug in den Zoo sondern auch eine Lektion über Wildtierschutz und die Bedeutung ihrer Ökosysteme, sprich ihrer Umwelt und dem Verhalten der lokalen Bevölkerung, das dazu beitragen kann, die Tierwelt zu erhalten. Vorbildlich! René Haller wuchs in Lenzburg im Kanton Aargau auf. Er erlernte den Beruf des Gärtners, spezialisierte sich auf Landschaftsgestaltung, besuchte den Agronomielehrgang des «Schweizerischen Tropeninstitut» der Universität Basel bevor er 1956 nach Ostafrika ging, Sein bekanntestes Projekt ist die ökologische Wiederherstellung des Abbaugebietes der «Bamburi Cement». Ein Teil des damals verwüsteten, grossen fossilen Korallenkalk-Abbaugebietes hat er renaturiert. Haller ist Autor vieler bekannter Fachartikel und Referent für die Themenbereiche Ökologie/Ökonomie und Wiederbelebung von verwüstetem Industrieagrarland sowie Gründer der «Haller Foundation», arbeitete als Vorsitzender des «Baobab Trust» und war langjähriges beratendes Mitglied des «Kenya Wildlife Service».

Die Reise führte mich darauf hin weiter zum «Ol Pejeta Rhino & Chimpanzee Sanctuary» in der Nähe des Mount Kenya. Wie der Name schon sagt wurden dort vor allem Rhinozerosse vor Wilderern geschützt und eine grosse Chimpansen-Kolonie gehegt und gepflegt. Zum ersten Mal berührte ich dort die Panzerhaut eines Nashorns, als ich ehrfürchtig neben dem Landrover und einem dieser Kolosse stand und hoffte, dass mich das zwei Tonnen Muskelpaket als harmlosen Spatzen betrachtete und nicht wie eine Fliege zerquetschte. Zum Glück ist tatsächlich nichts passiert, denn das Nashorn liess sich durch mich nicht beim Grasen stören. Nachdem meine Wildlife-Abenteuerlust gestillt war, kam wieder die humanitäre Mission dran. Zurück in Nairobi ging ich zum «IKRK»-Hauptsitz in Afrika und machte ein Interview mit dem Stellvertretenden Generalsekretär James Kisia über die Lage der Flüchtlinge im Rift Valley nach den blutigen Unruhen und ethnischen Vertreibungen, da Kofi Annan abwesend war. Die politischen Unruhen in Kenia begannen am 30. Dezember 2007, am Tag der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse zur Präsidentschaftswahl.

Bei den Wahlprognosen und vorläufigen Ergebnissen war Oppositionsführer Odinga noch knapp führend. Nachdem der amtierende Präsident Mwai Kibaki zum Gewinner der Wahl erklärt wurde, erhob sich Protest seitens der Oppositionspartei ODM. Ihr Präsidentschaftskandidat Raila Odinga erklärte, dass das Wahlergebnis gefälscht sei. Bei den anschliessenden Unruhen wurden schätzungsweise über 1.500 Menschen getötet und 623.692 Menschen, vor allem Angehörige der Kikuyu mussten vor den Gewalttätigkeiten fliehen. Schliesslich flog ich nach Eldoret und ging zum lokalen «ICRC Red Cross Commitee». Mit den dortigen Mitarbeitern fuhr ich drei Tage lang in den die Flüchtlingscamps herum und sah mir die Wiederaufbauprojekte an. Es schien mir noch ein langer Weg zurück zur Normalität zu sein und das Elend in den Flüchtlingslagern mit insgesamt über 100‘000 Personen war sehr bedrückend. Ein solches Ausmass hatte ich noch nie gesehen, auch nicht in Südafrika zur Zeit des ANC-IFP-Konflikts.

Über 10 Millionen Kenianer hungerten und täglich starben Hunderte an Wassernot und Ernährungsmangel. 3,2 Millionen Menschen waren damals von akutem Wassermangel betroffen. Viele von ihnen mussten täglich bis zu 30 Kilometer für einen Eimer Wasser zurücklegen und diesen dann zurück tragen. Das sind einige der erschütternden Zahlen, die der Stellevertretende Generalsekretär des «IKRK» und «Red Cross Kenya» mir in seinem Büro in Nairobi präsentierte. Und über 100‘000 Personen harrten in Flüchtlingscamps aus. Am Schluss der Reise interviewte ich Tourismusminister, Najib Balala, den ich auch auf die Konflikte ansprach und der zwar überrascht war über die politische Flanke und Befragung zu den Unruhen, aber sehr souverän reagierte. Von Nairobi aus führte mich die nächste Mission wieder in den Bush. Via Johannesburg, Gabarone und Maun flog ich wieder einmal ins Okavango Delta und zwar zu den renommierten «Wilderness Wildlife Fund» Bush-Lodges und besuchte die HIV-Foundation «Children in the Wilderness», welche sich der vielen durch AIDS verursachten Waisenkinder annahmen und ihnen ein zuhause gaben.

Namibia: EZA, HIV-Schulen und im Reich der Geparde ???

Durch die vielen Reisen und Konflikterfahrungen in zahlreichen Ländern wollte ich schliesslich in die Entwicklungszusammenarbeit («EZA») einsteigen und via «Interteam» (einer Schweizer Hilfsorganisation) nach Namibia fliegen, um vor Ort ab 2011 stationär drei Jahre im Bereich Tourismus und Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten. Konkret ging es um ein Projekt mit der lokalen halbstaatlichen Organisation «NACOBTA», welche die Ureinwohner ökologisch und nachhaltiger in die Tourismuswirtschaft integrieren wollte, um dort die indigen ansässigen Stämme an der wirtschaftlichen und nachhaltigen touristischen Entwicklung teilhaben zu lassen. Leider kürzten kurz vor dem Einsatz ein paar ausländische Hilfsorganisationen ihr Budget für «NACOBTA» und so wurde der «EZA»-Einsatz in Namibia gestrichen. Dennoch wurde ich durch das «Interteam NACOBTA»-Assessment neugierig auf das südwestafrikanische Land mit deutscher Kolonialvergangenheit und beschloss dort hin zu reisen.

Erst verabredete ich mich mit dem lokalen «Interteam» Repräsentanten, um mir die Arbeit vor Ort und die Herausforderungen dieser Aufgabe anzuschauen. Das erste was ich lernen sollte, ist, dass helfen nichts für Abenteurer ist, wie es in den 70er und 80er Jahren war, als scharenweise Personen in alle Welt aufbrachen, um sich mit lokalen Bevölkerungsgruppen oder Befreiungsbewegungen zu solidarisieren. „Besserwisser und Weltverbesserer“ sind bei dieser Arbeit fehl am Platz. Die heutige Freiwilligenarbeit hat sich sehr professionalisiert, sagte, Martin Schreiber, der damalige Geschäftsführer von «Unite», dem Dachverband der Entwicklungspolitischen Organisationen in der Schweiz. Heute verfügen fast 80 Prozent der vor Ort tätigen über einen Hochschulabschluss, zudem gibt es spezielle Umweltexperten, Telekommunikationsspezialisten, Management-Coaches, Ernährungsberaterinnen und Sozialfachleute.

Während des einjährigen Assessment muss die Kandidatin oder der Kandidat nicht nur seinen Durchhaltewillen und seine Motivationsgründe reflektieren sondern werden auch mit komplett anderen Wertvorstellungen und Religionen konfrontiert. Gleichzeitig gäbe es viele Hürden zu überwinden, wie Unzuverlässigkeit von Menschen, die Tücken der Technik und mangelnden Infrastruktur sowie bei der Kommunikation und den soziokulturellen Unterschieden. Schliesslich sei jede Person, die zum Einsatz kommt, Teil eines Ganzen, das sich laufend den Erfordernissen anpasse und mit den lokalen Partnern im beratenden Austausch stehe, welche Strategien entwickelt werden. Der Erfolg des Einzelnen, ist der Erfolg aller.

Nach dieser Einführung traf ich mich mit Vertretern von «NACOBTA» in Windhoek und hernach beschloss ich, ein Spital in Rehoboth, dass von Schweizern finanziert wurde, zu besuchen, bevor ich quer durch das riesige, menschenleere Land fuhr und die geschützten Wildlife-Reservate besuchte. Ich legte auch in Namibia gut 5000 Kilometer mit dem Auto zurück aber relativ wenig Off-Road, vom Caprivi-Streifen im Norden, der bis zum Vierländereck Botswana, Südafrika, Zimbabwe bei den Victoriafällen reicht und bis zum Fishriver-Canyon runter, dem zweittiefsten der Welt im Süden des Landes. Da war zunächst einmal der Etosha Nationalpark, der bereits 1907 unter Schutz gestellt wurde, nachdem der ehemals reiche Wildbestand durch Wilderei und bedenkenlose Grosswildjagd bis an den Rand der Ausrottung reduziert wurde und damit die Fleischversorgung der Bevölkerung ernsthaft gefährdet worden war. Der Etosha Nationalpark besticht heute durch seinen fantastischen Tierreichtum, der sogar das Okavango Delta übertrifft, soweit Giraffen, Antilopen und Zebras damit gemeint sind. Doch nicht nur die Wildtiere, auch die lokal ansässigen Herero und Ovambo wurden nach dem durch Existenzängste geschürten Aufstand von 1904 gnadenlos ausgelöscht. Auch Frauen und Kinder wurden von Generalleutnant Lothar von Trotha nicht geschont, der im Auftrag des Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen handelte und die volle Unterstützung von Kaiser Wilhelm I. hatte. Das war einer der ersten geschichtlich rapportierten Völkermorde. Dazu kommen wir noch doch zuvor begeben wir uns in das Reich der Geparde.

Einzigartiges Geparden-Schutzprojekt in Ojjowaringo

Die «Cheetah Foundation» (CFF) in Ojjowaringo ist eines der beeindruckenden Wildlife-Projekte mit einmaligen Erlebnissen. Es war das erste Mal, dass ich diese edlen, eleganten Raubkatzen in freier Wildnis und beim Jagen nach ein paar armen Kaninchen zu sah, die den Geparden als Frühstückshoppen zum Frass vorgeworfen wurden. Die Populationsstudie des CCF für namibische Geparde läuft seit 1990, wobei bis heute über 750 Gewebeproben und 1000 Kotproben gesammelt wurden. Diese Proben ermöglichen die Erforschung der namibischen Gepardenpopulationen über einen Zeitraum von 30 Jahren. Die Populationsüberwachung innerhalb des 50‘000 Hektar großen Wildschutzgebiets wird durch die Kombination mit genetischen Analysen über Mikrosatellitenmarker ermöglicht. Das erlaubt den CCF-Forschern und Wildhütern die einzelnen Geparden sowohl anhand von visuellen als auch genetischen Merkmalen zu identifizieren.

Um den illegalen Handel mit Wildtieren zu bekämpfen, hat «CCF» in Zusammenarbeit mit den Wildtierbehörden von Somaliland ein sicheres Haus in Somaliland eröffnet, das extra für Geparden-Junge gebaut wurde, die vom Heimtierhandel geborgen wurden. Allein im Jahr 2019 erhielt das Genetiklabor 146 Proben von 53 Personen. «CCF» erhielt auch Proben von verschiedenen Veterinär- und Zuchteinrichtungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bis heute wurden 97 extrahiert und genotypisiert, um die Herkunft der Tiere zu ermitteln. Neben der genetischen Arbeit initiierte «CCF» eine Samenbank für die VAE und veranstaltete mehrere Workshops zur Sammlung und zum lebensfähigen Einfrieren von Spermien von erwachsenen männlichen Geparden, um die genetische Vielfalt der Ursprungspopulationen zu erhalten.

Eine zentrale Herausforderung in den ländlichen Gebieten Namibias ist der Aufbau von Kapazitäten zur Bewältigung des Konflikts zwischen Mensch und Wildtieren. «CCF» hat mehrere Landschaften in Zentral-Nord- und Zentral-Ost-Namibia identifiziert, die einen dringenden Fokus auf wissenschaftsbasierte Lösungen zur Eindämmung des Konflikts menschlicher Wildtiere (HWC) benötigen.Zu den wichtigsten Schwerpunktregionen gehören die Greater Waterberg Landscape, die Gobabis-Landschaft und weite Teile des Gemeindelandes im östlichen Namibias Kalahari-Ökosystem.

In Namibia leben 80 Prozent der Wildtiere ausserhalb von Schutzgebieten, aber in einigen Gebieten wie den östlichen Kommunalgebieten gefährdet das Fehlen von Wildtieren Arten wie Wildhunde, Geparden und Leoparden, die Nutztiere erbeuten. Eine der größten Herausforderungen in diesen ländlichen Gebieten ist die Bewältigung des Konflikts zwischen Mensch und Fleischfresser. Geparden und andere Raubtiere, darunter Leoparden, Afrikanische Wildhunde, Braune Hyänen und Schakale, leben in grossen Revieren auf Viehzuchtflächen.

Um die Situation zu entspannen, ist eine forschungsbasierte Lösung erforderlich, die die dort ansässige Community einbezieht. Zu diesem Zweck hat ein kanadisches Goldbergbauunternehmen mit Präsenz in Namibia, 50‘000 US-Dollar zur Unterstützung von Naturschutzforschung und ein Outreach-Programmen für Gemeinden bereitgestellt, die mit Fleischfressern leben. Mit Unterstützung von «B2Gold» hat «CCF» ein umfangreiches Forschungsprojekt entwickelt, um die wichtigsten Strategien und Ansätze zur Reduzierung von Mensch-Fleisch-Konflikten zu bewerten. Die Forschung wird in die Erhaltungsmaßnahmen einfließen, die darauf abzielen, das Weideland-, Vieh- und Wildtiermanagement zu verbessern, den Verlust von Vieh auf offenem Ackerland zu reduzieren und den Lebensraum wiederherzustellen.

Das «CCF» beherbergt eine in Afrika einzigartige Forschungseinrichtung von Weltrang. Das «Life Technologies Conservation Genetics Laboratory» ist das einzige voll ausgestattete Genetiklabor vor Ort in einer Naturschutzeinrichtung in Afrika. Von dieser Einrichtung aus arbeitet «CCF» mit Wissenschaftlern auf der ganzen Welt zusammen. Die Forschung kommt nicht nur dem Gepard und seinem Ökosystem zugute, sondern auch anderen Grosskatzen und Raubtieren. Dabei helfen auch ausgebildete Hunde zur Erkennung des Kots. Die Kothunde verwenden verschiedene angelernte Signale an ihren Hundeführer, um anzuzeigen, welche Art von Tierkot vorhanden ist. Sobald die Probe entnommen wurde, wird sie ins Labor gebracht. DNA wird extrahiert, um einzelne Geparden zu identifizieren und die Populationsstrukturen von anderen Grosskatzen und Fleischfressern zu verstehen.

Zu einem späteren Zeitpunkt, ganz im Süden Namibias, beim Fish River Canyon und den Giants Playground, fuhren wir mit einem Farmer auf seiner riesigen Farm herum und begegneten dort zwei prächtigen Geparden in der Wildnis, denen wir uns zu Fuss näherten, um uns gegenseitig zu beschnuppern, denn sie schlichen auf ihren Samtpfosten langsam und geschmeidig auf uns zu und hatten sich offensichtlich an Menschen gewöhnt und kannten keine Scheu. Dennoch verhielten sich nicht wie zahme Hauskatzen.

Da ich alsbald überraschenderweise unter der Schnauze des Tieres auf dem Boden lag und von dort Nahaufnahmen machte, endete der hautnahe Kontakt mit den gefährlichen Schmusekatzen letztlich wider Erwaarten für mich mit Glücksgefühlen, anstatt mit tödlichen Bissen. Aber das kribbelnde Gefühl unter einer Wildkatze sozusagen als ihr Beutetier zu liegen, nur die Kamera schützend vor mein Gesicht haltend, war schon ein Adrenalinschub erster Güte, dass ich nie mehr vergessen werde.

Nach dieser wunderbaren Erfahrung im Reich der Wildtiere möchte ich noch ein dunkles Kapitel Kolonialgeschichte hinzufügen.

Das dunkle Kapitel Deutschlands: Völkermord, Sklaverei, Landraub, Vergewaltigung

1884 wird Afrika an der «Kongo Konferenz» in Berlin unter den europäischen Mächten und Kolonialherren aufgeteilt. Deutschland steigt zur Kolonialmacht auf, worauf Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, offiziell errichtet und zur Kolonie ausgebaut wurde. Bis 1914 kamen rund 15.000 weisse Siedler nach Deutsch-Südwestafrika, darunter mehr als 12.000 Deutsche. Die deutsche Kolonialverwaltung regierte das Gebiet mithilfe von Rassentrennung und Unterdrückung. Die Einheimischen wurden von den europäischen Siedlern als Menschen zweiter Klasse behandelt und praktisch entrechtet. Einheimische Stämme wurden gezwungen, ihr Land zu räumen. Das für die Nomadenstämme lebenswichtige Weideland und ihre angestammte Heimat ging so immer mehr in die Hände der Siedler über. Dies bedrohte vor allem die Lebensgrundlage der dort ansässigen Hirtenstamme der Herero und Na’ama’s.

Sklaverei, Landraub, öffentliche Exekution, Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Demütigung wurden zur Doktrin und zur qualvollen Tagesordnung für die geschundene Bevölkerung. Mit Samuel Maharero begann 1904 der Aufstand gegen die weissen Besatzer. Das Na‘ama Oberhaupt, Capitain Hendrik Witboo war die Ikone des antikolonialen Widerstandes. Er warf dem Ovambo Führer vor, dass er mit der sogenannten „Schutzmacht“ der Deutschen kooperierte und so die Schleusen für die Eroberung öffnete. Erst nach 20 Jahren der Unterdrückung durch die «Herrenmenschen», wehrten sich die Völker Namibias zum ersten Mal geeint gegen ihre Unterdrücker.

Am 12. Januar 1904 fallen die ersten Schüsse gegen die Besatzer. Die Aufständischen belagerten Militärstationen, blockierten Bahnlinien und überfielen Handelsniederlassungen. In den ersten Monaten des Kriegs dominierten die Herero die Auseinandersetzungen. Die Vertreter des deutschen Reiches waren von dem Aufstand überrascht. Der Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas, Theodor Leutwein, wurde angewiesen, den Aufstand militärisch niederzuschlagen. Im Mai 1904 wurde das Kommando auf Generalleutnant Lothar von Trotha übertragen. Von Trotha führte die Auseinandersetzungen gezielt als einen Vernichtungskrieg. Die nur 2‘000 Mann starke kaiserliche Schutztruppe wurden sofort durch 14‘000 Soldaten verstärkt, die mit brutaler Härte gegen die Aufständischen vorgingen.

Lothar schrieb: „Ich möchte, dass meine Truppe da rausgeht und die ganze Gemeinde von der Erd-oberfläche verschwinden lässt. Aufräumen aufhängen, niederknallen! Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut und Geld. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu Ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“ Von Trotha erteilte sodann den Vernichtungsbefehl und der hässliche Genozid seinen Lauf nahm.

Im August 1904 hatte die deutsche Armee das Volk der Herero auf dem Plateau des Waterbergs umzingelt. Die in die Enge getriebenen Herero mussten in die Omaheke-Wüste fliehen, die darauf hin von den Deutschen mit einem 250 Kilometer langen Absperrgürtel abgeriegelt wurde. Bei der Schlacht am Waterberg verhungerten und verdursteten rund 85‘000 Menschen qualvoll, weil die Deutschen die Wasserlöcher vergiftet und umstellt hatten. So wurden insgesamt über 100‘000 Menschen von den Deutschen Besatzern ermordet, die Überlebenden versklavt, gefoltert und auf Shark-Island, einem von vielen Konzentrationslagern im Land, interniert.

In Swakopmund an der Küste des Atlantik, direkt vor dem Stadthaus steht bis heute ein Stein des kolonialen Anstosses: Das Kriegsdenkmal der deutschen Marine, welches die gefallenen, deutschen Soldaten namentlich ehrt, die hier über 100‘000 Menschen umgebracht haben. Ein kleines Messingschild erinnert auch an die gefallenen Einheimischen. Das ärgert den Stadtabgeordneten Uahimisa Kaapehi massloss. „Das Denkmal sollte abgerissen, auf dem Müll geworfen oder nach Deutschland verschifft werden“. Noch stossender ist aber, dass sich Deutschland sich bis heute nicht offiziell für den ersten Völkermord der Geschichte bei den namibischen Völkern angemessen entschuldigt hat und es wurde auch kein Land zurückgegeben, welches den Einheimischen Nomaden damals gestohlen wurde. Noch heute sind die Besitzer grosser Farmen und die Häuser in den Städten im Besitz der Nachfahren der damaligen deutschen Unterdrückern, derweil die Hereros und Na’ama’s nur Arbeitslosigkeit, Rassismus und Hoffnungslosigkeit kennen.

Der Völkermord an den Hereros und Na’ama’ sowie die Konzentrationslager und Vernichtungsmethoden waren zudem Vorbild für den späteren Nazi-Faschismus und für die Apartheid in Südafrika. Die Diskriminierung und Unterdrückung beider Bevölkerungsgruppen ging bis zum Ersten Weltkrieg weiter. Die deutsche Kolonialherrschaft über Südwestafrika endete erst 1915 mit der Kapitulation der kaiserlichen Schutztruppen vor südafrikanischen Truppen des britischen Empire. Namibia war erst 1990, als letztes afrikanisches Land nach einem fast 25 Jahre andauernden Freiheitskampf der SWAPO gegen die Mandatsmacht Südafrika unabhängig geworden. Vekuii Rukuro, das Oberhaupt der Herero, sagt: So wurden schon drei Generation über 100 Jahre lang ruiniert. Vertrieben von ihrem Land, von ihren Weidegründen, von den Gräbern ihrer Ahnen und in die Armut getrieben. Und das Leid hat kein Ende! Oder mit einem Ovambo-Zitat ausgedrückt: “When you came, you had the bible, we had the land. Nowadays we have the bible and you have the land”.

Mit dieser Episode über das belastende Kapitel deutscher Kolonialgeschichte verlassen wir den afrikanischen Kontinent und brechen nach Lateinamerika auf, wo uns ganz andere Abenteuer erwarten und wir ganz andere Kulturen sowie politisch, ökonomische und ökologischen Herausforderungen begegnen.

4. Lateinamerika, Karibik & Karneval

Mexico 89: Von Göttern inspiriertes, von Gott beseeltes Reich

Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrast-reichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie schillernde Juwelen aus der Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen in nichts gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturverbundener, anarchischer, sippenhafter und weitaus spiritueller. Im Hochland von Mexico feiert eines der ältesten Völker Zentralamerikas, die Mixteken, jedes Jahr seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellt eine seltsame Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowohl Jesu Christi und Maria Jungfrau, die Virgen de Guadaloupe, als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie vor der Vernichtung und Unterdrückung bewahrte.

Von 200 bis 900 n. Chr. herrschten in der Tempelstadt Monte Alban die Zapoteken über ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie die nahe Oacaxa gelegene Hochburg, welche in der Zeit danach von den Mixteken besetzt wurde. Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt und besichtigte die imposanten Kultstätten wie Mitla, Zaachila und Yagul. Zurück in der pittoresken Altstadt,, auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie hiess Marcela Veraund erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Festtage fahre, weil sie einem Lehrer Schulbücher bringen wolle. Dies hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.

Also schloss ich mich Marcela Vera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die zehnstündige Fahrt war abenteuerlich und sehr beschwerlich. Die ganze Zeit den oberen Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd eng an die anderen Passagiere und Marcela gepresst, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern fauchend in die Berge hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert ihre zerfurchten Mienen und lebendigen Gestiken einprägen. In Zacantepec endete die Strasse. Hier beginnt das Reich der Söhne und Töchter Rey Condoys.

In düsterster Dunkelheit und bei dichtem Nebel kamen wir in dem Zapoteken-Indio Kaff an, das aus drei Steinhäusern, einem Zocalo (Dorfplatz) und einer Kirche mit Wellblechdach bestand. Es gab ein einziges Gasthaus über dem einzigen kleinen Laden, der ausser ein paar Tonbüchsen, Senf-Gläser, Mayonaise-Tuben ein paar Bündel Pfefferschoten, etwas Kaffee und Mezcal-Schnaps nichts weiter anzubieten hatte. Eine Woche lang, gab es praktisch nichts zu essen. Schon nach drei Tagen waren Marcela, die bildhübsche Malerin und ich in recht mystischer Stimmung und kuschelten uns in dem engen, kargen und kalten Zimmer immer eng aneinander. Unsere Herzen begannen immer wilder zu pochen und bald liebten wir uns hemmungslos, bis in völliger Finsternis vor dem Morgengrauen am Morgen früh plötzlich eine dunkle, düstere Stimme im Indio-Dialekt aus einem knisternden Lautsprecher vom Dorfplatz her erscholl, begleitet zu schwerer düsterer Kirchenmusik. Dazu halte eine schwermütige Musik mit Blasinstrumenten, Trommeln und Marimba-Klängen durch die Dunkelheit. Wir schauten zu unserem Zimmerfenster raus und sahen, wie der gespenstische Nebel aus allen Richtungen herbeiströmende, tief verhüllte, geisterhafte Indio-Gestalten ausspuckte, die zur Wellblech-Kirche strömten.

Wir verliessen das Zimmer und suchten die Kirche auch auf. Die Frauen hatten sich im Kirchenschiff von den in Ponchos gehüllten Männern getrennt, die ihren Sombrero für einmal in den Händen hielten, um in den Sitzreihen Platz zu nehmen. Kinder und betagte Frauen knieten zuvorderst vor den Weihrauchgefässen nieder. Süsslich duftende Rauchschwaden füllten den Raum und umhüllten den als einziger mit einer weissen Soutane bekleidete Padre und verleihten ihm ein gespenstiges, mephystohaftes Aussehen. Nun hielt ein Padre vor einer Statue der Virgen de Guadaloupe, der schwarzen Maria Jungfrau, eine pastorale Rede im hiesigen Indio-Dialekt. Faszinierender jedoch waren all die vor Ehrfurcht geprägten Indio-Gesichter unter ihren bunten Rebozos, den Schals, die sie als Kopfbedeckung und über die Schultern geschlungen, trugen. Das spärliche Kerzenlicht, die Kopal-Weihrauchschwaden und das am Boden sich ausbreitetende, stark nach Fichtennadeln duftende Meer sowie die prächtig ausstaffierten Honoratoren mit ihren silberbeschlagenen Stöcken als Insignien ihrer Würde, verwandelten das Kirchenschiff in eine sehr spirituelle und mystische Welt. Ich selbst kam mir wie ein Ausserirdischer in dieser indigenen Gemeinde vor. Flackernde Kerzen erleuchteten all die ernsten von Entbehrungen gezeichneten Antlitze. Für einmal schmilzt der Stolz dahin. Die harte Realität kaschierende unkomplizierte und fröhliche Lebenseinstellung weicht der Offenbarung ihrer Nöte, Sorgen und Ängste ihres leidgeprüften indigenen Berbauerndaseins.

Dann ging es los! Die Indio-Frauen schulterten die Virgen de Guadaloupe und die Männer eine Jesus Christi Statue auf ihre Schultern, dann zog der ganze Indio-Tross den steilen Berg hoch. Sie teilten sich wieder in zwei Gruppen auf und ich beschloss, mich dem Frauen Fackel- und Kerzenlichterzug anzuschliessen und so kletterten wir mit ihnen behende die schmalen, rutschigen Pfade hoch. Unterwegs gab es ein paar Kreuzweg-Rituale und bei der siebten Kreuzweg-Station vereinigten sich die beiden Züge bei einer kleinen Lichtung auf einem Platz, um die Bannerträger und die vor ihren Weihrauchgefässen knienden Frauen. Jetzt hielt der Padre wieder eine Ansprache und just in diesem Moment riss der Himmel zum ersten Mal vollends auf und die Sonne schien wie ein göttlicher Bannstrahl auf die kleine Indio-Gemeinde gerichtet, so als würde sie diese Zusammenkunft speziell segnen. Ihre Gesänge versetzen mich in Trance und es war aussergewöhnlich, diese spirituelle Erfahrung als einziger „Gringo“ und Ausländer unter den Mixteken Indios zu erleben.

Andächtig und überwältigt von diesem authentischen Schauspiel tiefster indigener und ergreifender Emotionen, sind auch wir Teil dieser Welt geworden und verschmolzen sozusagen mit ihnen und ihren Ahnen. Dies müssen auch die Indios gespürt haben und schenkten mir ihr Vertrauen und zogen mich in ihren innersten Kreis rein. Als sich aus dem Kreis der Würdenträger einer der Bannerträger herauslöste und auf uns zukam, erschrak ich erst heftig, da ich im Geheimen versteckt Fotos von der Wiedervereinigung von Jesu Christi und der Maria Jungfrau gemacht hatte. Ich bekam Schiss, sie hätten mich beim Fotografieren erwischt und ich würde nun als Sühne-Opfer dargebracht und an einer der Lanze aufgespiesst.

Die Furcht war nicht unbegründet, denn in Chiapas wurden schon Touristen umgebracht, die die einheimischen Indios fotografierten. Stattdessen wurde ich als Geste ihrer Gastfreundschaft mitten ins Zentrum der Prozession rein geholt und durfte einer der drei Bannerträger sein. Welch eine Geste und Ehre für mich, die mich sehr berührte, wo ich doch ihnen gegenüber vorerst abgründig kritisch war. Ich war echt gerührt! Auf vielen weiteren Reisen zu den Urvölkern rund um den Globus stellte ich immer wieder fest, dass ich einen besonderen spirituellen Draht zu den indigenen Völkern habe und offensichtlich auch über telepathische Fähigkeiten verfüge, mich über herkömmliche Sprachbarrieren hinweg, ein wenig verständigen zu können.

Nunmehr vereint, bestreiten Frauen und Männer gemeinsam die restlichen sieben Kreuzwegstationen bis zur Abnahme des geschnitzten Heiligenbildes auf dem Zocalo. Der Grablegung und Messe folgte dann die Verbrennung Jesu Christi. Verehrt werden nun wieder die Götter und Ahnen nach traditioneller Art. Nach aztekischer und mixtekischer Auffassung muss göttliche Autorität erworben werden, erklärt uns der Lehrer der Dorfschule von Zacantepec. Die Üeberlieferung besagt, dass Nanauatzin, der den Sprung ins Feuer gleich beim ersten Mal wagte, so zur Sonne wurde, während der ihm nachstürzende Teciciztecatl nur zum Mond gereichte. Eines scheint klar, dass der christliche Gott einer der vielen Götter in der Indiowelt ist. Daher sei an dieser Stelle die Frage gestattet, ob es wirklich eine Rolle spielt an welchen Gott, Glauben oder an welche Götter und Dogmen man glaubt? Ist Allah besser als Gott und sind nun die Sunniten, Shiiten, Wahabiten oder Alewiten auf dem richtigen Pfad? Die Christen oder Buddhisten erleuchteter? Zurück zu den Indios. Wenigsten hier findet kein von Menschen ausgerufener „Heiliger Krieg“ statt, den überlassen die Indios lieber den Göttern.

Umso mehr öffnete ich mich nun den Indios gegenüber und verfiel in den folgenden Tagen und anderen abgefahrenen Prozessionen öfters in Trance bis zur Ekstase geratend, und das ganz ohne die Nanacatl-Pilze oder anderer Drogen wie Mescalin. Mich nur mit einer halben Flasche Mezcal Schnaps pro Tag ernährend, versuchte ich die Rache Montezuma’s, also die Magenverstimmung zu beruhigen. Infolge des Nahrungsmittelmangels und der Höhe wirkte sich der Alkoholpegel besonders gut auf die rauschartigen Trancezustände aus. Da gab es keine Sprachbarrieren mehr und das universell Verbindende überwand alle kulturellen Grenzen. Dank der jungen Malerin Marcela Vera aus dem Atelier des berühmten mexikanischen Malers Rufino Tamayo erfuhr ich mehr und mehr über die Geschichte und Identität der Mixteken. Fortan sollten mich die indigenen Ureinwohner auf allen Kontinenten besonders interessieren, um nicht zu sagen, magisch anziehen.

Zeuge Zapatistischer Indio-Aufstände in Chiapas

10 Jahre nach meiner ersten ausgedehnten Reise durch Mexico kehrte ich als Journalist dahin zurück, als 1994 als in Chiapas die Indio-Aufstände eskalierten und die Soldaten der mexikanischen Armee in die Region der sechs Dörfer und in San Cristobal de las Casas einmarschierten, um die «MARCOS»-Rebellen zurückzudrängen und den Indio-Aufstand zu zerschlagen. Die sechs Buchstaben «MARCOS» waren die Anfangsbuchstaben der sechs aufständischen Indio-Kommunen in der Umgebung um San Cristobal: «M»argaritas, «A»ltimirano, «R»ancho, «N»uevo, «C»omitan, «O»cosingo und «S»an Cristobal. Zehn Kilometer weiter, liegt San Juan Chamula, dem Dorf der traditionsverhafteten Chamulas, wo am 1.1.1994 der Aufstand begann. Daraus ergab sich der als Anführer bekannte uns stets verhüllte «Subcomandante Marcos». Das Juwel und der Kristallisationspunkt der chamulenischen Glaubenswelt, wo Gott und die Götter verschmelzen, Christus vom Kreuz gestiegen ist, um als Sonne wiederaufzuerstehen, ist einer barocke Dorfkirche aus dem 17. Jahrhundert. Dort fuhren wir an Panzern und Strassensperren vorbei, am Himmel kreisten Militärhubschrauber und überall waren Soldaten und Truppenbewegungen zu sehen. In Ocosingo flogen uns in dieser Zeit, als ich mit einer Ernährungsberaterin für Säuglinge der UNO-Hilfsorganisation (DIF) vor Ort war, die Kugeln nur so um die Ohren und wir hatten Glück, dass uns davon keine traf und nur Einschusslöcher in den Häuserwänden zurück blieben.

Der Chiapas-Aufstand wurde vom «Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional» (EZLN), einer sogenannt linksradikalen Bewegung ausgelöst, die sich gegen neue staatliche Auflagen im Bundesstaat Chiapas auflehnte und einer Neuauflage der mexikanischen Revolution sehr ähnelte. Die Maya-Indios litten unter dem Freihandelsabkommen der Globalisierung und der rassistischen Politik in der mexikanischen Verwaltung und dagegen wollten sie sich wehren, weil sie unterdrückt und von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen wurden. Der Konflikt begann, als im Januar 1994 eine «EZLN»-Offensive vier Städte rund um San Cristobal de las Casas besetzte, worauf das mexikanische Militär die Situation vor Ort mit Gewalt und Unterdrückung beenden sollte und dabei auch Foltermethoden einsetzte. 2001 machten die Zapatisten unter der Führung von MARCOS einen Marsch von Chiapas nach Mexico-Stadt und am 1. Januar 2003 nahmen sie San Cristobal de las Casas ein. Erst danach setzten sich mehr und mehr NGOs für Friedensverhandlungen ein und übten Druck auf die Regierung aus. Letztlich hat sich das Schicksal der Indio-Gemeinschaften aber nicht viel zum Besseren gewendet. 

Nachdem ich diesem brandgefährlichen Ort entflohen war, erlebte ich in Chiapas noch ein schweres Erdbeben und in Yucatan einen turbulenten Hurrikan. Also Mexico hat wirklich nicht mit Eindrücken gespart, das war schon immer ein höllisch heisses Land, mal ganz abgesehen von all den Drogenkartellen, die sich damals gerade bestialisch bekämpften. Eindrücklich war die Flussfahrt durch den Sumidero-Canyon, an dessen glitschigen bis zu 1000 Meter hohen Felswänden sich geübte Kletter über den Köpfen gefrässiger Krokodile emporziehen konnten und auch schon dutzende Geier auf allfällige Opfer warten. Die nebelverhangenen Täler und zauberhaften See- und Flusslandschaften Lago Monte Bellos an der guatemaltekischen Grenze und die wildsprudelnden Kaskaden von Agua Azul zählten ebenso zu den Highlights dieser Reise. Ich vermied nach Möglichkeit, die touristischen Hochburgen, wie Acapulco, Cancun im Bundestaat Yucatan, Ixtapa in Guadalajira und Loreto sowie Los Cabos in Bahia de California und zog kleine verträumte Orte wie Puerto Angel nördlich von Huatulco vor. Dafür besuchte ich auch so viele mesoamerikanische Tempelanlagen wie möglich – von Teotihuatlan über Monte Alban, Palenque, Chinchen Itza und Uxmal und war tief beeindruckt von der ausgeklügelten architektonischen Meisterleistung der hiesigen indigenen Hochkulturen mit ihrem apokalyptischen Drogengenuss. Denn eines ist mittlerweilen wissenschaftlich ebenfalls belegt und ans Tageslicht gekommen: Die Hoheprister verdankten ihre Machtfülle und Weisheit auch und vorallem ihrer intensiven Drogenerfahrungen mit psychoaktiven Stoffen aus Pflanzen und Kakteen wie «San Pedro», «Nanacatl», «Ollolqui» etc. und beeindruckten mit ihrer Spiritualität und den Grenzerfahrungen auch ihre umliegenden Stämme und Kulturen.

Meine Faszination für die indigenen Völker nahm mit der ersten Begegnung mit den Mixteken im Hochland von Oaxaca und mit den aufständischen Chamulas in Chiapas sowie mit der späteren Bekanntschaft derKhoi Sanund Volksstämme im Südlichen Afrika stetig zu. Ich fühlte mich mit ihnen sehr verbunden und erlebte sehr eindrückliche, um nicht zu sagen äusserst übersinnliche Augenblicke und verborgene spirituelle Fähigkeiten was Instinkte und Spürsinn anbelangte und mentale Fähigkeiten wie Telepatie an den Tag brachte. Wenn es (für mich) ein Leben vor dem heutigen gab, dann war ich mit Sicherheit ein Indianer, Schamane oder ein Bushmann. Beeindruckt hat mich vorallem der zweithöchste südafrikanische Sangoma Heiler Credo Vusama Mutwa, der mir ebenfalls Heiler-Qualitäten und ausseroderntliche Fähigkeiten attestierte und bei dem ich eine Ausbildung hätte machen können. «Adlerauge» wurde ich bei Tzotziles genannt und bei einem Schamanentreffen im französischen La Valle Dieu, bei dem der Sonnentanz aufgeführt wurde und sich aus ganz Europa Hunderte von Schamanen traffen, hatte mir der Ober-Guru den Namen «Schlauer Fuchs» zugeteilt. Bei den Aborigines war ich selbst verblüfft über meine Bogenschützen-Volltreffer bei den ersten Versuchen. Es gab also Dinge, die ich noch nie gemacht hatte und dabei Fähigkeiten zu stande brachte, die irgendwo in uralten Genen stecken müssen. Später kamen dann noch die Begegnungen mit zahlreichen Indio-Stämmen im Amazonas, im Hochland von Peru und später die ursprünglichen asiatischen Kulturen in Malaysia, auf Borneo, in Indonesien und auf Bali, als auch auf den Philippinen, in Vietnam oder Laos hinzu.

Doch zurück nach Mexico und einem Hoffnungsschimmer am blutgetränkten Horizont, des lateinamerikanischen Landes mit 35000 Morden pro Jahr In kaum einem anderen Land stecken Politik, Behörden, Polizisten unter einer Decke und ganz tief im Drogensumpf. Nicht weniger als sechs grosse Drogenkartelle bekämpfen sich aufs brutalste und terrorisieren die Bevölkerung. Zumeist sind die Dorfgemeinschaften der Narco und Avocado-Mafia hilflos ausgeliefert. Nicht so in Chéran, einem Ort in Michaoacan rund 360 Kilometer westlich von Mexico City. In der Stadt der Unbeugsamen und der Furcht haben die gut 20000 Einwohner im April 2011 die brutale Herrschaft der Kartelle beendet. Mit Macheten, Holzkeulen und ein paar Pistolen gingen sie auf die MAfiosis zu und vertrieben sie und jagten zugleich auch alle Politiker, Lokal- und Wahlbehörden vom Bürgermeister bis zur Polizei alle aus der Stadt. Dann folgte eine neun monatige Belagerung durch die Drogenbarone< und es kam zu 15 Toten. Doch die BewohnerInnen von Chéran hielten durch und rüsteten auf. 2012 riefen sie die Automie aus unter Berufung auf die mexikanische Verfassung und bildeten eine neue Struktur mit einem Ältestenrat, einer Kommunalmiliz, regelmässigen Volksversammlungen und sind so wieder beim (vorstaatlichen) System der Vorfahren angelangt. Mit zwei Ausnahmen. Die ganze Region wird von den mitllerweile schwer bewaffneten Einheimischen rigoros bewacht, um der immer noch akuten Bedrohung durch die Kartelle notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Ein Beispiel, dass zeigt, dass Widerstand durchaus angebracht ist und sich auch positiv auswirken kann. Die dazu zwingende Voraussetzung ist, dass man eine geschlossene Gesellschaft bildet, die über einen sehr starken Zusammenhalt verfügt.

In Mexico gibt es nun ein Projekt namens «Rutopia», dass es Touristen über eine App ermöglicht, mit den Indigenen für eine Weile zusammenzuleben beziehungsweise in ihren Dörfern und Dorf-Gemeinschaften Ferien zu machen. Das ermöglicht der lokalen, indigenen Bevölkerung auch ein wenig vom Tourismus zu profitieren und den Gästen ihre Lebensweise und Kultur zu zeigen, aber auch ihre Sorgen und Angste mit ihnen zu teilen. Die Gäste wiederum erleben einen einmaligen Zugang zu magischen Momenten abseits des Massentourismus. Ich persönlich habe kaum je ein Hotel gebucht und wenn, dann zumeist für die erste Nacht nach meiner Ankunft. Dann habe ich mich treiben lassen und mir jeweils vor Ort was Passendes ausgesucht und oft die Einheimischen gefragt, was sie denn empfehlen. So haben sich bei der Frage nach einer Unterkunft oft gute Gespräche und wertvolle Tipps ergeben und oft wurde das Unterkunftsproblem von selbst gelöst, weil ich von einigen Leuten als Gast gleich eingeladen wurde. Ich bin gerne gegen den Strom geschwommen und habe lieber Orte weitab des Massentourismus gesucht und kleine Herbergen oder Unterkünfte bei Privatpersonen bevorzugt.

So meine lieben Leserinnen und Leser, nun geht es weiter nach Kuba, ins sozialistische Zucker- und Tabakparadies dass ich insgesamt ab 1993 sieben Mal besucht habe. Wir beginnen mit den sehr elenden Zeiten.

Kuba 93: Bei den Sozialisten, die sich von Hoffnung ernähren

1993, als meine Tochter gerade mal drei Monate alt war, flog ich mit ihr und ihrer Mutter mit Not-Windeln für einen Monat ausstaffiert ins sozialistische Kuba. Es ging um ein Schweizer Filmprojekt über Fidel Castro und Geraldine Chaplin war die Türöffnerin zu den sozialistischen Machthabern. Es herrschte gerade die «Periodo especial en tiempo de paz» (die Zeit des Notstandes in Friedenszeiten), als Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Mauerfall in eine extreme wirtschaftliche Krise stürzte und sich einem sanften Systemwechsel unterziehen musste. Durch die «Dollarliberalisierung» im sozialistischen Karibikparadies, um von der Zuckerwirtschaft auf den Tourismus umzuschwenken, vollzog sich eine Revolution vom «sozialistischen Herz zum kapitalistischen Verstand». Die klassenlose Gesellschaft war nunmehr in zwei Lager aufgespalten: Die mit den grünen US-Scheinen («fulanos») und die mit den wertlosen Pesos, die «esperancejos», den Hoffenden eben. So hat die Jagd nach dem «fula» (schlechten Geld) kafkaeske Formen angenommen.

Der Wandel war geprägt vom unbeirrten Willen, die sozialistischen Errungenschaften um keinen Preis aufzugeben. Und doch vollzog sich seit der Dollarliberalisierung ein dramatischer, unaufhaltsamer Wertewandel. La Habana – die lateinamerikanische Prachtstadt des 19. Jahrhunderts bot ein Bild monumentaler Trostlosigkeit. Ganze Viertel sind einsturzgefährdet, der Malecon ein kilometerlanges, heruntergekommenes Kolonialstil-Ensemble, der Verfall der Altstadt war weit fortgeschritten trotz finanzieller Hilfe der Unesco, die Teile des städtebaulichen Ensembles bewahren, renovieren oder wieder aufbauen wollte. Die Zwei Millionen Metropole war ein augenfälliges Symbol dafür, dass das Land nach dem Mauerfall und Abzug der Sowjets in Trümmern liegt. Die maroden Ruinen der fünfstöckigen Kolonialstilgebäude wurden unter lebensgefährlichen Bedingungen von Hand, Säule für Säule abgetragen bzw. zugespitzt, bis die Gebäudeteile zusammenkrachten.

Gleich hinter den altehrwürdigen Zeugen frühkolonialer Zuckeraristokratie, zwischen den prunkvollen Neobarock Theater Garcia Lorca und dem ältesten Hotel Havannas, dem Inglaterra, lag die volksnahere Alltagsbühne: der Schwarzmarkt. Seit die Wirtschaftshilfe und die subventioinierten Treibstofflieferungen der Sowjetunion ausblieben, ist der mercado negro, wo 85 Prozent aller Waren umgesetzt werden, zur Hauptschlagader Kubas geworden. Fast alles musste teuer importiert werden, selbst das Grundnahrungsmittel Reis. Die Exporteinnahmen fielen von über acht Milliarden 1989 binnen drei Jahre auf knapp zwei Milliarden US Dollar. Rohöl war nur noch halb so viel verfügbar, das Transportsystem zusammengebrochen, die Elektrizitätsversorgung funktionierte nur stundenweise, denn die Versorgungslage war prekär, der Peso war wertlos und das Zeitalter die Dollar-Apartheid angebrochen.

„Unser Geld ist wertlos und die Preise haben sich innert kürze verzehnfacht“, beklagt Ernesto Solano, ein Rentner, der mit 80 Pesos im Monat auskommen musste. Trotz der miserablen Lage hat er seinen Humor nicht verloren und fasst die missliche Lage, der nun schon zwei Jahre andauernden «Periodo especial en tiempo de paz» in Anspielung auf die Durchhalteparolen „luchan y resistan“ (kämpfen und durchhalten) und „Es lebe die Revolution – durchhalten compãgneros mit einem Witz zusammen: Ein Kubaner kommt hungrig nach Hause und ruft seiner Frau zu, sie solle den mitgebrachten Fisch braten. „Wir haben kein Öl“, lautet ihre Antwort „und weder Gas zum Kochen noch Wasser oder eine Zitrone.“ So bleibt dem Mann nur eins, den Fisch resigniert wieder ins Meer zu schmeissen, worauf dieser glücklich schreit: „Es lebe die Revolution.“

Die staatliche Tourismusorganisation «Cubanacan» raffte auf dem Schwarzmarkt alle Waren zusammen, um sie den mit Dollar zahlenden Touristen anzubieten. Auch die frischen Fische landen nicht auf dem Teller der hungernden Bevölkerung sonder in den Touristenhotel in Havanna. Zu dieser Zeit waren vierstöckige Warenhäuser – bis auf ein paar Glasperlen und Plastikringe, ein paar Büchsen, Kartoffeln und ein paar landwirtschaftlichen Erzeugnissen – leer. Auf den Bauernmärkten standen die Leute stundenlang für ein paar Eier an. Strom gab es nur selten, ganze Stadtteile waren stockfinster. „So einen schockierenden „standstill“ hatte ich bisher noch nie gesehen“ 2020 wiederholt sich das Drama leider nachdem Zusammenbruch Venezuelas wieder. Gerade deswegen lief wohl die Propagandamaschine des sozialistischen Castro Regimes auf Hochtouren, um uns Journalisten von den Vorzügen des sozialistischen Tourismus-Paradieses zu überzeugen. Überzeugend waren nur die «Mojitos» und die jungen, sehr hübschen kubanischen Frauen, die sich als sogenannte «jineteras», die „Reiterinnen der Nacht“ entpuppten, die sich am Pier von Varadero auf das Touristenschiff drängten und dort ihr Glück im Unglück, ein wenig Spass und Ablenkung und einen grosszügigen Mann suchten.

„In Kuba herrscht jetzt ein Sozialismus in dem der Kapitalismus schaltet und waltet wie er will“, sagt ein Gran Ma-Zeitungsverkäufer zu mir. „Hier gibt es kein Zuckerschlecken mehr ohne Dollars“. Der Tourismus ist zwar der neue Goldesel aber für verdiente Sozialisten ein notwendiges Übel, der aber den Neid im Volk schüren werde, sagte damals die bekannte Nueva Trova Mitbegründerin Sara Gonzales. Für viele Kubaner ist der Tourismus eine bittere Pille, aber die einzige, die das Überleben halbwegs sichert, solange das Embargo der USA gegen Kuba nicht aufgehoben wird. Als «embedded» Journalist hatte ich Zugang zu aussergewöhnlichen Personen, wie der Gründerin der Frauenorganisation in den 60er Jahren. Dann die berühmte Onkologin Miranda Martinez, die mir das revolutionäre Gesundheitssystem zeigte und auch deren Schwächen offenbarte und eine Revolutionärin der ersten Stunde, die mit Fidel Castro Seite an Seite gekämpft hat. Dann besuchte ich Ana-Fidelia Quirot (das Olympia-Langstreckenwunder), die bei einer Explosion in ihrer Küche als Schwangere schwerste Verbrennungen erlitt und dabei ihr Kind von Sotomayor (dem berühmten kubanischen Hochspringer) verlor. Sie gab mir ein Exklusivinterview, auf das TV-Stationen schon lange vergeblich warteten.

Ins politische Machtzentrum drangen wir dank Geraldine Chaplin vor, die für eben diesen Film über die «Cuban Stars» mit Schweizern und kubanischen Filmemachern, gerade in Havanna weilte. Beim Interview im Hotel «El International», in dem wir wohnten, sass meine drei Monate alte Tochter Aiala auf Geraldines Schoss, während ich das Interview mit ihr führte. Auch sonst war es völlig unkompliziert mit einem Baby in Kuba rumzureisen, denn alle kubanischen Frauen stürzten sich sofort auf Aiala und unterhielten sie bestens und fürsorglich. Für «Annabelle», eine der führenden Frauenzeitschriften der Schweiz, waren Frauenportraits aus allen kubanischen Schichten geplant. Am Schluss hat die Sport-Journalistin Marta G., die uns das ganze Programm zusammenstellte und die die Kontakte zu den Frauen arrangierte, um ein Referat vor versammelter kubanischer Presse, Radio und Fernsehen gebeten, in dem wir über die Schweizer Medienlandschaft und den Journalismus in der Schweiz berichten sollten. Ein kluger Schachzug von ihr und eine heikle Aufgabe für uns. Schliesslich wollten wir die Pressefreiheit, die Vielfallt der Presse und die politischen Prozesse der kubanisch sozialistischen gegenüberstellen, ohne überheblich oder zu systemkritisch zu sein.

Es blieb nicht viel Zeit das vorzubereiten, und wir überlegten uns gut, was wir sagen sollten, um nicht allzu fest politisch anzuecken. Es war ein Balanceakt der Informationsvermittlung mit leisen kritischen Tönen an der staatlichen Zensur. Ich übergab das Referat an Roberta, da sie besser spanisch sprach und weil wir ja im Kontext einer Recherche über Frauen-Figuren und Geschichten nach Kuba gekommen waren. Danach wurden wir von Radio-Journalistinnen und Journalisten interviewt und just am nächsten Morgen früh, als wir um 07.00 Uhr in einer mechanischen Frauenwerkstatt (immer mit Aiala im Snuggli dabei) standen, strahlte gerade ein Interview über den staatlichen Sender von unserem gestrigen Referat und Auftritt. Das war ein perfektes Timing und verschaffte uns wiederum viel Sympathie und Hochachtung in der Frauenwerkstatt, in der wir gerade waren. Es waren spannende 30 Tage auf der Zuckerinsel, aber auch ein beelendender Anblick angesichts des heruntergekommenen Zustandes der Tropeninsel und dem offensichtlichen Hunger und bitterer Armut. Tourismus gab es damals noch sehr wenig. Das änderte sich bald, als die Kubaner die Devisenvorschriften lockerten und so den Tourismus ankurbelten, der dann jahrelang zur Haupteinnahmequelle wurde.

Durch Marta G. kam ich auch an Ana Fidelio Quirot ran, die Mittelstrecken-Strinterin und Olympia-Siegerin bei der WM in Barcelona und in 39 Rennen ungeschlagen, bis zu dem Tag, als sie schwanger in ihrer Küche stehend von einer Kerosin-Explosion schwer verletzt wurde und ihr Kind von Javier Sotomayor per Kaiserschnitt entbunden wurde, das aber nur kurz den tragischen Unfall überlebte. Die Folgen waren unübersehbar. Verbrennungen dritten Grades im einst bildhübschen Gesicht des Dior-Modells, als auch an den Armen und am ganzen Oberkörper Narben. Und der Anfang eines unglaublichen Leidensweges mit unzähligen Hauttransplantationen und plastischen Eingriffen. Dank Marta kamen wir auch an viele weitere spannende Persönlichkeiten ran, wie eine berühmte Onkologin und eine Revolutionärin, die Seite an Seite mit Fidel Castro gekämpft hat sowie an die Gründerin des kubanischen Frauenverbandes. Alle diese Kontakte waren u.a. für eine Exklusiv-Reportage in der Frauenzeitschrift «Annabelle» geplant. Da die Redakteurin dann aber über jede dieser spannenden ja geschichtsträchtigen Personen nur so zehn bis 15 Zeilen Text wollte, lehnte ich das als zu oberflächlich ab und verkaufte die Geschichten dann an die «Welt am Sonntag» und ein Dutzend anderer Wochen- und Tageszeitungen und das Exklusiv-Interview mit Ana Fidelio Quiro an die Sportmagazine.

Durch die Kooperation mit einigen führenden Bildagenturen in Europa und den aufkommenden Tourismus im sozialistischen Inselstaat charterte ich beim zweiten Besuch einen Militärhelikopter, um Luftaufnahmen von Varadero zu machen und das war eine beindruckende Sache ungesichert an der offenen Helitüre des russischen Militärhelikopters zu knien und zu fotografieren. Auch in der Dominkanischen Republik und in der Südsee hatte ich das Glück und die Möglichkeit mit Helikoptern rumzufliegen. Das hat mich immer sehr begeistert. Da schlug mein Aviatikherz im Hochfrequenztakt.

Dann kam es zur Begegnung mit Schweizer Namensvettern, einer Winterthurer Familie, die mit ihren beiden schulpflichtigen Kindern nach Kuba gezogen waren und hier ihr Glück versuchten. Die Ironie der Geschichte ist, dass beide zuvor in einer Bank gearbeitet hatten, also sozusagen kapitalistisch aufgewachsen waren und nun im sozialistischen Reich ihr Glück versuchten, nach dem Motto: „dass Geld und Wohlstand nicht Gleichbedeutend mit Glück und Lebensfreude sei“, wie die in Luzern aufgewachsene Margrit Goydke Müller erzählt. Vermutlich haben die Müllers dem Regime damals geholfen, das getrennte aber sich überlappende Währungssystem (Pesos/Dollar) aufzubauen.

Bei einer weiteren Kubareise kam ausgerechnet auch der polnische Papst Pontifatius Karol Józef Wojtyła nach Kuba zu Besuch und fuhr mit seinem Papa-Mobil durch Havannas Strassen und dem von einem Menschenmeer gesäumten Platz der Revolution keine zwei Meter an mir vorbei. Ich hatte ihn ja schon damals 1986 bei seiner Rückkehr nach Polen von einem privilegierten Ort aus in Warschau gesehen. Sodann reiste ich auch nach Santiago de Cuba weiter und hörte mir dort seine Ansprache in Anwesenheit von Fidel Castro an. Und da die Welt so klein und voller Überaschungen ist, sah ich am nächsten Tag die ein paar Jahre später weltberühmte Buena Vista Social Band unter einem Baum spielend.

Die sozialistische Karibik-Insel zog mich in der Folge immer wieder an und dank der Kooperation mit der Fluggesellschaft «AOM» flog ich zwischen 1993 und dem Millennium alle zwei, drei Jahre zur Zuckerinsel rüber und wohnte später bei einer kubanischen Familie, einem älteren Paar, das in einem der damals höchsten Skyscraper direkt am Malecon neben dem legendären Hotel «El International» lebte. Dort hatte ich ein Zimmer mit eigenem Zugang sowie einer Verbindungstür zu ihrer Wohnung. Das war perfekt für den sozialen Austausch mit dem Ehepaar Claris und Nilo und meinen nächtlichen Eskapaden.

Ich kaufte mir für 20 US-Dollar ein chinesisches Fahrrad und fuhr kreuz und quer durch Alt-Havanna hindurch. Zu dieser Zeit war Kuba noch kein überlaufenes Touristenparadies, was sich in der Folge durch die Öffnung für den Tourismus und den ersten touristischen Enklaven ändern sollte. Bei meinem letzten Besuch in Kuba 2013 sah ich den Beginn eines zarten Hoffnungsschimmers für die geplagten Kubaner aufflammen, die nun unter restriktiven Auflagen einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen konnten und besuchte die ersten kleinen privaten Pousadas (Gästezimmer für Touristen). Es schien, als käme der „Sozio-Kapitalismus“ auf der Zuckerinsel langsam auf Touren. Durch den Tourismusaufschwung ging es Kuba eine Weile besser, allerdings hat die Elite die Hausaufgaben nicht gemacht, sondern sich in die Abhängigkeit von Venezuela begeben, was die Energieversorgung anbelangte und als der Ölpreis stark sank, stürzte Kuba mit Venezuela ins Chaos.

Durch die Abhängigkeit Kubas von Venezuela und dessen Niedergang, das dazu führte, dass Kubas Wirtschaft im Jahr 2021 das Wasser wieder bis zum Hals steht, da durch die Corona-Pandemie der Tourismus zusammengebrochen ist und somit auch die wichtigste Devisenquelle neben der sprudelnden Ölquelle des Bruderstaates versiegt ist. Flughäfen und Schiffsterminals sind komplett verwaist. Die Besitzer von privaten Restaurants oder Unterkünften gehen leer aus. Jetzt haben die „Verräter des Sozialismus“ keine Unterstützung vom Staat und das ist für viele Kubaner bitterer Zucker oder Tabak. Seit das billige Erdöl aus dem sozialistischen Venezuela versiegt ist, gehen in Kuba wieder die Lichter aus, wie Anfang der 90er Jahre in der „Sonderperiode“. Hinzu kommt, dass Donald Trump den Kubanern den Geldhahn der in den USA lebenden kubanischen Enklave zugedreht hat und die finanzielle Hilfe aus den USA auf die Hälfte rund drei Mrd. Dollar schrumpfte. Zu allem Elend haben hat auch der «Pariser Club» seine Hilfe eingestellt. Kuba ist wieder dort angelangt, wo es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war. Das sozialistische Regime sollte nun endlich tiefgreifende Reformen angehen, sonst droht dem Regime und der Karibikinsel der völlige Kollaps. Die kürzlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten aufflammenden gewalttätigen Proteste zeigt die Misère in dem der kommunistische Inselstaat steckt.

Die Covid-Pandemie hat die Krise extrem verschärft, weil Kuba vom Tourismus lebt und dieser Wirtschaftszweig einer der wenigen Devisenbringer darstellt. Dabei hätte Kuba ein enormes Potential, das noch längst nicht ausgeschöpft ist und sich auch nicht auf die Havanna und die Badeferienorte beschränkt. 2013 machte ich eine Wanderreise durch den Alter do Chao Nationalpark und durch die Tabakregion in Vinales. Besonders reizvoll und beeindruckend fand ich Trinidad und Santiago de Cuba.

Lebenslust und Protest zu Calypsoklängen inTrinidad und Zürich

Bleiben wir noch ein wenig in der Karibik. Ende der 80er Jahre reiste ich sieben Wochen lang von Barbados via St. Lucia, St. Vincent, Grenada und die Grenadines bis nach Trinidad und Tobago vor der Küste Venezuelas runter, also durch die gesammten Westward Islands. Der Höhepunkt war der Karneval in Port of Spain. Was 1777 mit den französischen Einwanderern in Trinidad seinen Anfang nahm und einer kolonialherrschaftlichen Minderheit vorbehalten war, entwickelte sich nach der Sklavenbefreiung zu einer musikalischen Protestbewegung. So ist der Karneval auf Trinidad und Tobago für viele das zum Lebensinhalt gewordene Ereignis. Zelebriert wird er in ekstatischer Lebensfreude, beflügelt von heissen Calypso-Klängen.

Während mehreren Monaten beschäftigt sich eine ganze Familie an den Vorbereitungen für die Kostümkreationen und die Parade. Nebst Glamour spielt Prestige eine grosse Rolle, Ruhm und Ansehen der Familie steigen beträchtlich, wenn sich eine Königin oder ein König des Karnevals in die Familienchronik einreihen lässt. Dabei sein ist alles, siegen ist noch schöner. Lange vor den Paraden werden in Ausscheidungsverfahren die Favoriten unter den Steelbands bestimmt. Nicht nur die spielerische Virtuosität zählt, auch die provozierende Originalität der Texte wird bewertet und ausgezeichnet, denn der Calypso kennt keine Tabus. Alles ist erlaubt, was gefällt und ankommt.

Auch nach der Sklavenzeit blieb der Calypso das satirische und auch zynische Sprachrohr der Unterdrückten. Die Texte der Sängersklaven waren mit sozialkritischen Untertönen und aufständischen, politischen Parolen gespickt. Dann endlich kommen die drei magischen Tage der Steeldrum-Paraden durch die Innenstadt von Port of Spain, deren Sound mit eruptiver Kraft die Bewegungen der Treibenden Tänzer und Tänzerinnen auf einen swingenden Rhythmus einstimmt und den Queens Park Savannah in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln. Dabei umschmiegten sich die Tänzer/innen hautnah und rieben sich aufreizend und leicht bekleidet aneinander. Die Girls damals hatten Spass auch mal zu zweit von vorne und von hinten anzudocken, dich ins Sandwich zu nehmen und sich mit erhitzten Körpern an dir zu reiben. Ich habe selten so anzügliche und erotische TänzerInnen gesehen.

So lernt man blitzschnell tanzen und sich rhythmisch zu den heissen Calypso-Klängen zu bewegen. Und dies geschah, so unglaublich es tönt, in einem ebenso katholischen wie muslimischen und chinesischen Umfeld, denn Trinidad ist ein Schmelztiegel aus all diesen und vielen karibischen und lateinamerikanischen Nationen, die auf einer Insel nicht grösser als der Kanton Bern friedlich zusammenleben. 1833 gelangten auch zehntausende von indischen Kontraktarbeitern auf der südlichsten, kleinen Karibik-Insel vor der Küste Venezuelas und seit 1962 ist die Insel, zu der auch die Nachbarinsel Tobago gehört, unabhängig. Trinidad verdankt ihren Namen Kolumbus, der sich beim Anblick der drei Bergspitzen an die heilige Dreifaltigkeit, die Trinität, erinnerte. Als Kolumbus 1498 auf seiner dritten Reise ankam, lebten dort zwei Indianerstämme, die binnen weniger Jahren nach Ankunft der Spanier ausgerottet wurden. Doch zurück zum Karneval und zum Calypso, dem Trinidads Folklore so viel verdankt.

So werden lange vor der Eröffnung des Karnevals in unerbittlichen Ausscheidungsverfahren die besten Steelbands gekürt, die an der Parade teilnehmen dürfen. Es zählt aber nicht ausschliesslich die rein musikalische Virtuosität auf den aus Benzinfässern zusammengeschweissten Klanginstrumenten – viel wichtiger sind die frechen, provozierenden Texte, denn der Calypso kennt weder beim Singen oder Spielen noch beim Tanzen Tabus. Alles was ankommt und der strengen Jury gefällt, ist erlaubt. Die Texte waren schon immer mit sozialkritischen und aufmüpfigen politischen Tönen gespickt, diese Tradition setzt sich bis heute mit viel Witz und Charme fort. Das Motto der Band bestimmt meistens auch die Wahl der Kostüme. Auch hier sind enorm viel Fantasie und Kreativität im Spiel, denn eine noch so hervorragende Band hat ohne originelle Kostüme ohnehin keine Chance, in der Endrunde zu bestehen. Die anmutigen Glitzergewänder übersteigen die Körpergrösse um ein Mehrfaches. Dieser wagemutige Gigantismus kann nur mit ausgefeilter Technik und ausgetüftelten Fahrwerken vollbracht werden. Während mehreren Monaten sind ganze Familienclans damit beschäftigt, die Kostümkreationen und Fabelwesen herzustellen.

Bereits ist es Mitternacht vor Beginn des Karnevals, der wie auch bei uns um vier Uhr in der Früh mit der Eröffnungsparade beginnt. Die Zeit tropft dahin und Minuten werden zu Stunden. Der Alkohol fliesst bereits in Strömen und das wird die nächsten Tage auch nicht abreissen. Endlich ist es soweit, alles strömt nach draussen, die engen von tropischem Buschwerk gesäumten Strassen werden überflutet von einem pulsierenden Menschenstrom, der sich auf das Stadtzentrum und Epizentrum des Karnevals bewegt. Ausser glitzernden Augen und grell bemalten Gesichtern ist in der Dunkelheit kurz vor Sonnenaufgang nicht viel auszumachen. Jäh brüllen Dieselmotoren auf: Die ersten Sattelschlepper setzen sich in Bewegung und reihen sich in den vorwärtskriechenden Menschenstrom ein. Darauf sind 20 bis 30 Steeldrums und andere Instrumente vereinigt und grosse Lautsprechertürme aufgebaut, deren Sound mit eruptiver Kraft und orkanartigen Bassschwingungen die Bewegungen der im Strom Treibenden einfängt und auf einen swingenden Rhythmus einstimmt.

Aus allen Himmelsrichtungen kommen die Steelbands im  Queens Park Savannah zusammen und und verwandeln ihn in einen brodelnden Hexenkessel. In der Morgendämmerung zeichnen sich die Silhouetten der Paraderampe und Tribünen ab. Rundherum sind Stände aufgebaut, lockt schillernder Budenzauber und überall dröhnen die Lautsprecher bis zum Anschlag aufgedreht. Eine unbeschreibliche Kakophonie, die einem das Hören und Sehen vergehn lässt. Am Nachmittag paradieren die Bands und ihr kostümierter Tross dahinter durch die Strassen Trinidads und zu den Tribünen in der Queens Park Savannah, wo auch die Jury sitzt und die Trosse in einer Gasse zwischen den Tribünen hindurch ziehen.

Jetzt sieht man die gigantischen, filigranen, prächtig glitzernden und fächerartig schwingenden Kunstwerke, die mit Abertausenden von glitzernden Pailletten bestückt sind besonders gut. Die riesigen Fächer- und schwingenartigen Paradiesvögel flattern rhythmisch tanzend durch Trinidas Strassen. Eine Stadt ausser Rand und Band! Doch bei aller Anarchie und der scheinbaren Auflösung aller Gesetzesmässigkeiten, mutet das zeitlich präzise Ende des Karnevals unglaublich an: Wie von einem Donnerschlag weggefegt, löst sich der Spuk punkt Mitternacht nach zwei intensiven Tagen und Nächten auf.

Auf einem zweiten Segeltörn von Grenada nach Trinidad, den ich für einige Freunde organisierte, riss der Karneval in Trinidad uns derart mit, dass wir ihn nach Zürich holen wollten. Und das gelang uns, dank dem Trinidader Perkussionisten an Bord des Schoners. Ralph R. und seiner Frau Angi, die beide leidenschaftlich Steeldrum spielten und Ralph, der überdies einige Steeldrum-Bands und Kinderbands in Zürich unterrichtete, waren die idealen Kandidaten, um den berühmtesten Calypso-Musiker Mighty Sparrow ins Boot holen. Durch Ralphs Kontakte konnten wir Mighty Sparrow, den achtfachen «King of Calypso» zu einem Exklusiv-Galakonzert ins «Hotel International» in Oerlikon einladen. Dazu arrangierten wir ein Open-Air auf dem Marktplatz in Oerlikon mit acht Stelldrum-Bands am Vortag, an einem Samstag.

Dank der Kooperation mit der «British West India Airlines» (BWIA), die damals neu nach Zürich flog, konnten wir während sechs Wochen vor dem «Calypso & Steeldrum Festival» karibische Spitzenköche nach Zürich einfliegen, mit allen frischen Zutaten und reichlich tropischer Dekoration eindeckte, um im «Hotel International» in Oerlikon karibisches Flair, tropische Cocktails und leckere exotische Spezialitäten und Speisen anzubieten. Durch das «Calypso & Steeldrum Festival» durfte ich mit Roger Schawinskis «Radio 24» kooperieren und war bei ihm zu einem Interview und bei einer Sondersendung zu Gast. Auch bei «Radio DRS 3», das eine einstündige Sendung über den Calypso aus Trinidad und zu Mighty Sparrow machte, kurbelte ich die Promotionsschiene kräftig an.

Zudem war auch Frederic Dru von «Radio Tropic» daran interessiert, diesen Event so richtig zu zelebrieren. Das Schweizer Fernsehen liess sich für ihre erste Reisesendung von dem Mighty Sparrow-Konzert und der Karibik inspirieren, da «SRF»-Reise-Redaktor Kurt Schaad und der Musik-Redaktor des Schweizer Fernsehens an unserem Galakonzert ausgeflippt waren. Zwar mussten wir aus feuerpolizeilichen Vorschriften bestuhlen, doch bald standen die Leute auf, klatschten, sangen und tanzten und so räumten wir rasch die Stühle weg. Es herrschte eine Bombenstimmung und war bestimmt das verrückteste Konzert, das je an diesem Ort stattgefunden hat.

Ebenso erfreulich war, dass ich dadurch bei «Radio Tropic» auf freiwilliger, unentgeltlicher Basis zu arbeiten begann und dann bald eine eigene Reisesendung mit den Airlines, Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsämtern produzierte und dabei völlig freie Hand hatte. Was für eine geniale Erfahrung! So konnte ich auf dem werbefreien Radiosender zweistündige Spezialsendungen über Australien, Afrika und die Karibik machen und hatte zwei Jahre später die Gelegenheit beim «Radio Kanal K» ebenfalls Sendungen zu produzieren.

Der ebenfalls als Musik- und Kulturradio bekannte Sender im Kanton Aargau liess mir ebenfalls viel Spielraum und so lud ich zur Verblüffung aller die vier kantonalen Parteipräsidenten zur heiss debattierten «Asyl-Initiative» der SVP ins Studio ein und moderierte die Debatte virtuos. Mit dabei waren Gerry Müller, der später Stadtpräsident von Baden wurde. Der nächste Protagonist war Andreas Glarner von der SVP aus der Aargauer Gemeinde Arni, der durch seine Skandale in Sachen Migrationspolitik (Verhüllungsverbot und Minarett-Initiative) zu medialer Präsenz gelangte. Zudem kamen auch die beiden kantonalen FDP und CVP-Präsidenten zum Streitgespräch ins Studio. Das war mein erstes hochpolitisches und zugleich hochkarätiges besetztes Interview mit vier Spitzenpolitikern zu einem der heissesten Themen im Inland dazumal. Es war eine sehr engagierte und kontroverse Diskussion, die ich als Moderator gut im Griff hatte.

Durch die Kooperation mit der Britisch West India Airlines (BWIA) beim «Calypso & Steeldrum Festival» 1993 und später mit der französischen Fluggesellschaft «AOM» konnte ich häufig in die Karibik fliegen und bei einer dieser Reisen kam es zu einem Abstecher nach Grenada, dass ich schon zum zweiten Mal besuchte. Dort wiederfuhr uns eine spezielle Einladung zu einem Frühstück auf einem US-Kriegsschiff.

Grenada 92: Auf dem Flugzeugträger «US John Rodgers» zum Pressefrühstück

Im Jahr 1992 reiste ich gleich zwei Mal in die Karibik. Erst nahm ich an einem Segeltörn auf der «Paso Doble» teil, die von Grenada nach Trinidad zum Karneval führte, dann reiste ich via Barbados in Grenada exakt zur Zeit an, als das neun jährige Jubiläum der „Befreiung“ oder auch „Besetzung“ Grenadas (je nach Standpunkt) durch US-Streitkräfte zelebriert wurde. In St. George, der Hauptstadt Grenadas konnten wir an der offiziellen Zeremonie mit dem Ministerpräsidenten von Grenada, Nicolas Brathwaiter und dem US-Botschafter im Beisein von hochrangigen US-Militärs beiwohnen, worauf mich die PR-Dame des US-Botschafters zum Pressefrühstück auf den vor Grenada stationierten Flugzeugträger «US-John Rodgers» einlud. Spannend, wie dies war, wollte ich mir diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen, schliesslich kann man nicht jeden Tag auf einem Kriegsschiff Frühstücken, das ein gewaltiges Vernichtungspotential besitzt. Am nächsten Morgen holte mich ein US-Marine-Boot am Strand ab und fuhr mich zum Kriegsschiff hinüber, das vor der Küste Grenadas ankerte. Erst konnte ich einen kleinen Rundgang machen und dann mit dem Kommandanten und seiner Presse-Adjutantin auf der Kommando-Brücke ein Gespräch über die US-Politik führen. Rückblickend war dieser Besuch keine gute Idee, weil ich mich seit diesem Vorfall auf dem Radar der US-Behörden und Geheimdienste befinde und dies zu einem späteren Zeitpunkt auf den Philippinen zu spüren bekam und mich dort in einige «troubles» brachte, worauf ich letztlich zur «Persona non grata» in den Philippinen erklärt wurde. Gewiss wurden auch meine vielen Kuba-Besuche kritisch verfolgt, die ich in den 90er Jahren auf die karibische Tropeninsel machte.

Blenden wir kurz zurück, weshalb die Amerikaner in Grenada einen Umsturz herbei führten. Auslöser war Maurice Bishop, der als Sohn grenadischer Eltern in Aruba geboren ab dem 6. Lebensjahr in Grenada lebte, Jura in England studierte, wo er die politischen Ideen der 68er-Bewegung, der Black-Power-Bewegung und des trinidadischen Marxisten C. L. R. James aufnahm, bevor er 1969 in die Karibik zurück kehrte. Er fing an, auf Grenada nach sowjetischem Vorbild Arbeiterräte aufzubauen, gründete eine sozialistische Partei, das «New Jewel Movement» (NJM), Jewel steht für Joint Endeavor for Welfare, Education and Liberation – „Vereintes Bemühen um Wohlfahrt, Bildung und Befreiung“) und gründete Gewerkschaften. Er genoss die Zustimmung der Bevölkerung, die mit der korrupten Herrschaft Sir Eric Gairys und seiner Mongoose Gang, einer „Schlägertruppe“, unzufrieden war.

Obschon Gairy die Wahlen offensichtlich zu seinen Gunsten gefälscht hatte, errang Maurice Bishop am 13. März 1979 im Rahmen eines von der Bevölkerung befürworteten beinahe unblutigen Putsches die Macht und wurde Premierminister von Grenada. Die Menschenrechtssituation verbesserte sich unter Bishop. Er setzte auf soziale Reformen, wie die Einführung eines kostenlosen Gesundheitssystems, den Bau neuer Schulen und unterhielt gute Beziehungen zur Sowjetunion und zu Kuba, die Grenada mit Entwicklungshilfe und beim Bau des Flughafens unterstützten. Das passte den USA gar nicht. Am 25. Oktober 1983 begannen die Vereinigten Staaten unter dem Codenamen Operation „Urgent Fury“ eine Invasion, in deren Verlauf die linke Regierung abgesetzt wurde.

Das war wohl eine der wenigen US-Operationen, die erstens glimpflich für die Zivilbevölkerung abliefen und letztlich zu einer Stabilisierung führte. Auch die US-Invasion in Panama ist nicht allzu desaströs verlaufen, aber alle anderen Interventionen, Invasionen und Infiltrierungen seitens der USA vom Vietnam-Krieg über den Afghanistan-Einsatz, die gescheiterte Schweinebucht-Invasion auf Kuba, der aussichtslose und vernichtende Irak-Krieg, der zum IS geführt hat oder auch der Sturz von Langzeit-Despot M. Gaddhafi in Lybien und das klägliche Versagen im Syrien-Krieg, zumeist sind die USA nach dem 2. Weltkrieg, ob als Aggressor oder Weltpolizist, kläglich gescheitert. Ein „failed state“ eben, mit unübersehbaren Konsequenzen für die ganze Welt: Die Radikalisierung in der muslimischen Welt, die den Terror-Organisationen Al Kaida und dem IS Auftrieb gaben oder auch der von den USA ausgerufene „War on Drugs“ war 50 Jahre lang ein Desaster und Heuchelei.

Grenada ist auch als Gewürzinsel bekannt und liegt etwa 200 Kilometer nordöstlich der Küste Venezuelas und südlich von Saint Vincent und den Grenadinen. Die Grenadinen sind ein Teilarchipel der kleinen Antillen, von denen die Insel Grenada selbst die grösste ist; kleinere Inseln sind Carriacou, Petite Martinique, Ronde Island, Caille Island, Diamond Island, Large Island, und Frigate Island. Der nördlich angrenzende Teil der Grenadinen gehört zum Nachbarstaat St. Vincent. Der Grossteil der Bevölkerung lebt auf der Hauptinsel in der Hauptstadt St. George’s sowie in den Städten Grenville und Gouyave. Die grösste Siedlung auf den kleineren Inseln ist Hillsborough auf Carriacou. Und genau dort traf ich an einer absolut abgefahrenen Party einen Segler, den ich 10 Jahre zuvor auf der Insel Lanzarote angetroffen und mit ihm und anderen auf einem Boot in Playa Blanca gelebt habe. Und die Story, die uns verband ist ebenso einzigartig wie unser Wiedersehen hier unter dem sternefunkelnden karibischen Himmel auf einer kleinen Sandinsel und einem sehr speziellen Club mit Zutritt nur über einen schmalen Steg mit Haifischbecken auf beiden Seiten, was zu einem gefährlichen Rückweg bei 2-4 Promillien werden kann.

Lassen sie mich an dieser Stelle kurz das Lanzarote-Abenteuer mit einem Einsatz der Guardi Civil Anti-Terror Sondereinheit auf unserem Boot erzählen. Wir, eine handvoll Leute, lebten Ende der 70er Jahre in Playa Blanca auf der Kanarischen Insel Lanzarote an Bord eines Segelschiffes, das einem Schweizer gehörte, der in den USA lebte und erst vor wenigen Tagen hier eingetroffen war. Ein französischer Skipper, ein marokkanischer Bootsjunge der Brite, den ich nun hier in der Karibik wieder sah sowie der amerikanische Freund des Schweizer Bootseigners hatten das Boot von Frankreich hierher gebracht. Offensichtlich kam es zum Streit zwischen dem Bootseigner und dem Skipper am Abend zuvor über das Honorar der Yachtüberführung von Südfrankreich bis hier hin und die längere Wartezeit in Playa Blanca. Der Streit zwischen den beiden eskalierte. Erst wollte der Franzose das Boot versenken, was die Crew zum Glück verhindern konnte. Dann zischte der Franzose wutentbrannt ab und wir dachten schon „das wars“. Doch der „fiese Kerl“ rächte sich an uns, in dem er der Guardia Civil einen anonymen Anruf vom Flughafen Arecife vor seiner Abreise gab und ihnen mitteilte, wir hätten Waffen und Drogen an Bord.

Sodann wurden wir am Morgen nach der Abreise des Skippers um 05.30 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen, weil plötzlich eine Herde Elefanten auf das Boot stampfte, dann waren militärische Befehle zu hören und als ich als erster meinen Kopf aus der Lucke rausstreckte, schaute ich in vier Maschinenpistolen rein, keinen halben Meter vor meiner Nasenspitze. Da gefror jegliche Bewegung und Erregung sofort ein. Ich erstarrte und durfte dann aussteigen, danach auch all meine Bootsfreunde. Ein halbes Dutzend schwerbewaffneter Elitesoldaten der Guardia Civil standen um uns herum. Nach sechs Stunden war die Durchsuchung des Segelbootes ergebnislos abgeschlossen und unsere Qual ausgestanden. Die Sondereinheit zog wieder ab, nachdem sie noch einen Joint mit uns zur Entspannung nach dem harten Einsatz mit den paar Haschisch-Krümmeln geraucht hat, die sie auf dem Boot bei der Durchsuchung gefunden hatten. Es gab keine Busse und keine Verhaftung. Wir waren alle sehr erleichtert. Doch der Tag war noch nicht zu Ende und hielt noch eine Überraschung für uns bereit.

Weil die Anti-Terror-Mission für uns letzlich so glimpflich abgelaufen war und es zudem Silvesterabend war, hatten wir beim Zocken am Nachmittag schon ziemlich gebechechert und waren betrunken. Der sogenannte «Si, Si, Si-Drink», mit einem Drittel Vodka, einem Drittel Cointreau und einem Schuss Champagner, war teuflisch gut und wir kamen höllisch geil in Fahrt, bis mein Ami-Bootsfreund, der neben mir ganz zu hinterst in der sehr engen und total überfüllten Schlauch ähnlichen Bar sass, die Seenotrettungspistole hervorholte und ein kleines Feuerwerk zum Silvesterabend veranstalten wollte. Als er von zuhinterst in der Bar das Geschoss quer durch den Laden hindurch über die Theke hinweg abfeuerte und dieses an zahlreichen Nasenspitzen der an der Theke sitzenden Männer  vorbeisauste und durch die Flügeltüren knallte, war die Party-Laune bei den Anwesenden Kanaken jäh zu Ende.

Die Barbesucher wollten meinen schiessfreudigen Bootsfreund lynchen und da der unbeeindruckt schon zur nächsten Leuchtpatrone griff, galt es keine Zeit zu verlieren, daher streckte ich ihn mit einem gezielten Faustschlag vom Hocker runter und schleifte ihn raus. Damit verhinderte ich wohl ein Todesopfer. Der Ami war zwar sturzbesoffen aber auch knallhart im Nehmen. Das sahen wir, als er erst kopfvoran beim Torkeln auf dem Pflaster aufschlug und eine blutige Beule davontrug. Als wir dann beim Pier ankamen, war das Boot durch die Ebbe, etwa zwei Meter tiefer unten. An ein runter hieven war nicht zu denken. Da wären wir alle abgesoffen. Also schmissen wir ihn aufs Deck runter, wo er auf der Gummimatraze aufprallte, kurz grunzte und stöhnte und gleich wieder ins Komma fiel, aber am nächsten Morgen mit ein paar Beulen und Schrammen mehr schon wieder auf den Beinen stand oder besser gesagt rumschwankte.

Soviel zu zwei Erlebnissen auf den Kanaren und nun also traf ich eine dieser Personen hier auf Grenada beziehungsweise Cariacou wieder und konnte am nächsten Morgen mit ihm auf seinem Segelschiff unerwartet meinen Karibiktrip fortsetzen.

1997: Höllentrip zu den Drogenkartellen Kolumbiens

Nur wenige Länder, wie Kolumbien, sind mit einer derart imposanten, landschaftlichen Vielfalt und unvergleichlichen Fülle von Naturwundern gespickt, wie der viertgrösste Staat Lateinamerikas. Die masslose Grosszügigkeit dieser paradiesischen Genbank von Fauna und Flora, die sich zwischen den Anden und dem Amazonasbecken ausbreiten, ist überwältigend. Hört oder spricht man von Kolumbien, dann ist leider meistens von Drogen, Mord und Korruption die Rede. Der Guerilla-Krieg der «Farc» (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), ist einer der längsten und blutigsten Bürgerkriege abgesehen vom marxistischen Terror des «Leuchtenden Pfad», dem «Sender Luminoso» in Peru. Der Bürgerkrieg in Kolumbien ist zwar offiziell beendet aber die grundlegenden Probleme des Landes und der weitverbreitete Anbau von Kokain sind bei weitem nicht gelöst. Einen allmächtigen Pablo Escobar gibt es zwar nicht mehr, dafür umso mehr rivalisierende Drogenkartelle, die den Bauern und der Bevölkerung das Leben schwer machen. Doch wollen wir vorerst einmal die faszinierenden und für die meisten unbekannten, schönen Seiten Kolumbiens ausleuchten.

In Bogota traf ich meinen Berufskollegen, den Aviatik-Journalisten und Militärpiloten Hans-Jörg Egger. Zusammen flogen wir nun im Auftrag der Swissair von der Hauptstadt Kolumbiens in einer Woche in alle Richtungen. Zuerst nach Letica ins Dreiländereck Brasilien, Kolumbien und Peru im Süden des Landes mitten im Amazonas-Dschungel, dann nach Cartagena in die Kolonialperle, mit den prächtigen Kolonialstilbauten ähnlich wie in Havanna. Weiter ging es nach Cali, damals die Drogenhochburg von Pablo Escobar, ein weiteres Ziel war Villa Vicencio, auch als Drogenumschlagsplatz bekannt und schliesslich flogen wir bis zur Karibikinsel San Andres hoch, die vor der Küste Nicaraguas liegt. Ein recht ambitioniertes Programm in einer Woche. Der Zweck der Reise: Wir sollten für die jährliche Swissair VIP-Aktionärsreise ein Reise-Programm zusammenstellen und die besten Orte rekognoszieren, wo noch uralte Flugzeugtypen herumfliegen. Eine fantastische Aviatik-Oldtimer-Flugreise sollt es werden. Los geht’s.

Die Vorboten des Urwaldes beginnen keine 100 Kilometer von Bogota entfernt, doch um dorthin zu gelangen muss man die mörderische Passtrasse der Sierra Oriental in einer Höhe von 3700 Metern über Meer überwunden haben und dann die kurvenreiche Talfahrt auf engen Wegen entlang abgrundtiefer Schluchten bis auf Hundert Meter über Meer gemeistert und überlebt haben. Die Sonne senkt sich gerade am blutrot gefärbten Horizont über dem dampfenden Urwald, wo tropische Gewitter kurz vor Einbruch der Dämmerung heftig auf den esmerald grünen Dschungel niederprasseln und die Fahrt auf der glitschigen Passstrasse zur Hölle machen. Nach sieben Stunden Fahrt haben wir es geschaft und sind in Villa Vicencio angekommen.

Dort angekommen besteigen wir nach einem Interview mit dem Flughafendirektor den silbernen Rumpf der DC-6, mit der wir mit lautem Propellergeheul alsbald durch den peitschenden Regen fliegen. Auch die Stirn des Piloten ist mit dicken Wasserperlen überzogen, denn es sieht für ihn nach schwierigen Flug- und Landebedingungen aus. Dröhnend kämpfen die Propellermotoren gegen die dichten, schnell vorbeisausenden Wolkenschwaden an. Der Blick aus den kleinen runden Fenstern schweift über das grüne Urwaldmeer im Amazonasbecken, die mäandrierenden Flussläufe und Inseltupfer. Dann beginnt der Sinkflug und wir setzen zur Landung an, worauf wir alsbald erleichtert unbeschadet angekommen zu sein mit der alten Klapperkiste über die holprige Urwaldpiste von Leticia im Dreiländereck rollen.

Selten dringen die Sonnenseiten des kolumbianischen Lebens und die Pracht des Anden und Urwald-Staates ans Licht. Doch wer der Terra incognita im Garten Eden Südamerikas trotz Armut und Gewalt furchtlos gegenübertritt, der wird vom Zauber Kolumbiens und dem feurigen Temperament der Bevölkerung magisch angezogen werden. Im Norden Kolumbiens dominieren die Ost-, West- und Zentral-Kordillieren. Drei wuchtige bis auf 5000 Meter ansteigende Andenstränge mit schneebedeckten Gipfeln, sind das topografische Panoptikum des Landes. Sie bergen fruchtbare Täler mit vulkanischen Ascheböden auf denen Kaffeeplantagen, Gemüse- und Getreidefelder und Obstbäume gedeihen, duftende Blumen und Gewürzstauden blühen.

In Amazonien ist es, als sei die Zeit stehen geblieben. Fitzgeraldos Abenteuer leben am geistigen Horizont wieder auf – noch immer lauern tausende Gefahren im tropischen Regenwald. Die Yaguas-Indios sind keine Bedrohung, obschon sie noch immer tödliche Giftpfeile aus ihren Blasrohren pusten, wenn Sie Jagd auf Tiere und Vögel machen.  Das waren sie nie, im Gegenteil sie sind ja die Beschützer des Urwaldes und verteidigten ihn gegen die unerwünschten und zerstörerischen Eindringlinge. Leider vergeblich. Besucher werden nach der Bemalung ihrer Gesichter mit der grünen Farbe des Urucu-Baumes aber zumeist freundlich empfangen, weil sie dank Souvenierkäufen eine vielversprechende Beute sind.

Die Gefahr lauert vielmehr im Wasser und in der Luft als am Boden. Krokodile und Pirhanas verhindern ein kühlendes Bad im Amazonas, Parasiten und Malariamücken können einem rasch das Leben schwer machen, giftige Spinnen und Insekten sogar zur Hölle machen und dann herrscht hier immer volles Konzert. Ara-Papageie, Brüllaffen, Geier, Kormorane und Ibisse sind stets zu hören, eine Anaconda, eine Boa oder einen Jaguar bekommt man hingegen selten zu sehen. Ich hatte das Glück zwei faulen Jaguaren zu begegnen, die es sich im Schatten der schwülen Hitze unter einem Strauch bequem gemacht hatten. Wer sich unter kundiger Führung des „Tarzans von Leticia“ mit Capax auf den Weg machte, konnte einiges erleben und kam meistens unbeschadet von der Urwaldexpedition wieder zurück in die Zivilisation.

Entlang der andinen Ausläufer breiten sich im Norden endlose Savannen mit Viehweiden aus, die sich im Osten in wüstenhafte Gebiete wie die Halbinsel Guajira verwandeln. Weisse Sandstrände säumen die Küsten der Karibikinseln San Andres und Providencia vor Nicaraguas Küste. Über 40 Naturschutz und Nationalparks von insgesamt 10 Millionen Hektaren Grösse, die eine Art genetische Schatztruhe und Informationsbank über die Entwicklung unseres Planeten darstellen, zeugen vom immensen Fauna und Flora Reichtum Kolumbiens. Die Urstätten der kolonialen Metropolen Kolumbiens, die Dörfer der Yagua-Indios bei Leticia im Dreiländereck, das karibische Flair der Ferieninsel San Andres vor der Küste Nicaraguas und die einfachen Behausungen der Bauern in den grossartigen Amazonas-Refugien fügen sich langsam zu einem grandiosen Mikrokosmos zusammen.

Cartagena ist eine der schönsten Kolonial-Reliquien ganz Lateinamerikas und das höchste aller Gefühle für Historiker, Architekten und kulturell Ambitionierte. Sie war einst die bedeutenste Hafenstadt des Kontinents für den Sklavenhandel und Sitz des damals gefürchteten Inquisitionstribunals. Ein Ort vieler Tragödie und deren Helden, der Abenteurer und ihrer Legenden, reich an Burgen, Klöstern und Museen, die alle zum Weltkulturerbe zählen.

Überragt von den Anden, vom Urwald umschlungen und von der karibischen und pazifischen Symphonie der Ozeane umwogt, brodelt das Leben der Kolumbianer zwischen Glück und Verzweiflung, Wut und Ohnmacht, pendelt von überschäumender Lebensfreude, getragen von fröhlicher Tanzmusik wie dem Cumbia, bis hin zur tiefsten Traurigkeit über die Opfer der Armut, der Drogenbarone, korrupter Politiker und Tyrannen. Kolumbianer und Kolumbianerinnen leben, lieben und erleiden das Leben in vollen Zügen. Man wird mitgerissen, taucht ein, vielleicht auch unter und mit etwas Glück wohlbehüteter wieder auf. Zwar haben die zähen Friedensverhandlungen zur Entwaffnung der «Farc» und Einstellung ihrer Attacken auf das Militär und die Zivilbevölkerung geführt, doch ist mit der Amnestie keine Sühne, kein Schuldeingeständnis und keine Aufarbeitung der Gräueltaten der Guerilleros im Hinblick auf die zahlreichen Opferfamilien erfolgt.

Andererseits wurde den Bauern die notwendige Unterstützung bei der Infrastruktur Strassen, Strom, Wasser) in unzugängliche Regionen versagt, so dass diese in vielen Urwaldregionen keine andere Wahl haben, als Kokain anzubauen. Hinzu kommt, dass nun auch die kolumbianische Regierung mehr und mehr Urwald rodet und dies nicht für eine Agrarreform, die den Bauern helfen würde, sondern einzig der Ausbeutung durch die Holzwirtschaft dient und überdies dazu führt, dass die schmalen Gewässer, die einzigen per Boot zugänglichen Verkehrsachsen mit Holzstämmen verstopft werden, sodass andere Güter wie Bananen, Gemüse oder Früchte unmöglich weitertransportiert werden könnten. Da es keine Strassen, kein Strom und auch keine kommunale Verwaltung gibt, sind die Bauern hilflos den Drogenkartellen ausgeliefert. Eine Alternative zum Coca-Anbau haben die Allerwenigsten.

Am Schluss unserer Kolumbien-Reise kamen Hans-Jörg und ich beim Flughafen in Bogota wie immer in den letzten Tagen erst kurz vor Abflug an. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass jeweils knapp 15 Minuten ausreichten um gerade noch einsteigen zu können. Das klappte bestens bei allen innerkolumbianischen Flügen doch der bevorstehende Flug nach Equador, war halt ein Auslandflug. Daran und dass das Prozedere ja viel länger dauern würde, hatten wir nicht gedacht. Als wir am Schalter ankamen und erfuhren, dass das Boarding schon abgeschlossen war, zeigte ich den Check-in Schalter-Angestellten zwei Visitenkarten und sagte: „Stop the airplaine, now immediately“ und rannte einfach durch das Gate vorbei an den überrumpelten Securities auf das Flugfeld hinaus, Hans-Jörg keuchte neben mir her, schliesslich hatten wir beide viel Kameragepäck umhängen und im Schlepptau. Ohne, dass auf uns geschossen, wurde rannten wir dem Flugzeug entgegen, das alle Türen geschlossen hatte und zur Startbahn rollte.

Gleichzeig sahen wir aber auch ein Treppenfahrzeug auf das Flugzeug zu rasen und der Jet stoppte. Nach einigen Dutzend Metern hatten wir es geschafft und durften die Treppe hocheilen, worauf die Boardtüre geöffnet wurde und wir an Bord gehen konnten. „Wow, was für eine geile Action!“ Warum das Flugzeug stoppte, fragen sie sich? Nun, die eine Visitenkarte war die des kolumbianischen Luftfahrt-Ministers und die andere, die des Flughafendirektors von Bogota. Beide Personen hatten wir zuvor interviewt. Und so kam es also, dass für uns zwei Schweizer Journalisten in Kolumbien ein Verkehrsflugzeug auf einem internationalen Flug auf der Rollpiste zum Abflug gestoppt wurde, damit die zwei VIPs einsteigen konnten.

Das sollte mal einer in Zürich, Frankfurt oder London ausprobieren. Da schon unser Boarding schon recht spektakulär verlief, durften wir auch gleich im Cockpit dieser Maschine abwechslungsweise auf dem dritten Piloten-Sitz Platz nehmen und den Flug nach Quito mit den Piloten erleben. Da wurde mir zum ersten Mal sichtbar bewusst, wie schnell es geht, wenn zwei Verkehrsflugzeuge mit je 700 Stundenkilometern auf einander zurasen. Das konnte ich beim spektakulären Landeanflug in Quito miterleben, als eine von dort gestartete Maschine erst ein kleiner Punkt war, der scih rasch vergrösserte und näher kam und sekunden später recht nah und sehr schnell an unserem Cockpit vorbei flog. Noch krasser war der Flug mit den equadorianischen Militärmaschinen über die Anden, bei dem ich infolge der Beschleunigung ziemlich benommen war. So fit wie ein Militärpilot war ich dann doch nicht! Jedenfalls war dies meine spektakulärste Reise als Aviatik-Journalist und nach Kolumbien würde ich gerne wieder zurück kehren und viel mehr Zeit dort verbringen.

Guyana 1997/2003: Vom Urwald direkt in den Weltraum

Dank der Kooperation mit der «AOM», welche die französischen Départements d’outre Mèr, also Französisch Guyana, Guadeloupe, Martinique, die Südsee oder Neu-Kaledonien mit Paris verband, flog ich fast jährlich einmal nach Kuba und war auch kurz auf Guadeloupe, drei Wochen in der Südsee und nun auf dem Flug nach Französisch Guyana in den Hinterhof der Grande Nation, „wo der Pfeffer wächst“, wo politische Gefangene auf einer Insel verbannt wurden und die Europäische Weltraumstation (ESA) sich in Kourou niedergelassen hat. Das exotischste aller EU-Mitglieder ist bestenfalls durch den Film „Papillon“, als einstige Strafkolonie bekannt und so ist das Bild von Französisch Guyana auch von diffusen Vorstellungen und schillernden Legenden geprägt. Guyanas Ruf als gemeingefährliches Land, das mit Heerschaaren von giftigen Insekten, fürchterlichen Vogelspinnen, tödlichen Schlangen, meterlangen Aligatoren und Piranhas bevölkert ist, stimmt wohl, aber darüber hinaus, ist das Land, wo Europa ausläuft und im grünen Urwald-Dickicht verschwindet, eines der stabilsten in der Region.

«Das gefährlichste Wesen hier ist der Mensch, gefolgt von den Wespen», relativiert Philippe Gilabert, der Gründer von «CISAME» (Centre Initiation Survie et Aventure au Millieu Equatorial), einem idyllischen Camp inmitten der grünen Hölle nach ungefähr 60 Kilometern Pirogenfahrt flussaufwärts am Ufer des Approuague nahe der brasilianischen Grenze gelegen. „Die Menschen“, so erzählt der einstige Fallschirmspringer der «Legion Etrangere» und Terrorismusexperte Gilabert, „sind die schädlichsten Kreaturen für den fragilen Ökokreislauf des Primärwaldes. Dann kämen die Wespen, die aber nur für unachtsame Menschen eine Bedrohung seien, fügte der damals 43-jährige Franzose, der als Fallschirmjäger und Terrorismusexperte arbeitete, ironisch hinzu. Er und Manoel, ein Karipuna-Urwald-Indio müssen es wissen, denn sie haben sich darauf spezialisiert, möglichst vielen Zivilisierten den wilden Urwald näher zu bringen (als ihnen eigentlich lieb ist) und den Härtesten ein 10 Tage Survival Training anzubieten. Also übt sich der Zivilisationsgeschädigte erst einmal in Bogenschiessen, Fallen stellen, Klettern, Kanufahren, Fischen, Feuermachen und Behausungen bauen, bevor er seine eigenen Erfahrungen macht, wie es ist, im Urwald überleben zu müssen. Die Dschungelexperten zeigen den Zivilisationsmüden also, wie man im Urwald überlebt und Naturverbundenen, welche Schätze und Funktionen der Primärwald hat und weshalb er unbedingt weltweit zu schützen ist.

Zu den Gästen von Mirikitares, dem Camp der Flussleute, wie die Karipunas diesen Ort nennen, gehören sowohl Reservisten europäischer und nordamerikanischer Streitkräfte als auch Kaderleute von Firmen, die hier ihre Top Shots auf Vordermann bringen wollen. Auch ganz normale Touristen lassen sich begeistern, sich den Traum zu erfüllen und sich in ein gewagtes Urwaldabenteuer zu stürzen. Dass es sich hier nicht nur um eine reine Macho-welt handelt, beweist die wachsende Anzahl Frauen, die hier her kommen und es mit dem Survival Training mit uns Männern oft locker aufnehmen können. So oder so, lernt jeder sich und seine Grenzen oder Fähigkeiten kennen. Der Einsatz geht an die Substanz des Mentalen und Verkraftbaren, der Überlebensmodus schaltet sich ein und erstaunliche, existenzielle Einsichten eröffnen sich einem. Man merkt plötzlich wie klein und unscheinbar, wie verletzlich und allein man ist. Man wird vom Jäger zum Gejagten. Eine einzigartige Erfahrung.

Kaum dem Regenwald unversehrt entkommen, eröffnen sich neue Lebensräume zumindest in der Fantasie bei einem galaktischen Trip auf den Mond, offenbart sich den neugierigen Reisenden in Kourou, nicht weit von Guyanas Hauptstadt Cayenne, im europäischen Luftfahrtzentrum dem «Centre Spacial» der (ESA). Von hier aus führt also die Reise ins All. Der Ort selbst bietet nichts, ausser dem üblichen Drittwelt-Anschauungsunterricht über die Klassenhierarchie des Landes. In der Altstadt leben die sozial schwächsten, die Kreolen, Indios und weissen Hilfsarbeiter, umgeben von deplatziert wirkenden Betonbauten für den Mittelstand und am Strand die prunkvollen Villen der Europäer, der Wissenschaftler und Mitarbeiter der Weltraumstation im nahegelegenen Kourou.

Nach einem Besuch in der Weltraumstation der Europäischen Union, fahre ich mit einem Boot zur Teufelsinsel, die als Strafkolonie durch den Film Papillon bekannt wurde. Die drei der Küste vorgelagerten Inseln, Ille Royale, St. Jospeh und Ille Diable, wo politische Gefangene jahrelang von Frankreich unter extremen Bedingungen inhaftiert waren, bevor sie unter der Guillotine landeten. Einige, so sagt man hier, hätten es vorgezogen, von den Haien verspiesen zu werden auf der Flucht durchs Meer, als die hier angesiedelte irdische Qual weiter erleiden zu müssen. Zu Guyana’s Highlights gehört der Wilde Westen des Landes, insbesondere die pittoreske Kolonialstadt St. Laurent-du-Moroni, am Grenzfluss zu Surinam ist ein Besuch wert. Das bunte Völkergemisch aus Indios, rabenschwarzen Pirogenführern, geschäftigen Indochinesen und Hmongs, die auf der Flucht vor dem Pol Pot Regime via Frankreich hier her gekommen sind, aber auch haitianische Stoffhändler, Dominikanerinnen und Kreolen aller Schattierungen sowie ein paar Weisse, war und ist auch heute noch beeindruckend vielfältig.

Am letzten Abend vor unserer Abreise, trollen wir, eine kleine Journalisten-Gruppe aus der Schweiz, spät nachts durch das Hafenviertel der Hauptstadt Ceyenne und wir war schon ziemlich betrunken, nach der feucht fröhlichen Runden in einigen Kneipen. Offensichtlich hatte man uns beobachtet, denn an einer recht dunklen Kreuzung, traten plötzlich von allen Seiten ein paar sinistere Gestalten aus den Häuserritzen rasch auf uns zu. Ich konnte gerade noch meine Begleiter mit einem lauten Ruf warnen, dann sprühte mir jemand von hinten kommend, Tränengas in die Augen, worauf ich nichts mehr sehen konnte und das Reizgas hustend einatmete. Ich wirbelte wie ein Derwisch herum und begann meine Kameraausrüstung herumzuschwenken um die drei Angreifer auf Distanz zu halten, die ich nur ganz schemenhaft sehen konnte. Dann brach ich auf der einen Seite durch und rannte die Strasse hoch, bis ich ausser Atem und ausser Reichweite der Bande war. Auch meine Kollegen hatten Glück und konnten sich zur Wehr setzen und vor den Angreifern retten. Mit diesem Abenteuer im Nacken, verliessen wir am nächsten Tag das Land und flogen in die Schweiz zurück.

Brasilien/Salvador de Bahia: Im Hexenkessel magischer Sklavenenergie

Bei einer der ersten von insgesamt fünf Reisen nach Brasilien entdeckte ich nach den Iguaçu-Fällen, Rio de Janeiro und Buzios auch Salvador de Bahia, den Landeplatz der Europäer und die erste Hauptstadt Brasiliens. Wer die exotischen Facetten des baianischen Lebens kennen lernen will, der mache sich zumindest in Karnevalszeiten auf heisse Anmache, coole Abweisung und köstliche alkoholische Trostspender gefasst. Taucht man in die mystische Welt des Candobléein und lässt sich von der überwältigenen Spiritualität überwältigen, verlässt die hiesige Welt und gerät in Trance bis zur Ekstase. Der Candomblé ist eine brasilianische Religion, die ihre Wurzeln und Wiege in Westafrika hat. Die Heiligen Orixá, Nkisi oder Vodum sind im Gegensatz zum obersten Gott Olorun sozusagen „ansprechbar“. Die meisten versklavten Afrikaner stammten aus Nigeria und Benin und waren geprägt von der Tradition der Yoruba und Bantu. Während eines Candomblé-Ritus kann ein Heiliger Besitz von einer Person ergreifen. Die Wurzeln des Sklaventurms sind in der hiesigen Kultur tief verankert. Werden aber oft im Verborgenene ausgelebt. Doch wenn Hunderte von kräftigen Gospelstimmern aus voller Inbrunst ertönenund die Perkussionisten mit ihrem Trommel-Rhythmus beginnen, dann erzittert nicht nur die Erde, sondern vibriert auch die Luft im weiten Umkreis, wie bei einem heranheulenden Orkan. Da hört sich der Psalme quietschende katholische Knabenchor im Kloster Sao Fransico im barocken Altstadtviertel Pelourinho eher kläglich an.

Eine Reise nach Salvador de Bahia ist daher wie ein Aufbruch zu neuen Ufern. Zunächst einmal bewunderswert ist es, wie beschwingt die Baihanos durch das Leben gehen. Bemerkenswert wie sie Ihre Freude und Trauer ausdrücken. Die mystische Götterwelt und spirituelle Quelle der Bahanos wiederspiegelt sich im Candomblé, der Grund zur christlichen Mission gab zumal Bahia der Augangspunkt der westlichen Entdecker und Eroberer war. Davon zeugen nicht nur die Bastionen entlang der Küste. In Salvador de Bahia, der Wiege des Karnevals und des Samba gibt es kein Stillstehen und kein stocksteifes Auftreten. Alles ist im Fluss, alle sind ständig in Bewegung, mehr oder minder grazil. Selten entdeckt man so ein verspieltes Volk, dass unglaublich viele tänzerisch und musikalisch begabte Leute hervorgebracht hat.

Eine weitere bahianische Spezialität ist der Capoeira, der als Tanz getarnte Kampfsport. Auch hier sind die anmutig fliessenden Bewegungen erkennbar, die ihr ganzes Leben durchströmen und Impulse auslösen. Doch nicht nur im Gefühle ausdrücken auch der Körperkult steht ganz oben auf der Agenda, darin unterscheiden sich die Bahianos kaum von den Cariocas. Kaum ein Adonis, der nicht seinen sportlich gestählten Körpger im knappen Slip präsendtiert. Keine Frau, die nicht stolz in ihrem «Fio dental» (Zahnfaden)-Bikini am Strand rumspaziert und mit ihrer Grazie und Freizügigkeit kokettiert. Kein Wunder hat die Kirche hier her mehr Ordensbrüder entsandt, als sonstwo in der Welt. Allein in Salvador de Bahia wurden 165 Gotteshäuser errichtet.

2003 wurde ich für drei Monate als Resident Manager für ein Schweizer Reiseunternehmen in Fortalezza im Nordosten Brasilien stationiert und hatte dort eine wahrhaft gute Zeit. Wenig Gäste, also fast keinen Stress, ein Hotelzimmer direkt an der Beira Mar (das ist wie die Copacabana in Rio) zudem verfügte ich über ein gutes Fahrzeug, mit dem ich bis nach Jericoacoara zu den fantastischen Sanddünen oder in den Süden bis nach Moro Branco fahren konnte. Das brasilianische Lebensgefühl, Musik, Sprache und die Kultur haben mich schon auf früheren Reisen sehr angezogen, wodurch ich auch ein wenig portugiesisch gelernt habe. Da ich passable spanisch sprach, viel mir der Einstieg ins portugiesische leicht und die brasilianischen Dialekte gefallen mir besser, als die harten spanischen Akzente. Auch die Musik vieler lateinamerikanische Klänge verzaubern mich: Vom Tango in Argentinien über den Bossa Nova eines Gilberto Gil in Brasilien oder den Volkstanz Forro, wie in Fortalezza, vom Salsa und Son auf Kuba bis zum Merengue auf der Dominikanischen Republik.

In Fortaleza lebte ich während dieser drei Monate als Station Manager an der Beira Mar, ideal gelegen für tägliche Auflüge an den schönsten Stadtstrand, die Praia do futuro und nachts hin zur Iracema am Ende der Beira Mar, wo sich das touristische Vergnügungsquartier mit allen Nachtclubs befand, was sehr praktisch für die Touristenbetreuung vor Ort war. Nach Ablauf der drei Monate wurde ich in den Sinai verfrachtet, kehrte aber nach dem sechsmonatigen Einsatz in Sharm el Sheikh, wieder arbeitslos nach Fortaleza zurück, weil der Tsunami über Asien hereingebrochen war und dadurch alle Reiseunternehmen weniger Station Managers und Reiseleiter brauchten.

Bei meiner Rückkehr nach Fortaleza, lebte und wohnte ich zuerst zwei Monate im Favela Serviluz bei einem Freund, der ein kleines Backstein-Häuschen nahe der Praia do Futuro hatte und fühlte mich da ganz wohl. Bald kannte ich via Heldon und seinem Freund Joaquin viele Leute und die Nachbarn im Favela kannten mich ebenfalls, sodass ich mich dort Tag und nachts frei bewegen konnte. Es war eine gemütliche Zeit, denn ich hatte im Sinai und schon zuvor in Brasilien gute Devisengeschäfte mit den Touristen gemacht. Das war immer eine erträgliche Neben-Einnahmequelle bei diesen Jobs. In Polen bin ich so ja fast Zloty-Millionär geworden. Dann besuchte mich eine Freundin aus der Schweiz und wir mieteten uns einen «Highlux», einen Offroader, um entlang der brasilianischen Küste von Fortaleza im Staat Céara via die Bundesstaaten Maranhão und Piaui bis nach Manaus hochzufahren und hernach  im Inland die Rückreise zu vollziehen.

Das sind gut 6000 Kilometer, die wir in 11 Tagen zurücklegen wollten. Die Geländefahrten waren bequemer, als die Fahrt auf der Asphaltstrasse, die mit Löcher, bis zu einem halben Meter tief, völlig übersät waren. Der Asphalt sah aus, wie nach einem flächendeckenden Bombenbangriff, weshalb ich öfters auf dem Geröllstreifen rechts der Fahrbahn fuhr. Da kommt man grundsätzlich schneller voran und wirbelt kräftig Staub auf, was schon von weitem zu sehen ist und der Unfallgefahr vorbeugt. Die Reise verlief über Jericoacoara, mit seiner fantastischen Dünnenlandschaft, die aber im nächsten Bundesstaat Maranhao von den kristallklaren Seen in den Sanddünen noch an Schönheit übertroffen wurde. Eine äusserst faszinierende Gegend! Der tiefblaue Atlantik mit einsamen Traumstränden zur Linken, ein gigantischer Sanddünenstreifen entlang der Küste und im Inland der esmeradgrüne Dschungel. Die Nationalparks von Jericoacoara und Lençóis Maranhenses an der Atlantikküste sind einzigartige, erhaltenswerte Biotope.

Wüsten gefallen mir besser, als Urwälder. Man kommt besser voran. Im 4×4 wenigstens. Doch auch hier, wäre ich ohne die Hilfe einheimischer Fischer arg gestrandet, denn auf dieser Reise mussten zahlreiche Flüsse über- oder durchquert werden. Bis auf das eine Mal klappte das ganz gut, bis wir zu einem Fluss kamen, der auf unserer Seite erst ca. 30 Meter weit seicht war, dann gab es da noch ein kleines Sandinselchen kurz vor der Stelle, wo der Fluss eine enge Mündung, wie ein Trichter, viel reissender durchfloss. Das konnte man aus 40 Metern Entfernung gerade noch erkennen und war wohl die gefährlichste Stelle. „Wenn ich nicht mit Vollgas die letzten zehn Meter nach der winzigen Flussinsel würde durchqueren können“, sähe es schlecht aus, dachte ich. Und genau so war es dann auch. Ich fuhr mit viel Speed durch den gut 30 Meter breiten, seichten Flussverlauf auf die Insel zu, geriet dort aber durch die Steigung ins Stocken, hatte dadurch zu wenig Schwung, um den Strömungskanal zu durchqueren und steckte alsbald mit der Motorhaube im 45 Grad Winkel zu dreiviertel im Wasser fest. Nach einigen Stunden kamen ein paar Fischer herbei. Nur dank eines Bootes im Strömungskanal, das den Wagen ein wenig anhob und einem Auto, das uns von hinten mit dem Drahtseil über die seichte Flussstelle zurück zog, schaften wir es aus dem Fluss herauszukommen.

Ein anderes Mal, als ich gerade alleine in der brütenden Mittagshitze unterwegs war, blieb ich im tiefen Treibsand stecken. Ich schaufelte wie ein Verrückter im glühend heissen Sand und dachte nicht, dass ich es noch schaffen würde. Es dauerte vier Stunden, viele Schweisstropfen und unendlich viele Ruckelstösse für ein paar Meter weiter, doch schliesslich klappte es doch noch. Und so ging die Reise weiter zur Ilha de Maranhão, einem der grössten Schwemmgebiete der Welt an den Ausläufern des Amazonas. 800‘000 Büffel bevölkern die Insel, die nur wenigen Hundert Grossgrundbesitzern gehören, welche kaum Arbeiter beschäftigen. Da wo die Tiere in der Trockenzeit traversieren, entsteht in der Regenzeit ein Flusslauf. So wird das fragile Ökosystem und die dünne Humusschicht schon in wenigen Jahren zerstört. Jahr für Jahr werden riesige Urwald-Flächen erst für die Rinderzucht und dann für eine intensive Landwirtschaft wie die der Sojaplantagen vereinnahmt. In den vergangen 30 Jahrne wurde fast ein Viertel des Amazonas Deltas vernichtet. Eine Katastrophe, denn dadurch ist die unvergleichlich hohe Artenvielfalt auch hier arg bedroht. Allein im Amazonas gibt es über 2000 verschiedene Fische. Zum Vergleich: In ganz Europa sind es gerade Mal 150 Fischarten. Dasselbe gilt für alle anderen Tierarten und Spezies, die meisten davon sind endemisch. Die abenteuerliche Reise verlief weiter durch den Bundesstaat Piaui und von dort fuhren wir bis nach Manaus weiter. Dann nochmals gut 3000 Kilometer im Inland zurück nach Fortaleza, wobei wir am Nationalpark Ubajara, rund 300 km westlich von Fortaleza entfernt, die Gruta de Ubajara, Brasiliens grössten Höhlen mit neun Kammern und einer Tiefe von gut einem Kilometer besichtigten. Jetzt kommen wir zur letzten und speziellsten meiner Brasilien Reisen und meiner einzigen Kreuzfahrt.

Amazonas Cruise mit Wissenschaftlern: Artensterben durch Raubbau

Sein Name ist Legende und klingt so exotisch, wie der Mythos, der ihn umrankt: Der Rio Amazonas. Er ist der zweitlängste und wasserreichste Fluss der Erde, der mit den meisten Nebenflüssen, dem stärksten Wasserabfluss, dem grössten Einzugsgebiet und gewaltigsten Delta. In abertausenden von Mäandern fliesst er majestätisch durch den facettenreichsten und opulentesten Regenwald der Erde, nährt, tränkt und erhält eine unermessliche Vielfalt von Fauna und Flora und ist gleichzeitig die Lebensader von Millionen von Menschen. Der spanische Konquistador Francisco de Orellana war sein erster Botschafter, als er der westlichen Welt nach seinem Vorstoss in „die grüne Hölle“ um 1542 vom grössten Flusssystem erzählte; der deutsche Forscher Alexander von Humboldt war sein aufregendster Berichterstatter und Cineasten erinnern sich bestimmt an die fantastischen Impressionen des Films «Fitzcarraldo» mit Klaus Kinsky in der Hauptrolle des verrückten und angefressenen Opernfans.

Der Amazonas wird von den Indios „Marano“ genannt, der „den nur Gott allein enträtseln kann“ und er besteht aus einem bizarren Geflecht von über 1100 Flüssen, davon 20 länger als der Rhein. Doch erst nach dem encuentro dos aguas, dem Zusammenfluss des Rio Negro und Rio Branco bei Manaus, wird der Fluss Rio Amazonas genannt. Mit seinem Einzugsgebiet, dass mehr als sieben Millionen km2 gross ist und seiner täglichen Ablagerung von drei Million Tonnen Sedimenten im Delta, läuft der Amazonas allen anderen Strömen den Rang ab. Ein Fünftel des Süsswassers in den Weltmeeren wird vom König der Flüsse gespiesen. Über 30’000 Pflanzenarten, die auf drei Etagen übereinander gedeihen und mehr als 2000 Fisch- und Vogelarten leben in seinem Einzugsgebiet.

Eine Expedition in den Amazonas-Urwald ist sowohl eine Reise in eine exotische Welt voller überwältigender Flora als auch eine Begegnung mit einer artenüppigen Fauna – voll von Riesenschlangen, wie Anacondas und Phytons, Ameisenbären, Faultiere, Brüllaffen, Piranhas, scheuen Flussdelfinen, bunten Papageien (Aras) oder prächtigen Tucans sowie flinken Kolibris. Die Liste liesse sich, so scheint es, fast unendlich fortsetzen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Anzahl der vom Aussterben bedrohten Arten nimmt dramatisch zu. Experten zufolge ist er Regenwald unwiderbringlich zerstört, wenn 40 Prozent seiner Fläche vernichtet wurde. In den letzten 50 Jahren wurde bereits ein Viertel des Regenwaldes abgeholzt oder abgebrannt – mit katastrophalen Folgen für das Klima, die Umwelt, die Menschen und die Tiere. Die Ureinwohner in den Regenwäldern hatten über den Zeitraum der letzten 15‘000 Jahre kaum ein Prozent des Regenwaldes vernichtet. Eine einzige Menschen-Generation reicht also aus, um das ganze Ökosystem des Planeten Erde aus dem Gleichgewicht und die Menschheit als solche in Gefahr zu bringen.

In Brasilien gibt es heute noch rund eine Million Quadratkilometer Amazonas Regenwald, der nicht geschützt und nicht eingezont ist aber auch nicht den dort lebenden indigenen Stämmen gehört (da die in langwierigen Prozessen erst ihre jahrhunderte alte Legitimität beweisen müssen), damit ihr Land nicht dem Raubbau und der Investoren-Raubgier geopfert werden. Denn das gängige Prinzip verläuft folgendermassen: Die Gebiete werden illegal beschlagnahmt, abgebrannt oder gerodet und damit zerstört. In den Jahren danach wird dann versucht, die Landnahme auf diesem Gebiet durch die lukrative Viehwirtschaft zu legalisieren, was spätenstens seit Präsident Bolsonaro ein Kinderspiel ist. Die Bodenspekulation wird durch internationale Investoren angeheizt. In der Region werden in den nächsten Jahren rund 30 Milliarden US-Dollars in Strassenbau, Elektrizität und die Infrastruktur zur Erschliessung und Ausbeutung des Primärwaldes gesteckt. 92 Staudämme sind im Amazonas Gebiet geplant. Das sind verheerende Aussichten. Was für ein kapitalistischer Irrsinn.

Zu allem Elend plant die Regierung von Jair Bolsonaro eine Eisenbahn fast 1000 Kilometer quer durch den Urwald und viele indigene Schutzgebiete zu bauen. Die Agrarlobby ist entzückt, verspricht das Infrastrukturprojekt des Ferrogrão doch in Zukunft tiefere Transportkosten bis zum Atlantik und damit höhere Gewinne. Das befeuert weitere Rodungen des Urwaldes mit desaströsen Folgen: Eine Studie der Ökonomen Juliano Assunçao, Rafael Araújo und Arthur Bragança hat ergeben, dass dadurch mit zusätzlichen Rodungen auf einer Fläche von 2050 Quadratkilometern zu rechnen ist, was rund 300000 Fussballfeldern entspricht. Durch das Abholzen dieses Urwaldes würden nicht nur rund 75 Millionen Tonnen Kohlenstoff produziert, sondern der zunehmende Verlust der grünen Lunge wird bald zum Kollaps des Klima- und Bewässerungssystems im gesamten Amazonas Becken führen.

Wo jetzt der Wald ist, droht Viehzucht, Sojaplantagen und dann die Wüste. „Je weniger zusammenhängenden Regenwald vorhanden ist, umso weniger funktioniert der Kreislauf der im Amazonsbecken aufgesogenen Feuchtigkeit und dem Abregnen an den Andenhängen“, bestätigt auch der renommierte Amazonas-Ökologe Lovejoy von der «George Mason University». Er ist auch der Meinung dass der «Tipping Point», der Zeitpunkt an dem der Kollaps droht, bedrohlich nahe ist. Das renommierte «Nature Magazin» kommt zum Schluss, dass der Regenwald bereits heute so angeschlagen ist, dass er mehr CO2 ausstösst als absorbiert. Das wird sich auf für Fauna und Flora in allen Amazonasregionen katastrophal auswirken. Die nächsten zehn Jahre werden entscheind sein, ob wir das Amazonas-Refugium vernichten und für immer verlieren. Die Aussicht auf eine Abkehr der Abholzung und Ausbeutung sowie ein Umdenken erscheinen allerdings minimal. Eine traurige Geschichte bzw.ein wahrer Alptraum für das weltweite Klima, Fauna und Flora. Denn:

Der amazonische Regenwald verbraucht für die Fotosynthese mehr Kohlendioxyd, als irgendein anderes Gebiet auf der Welt. Durch die Bindung von Feuchtigkeit bilden tropische Regenwälder die grösste Süsswasserreserve der Welt. Existieren sie nicht mehr, verstärken sich die Verdunstungseffekte und die Niederschläge gelangen direkt ins offene Meer, was Trockenheit und Dürre zur Folge hat. Durch die Verringerung des Waldbestandes steigt der Kohlendioxydgehalt in der Erdatmosphäre, was wiederum auch den Treibhauseffekt anheizt. Auch als Sauerstoff-Produzent dürfen die Regenwälder nicht unterschätzt werden. Nach dem Phytoplankton im Meer produzieren sie am meisten Sauerstoff. Anderseits binden Sie durch die Fotosynthese grosse Mengen an CO2. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Brandrodung verschärft sich das Problem ausserordentlich.

Einer der bequemsten und zugleich aufregendsten Wege, dieses opulente Naturwunder und ausgeklügelte Ökosystem zu erkunden, ist eine Schiffsreise, wie man sie beispielsweise mit der «MS Bremen» – dem Expeditionsschiff von «Hapag-Lloyd» Kreuzfahrten oder der Hanseatic, einem weiteren Kreuzfahrtschiff der Hamburger Reederei unternehmen kann. Da wird die sonst eher mühselige, schweisstreibende und gefährliche Amazonas-Expedition zum unbeschwerlichen Hochgenuss. Obschon es ein wenig grotesk ist, mit Umweltwissenschaftlern auf einer CO2-Dreckschleuder eine Expedition im Amazonasbecken zu machen, habe ich mich ausnahmsweise mal für diese, meine erste und einzige Kreuzfahrt entschieden. Doch infolge (m)eines Terminfehlers, hatte die «MS Bremen» in der peruanischen Amazonas-Metropole Iquitos – einem 400’000 Seelen-Provinznest, dass zwar sehr ärmlich ist, aber unzählige Casinos mit Geldspielautomaten und Spieltischen hat – schon vor Stunden ohne mich abgelegt. Nun stand ich da und versuchte während drei Tagen ein Boot zu chartern, um dem Luxusdampfer hinterher zu fahren.

Es dauerte schliesslich eine ganze Woche lang, bis ich endlich mit kleinen Speed-Booten im brasilianischen Manaus ankam und die «MS-Bremen» nach 1000 km wilder Bootsfahrt durch den Urwald endlich eingeholt hatte. Auf der abenteuerlichen Bootsreise wurde mir ein Rucksack gestohlen und der Grenzübertritt von Peru nach Brasilien war auch nicht ohne. Wir kamen in finsterster Nacht an der Grenze an. Vor Ort gab es keine Hütte zum Schlafen. Auf der anderen Seite in Brasilien schon. Zwei Mitreisende und ich fanden einen alten Mann, der uns in der stockfinsteren Nacht über den Grenzfluss fuhr und am nächsten Morgen wieder in Brasilien abholte, um uns nach Peru zurück zu bringen, da wir einen ordentlichen Grenzübertritt machen mussten und einen Ausreisestempel benötigten, um nicht illegal in Brasilien anzukommen. Nachdem die Operation ordentlicher Grenzübertritt soweit gelungen war und ich also sechs Tage später als geplant, abgebrannt sowie am Ende meiner Kräfte an Bord der «MS Bremen» angelangt war, entspannte ich mich erst einmal auf dem Luxusdampfer und wurde wahrlich köstlich und exotisch verpflegt. Nicht nur kulinarisch sondern auch mit spannenden Urwaldausflügen, wertvollen Informationen und super Vorträgen über die jeweilige Region, ihre Fauna und Flora – garniert mit feinsten Häppchen, fantastischen Büffets und niveauvollem Unterhaltungsangebot.

Die «MS-Bremen» bietet alles, was das Entdeckerherz begehrt: Eine 100-köpfige, perfekt aufeinander abgespielte Crew, die stets darum bemüht ist, den Passagieren jeden Wunsch zu erfüllen und sie mit kleinen Aufmerksamkeiten glücklich zu machen. Auch bietet das Kreuzfahrtschiff eine grosse Auswahl an Möglichkeiten zur abwechslungsreichen Gestaltung der Tage an Bord mit verschiedensten individuellen Tätigkeiten. Ausflüge mit den PS-starken Schlauchboten ermöglichen den Zugang zu sonst unzugänglichen Regionen und bieten daher auch eine sehr intensive Wahrnehmung all der geheimnisvollen, exotischen Orte und Begegnungen mit der Fauna, die aus beeindruckender Nähe erlebt werden können. Und dank den sich an Bord befindlichen wissenschaftlichen Referenten erfährt man mehr über die ökologischen und ökonomischen Zusammenhänge zwischen Nutzung und Ausbeutung.

So verläuft die Schiffsreise über gut 1700 Kilometer via Pevas bis nach Leticia ins Dreiländereck Brasilien, Peru und Kolumbien und ins Reich der Drogenbarone und Schmuggler hinunter. In der oberen Amazonasregion am Rio Negro und Rio Tabajos werden die Expeditionsgäste komfortabel und sicher mit den Zodiac’s des Mutterschiffs in die umliegenden Wasseradern des grössten Flussgebietes der Welt geführt. Wissenschaftler begleiten die Ausflüge und erklären den Kreuzfahrern die üppige Wildnis sowie die artenreiche Fauna und Flora. So setzt sich das komplexe Puzzle biologischer, geologischer und meteorologischer Einflüsse langsam zusammen und ergibt ein facettenreiches Bild dieses fantastischen Ökosystems.

Gleich nach Manaus kommt es zur Vereinigung der beiden grossen Urwaldströme Rio Negro und Rio Solimoes. Aus der Luft siehtes aus. wie wenn zwei Riesen-Anacondas sich umschlingen. Erst nach der Vereinigung der beiden Flüsse, dem encouentro das aguas, erlaubt der Atlas die offizielle Bezeichnung Rio Amazonas. Sie hinterlassen links und rechts der Hauptschlagader zahlreiche Seitenarme, Tümpel und Biotope. In diesen Refugien steigen Wolken von bunten Papageien auf, schiessen die Eisvögel flink übers Wasser und die Brüllaffen turnen um die Wette im Geäst der tennisplatzgrossen Baumkronen. Denn die Urwaldriesen, wie die Parakautschuk-, Woll-, Paranuss- oder Kapokbäume werden 40 bis 60 Meter hoch und beanspruchen das meiste Sonnenlicht für sich und für die Fotosyntese, die der Welt ihren Atem einhauchen. In den darunter liegenden schattigen Etagen gedeihen Palmen, Myrten, Lorbeer, Zedrelen und die begehrten Mahagonibäume. Diese bieten ihrerseits wiederum anderen Pflanzen Lebensraum, insbesondere allen Arten von Epiphyten, die ohne Wurzeln im Boden als Schmarotzer in den Rinden ihrer Artgenossen vegetieren.

Der nächste Halt der «MS Bremen» ist in Paritins. Jeweils Ende Juni verwandelt sich die Stadt auf der Flussinsel für drei Tage in einen brodelnden Hexenkessel. Dann beginnt die grösste Amazonas-Party – ein Spektakel, das dem Karneval ähnelt. Fast haushohe, fantastische Kostümkreationen paradieren durch die Strassen: Delphine in Schiffsgrosse, Riesen-Wildschweine, Schlangen, Federvieh und Fabelwesen gibt es zum tänzerischen und musikalischen Spektakel zu bewundern. Dazu drehen und winden sich federnumwölkte Primaballerinas und spärlich bekleidete Flussnympfen im Schein der bunten Lichter. Auch die Sänger, Musikanten und das Publikum lassen ihre kräftigen, halbnackten Körper ekstatisch zu den Trommelwirbeln und Klängen der Sertaneja-Musik rythmisch zucken. Natürlich fliesst auch der Caipirinha (Zuckerrohrschnaps) in Strömen und Wolken von Marihuana liegen in der Luft. Bis zu 250’000 Besucher aus allen Teilen des Amazonasgebietes strömen auf Einbäumen, Yachten und Amazonasschiffen durch die zahlreichen Flussläufe nach Paritins. Der Höhepunkt findet im Bumbodromo, dem eigens für die Show eingerichteten Amphitheater am Flussufer statt. Bis zu 35’000 Menschen reiben sich dann schwitzend bis zum orgiastischen Delirium aneinander.

Nach diesem vertieften Einblick in der brasilianischen Kulturszene ging die Schiffsreise weiter via Santarem zum brasilianischen Badeferienort Alter do Chao am Rio Tapajos, die den Gästen einen wunderschönen Badeausflug auf der Landzunge zwischen den beiden Flussarmen bietet. Als die MS Bremen bei Sonnenuntergang von hier ablegt, bricht über Nacht auch der letzte Teil der Amazonas-Flussreise an, denn das Delta ist erreicht und das Meer in Sicht. Nun begibt sich das Schiff auf hohe See mit dem Ziel Frz. Guyana, wo Europa in der grünen Hölle des Amazonas ausufert und die exotischsten Europäer leben. Die Überfahrt war ruhig, spiegelglatt das Meer und endlos der Horizont. Zum ersten Mal bin ich in Havanna mit einem Kreuzschiff angekommen und an der Skyline des Malecons vorbeigefahren und das ist schon ein ganz anderer, erhabener Anblick und eine neue Form der Begrüssung auf der Zucker- und Tabakinsel. Viel besser als der Anblick auf die Bucht von der gegenüberliegenden Festung. Jetzt verlassen wir Lateinamerika und brechen nach Asien auf. Mal sehen, was es dort spannendes zu erleben gibt.

5. Asien: Magische Highlights versus desaströse Entwicklung

Sri Lanka 1992: Die Perle des Orients nach dem Bürgerkrieg

Ceylon‘s Vergangenheit ist voll Zauber, Mythen und Gewalttaten. Sri Lanka’s Geschichte hört sich zuweilen an wie ein Märchen aus «1001 Nacht». Handkehrum kam es zu vielen blutigen Machtkämpfen und einem elend langen grausamen Bürgerkrieg, dessen Wunden noch nicht verheilt sind. Als die Griechen den Zenit überschritten hatten, war Sri Lanka bereits Lebensraum einer hochentwickelten Kultur und Metropole der damaligen fernöstlichen Welt. Noch heute hat die metamorphorische Bezeichnung „Perle des Orients“ Gültigkeit, auch wenn Armut und die Folgen des Bürgerkrieges ein kontroverses Zeugnis ablegten. Doch schon die Araber schwärmten von ihr und nannten Sri Lanka «Serendib», die «Insel der Glücklichen» – meinten aber kaum die politischen Verhältnisse und Intrigen, unter denen die Völkergemeinschaft am Südzipfel Indiens oft litt, sondern den paradiesischen Zuständen hinsichtlich des Agrarreichtums, der später auch zur Ausbeutung durch die Kolonialmächte führte. Dementsprechend ist die  Liste derer, die sich um die Vorherrschaft der Gewürzinsel stritten, lang.

Erst griffen die Chinesen, dann die Malayen und auch die Inder das Königreich des anaradhapuristischen Herrschers an – deren Einfluss vom Tiber bis zum Gelben Meer reichte. Ab 1505 folgten die schlimmsten Eroberer  – man kann es sich denken, die Europäer. Portugiesen und Holländer rissen die Insel mehrmals an sich, bevor die Engländer dem Hin- und Her ein Ende machten. Mit der Unabhängigkeit im Jahre 1848 zeigten sich bei der Machtverteilung erneut die alten ethnischen Spannungen: Singhalesische Nationalisten und der buddhistische Klerus wehrten sich gegen die Vorherrschaft der Tamilen (Hindis) in Verwaltung, Handel und den freien Berufen und wollten zur singhalesische Dominanz zurückkehren. In der Folge wurden die Rechte der Tamilen schrittweise abgebaut, wodurch sich dir jüngeren Leute radikalisierten und darauf hin als «Befreiungstiger» den bewaffneten Kampf aufnahmen.

Kriegerische Akte haben hier Tradition – das wird einem bewusst beim Besuch der antiken Tempelstätte in Sri Lanka. Immer wieder kam es in der Geschichte des Inselstaates zu dynastischen oder ethnischen Machtkämpfen. Schon die erste Königsstadt Anarudhapura (4. Jh. Vor Chr.) erlebten während 1400 Jahren des Bestehens 121 Könige. Die singhalesische Herrscherserie wurde vom Chola-König Elara (2. Jh. V. Chr.) unterbrochen. Dem Heldenkönig Dutugemenu gelang es, die Vorherrschaft zurückzuerobern. Auch um die imposanten Felsenpalast von Sigirya ranken sich gewaltige Legenden: Um an die Macht zu kommen, mauerte Kasyapaya seinen Vater, den König, bei lebendigem Leib ein. Und als Schutz vor dem entthronten Prinzen (und Halbbruder) Moggalana baute er im Jahre 473 n. Chr. die Felsenburg Sigiriya. Diese Festung sollte ihn von seinen ärgsten Befürchtungen schützen und Platz schaffen für seine schönsten Träume, die er in Form und Figur von nackten vollbusigen Frauen in Wickelröcken als pittoreske Fresken erstellen liess.

Nicht minder beeindruckend sind die Paläste und Tempel der erhabenen Stadt, wie Polonnaruwa, wie die zweite Königsstadt nach Kandy genannt wird. Die Monumente zeugen von der Pracht und dem Glanz  des einstigen Herrscherreiches. Mönche in leuchtend orange Talare gehüllt, pilgern aus allen Teilen des Landes heran. Sie beten am Fuss der Gal Vilhare, einer in den Fels gehauenen Skulpturengruppe, die drei Buddhastatuen in meditierender, also sitzender, liegender und ins Nirwna übertretender Haltung zeigt und die Quintessenz des buddhistischen Glaubens offenbart. Ein Rundgang durch die von Parakamabahu im 12. Jahrhundert angelegte Tempelstadt mit ausgeklügelten Bewässerungskanälen  ist eine Reise durch die epochale Vergangenheit.

In Kandys engen Strassen brodelt es wie in einem Hexenkessel: Fröhliche Menschen in farbenprächtigen saris und Sarongs gehüllt, Elefanten, die Autos abschleppen oder in die Schranken weisen, Ochsenkarren, turmhoch mit Palmweinfässern beladen, schlängeln sich nebst hupenden Bussen, Autos und Mopeds durch die engen Gassen. Fliegende Händler verhökern ihre funkelnde Ware: scharlachrote Rubine, Aquamarine und Mondsteine. Von den Gewürzständen wehen herrliche Düfte herüber. Berge aus Zimt, Kardamon, Tee und Kaffee, Chilli und Pfefferschoten türmen sich auf den Strassenständen. Koriander, Kardamon und Kümmel, Gelbwurz, Gewürz-nelken, Paprika und feinstes Curry werden hier feilgeboten. Aber der imposanteste Ort ist die Wolkenstadt Nurwa Eliya, die man auf einer spektakulären Reise durch die mäandrierenden Teeanbaugebiete erlebt. Nach 100 Kilometern und rund 1000 Höhenmetern ist man am Ziel angelangt.

Malediven 93: Erste Anzeichen des Klimawandels werden sichtbar

Via Sri Lanka, dass ich zehn Tage lang auf einer kulturellen Rundreise kennenlernte und mit zahlreichen Besuchen in Ayurveda-Kliniken veredelte, um mehr über das 3000 jährige Gesundheitswissen zu erfahren, gelangte ich in die Malediven. Dank der grossen Entfernung zum Kontinent als auch die gigantischen insularen Distanzen von 764 km Länge und 128 km Breite, konnte sich das Inselreich dem Zugriff der Kolonialmächte entziehen. Das Staatsgebiet des Inselreichs umfasst 90’000 qkm und beherbergt über 1300 Islande. Den grössten Einfluss übten die Araber auf die Dhivehi-Insulaner aus. Die Islamisierung begann bereits im Jahre 1153, als der buddhistische König Kalamaninja zum Islam bekehrte. Die Kalamaninja Dynastie währte 148 Jahre und regierte mit 15 Sultanen, worauf weitere 78 Sultane folgten in der über 800 jährigen Geschichte der Malediven.

Wie eine leuchtend weisse Perlenkette heben sich die knapp 1800 Korallenatolle vom tiefblauen Indischen Ozean ab. Ein Mosaik aus Licht und Farben umspielt die von Norden nach Süden über sieben Breitengrade hinweg versprengte Inselkette. Jedes dieser von smargdgrüner Vegetation überzogenen und mit türkisblauen Lagunen und kranzförmigen Riffen umsäumte Eilande, welche sich aus der Tiefe des Meeresbodens erheben und dessen opulente Unterwasserpracht nach oben kehren, sieht wieder etwas anders aus. Die Aussenriffe schirmen das oft nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche herausragende Atoll gegen die Brandung ab. Die farbenprächtigen Korallengärten beherbergten damals eine ungeheure Artenfülle. Eine Bilderbuchidylle von Meer, Sonne und Palmenstrand und abgeschiedener Inselromantik sowie ein Eldorado für Taucher als auch Wassersportler, erwartete mich auf der ersten Touristeninsel Ihuru.

Die Schattenseiten dagegen sind: Ein fragiles Ökosystem, das nebst dem Antieg des Meeresspiegels insbesondere durch den Tourismus gefährdet ist. Ein Inselreich, das durch die globale Klimaerwärmung bereits in den frühen 90er Jahren sichtbar in seiner Existenz bedroht war und wohl unwiderruflich dem Untergang geweiht ist. Hinzu kommen die Abfallberge, die die Touristen auf den Inseln und auf der nahe Male gelegenen Müllinsel zurücklassen, sind Zeugnisse der wachsenden Umweltverschmutzung und der Zerstörung fragiler Ökosysteme. Seit der Tourismus den Fischfang als Haupteinnahmequelle abgelöst hat, hat sich mit dem Touristenboom auch eine Müllflut über die Touristeninseln und die Korallengärten ergossen. Ausser Fisch, Kokosnüssen und Bananen müssen alle anderen Konsumgüter importiert werden. Der Spritverbrauch für den Transport der Güter zu den Touristeninseln verschlang damals schon viel Treibstoff und schlug sich an zweiter Stelle in der Importstatistik nieder.

Auf Ihuru habe ich damals schon gesehen, wie die einheimischen Fischer Schiffsladungen von Sandsäcken heranführten und am Strand Wälle gegen die Erosion aufschichteten. Dies führte mir vor fast 30 Jahren vor Augen, dass es einen Klimawandel gibt, der noch als «El-Nino»-Effekt heruntergespielt wurde. Doch mit zunehmender Erkenntnis über die weltweite Gletscherschmelze und der Tatsache, dass damit der Meeresspiegel ansteigt und die klimaentscheidende Atlantikwalze abrupt abreisst, publizierte ich mehrere Berichte und Kommentare in Schweizer Tageszeitungen. Damals schon zeichnete sich die globale Erwärmung ab, die dann vier Jahre später im ersten «IPPC»-Bericht ausführlich und wissenschaftlich fundiert dargelegt wurde. Der «El nino» Effekt zerstörte 1993 die submarine Korallenwelt der Malediven dramatisch, denn sie bleichte aus und starb weitgehend ab. Zum Glück erlebte ich die unglaubliche Farbenpracht der schillernden Weichkorallengärten noch bei meinen ersten Tauchgängen auf Ihuru und Rihiveli sowie auf den Schwesterinseln «Dighofinolu »und «Veliganda Hura».

1992 an der Konferenz in Rio für nachhaltige Entwicklung war der Tourismus noch kein Thema. Doch das änderte sich danach rasch durch das globale Flugverkehrswachstum. 1994 publizierte das «World Travel and Tourism Council» (WTTC) und die «World Tourism Organization» (WTO) gemeinsam mit dem «Earth Council» die «Agenda 21» für die Reise und Tourismusindustrie und wandten sich mit einem Appell an die Vereinten Nationen, die «Agenda 21» besser zu verankern. Doch erst im April 1999 legte die Kommission ein erstes Vier-Jahresprogramm über «Tourismus und Nachhaltige Entwicklung» vor. In der Zwischenzeit entstand eine Flut von Öko-Gütelsiegel und Öko-Zertifizierungen und auch die CO2-Kompensationsmodelle wie «My Climate» beim Fliegen, die alle eine Art ökologische Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen, was reel betrachte natürlich keineswegs der Fall ist.

Vier Jahre später reiste ich ins Ari Atoll zur Insel Makafushi und nahm an einer Frachterversenkung teil, mit der wieder ein künstliches Korallenriff geschaffen werden sollte. Leider waren da die Korallenbänke bereits ausgebleicht und alles Leben abgestorben. Doch das alles sind Tropfen auf einen heissen Stein und wenn wir so weiter machen wie bisher, werden die Malediven in weniger als 50 Jahren wieder in den Fluten untergehen und als versunkenes Inselatoll in Erinnerung bleiben.

Borneo 96: Mit handicapiertem Orang Utan durch den Urwald pirschend

1996 unternahm ich eine Reise nach Malaysia zur Feier der 50 jährigen Unabhängigkeit von der britischen Krone und nach der Staatsfeier mit allen asiatischen Staatschefs, reiste ich erst zehn Tage lang mit dem Auto in ganz Malaysia herum und besuchte den Taman Negara Nationalpark im Regenwald. Des Landes faszinierende Reize reichen von traumhaften Stränden auf den Inseln Lankawi und Tioman im Norden an der thailändischen Grenze, über kulturelle Hochburgen wie Penang oder gewagte Klettertouren auf den Mount Kinabalu oder auch die tierischen Naturparadiese in den beiden Nationalpärken Niah und Gunung-Mulu. Nach der Rundreise durch Malaysia und den Abstecher nach Langkawi flog ich nach Borneo und landete in Sarawak mit dem Ziel, die Situation der Waldrodung für die Palmölgewinnung, die dadurch bedrohliche Lage der Kopfjäger und der zerstörte Lebensraum der Orang Utan, zu erkunden.

Beim Lake Batang Ai in Sarawak auf Borneo startete ich die Expedition in den Regenwald und mietete einen Führer mit Einbaumboot, der mich zu den hier lebenden Iban Headhunters führen sollte. Nach zwei Tagesreisen vom Lake Batang Ai aus mit einem Kanu flussaufwärts durch ein Meer aus abgeholzten, flussabwärts strömenden Tropenstämme paddelnd, landete ich in einem dieser abgelegenen Langhaus-Dörfer. Die Zeiten, in denen Eindringlinge mit dem parang, dem gefürchteten Langmesser enthauptet und die grausigen Trophäen in Form von geschrumpften Minischädeln an den Balken der Langhäuser aufgehängt wurden, sind Gott sei Dank vorbei. Aber ich habe noch solche geschrumpften Schädel gesehen und möchte nicht so enden.

Die Langhäuser der Kopfjäger sind auf Stelzen gebaut, bis zu 100 Meter lang und haben einen durchgehenden breiten Gang der zu einer Längsveranda führt. Im Langhaus ist dann eine Wohnung neben der anderen aneinander gereiht. Damit jeder weiss, was der andere der Sippe macht. Leider war es meinen mangelnden Sprachkenntnissen wegen sehr umständlich, mit den Headhuntern Gespräche über ihre Traditionen und Lebensweise zu führen, da niemand Englisch verstand. Die Verständigung ging nur über Zeichensprache, Beobachten und eine «Low-level»-Kommunikation. Auf dem gut fünf Meter breiten Gang sitzen talentierte Iban-Frauen und flechten kunstvolle Bastmatten, formen Gefässe aus Lehm oder sie sitzen an einem Webstuhl, derweil ältere Männer und Frauen die Kinder beaufsichtigen. Abends gesellen sich die jüngeren Männer hinzu, trinken ihren Tuak (Palmwein) und erzählen von der Jagd, der Feldarbeit oder ihrer Arbeit auf den Plantagen.

Leider erkrankte ich nach kurzer Zeit an Malaria, die mich komplett flach legte. Zwar hatte ich einige «Lariam»-Tabletten geschluckt, aber es ging mir trotzdem sehr schlecht. Von Fieberkrämpfen geschüttelt und schachmatt, lag ich drei Tage einer toten Fliege gleich im «Longhaus» der Kopfjäger herum, bevor ich mit dem Einbaum retour zu einem Dschungelcamp fahren konnte, das über eine Funkstation verfügte. Dort versuchte ich mit der Schweiz über die Funkverbindung und dem andernorts ans Funkgerät gehalten Telefonhörer, mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen. Als dann zu Hause in der Schweiz das Tonbandgerät statt einer Verbindung zustande kam, weil es dort mitten in der Nacht war, sagte ich nur kurz, dass ich mich verabschieden wolle, weil ich die Nacht wohl nicht überleben würde. Danach legte ich mich von weiteren Fieberschüben durchgeschüttelt draussen unter den nächtlichen Sternenhimmel hin. Ich wollte wenigstens im Freien sterben und nicht in der winzigen, stickigen Bretterbude, in der man mich einquartiert hatte.

Was nun geschah war einzigartig und sollte meinen ausgeprägten Realitätssinn fundamental erschüttern. Ob es nur Halunzinationen waren oder ob ich tatsächlich von der Himmelfahrt zurückgeholt wurde, ist mir bis heute nicht klar. Jedenfalls hob mein Astralkörper ab und dann sah ich rein optisch schon die Sterne mit kometenhaft rasender Geschwindigkeit auf mich zukommen und fühlte mich schwerelos in den Orbit hoch gezogen und gleitete sozusagen wie das Raumschiff «Enterprise», das mit Lichtgeschwindigkeit durch den Orbit düste, dem Sternenhimmel entgegen. Aber da die Sterne ja nicht auf mich zukommen können, wurde mir klar, dass ich wohl wie ein Engel abgehoben bin und nun dem funkelnden Firmament entgegen raste, es sei denn, mein fieberndes Hirn treibe seine Mätzchen und hallunzigone Vision mit mir. So oder so die Reise zu den Sternen verlief ebenso  spannend wie erleuchtend. Kurz darauf erscholl ein Schrei und Kreischen in meinen Ohren und ich hörte meine Tochter und ihre Mutter in entsetzten Tönen heulen, verstand aber keines ihrer Worte. „Was zum Teufel wollen die denn hier oben“, dachte ich einen Moment lang und dann beschäftigte mich die Stimme meiner kleinen Tochter so sehr, dass mein Lichtgeschwindigkeit-Flug zu den Sternen jäh an Fahrt verlor und ich eine Schlaufe zurück zur Erde vollzog und mir sagte, dass die Zeit, abzutreten, noch nicht gekommen ist, da es ja zwei Menschen gibt, die mich brauchen. Also schluckte ich noch drei «Lariam»-Tabletten und hatte nun die Dosis für einen Elefanten erreicht, wie mir ein Tropenmediziner einige Tage später sagte. Doch ging es danach langsam wieder bergauf.

Mit Hilfe der Dschungelcamp-Bewohner kam ich nach zwei Tagen wieder auf die Füsse, reiste weiter nach Kota Kinabalu zur Orang Utan Rehabilitationsstation in Sepilok und kam gerade zur rechten Zeit an, weil um 11.00 Uhr die Fütterung der Orang Utan von einer Plattform ungefähr zwei Kilometer weiter im Waldesinnern stattfand. Zwei Touristengruppen waren schon vor mir auf dem Holzsteg losmarschiert, der gut zwei Meter über Boden in den Regenwald zur grossen Besucherplattform und den dahinter befindlichen zwei Fütterungsplätze in den Bäumen rein führt. Als ich mit meinem Teleobjektiv langsam auf die Szenerie zukomme und die jungen Orang Utans auf den Fütterungsplätzen, als auch den ausgewachsenen Orang Utan an dem Drahtseil hängend erkenne, das zwischen den beiden Fütterungsplätzen gespannt war, hörte ich auch die Rufe einzelner Besucher, die den grossen Orang Utan dazu bewegen wollten, sich umzudrehen, da er uns allen frech seinen Hintern entgegen reckte. Die vereinzelten Rufe prallten an seinem Hintern ab. Als Fotograf war ich ebenfalls interessiert, dass der fette Kerl uns sein Antlitz zeigt. So stiess ich ein paar laute Grunzlaute aus, wie ich sie schon gehört hatte und traf offenbar den richtigen Ton. Und siehe da, im Nu drehte sich der Orang Utan, zeigte sein schmatzendes Antlitz und sah neugierig zu uns herüber. Perfekt: „Ready fürs Foto-Shooting?“ Klick, klick, klick.

Danach sah ich zu, wie die Babies ihre Nahrung bekamen und verschlangen und dann wieder abrupt in den Bäumen verschwanden. Doch wollte ich nach der Fütterung vor den anderen wieder zurück in der Reha-Station sein und machte mich deshalb vor den anderen auf den Rückweg auf dem Steg. Als ich an einem jungen handicapierter Orang Utan, mit einem abgehackten, aber schon verheilten Arm vorbeischleichen wollte, der rücklings auf dem Steg lag und so den Durchgang blockierte, packte er mich am Unterschenkel. Was sollte ich tun? Als ich seine Hand, die mein Bein umklammerte, sachte lösen wollte, packte er mich einfach am Handgelenk, worauf wir beide, der junge Orang Utan und der immer noch fiebernde und verschwitze Fotograf Hand in Hand durch den Urwald bis zur Station liefen. Das war ein herrliches Gefühl. Der Orang Utan hätte mich gleich mit hinauf in die Baumkronen zu seinen Kumpanen mitnehmen können. Das ging zwar nicht, dafür hatte ich aber einen verdammt guten Auftritt in der Reha-Station, als wir immer noch Hand in Hand, wie gute alte Freunde dort eintrafen, um mit dem Stations-Leiter zu sprechen.

Meine Reportage über die «bedrohten» Menschenaffen kam hernach in den Schweizer Medien gut an und nebst sieben Tageszeitungen, die den Bericht abdruckten, publizierte auch der «Brückenbauer» mit Millionenauflage damals die Story mit einem Spendenaufruf, worauf einige zehntausend Franken gespendet wurden und der Orang Utan Reha Station in Sepilok zu Gute kamen. Bekannt sind die Menschenaffen durch den Schweizer Umwelt- und Menschenrecht-Aktivisten Bruno Manser geworden, der sich vehement für die Ureinwohner des Regenwaldes, die einstigen Kopfjäger, eingesetzt hat und dann spurlos verschwand und möglicherweise von der „Holzmafia“ ermordet wurde, denen er ein Dorn im Auge war. Der Appenzeller Bruno Manser lebte von 1984 bis 1990 auf Borneo, machte Aufzeichnungen über die Fauna und Flora des tropischen Regenwaldes und lernte die Sprache und Kultur der Penan, einer NomadenVolksgruppe auf Borneo kennen und lebte mit ihnen zusammen. 1990 musste er in die Schweiz fliehen, nachdem er von der malaysischen Regierung ausgewiesen und zur „unerwünschten Person“ erklärt wurde. Auch ein Kopfgeld von 50000 Dollar wurden auf ihn ausgesetzt. 1993 beteiligte sich Manser an einer Fastenaktion und. einem Hungerstreik vor dem Bundeshaus in Bern zum Protest gegen den Import von Tropenholz. Im Jahr 2000 reiste er trotz Einreiseverbot und ausgesetztem Kopfgeld vom indonesischen Teil Borneos (Kalimantan) über die grüne Grenze in das malaysische Sarawak zu den Penan und ward nie mehr gesehen. Seither gilt Bruno Manser als verschollen und wurde 2005 amtlich für tot erklärt.

Der Orang Utan, auf malaiisch der „Waldmensch“, ist seit Mitte der 60er Jahre vom Aussterben bedroht. Trotz internationaler Artenschutzabkommen, damals noch äusserst restriktiven Handelsabkommen und den beiden Auffang- und Rehabilitationsstationen auf Semengho in Sarawak und Sepilok in Sabah auf der malaiischen Insel Borneo sind die nahen Verwandten des Homo Sapiens akuter den je gefährtet. Die Gier nach Tropenholz und Palmöl zerstören ihren Lebensraum, den Primärwald. Durch die Vernichtung ihrer Refugien sind sie heute in kleinen Gruppen isoliert. Der Kahlschlag des Regenwaldes vernichtet nicht nur die materielle sondern auch die geistige Existenzgrundlage vieler Naturvölker, weil die Vorstellung der Orang Ulu, Melanau, Kenzah und Kajan-Stämme davon ausgehen, dass ihre Ahnen als Vögel, Insekten oder Tiere in der heimischen Umgebung weiterleben. Somit wird mit jedem Baumschlag das kulturelle Erbe entweiht und erbarmungslos vernichtet. Und der weitaus grösste Bevölkerungsteil in Sarawak, die Bidayuh-Reisbauern glauben an die Symbiose des menschlichen und pflanzlichen Lebenszyklus und glauben daran, dass die Menschen nach ihrem Tod als Wassertropfen auf die Erde zurückkehren, welche die Böden befruchten und Leben spenden.

Malaysia & Indonesien: Dramatische Abholzung und Artensterben

Wie sieht die Situation heute aus? Der Lebensraum der Menschenaffen hat sich weiter drastisch reduziert und so ist auch ihr Bestand nicht gewachsen sondern wurde weiter dezimiert. Zwar haben Genomiker an Universität in Zürich kürzlich eine neue Art auf Sumatra entdeckt, den Tapanuli-Orang Utan, deren Refugium in den zerklüfteten Bergen der Region Batang Toru in Indonesien liegt. Ein erschossener Orang Utan in Raja wurde näher untersucht und von den Wissenschaftlern als neue Art eingestuft. Sie wird zugleich aber auch die Art sein, die am schnellsten wieder auf dem Primatenradar verschwinden wird. Die geschätzten 800 Primaten sind, wie auf Borneo auch hier in Indonesien von Waldrodungen für Palmölplantagen, Zersiedlung und von einem Staudamm-Projekt betroffen. Und nicht nur sie sterben lautlos aus. Auch viele andere Spezies gehen unter. Eine Million Arten sind in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Dies ist das vernichtende Fazit des «Weltbiodiversitätsrates» (IPBES) von 2019. Reptilien und Vögel haben es schwer, aber auch immer mehr Säugetiere sterben aus. 540 Landwirbelarten wurden im 20 Jahrhundert ausgerottet. Die meisten im asiatischen Raum.

Die Schweiz hat gerade eben mit Indonesien ein umstrittenes Wirtschaftsabkommen abgeschlossen und setzt dabei im Abkommen auf «RSPO»-Standards, die in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Umweltorganisationen und Hilfswerken entstanden war. Gemäss dem Verordnungsentwurf würden Zertifizierungen nach vier Standards geprüft. Neben dem «Round table on sustainabel Palm Oil» (RSPO), dem «Standard ISCC Plus» (International Sustainability and Carbon Certification) und der sogenannten «POIG» (Palm Oil Innovation Group). Doch damit werden weder die Abholzung noch Staudamm-Projekte gestoppt und auch der Lebensraum der Orang Utan und vieler anderer Spezies ist weiterhin dem Untergang geweiht. Ein Abkommen mit Nachhaltigkeitszielen ist zwar ein kleiner Fortschritt, ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass der Raubbau weiter geht und es zu wenig Schutzgebiete gibt, denn der Bedarf an Palmöl ist extrem gestiegen und steigt weiter.

Entsprechend wuchs auch die Anbaufläche, die durch die Rodung des Primärwaldes zustande kam. Seit 2008 ist die Fläche dafür jährlich um 0,7 Millionen Hektaren angestiegen, eine Fläche viermal so gross wie der Kanton Zürich. Und der Bedarf wird sich bis 2050 voraussichtlich nochmals mehr als verdoppeln. Auf der Insel Borneo gehen 50 Prozent der Rodungen auf den Palmölanbau zurück. Im viel grösseren Indonesien sind es auch schon 20 Prozent. Es gibt zwar auch positive Anzeichen der «RSPO»-Zertifizierung, doch das Gros der Betriebe handeln nach dem Prinzip der Ökonomie der Grösse (70 Prozent) und nur ein Drittel werden über Kleinbauern und Kooperativen angebaut, womit das weitere Zerstörungspotential eminent hoch bleibt.

Sechs Prozent aller Tierarten befinden sich auf der Insel Borneo. Seit über 4000 Jahren werden die Regenwälder Borneos von den Indigenen bevölkert. Im Laufe der letzten 50 Jahren wurde knapp die Hälfte des Regenwaldes in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos abgeholzt. Es gibt Tausende von Landkonflikten von indigenen Gemeinden gegen grosse Holzunternehmen, doch der Staat und die Justiz machen es der Bevölkerung schwer, an ihre Rechte heranzukommen und ihr Land gegen den Raubbau zu verteidigen. Zwar gibt es seit 30 Jahren eine Konvention zum Schutz der Regenwälder, doch die wurde nie vom indonesischen Parlament ratifiziert und umgesetzt. Ausserdem ist zu beobachten, dass fast alle Politiker entweder ehemalige oder noch amtierende Holzindustrielle in Jakarta sind, wie Norman Jiwan von der NGO «TuK» berichtet. Und von der Palmölindustrie profitieren nur weniger als 30 der reichsten indonesischen Familien. Da die Rechte der indigenen Völker und ihre seit Jahrhunderten ökologisch genutzter Grundbesitz nicht annerkannt sind, kann die Holzindustrie schalten und walten wie sie will, notabene mit den notwendigen Papieren der Regierung.

Die Abnehmer der Holzfirmen sind auch die Eigentümer der Palmölindustrie-Betriebe, die so durch den Raubbau gleich doppelt verdienen, denn nur fünf Jahre nach dem Abholzen des Regenwaldes können schon erste Gewinne aus dem Palmölgeschäft vernbucht werden. Die Kleptokratie in Indonesien kennt keine Grenzen. Die Rechte der Indigenen Völker werden gnadenlos unterminiert, ihr Grundbesitz kaum oder ohne Entschädigung  enteignet. Ist der Urwald einmal gerodet kann die Regierung ihn problemlos als minderwertigen Wald bzw. landwirtschftliche Nutzfläche deklarieren und durch Lizenzen an die Palmölgesellschaften verpachten womit die lokalen Gemeinschaften so für immer ihre Rechte an eigenen Land verlieren. Die internationalen Profiteure nebst den indonesischen Firmen sind global Players wie «Nestle», «Cargill», «Unilever», «Procter & Gamble» usw..

Die Hafenstadt Samarinda an der Mündung des Flusses Mahakam, ist ideal gelegen um das „Grüne Gold“ nach Übersee zu verschiffen. Das lokale Sägewerk in Samarinda und die Holzfällerfirma sind «FSC»-zertifiziert. Viele streben die «FSC»-Zertifizierungen an und erhalten sie auch, obschon sie ihr Geschäft mit Landraub auf indigenen Gebieten rücksichtslos ausdehnen. Daher kann man den wenigsten Zertifizierungen Glauben schenken. Es ist reine Augenwischerei, darauf vertrauen zu wollen. Denn die Kontrolleure sogenannter Zertifizierungslabels sind private Firmen, die sich die nächsten Aufträge dadurch sichern wollen, dass sie möglichst viel und bedenkenlos zertifizieren, vermeldet die österreichische «Greenpeace-Sprecherin» Ursula Bittner. „Eines der grössten Probleme bei den Kontrollen sind die Akteure im Geschäft. Je lascher die Kontrollen sind, desto mehr Aufträge fliessen den Kontrolleuren zu“. Das führe zu wenigen und ungenügenden Kontrollen, zu Intransparenz, die kaum eine echte Ursprungs-Rückverfolgbarkeit zulassen, moniert «Greenpeace». Die Entscheidungen orientieren sich an der Industrie und der korrupten Politik. Auch Lukas Straumann vom «Bruno Manser Fond» in Basel bestätigt, dass die Korruption in Malaysia und in Indonesien weitverbreitet ist.

Tropisches Regenwald-Sperrholz gelangte so auch zu den Olympischen Spielen in Tokyo und wurden via die «Firma Sumitomo Forestry», einer der wichtigsten Holzlieferanten für die Olympischen Spiele in den Stadien dafür gebraucht wurden, die Betonfundamente auszuformen, so Hanna Heineken, Finanzexpertin von «Rainforest Action Network». Die japanische Regierung musste in der Folge zugeben, dass in allen Olympischen Stadien tropisches Regenwaldholz verbaut wurde, das aus zwielichtigen Quellen und von Firmen kamen, die in Landkonflikte, Menschenrechtsverletzungen, Steuerbetrug, Lizenz-Betrug und viele andere Wirtschaftsdelikte involviert waren. Tja und wo ist der Sitz der Olympischen Gemeinde? In der Schweiz, in Lausanne. Da fragt man sich doch, wie weit die Verantwortung des Olympischen Kommitees reicht? Offensichtlich nirgendwo hin! Das «Olympische Kommitee» scherte sich offensichtlich keinen Deut um nachhaltige Spiele und sollte fortan vermehrt in die Pflicht genommen werden.

Leider ist es aber auch so, dass die Schweizer Regierung mit der Indonesischen Regierung ein als nachhaltig gelobtes Witschaftsabkommen abgeschlossen hat, das wie soviele Papiertiger, keinen Cent Wert ist. Es dient lediglich zur Beruhigung allzu gläubiger KonsumentInnen, der Rechtfertigung durch die Ausbeuter und Profiteure in Banken- und Wirtschaftskreisen, niemals aber zum Schutz des Regenwaldes oder zur tatsächlichen Einhaltung indigener Menschenrechte. So auch im malayischen Teil von Borneo. Die Sarawaker Familie Taib Mahmud ist anüber 400 Firmen beteiligt und hat ihr Vermögen in Dutzende von Ländern verschoben. 150 Millionen US Dollar wurden nach Angaben von «Interpol» jährlich von der Taib Mahmud Familie nachweislich über ein internationales Bankengeflecht gewaschen. Die «Deutsche Bank» war da sehr stark involviert und dem Malayischen Premierminister Najib Rasak wurde im «1MbD-Skandal» nachgewiesen, dass er 681 Millionen Dollar von einer Singaporer Bank erhalten hat, die er im Zusammenhang mit der immensen Geldwäsche beim «1MbD-Fund» abgezweigt hat.

1996: Bali, Lombok und die Gili-Inseln

Auf Lombok, einer Nachbarinsel von Bali sind sowohl die Relikte des balinesischen Herrscherreiches, – die hinduistischen Tempel Pura Meru, Batu Bolong und die königliche Hofanlage Mayura –  als auch die Stätten, Kulturgüter und Bräuche der Sasak-Ureinwohner sichtbar. Die Sasak orientieren sich an der Wetu-Tela-Lehre des Propheten und waren aus Furcht vor separatistiscshen Bewegungen von der Suharto-Regierung in Jakarta offiziell nicht geduldet. Dennoch strömten an diesem Tag, an dem ich auf Lombok ankam, die DorfbewohnerInnen von Rambitan zusammen und ein langer Pilgerzug setzte sich in Bewegung an das Grab des Heiligen Syaid Abdul Amman. Dort angekommen, legen die Sasak ihre Opfergaben nieder und beten für Glück, Gesundheit und eine gute Ernte. Die Ziarah-Prozession findet nur einmal jährlich statt nach der Geburtstagsfeier des Propheten Mohammed. Doch viele Sasak kommen auch unter dem Jahr in einzelnen Gruppen hierher zur letzten Ruhestätte von Hadas Husen, wie sie ihren Erleuchteten nennen, wenn sie um Rat und Eingebung suchen.

Ein weiteres imposantes Schauspiel und Brauchtum bleibt den Bergsteigern vorbehalten, die sich in einer Vollmondnacht auf den 3726 Meter hohen Mount Rinjani wagen. Im Vollmondschein erklimmen die Gläubigen den Gipfel, um dem Allmächtigen so nah wie möglich zu sein, denn der Aufstieg hat es in sich. Oft herrschen harsche Wetterverhältnisse und bei Regen wird das Geröll sehr glitschig. Bevor sie nach langen Trance-Zuständen wieder hinabsteigen, nehmen sie ein reinigendes und heilendes Schwefelbad im Kratersee. Vom Kraterrand aus biete sich ein atemberaubender Ausblick über Lombok und bis hin zum Mutterberg der BalinesInnen, dem Gunung Agung.

Charakterischtisch für die Provinz Nusa Tenggara Barat, zu der auch die Nachbarinseln Subawa gehört, ist eine aussergewöhnlich stark variierende Oberflächengestalt der hügeligen Landschaft und das kontrastreiche Klima im Umkreis weniger Kilometer. Trotz signifikanter topografischer und klimatischer Gegensätze lässt sich die Insel, die gut 80 Kilometer lang und nicht sehr breit ist, in vier unterschiedliche Kulturlandschaften unterteilen. Der Saum zwischen der nördlichen Küste und der Bergkette rund um den Mount Rinjani geicht einer Trockensavanne. Die Einöde ist entsprechend dünn besiedelt. Überreiche Vegetation offenbart sich hingegen in den dahinter liegenden Höhenlagen der zentralen Bergregion, denn sie ist mit artemreichen Monsunwald überzogen. Zu den kultiviertesten Gebieten zählt die Ebene rund um die städtische Agglomeration. In dieser landwirtschaftlich ertragreichen Zone werden Reis, Soja, Chilli und prächtige Lotusblüten angebaut.

In den Ballungszentren von Mataram, der Stadt der grossen Augen, Amparam und Chakranegala konzentriert sich das Gros der Bevölkerung damals 2, 5 Millionen, dicht gedrängt (gut 1000 Einwohner pro Quadratkilometer). In den Dokars zwängen sich die Menschen, Tiere und vollgestopfte Pferdekutschen durch die staubigen Gassen. Die Bevölkerung ist jung, 40 Prozent sind unter 15 Jahren. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung ist gekoppelt mit politischer Repression und auch die touristische Prosperität, oft mit Zwangsenteignungen verbunden. Das Suharto – Regime sorgte immer wieder für unrühmliche Schlagzeilen, weil das Militär repressiv ganze Dorfgemeinschaften wie in Borobudur auf Java und auf der Insel Gili Trawagan vertrieb. Den Enteigneten wurden kaum Entschädigungen bezahlt, dafür sahnte das Suharto-Regime kräftig mit Steuern der Hotelkomplexe, die dort entstanden, ab. Politischer Widerstand und demokratische Spielregeln wurden systematisch repressiv unterdrückt, die Pressefreiheit stark zensuriert und Regimekritiker hart angefasst. Zu den drei touristischen Kristallisationspunkten zählten damals die drei Mini-Koralleninseln, Schnorchler und Taucherparadiese Gilli Air, Gili Meno und Gili Trawangan. Im Westen der Insel liegt die Senggi-Beach, eine den Surfern vorbehaltene Bucht.

Philippines 95: Unglaubliche Geistheiler-Fähigkeiten

Vor 30 Jahren, also in den frühen 90er Jahren lag der Strand noch unberürhrt da. Kilometerlang, weiss, feinsandig, von Palmen gesäumt. Dazu tief blaues, warmes Wasser, schaukelnde, bunt bemalte Bancas, die Bambus-Ausleger-Boote der Einheimischen auf Boracay. Damals eine verschlafene Insel auf der einige Fischerfamilien bescheiden lebten. Kein Strom, keine Hotels, keine Discos. Dann kamen die ersten Rucksacktouristen, berauscht von der Tropen-Schönheit, vom Nichtstun, und von psychoaktiven Substanzen. Die Filipinos, freundlich und spontan, nahmen sie auf und beherbergten sie in ihren einfachen Hütten. Der Ferien-Geheimtipp war geboren. Damals war das Land der 7000 Inseln noch kaum touristisch erschlossen und ein echtes Aussteiger-Paradies.

Auf Palawan, einer sehr viel grösseren Insel, gab es unberührte Natur- und Tierparadiese samt grossem Abenteuer und Expeditionspotential. Palawan besteht durchwegs aus gebirgigem Dschungel, ist aber touristisch vor allem für die Höhlenfoschung, Tauchen und Wrackexplorationen sowie Trekking beliebt. Cebu zählte schon damals zu den wichtigsten Tourismusinseln mit zahlreichen luxuriösen Beach Resorts. Sehenswert sind die Korallengärten bei Pescador Island und die Gitarrenfabriken auf Mactan Island. Immer mehr Touristen zog es auch zu Mountainbike-Touren auf der Insel Bohol, wo die weltberühmten Chocolate Hills liegen. Das ist eine mit über Tausend etwa 30 Meter hohen Höckern hügelige Landschaft. Darüber hinaus gilt auch Pandan, im Süden Mindoros situierten Insel. Die Insel ist einen Kilometer lang und 500 Meter breit. Für Massentourismus ist hier kein Platz. Jedenfalls zu der damaligen Zeit.

Bei meiner zweiten Reise in die Philippinen leistete ich mir erst eine Schiffsreise zur Erkundung der Insel Palawan, Busuanga Island und den Coron Inseln, um hernach philippinische Geistheiler in Luzon aufzusuchen. Denn ein halbes Jahr zuvor kam ein knapp 25 jähriger Heiler in die Schweiz und nach Deutschland, der offensichtlich schon Kultstatus besass. Jedenfalls warteten damals in Zürich gewiss drei Dutzend Personen auf eine kurze Session mit diesem Geistheiler. Der Reihe nach fanden sich die Personen in einem abgedunkelten Raum ein und erzählten  dem in Trance befindlichen Geistheiler kurz ihr Anliegen, worauf er sie untersuchte, abtastete und so merkwürdige Dinge vor meinen Augen tat, wie das Körperöffnen mit der Fingerspitze an gewissen Stellen, worauf die Fleischwunde aufklaffte und er mit den Fingern darin eintauchte.

Den philippinischen Geistheilern wird nachgesagt, dass sie die Fähigkeit haben, ihre Finger beim Eintauchen zu entmaterialisieren, um so mit dem Körpergewebe zu verschmelzen. Ob man daran und an ihre Fähigkeit Krebstumore zu entfernen glauben mag, ist die eine Sache, was ich gesehen habe eine andere. Doch seine Finger, die er tief in das Fleisch reinschob, wurden sogleich unsichtbar unter der Hautoberfläche und verschmolzen mit dem Gewebe. Dabei waren keine Fingerspitzen oder -kuppen mehr zu sehen, nur der Fingeransatz über der Hautoberfläche blieb ersichtlich. Ich konnte mir das von oben und seitlich von ganz nah anschauen, so unglaublich es war. Als er die Finger herauszog, verschloss sie die klaffende Wunde sofort und zurück blieb eine leicht gerötete Stelle an der Hautoberfläche. „Der absolute Wahnsinn!“ So etwas habe ich noch nie zuvor und nur zwei Mal – bei zwei Geistheiler in Zürich und nun hier in Luzon gesehen. Seither nehme ich die Welt mit anderen Augen und Sensoren wahr.

Dieses spirituelle Handwerk faszinierte mich derart, dass ich mich zuvor in Zürich ohne zu zögern in eine Session begab. Mein gesundheitliches Problem war der starke, chronische Husten infolge exzessiven Rauchens. Also drang der Geistheiler erst mit der Hand in meinen Kehlkopf ein, dann als er in meine Brust eindrang, spürte ich einen leichten Spreizdruck auf den Rippen, aber nicht schmerzhaft und zum Schluss spürte ich seine Hände auch noch warm und weich in meine Bauchhöhle eintauchen. Bei vollem Bewusstsein sah ich zu, wie seine Finger in der klaffenden Wunde verschwanden. Einfach unglaublich die Fähigkeiten dieses jungen spirituellen Geistheiler, der seine Magie direkt von der „Jungfrau Maria“ gespendet erhält, wie er sagte. Aber das verrückteste ist, dass sich der Husten augenblicklich in Luft auflöste, die Lungenfunktion dadurch beträchtlich besser wurde und dieser Zustand gewiss drei, vier Monate anhielt!

Auch bei der Mutter meiner Tochter, die einen Krebsabstrich mit einem PAP3 Befund in der Schwangerschaft hatte und deshalb den Heiler aufsuchte, regenerierten sich und die Krebszellen nach dieser Session. Kein Mensch würde mir die Story glauben, wenn ich nicht einige Beweisfotos dieser OP-Schnitte und manuellen, spirituellen Eingriffe gemacht hätte. Das war so faszinierend, dass ich mehr über die Heiler-Methoden der philippinischen Geistheiler auf der Insel Luzon in Erfahrung bringen wollte. Nach längerem Herumfragen fand ich dort einen weiteren Geistheiler, der auch westliche Touristen behandelte. Es hatte sich ähnlich, wie bei Ayurveda in Indien, in europäischen Kreisen bei Krebskranken herumgesprochen, dass vielleicht Hoffnung bestand, so geheilt zu werden, wenn die westliche Medizin an das Ende ihrer Möglichkeiten gekommen ist. Beim Heiler in Luzon nahm ich an einer Elektro-Kabel-Session teil, bei der die Teilnehmer sich im Kreis die Hände gaben und dann an einen niedrigen Voltanschluss unter Strom gesetzt wurden. Was das genau bewirken sollte, war mir unklar. Auch der hiesige Geistheiler öffnete die Körper mit seinen Händen und wurstelte darin herum. Manchmal zog er kleine Gewebeteile heraus und schmiss sie in einen Plastikeimer neben dem Untersuchungsbett. „Das sind Metastasen gewesen“, erklärte er mir und zu gern hätte ich Gewebeproben mitgenommen und untersuchen lassen. Bei diesem Geistheiler war ich nicht ganz so überzeugt, ob es sich hier nicht um ein „Hokuspokus“ handelte, denn es gab auch Mitläufer unter ihnen, die versuchten mit dem Ruf der Geistheiler Geld mit westlichen Touristen zu verdienen. Der junge Philippino, der in der Schweiz war, geniesst aber meinen höchsten Respekt und mein uneingeschränktes Vertrauen. Schliesslich liess sich die Wirkung der aussergewöhnlichen Behandlung bei einigen Personen verifizieren. Die Session in Luzon hat bei mir scheinbar nichts bewirkt, mir aber auch nicht geschadet.

Am Schluss dieser Philippinen Reise erlebte ich noch eine ungemütliche Überraschung. Ich wurde am Flughafen bei der Ausreise verhaftet. Angeblich weil ich den Namen einer Person habe, die in den Philippinen ausgeschrieben war und gesucht wurde. In der Tat haben mich die Grenzbeamten damals bei meiner ersten Einreise mich ausführlich zu meinen Namen und meiner Herkunft befragt und wollten genauer wissen, ob ich schon mal in den Philippinen gewesen war? Als ich verneinte, liessen sie mich einreisen. Aber jetzt schien das alte Problem wieder auf dem Radar der Migrationsbehörden aufzutauchen und verhinderte meine Ausreise. Daher musste ich den Tourismusminister bemühen, auf dessen Einladung ich in den Philippinen war, um nach zwei Tagen von Fieber und Schüttelfrost geplagten Inhaftierung wieder frei zu kommen und ausreisen zu dürfen. Wäre er nicht gewesen, hätte ich extra nach Manila reisen und mich im Justizministerium präsentieren müssen. Das blieb mir glücklicherweise erspart und damit so etwas anderen Touristen in der Schweiz auch erspart würde, publizierte ich die Telefonnummer des Justizministers in den Tages-Zeitungen mit dem Verweis, in so einem Fall solle man sich doch direkt an den Chef der Justizbehörde wenden. Dieser Hinweis in den Schweizer Medien wurde von der philippinischen Botschaft nicht goutiert. Mehr noch: Ein paar Jahre später bei einer weiteren Presseeinladung in die Philippinen seitens «Singapore Airlines», meinem wichtigsten Airline-Partner, wurde ich dann plötzlich wieder ausgeladen und auch meine Bemühungen bei der philippinischen Botschaft in Bern blieben erfolglos, obschon ich ihnen alle Passauszüge mit meinen Auslandreisen zugesandt habe. Als der philippinische Militärattaché sich mit einem abschlägigen Bescheid bei mir meldete und mich zur Persona non grata stempelte, wusste ich, dass auch die US-Behörden bei dem Manöver dahinter steckten. Die hatten nun gewiss auch detailliert Kenntnis all meiner Auslandreisen inklusive der zahlreichen Kuba- und Ostblockreisen. Damit war ich definitiv als Sozialisten-Freund auf dem «NSA» und «CIA-Radar» angelangt.

Vietnam (1993) entwickelte sich schneller als ein Polaroid-Foto

Durch die Kooperation mit «Singapore Airlines», die damals gerade ihren Anfang nahm und dank Chrstina Hollenweger über 15 Jahre lang anhielt, kam ich nach Vietnam zu einer Zeit, als die kriegsversehrte Nation noch am Boden lag und die Bevölkerung vor Hunger und Entbehrungen darbte. Doch von da an entwickelte sich Vietnam schneller als ein Polaroid-Foto. Ho-Chi-Mingh hat abgedankt – Honda und Coca Cola sind «in» geworden. Spektakuläre Landschaften, faszinierende, uralte Kulte der Minoritäten entlang der Grenze und im Norden und als Kontrast das schnelle Leben der Kinhs in einer turbulenten Aufbruchphase – Vietnam ist ein Land voller Wunder, Wonnen und Widerspenstigkeiten auf dem Weg zwischen gespenstischer Vergangenheit und hoffnungsvoller Zukunft.

In den Strassen Saigons, dem heutigen Ho-Chi-Mingh City, spielte sich der verrückteste Tanz auf zwei Rädern ab, den man sich vorstellen kann: Tausende von Moped-FahrerInnen brausen oft mit der ganzen Familie, also auch schon Mal zu Viert kreuz und quer, hupend und knatternd durch die Strassen und auf die Kreuzungen zu, verweben sich dort zu einem dichten Knäuel, quetschen und quengeln sich durch den verqueren Richtungsstrom und stieben kurz darauf wieder wie ein Fischschwarm auseinander. Halsbrecherische Manöver sind die einzige Ordnung und verlässliche Konstante in diesem Verkehrschaos. Wer sich nicht selbst auf so ein gemietetes Moped wagt, kann sich von einem Cyclo-Fahrer durch die Strassen kutschieren lassen.

Der Mobilitätswahn signalisierte damals die ungezügelte Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit und spiegelte den «song voi», das schnelle Leben wieder, dass die Bewohner von «Motorroller City» wie ein Fieber ergriffen hatte. Für Vietnams Jugend, die den zähen und blutigen Befreiungskampf nur noch aus den Schulbüchern kennt, sind «Coca Cola», Hamburger und «Honda» wichtiger als Ho Chi Minghs Revolution. Frech geschminkte Mädchen in knallengen Jeans, glutroten Cocktailkleidern oder dottergelben Hot-Pants, allesamt auf High Heels durch die Strassen stolzierend, verkörperten den westlich orientierten Trend und kontrastierten das Bild traditionell gekleideter Frauen im blütenweissen, halbdurchsichtigen «ao dais» mit flatternden Haaren, wie Feen auf ihren Fahrrädern über den glühenden Asphalt hinweg glitten.

Durch die «Doi-Moi-Politik», die vietnamesische Perestroika Richtung Marktsozialismus, hat die Metamorphose vom abgehalftertem Kommunismus zum hemmungslosen Konsum rasend beschleunigt und im Land des aufsteigenden Drachens eine gewaltige unternehmerische Energie entfacht. Die Machtelite visierte damals bis zum Jahr 2000 den Beitritt zum Kreis der «asiatischen Tiger» zu schaffen und den Tourismus mächtig ankurbeln zu können. Und sie schafften beides. Ho-Chi-Mingh-City und Hanoi tickten damals komplett anders und waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. In der 1600 Kilometer nördlich von Saigon gelegenen Machtmetropole der kommunistischen Partei, spielte sich das Leben weitaus gemütlicher und beschaulicher ab, gedieh die neue Freiheit verhaltender und auch das Klima wahr angenehmer. Der Einfluss der Franzosen, die Hanoi 1883 zur Verwaltungsstadt von Tonkin und später von ganz Indochina erklärten, ist noch immer deutlich zu sehen und das nicht nur anhand der französischen Baguettes, die in Vietnam Tradition haben, sondern vereinzelt auch noch an den alten Kolonialstilbauten, welche das Savoir vivre der Franzosen und ihren Bohème-Einfluss auf die Kultur, die Malerei und die Infrastruktur wiederspiegelten und wenig mit der hektischen, freisinnigen Vitalität des Südens zu tun hatte. Aber natürlich hat auch hier der Dollar den Dong in eine blosse Zuschauerrolle gedrängt. Zwischen den beiden Metropolen liegen die mystischen Welten der Bergvölker, wie die der Thai, der Khmer, Kohor und der Halbnomanden, den Hmong. Die 53 Minoritäten stellten zusammen zwar nur 10 Prozent der Bevölkerung, aber sie bewohnten damals fast siebzig Prozent der vietnamesischen Landoberfläche.

Ausser der Region Lang Bien bei Dalat, wo sich am Fusse des Nui Baz (Frauenberg). In der «verbotenen Zone» des gebirgigen Hinterlandes entlang der chinesischen Grenze, wo sich eines der letzten Matriarchate verbirgt, gab es einige Sperrbezirke für Ausländer. Die Hauptachsen vom Mekong Delta über Saigon nach Dalat im südvietamesischen Hochplateau und via dem Badeferienort Nha Trang bis zur alten Kaiserstadt Hue hoch waren dank den Amerikanern gut ausgebaut, die Strasse nach dem Wolkenpass bis nach Hanoi hingegen katastrophal, als wäre sie mit einem Bombenteppich überzogen worden, was ja auch stimmt. Zudem sind die Passstrassen ins Hochland in der Regenzeit oft unpassierbar.

Zu den touristischen Highlights Vietnams gehören: Da Lat, das «Valle d‘amour» der Hochzeitspärchen, der Ferienort der Reichen aus dem damaligen Saigon und davor für die Franzosen. Ein schmuckes, melancholisch verträumtes Städtchen, mit gediegenen provenzialischen Kolonialstilhäusern rund um den Seufzer-See, eingebettet in die Hügelzüge mit smaragdgrünen Reisterrassen, Gemüsefeldern, Reben, Kaffee- und Teeplantagen. Die Temperatur ist auch im Sommer moderat, das Klima angenehm kühl, wie in einem Schweizer Bergkurort. Ferner: Der Badeferienort Nha Trang, ein quirliger Badeferienort, der mit einem malerischen Fischerhafen, einer idyllischen Küsten- und Flusslandschaft, den Cham-Tempeln von Po Nagar (aus dem 7. Nis 12. Jahrhundert) sowie mit feinen französischen Strassencafés, schwülen Nachtclubs und ausgezeichneten Hotels sowie alle Facetten kultureller und touristischer Anreize. Auch Hue die Kaiserstadt am Parfümfluss mit den verbotenen Palästen, turmhohen Pagoden und prächtigen Boulevards zählt zu den schönsten Reisezielen Vietnams. Wer auch den Norden Vietnams bereist, sollte unbedingt eine Schifffahrt durch die Halong Bay im Golf von Tonkin machen. „Hast du die Bucht des herabsteigenden Drachens nicht besucht, hast du Vietnam nicht gesehen“, flötet die bildhübsche Auflugsagentin Thuy (was klares Wasser bedeutet). Die Fahrt auf einer Dschunke durch die über 3000 steil aus dem Meer ragenden Felsnadeln gespickte Bucht, fühlt sich an wie ein kleines Piratenabenteuer.

Zwar war die Prostitution schon seit den Tagen von Madame Nhu, der ebenso schlitzäugigen wie schlitzohrigen Schwägerin des Präsidenten Diems, gesetzlich verboten, das änderte aber damals nichts daran, dass mehr als eine halbe Million Frauen und minderjährige Mädchen die Bars und Bordelle Südvietnams bevölkerten und man überall viele dieser con gai sah. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Zustrom devisenkräftiger Ausländer war die Prostitution wieder stark angestiegen. Das lebhafte Interesse und betörende Lachen einer Phu Nu Viet Nam könnten also auch von rein geschäftlicher Natur her gerührt haben. Vielen ging es wohl ums nackte Überleben zur Linderung der Armut und des Hungers. Denn selbst Mädchen im zarten Alter scheuten sich nicht, mir ihre Schwestern feilzubieten. Wie das zu dem konfuzianischen Weltbild passte, war mir nicht klar. Handkehrum etablierte sich bereits in der Dong-Son Kultur (700 bis 257 v. Chr.) zusehends eine matriarchalisch dominierte Gesellschaft, die bekannt für ihre freizügigen Sitten und den konfuzianisch patriarchalisch eingefleischten Chinesen ein steter Dorn im Auge als auch die Ursache vieler Kriege. Die Vermutung, dass die selbstbewussten und emanzipierten Frauen Vietnams sich nicht nur das gleiche Recht, wie die Männer heraus nahmen, sondern auch die Inanspruchnahme von Liebesdiensten fast zum guten Ton gehörte, wurde weder bestätigt noch dementiert.

Weise sprach Konfuzius: «Mit Frauen und Untertanen umzugehen ist äusserst schwierig». So weit, so gut. Um die Schwierigkeiten zu verringern, ersann der chinesische Philosoph drei patriarchalische Regeln, die lange Bestand hatten. Die Frau hat sich als Mädchen, dem Vater, als Ehefau dem Mann und als Witwe dem ältesten Sohn unterzuordnen. Der Mann aber hatte alle Freiheiten, er durfte seine Frau verstossen und seine Töchter verkaufen. Dergestalt patriarchalische Vorstellungen kamen aber in der vietnamesischen Gesellschaft schlecht an. Auch wenn der Konfuzianismus rund hundert Jahre vor dem Christentum in Vietnam ankam und den Ahnenkult verdrängte, vermochte er nicht, die seit der Dong-Son Kultur etablierten matriachalischen Strukturen und Traditionen zu beseitigen. Ein Beispiel der heldenhaften Kämpferinnen gefällig?

Kurz nach Christi Geburt stellten sich die Trung Schwestern an der Spitze des Lac-Heeres und – auf ihren Kampf-elefanten – den Feinden entgegen. Trotz Heldinnen hafter Gegenwehr wurden sie schliesslich besiegt. Aber statt vor dem nach Rache dürstenden Gegner zu kapitulieren, gingen sie lieber in den Fluten des Roten Flusses unter, als sich dem übermächtigen Gegner zu ergeben. So werden die Hai-Ba Trung Schwestern bis heute als Heldinnen verehrt. Das machte sie auch für mich begehrt und so beschloss ich, in eines dieser Matriarchate zu gelangen, die sich ja in einem für Ausländer gesperrten Bezirk befanden. Mit Hilfe eines in Saigon lebenden Schweizers, der einen vietnamesichen Journalisten kannte, der wiederum Kontakte zu Medienschaffenden in einem dieser Gebiete pflegte, gelangte ich schliesslich im Kofferraum des lokalen Radioteams versteckt in das Matriarchat und am Ende des Tages auf dem gleichen Weg auch so wieder heraus.

Dazwischen standen spannende Stunden am Fusse des Nui Baz. Da und dort ragten die spitzen Strohhüte der Bäuerinnen über die Bepflanzung hinaus, bewegten sich rythmisch vorwärts und mit riesigen Heuballen beladene Frauen stapften breitbeinig über die dampfende Erde an uns vorbei. Unübersehbare Schilder mahnten uns unmissverständlich (wenn man vietnamesisch konnte), dass wir uns hier in Lang Bien in einer «verbotenen Zone» befänden. Bei unserer Ankunft im Dorf wurden wir kaum beachtet. Üblicherweise strömte das ganze Dorf zusammen und du wirst von einer Kinderschar umringt, die nach Bonbons betteln. Hier interessanterweise nicht. Wir wandten uns an einen alten Mann, der im kühlen Schatten eines Tamarindenbaumes bei ein paar spielenden Kindern sass und fragten ihn nach dem oder der Dorfälteste/n, worauf er sich erhob und uns zu einer Hütte führte, die einzig von glimmenden Holzstücken beleuchtet wird, worauf erst vier Frauen mit mongolischen Gesichtern den dunklen Raum betraten, ein tönernes Gefäss vor unsere Füsse stellten und uns zum Trinken aufforderten. Schwerer, süsslicher Wein rannte durch unsere Kehlen, der eher schon ein alkoholischen Dicksaft glich. Dann kommt das Gespräch über ihre Bräuche in Gang. Ihre Dorfgemeinschaft umfasst rund 35 Familien und über 300 Seelen. Wir kommen gleich zur Sache und wollen mehr über die matriarchalischen Strukturen wissen. Mit grosser Selbstverständlichkeit erzählen sie, dass hier die Frauen einen Mann aussuchen und dessen Familie um die Hand des Auserwählten bitten; dass der Mann nach der Heirat den Namen der Frau annimmt und in ihr Haus einzieht; dass das Erbe beim Tod der Frau an die älteste Tochter übergeht und dass der Witwer oft von der ältesten Schwester der Verstorbenen geheiratet wird. Will er dies nicht, muss er auf dem Grab seiner Frau einen Baum pflanzen und 13 Monate abwarten, bis er sich wieder vermählen darf.

Dass im Matriarchat nicht unbedingt alles viel idyllischer zugehen muss, als in männerdominierten Gesellschaften, zeigt sich an einem brutalen Brautschau-Wettkampf, dem erst französische Missionare ein Ende setzten. Begehrten zwei Frauen brennenden Herzens ein und denselben Mann, kam es unter Aufsicht der Dorfältesten zu einem brutalen Machtkampf. Die Frauen mussten ihre Köpfe tief ins Wasser des Dorfbaches strecken und die, die länger unten blieb, hatte gewonnen, denn auch die Verliererin hatte ja ihr Leben verwirkt. Es war also eine Entscheidung und ein Kampf auf Leben und Tod. Und so kam es auch vor, dass sich eine der Frauen angesichts einer langatmigeren Konkurrentin auf verlorenem Posten sahen, ihr Haar unter Wasser an einer Baumwurzel verknüpfte, um nicht früher als die Konkurrentin aufzutauchen und so einen wenngleich todbringenden Sieg errang. Denn die Verliererin wurde ja ebenfalls in den Tod geschickt.

So musste der Bräutigam wieder auf Brautschau. Bei den Bang-Tin, Lin-Hot und Chinh-Lah, wie die meisten Familien heissen, haben die Frauen zwar das Sagen, aber sie verrichten auch die Hauptarbeit im Haushalt auf dem Feld und bei der Kindererziehung. Die Männer führen im Vergleich ein geradezu feudales Leben, ihre Arbeit beschränkt sich auf den Hausbau und Ausbau der Wasserleitungen. Daneben bleibt ihnen viel Zeit zum Spielen und Tratschen. Wichtige Entscheide in der Familie und im Geschäft, bei der Verwaltung des Geldes sowie bei der Familienfürsorge sind aber unbestrittene Domänen der Frauen. Wenn die starken Lat-Frauen von Lang Bien auch nicht die Gesellschaftsordnung von Onkel Ho (dessen Name der Aufklärende bedeutet), anerkannten, so waren sie mit seinen Worten an die starken Frauen Vietnams einverstanden: «Anh huug, bat khuat, trung han, dam dang» – Die vietnamesische Heldin kämpft unerbittlich, patriotisch-standhaft bis zur Selbstaufgabe.

Laos 2013: Flussreisen im Goldenen Dreieck und Mekong Delta

Erst schiesst er durchs facettenreiche Dschungel-Antlitz entlang bizarr zerklüftete Flussbettlandschaften, dann schlängelt er sich nochmals 1000 Kilometer durchs Reisanbau-Flachland und fächert sich schliesslich zu einem Delta mit 4000 tropischen Inseln auf. Der Mekong ist der Lebensnerv Indochinas und die pulsierende Lebensader für sieben Millionen Laoten. Was liegt näher, als die Reize Laos auf einem Hotelboot zu erkunden und sich beschaulich dem Treiben des laotischen Lebens wid-mend, flussabwärts treiben zu lassen. Sich zuentschleunigen von der Hektik des Alltags, den Blick geruhsam über die schillernden Grüntöne des Dschungels zu richten oder über das strahlende Firma-ment gleiten und die Seele baumeln zu lassen.

Eine Fahrt auf dem Mekong-Fluss nahe dem Goldenden Dreieck ist auch heute noch ein Abenteuer und ebenso aufregend, wie zu Zeiten der ersten westlichen Entdecker, der Franzosen Lagrée und Garnier, die für ihre Expedition (1866-68) zwei Jahre brauchten. Sie kämpften sich noch in kleinen Auslegebooten mühselig gegen die wilden Stromschnellen den Fluss hoch. Zahlreiche zackige Felsen, riesige Sandbänke, felsige Kluften, enge Biegungen und der stark variierende Wasserstand, der innert Stunden um mehrere Meter ansteigen kann, erfordern von den Schiffskapitänen äusserste Vorsicht und genaue Kenntnisse aller gefährlichen Stellen. Nachts ist der Mekong-Oberlauf für die Schiffahrt gesperrt.

Zu gefährlich wäre es in der Dunkelheit auf dem Fluss. Das sind die Tücken in der Trockenzeit. In der Regenzeit dagegen schwillt der Strom rasch um bis zu 20 Metern an. Dann schiessen oft tonnenschwere Baumstämme mit rasender Geschwindigkeit flussabwärts. Auch auf unserer kurzen Reise hat sich der Wasserstand innert zwei Tagen um drei Meter erhöht. Infolge heftiger Regenfälle in China und dem Öffnen eines Staudammes. Kein Wunder gehört der Oberlauf des Mekongs zu den schönsten aber auch zu den wildesten Flussoberläufen der Welt. Unser Kapitän schafft es in der Tat und manchmal einem kleinen Wunder gleich, auch auf dem Rückweg flussabwärts im Sog der Stromschnellen, um alle gefährlichen Klippen herumzukurven und sich geschickt durch die engen Passagen mit den zerklüfteten Felsen hindurchzuschlängeln. In der Trockenzeit ragen die bizarren Felsnadeln bis über das Schiffsdeck hinaus, in der Regenzeit verschwinden sie unter die Wasseroberfläche.

Die Flussreise beginnt im kulturellen Herzen Laos, im historischen Zentrum der Stadt Luang Prabang, die im Schutz der Spornlage zwischen Mekong und seinem Nebenfluss Nam Khan im Norden Laos auf rund 300 Meter Höhe situiert und ein Handelszentrum für Reis, Kautschuk und Teakholz und handwerkliche Produkte aus Holz, Textilien und Papier ist. Seit hier ein internationaler Flughafen gebaut wurde, ist dies auch Ausgangsort für Touristen die von Vietnam oder Bankok herkommen. Die Zahl der Touristen in der alten Königsstadt von Laos ist bisher noch übersichtlich. Zwischen die vielen Rucksacktouristen mischen sich immer mehr Jetsetter, die die stille Schönheit Luang Prabangs sehen möchten, bevor es laut und voll wird wie in Kambodscha oder Vietnam. 1995 wurde Luang Prabang zum Unesco Weltkulturerbe erklärt. 32 buddhistische Klöster sowie die gesamte französische Kolonialarchitektur in der Stadt wurden unter Denkmalschutz gestellt und werden seitdem konstant restauriert. Eine restriktive Stadtplanung soll zudem Verstöße gegen den kunsthistorisch einzigartigen Charakter des Stadtzentrums verhindern. Die Stadtgeschichte Luang Prabangs ist untrennbar mit der Entstehungsgeschichte von Laos verknüpft.

Der politische Niedergang des Königreichs Sukhothai in Nord-Thailand 1345 und die Verlagerung des politischen Zentrums in Siam nach Ayyuuhaya im Jahr 1351 beschleunigte auch die Notwendigkeit eines politischen Einigungsprozesses östlich des Mekong. 1365 wird allgemein als Gründungsjahr von Lang Chang (dem Land der Millionen Elefanten) unter Fa Ngum genannt. Als Vasall des Khmer-Reiches hatte Fa Ngum die Buddhastatue Phra Bang als Krönungsgabe aus Angkor erhalten. Diese wurde in Luang Prabang, das zwischen 1354 und 1560 Hauptstadt des Königreiches Lan Chang war, als heilige Statue mit herrschaftslegitimatorischer Funktion verehrt. Um 1356 wurde Luang Prabang ein Wallfahrtsort für die Buddha-Statue Phra Bang. Unter König Setthatirat wurden in Luang Prabang im 16. Jahrhundert viele buddhistische Klöster errichtet.

Im Zuge der buddhistischen Missionierung entstand unter anderem der Wat Pasman an der Stelle des heutigen Wat That Luang als ältestes sakrales Gebäude der Stadt. Einen erheblichen Machtverlust bedeutete für Luang Prabang die Verlegung der Hauptstadt nach Vientiane, die König Setthatirath 1560 aus Angst vor Angriffen aus Burma veranlasst hatte. Dennoch blieb Luang Prabang kultureller Mittelpunkt des Landes. Über drei Jahrhunderte wurde sie fortan Spielball im Kampf zwischen Thai und Birmanen um die politische Vormachtstellung zwischen Irrawaddy und Mekong, in dessen Folge die Stadt wiederholt zerstört wurde. 1700 zerfiel Laos schließlich in drei Teile: Luang Prabang, Vientiane und Champasak.

Als Laos um 1886 ins Fadenkreuz der machtpolitischen Rivalität zwischen Frankreich und England geriet, hoffte Frankreich, den Mekong flussaufwärts fahrend, nach Südchina gelangen zu können, doch erwies sich der Mekong als nicht durchgängig schiffbar. Dennoch waren die Franzosen an einer politischen Kontrolle von Laos als strategischer Absicherung ihrer Kolonie Vietnam interessiert. Geschickt taktierend nutzte Frankreich die Bedrängnis, in der sich die Laoten angesichts der Überfälle durch chinesische Banden 1887 befanden und erklärte die Region von Luang Prabang kurzerhand zum Protektorat ihrer Kolonie Union Indochinose (1893–1954). Von wirtschaftlicher Bedeutung war Laos für Frankreich, ganz im Gegensatz zu Vietnam jedoch nicht. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Laos und damit auch Luang Prabang stark von kulturellen und architektonischen Einflüssen der Kolonialmacht Frankreich geprägt. Noch vor der verheerenden Niederlage Frankreichs bei Điện Biên Phủ 1954 wurde Laos 1953 die politische Unabhängigkeit gewährt.

Trotz der Internationalen Laos-Konferenz in Genf 1962, auf der dem Land die Neutralität zugestanden wurde, erfolgte im Indochina-Krieg der militärische Nachschub für den Vietcong in Südvietnam auf dem sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad über laotisches Territorium. Schwere Bombardierungen seitens der US-Luftwaffe waren die Folge. Die CIA fügte Laos im Vietnamkrieg (1965 – 1975) Tod und Verwüstung in unglaublichen Ausmass zufügten; die Amerikaner bombardierten Laos mit über zwei Millionen Tonnen (Splitter- und Napalbomben sowie dem Nervengift „Agent Orange“). Auf Laos fielen mehr Bomben, als im 2. Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen. Den Ho-Chi-Mingh-Pfad haben die GI’s trotzdem nicht gefunden. Die friedliebenden Laoten blicken auf eine 200-jährige Konfliktgeschichte mit fremdern Agressoren zurück. Jedes Jahr werden hunderte von Personen von Minen schwer verletzt. Noch immer suchen Entschärfungskommandos, zumeist Frauen, den Boden nach Bomben ab. Die Stadt Luang Prabang blieb von den Kampfhandlungen weitgehend verschont, obwohl sich Einheiten der kommunistischen Pathet Lao-Organisation nördlich der Stadt im Gebiet der Pak-Ou Höhlen verschanzt hatten. 1975 eroberten kommunistische Einheiten die Stadt.

In Luang Brabang leben über 2500 Mönche, die jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang in ihren orangenen Gewändern durch die Strassen Luang Prabangs pilgern und sich von den Gläubigen und Touristen milde Gaben in die Töpfe legen lassen. Zumeist ältere Frauen und Touristen, lassen den Zug der Mönche kniend an sich vorbeigehen und spenden jedem eine handvoll Reis, ein paar Früchte, Bonbons, ein paar Geldnoten oder andere Dinge zum Leben. Welche kulturellen Stätten und religiösen Schätze gibt es hier zu entdecken? Da ist zunächst der in den Jahren 1904 bis 1909 errichte Königspalast (Ho Kham), jetzt das Nationalmuseum, wo der Thron der Herrscher der Lan Chang-Periode stehen. Dann das Vat Xienthong (auch Wat Xieng Thong) – eine Tempelanlage am Mekong, die 1560 unter König Setthathirath erbaut und 1960–1962 restauriert wurde.

Als einziger Tempel der Stadt überstand er die Plünderung von 1887 unversehrt. Der Baustil mit dem fast bis auf den Boden reichenden Dach ist typisch für das nördliche Laos. Eine Preziose ist auch der Vat Visounarath (auch Wat Visoun oder Wat Visounarath genannt) ist eine an der südöstlichen Seite des Phousi-Berges gelegene Tempelanlage. König Visounarath gründete 1512 das Kloster, das 1887 durch chinesische Horden zerstört wurde. Der Großteil der Anlage wurde im 20. Jahrhundert wieder aufgebaut. Der Sim (laotische Bezeichnung für das Hauptgebäude eines Wat)aus 1898 enthält Fenstersäulen im Khmer-Stil. Im Inneren befindet sich seit 1942 ein Museum mit zahlreichen Buddahstatuen insbesondere in der für Luang Prabang typischen Regenanrufungsgeste (stehend mit parallel zum Körper nach unten zeigenden, überlangen Armen).

Hinzu kommen zwei weitere Tempel: Der That Makmo (die Wassermelonen -Stupa) gestiftet von Phantin Xieng, der Gemahlin von König Visounarath, im Jahr 1504, wurde die Stupa 1932 wieder aufgebaut, wobei die kostbaren Beigaben in den Königspalast überführt wurden. Und die Stupa Vat Sop im Nordosten der Altstadt, die bereits 1480 als Bestattungstempel des Königs Chakkrapat gegründet. Hinter dem Vat Sop befindet sich an der Thanon Vat Sop genannten Strasse ein typisches laotisches Baan Wohnquartier, in dem man einen Eindruck vom Alltag der Einheimischen gewinnen kann. Last but not least: Der Berg Phousi (130 Meter Höhe, 328 Stufen), der topographische  Akzent und das spirituelle Zentrum gegenüber dem Königspalast mit herrlicher Aussicht auf das Stadtgebiet, den Mekong sowie die bewaldete Berglandschaft in der Umgebung. Danach geht es zum Nachtmarkt am Fusse des Phousi in der Thanon Sisavangvong, der Hauptstrasse der Altstadt, werden täglich zwischen dem Königspalast und der Querstraße Thanon Setthathirat ab 18 Uhr von Hand gefertigte Textilien, Souvenirs und Lebensmittel angeboten. Viele der Händlerinnen gehören dem Volk der Hmong an, die für ihre qualitativ hochwertigen Web-, Stickerei- und Näharbeiten bekannt sind.

In Laos gibt es über den Theravada-Buddhismus hinaus auch noch Ahnenkult und Animismus, der unter den vielen ethnischen Minderheiten (Hmong, Khmu, Akha oder Lanten) in den Gebirgsregionen im unzulänglichen Norden an der Grenze zu China und Burma weit verbreitet sind. Die Hmong beispielsweise sind archaischstrukturierte Opium-Clans mit magischen Geisterwelten und mythischen Kräften, die bis heute an ihre Geisterwelt, mit denen sie über ihren Opium- und Canabiskonsum in reger Verbindung stehen, glauben. Die Opiumbauern leben im abgeschiedenen Hochland des Goldenen Dreiecks völlig autark und lehnen jegliche Regierung, als auch moderne Lebensstrukturen bis heute ab.

So hausen sie wie vor Hunderten vor Jahren in finsteren Hütten ohne Strom und Heizung in den abgeschiedensten Hochland-Regionen Laos und liefern sich Scharmützel mit den laotischen Regierungssoldaten. Doch diese können die laotische Grenze ebensowenig sichern, wie die vietnamesischen Verbündeten, die sich mit den Chinesen Gefechte liefern. Wobei die Chinesen oft den Kürzeren ziehen und angeblich drei Mal mehr Tote zu beklagen haben. Auch die Thailänder versuchten immer wieder in Laos einzudringen und wurden von den Vietnamesen zurückgeschlagen. Seit die Generäle in Hanoi Bankok klar gemacht haben, dass sie das nächste Mal gleich bis Bankok vorrücken würden, herrscht Ruhe an dieser Front.

Die Hmong verbündeten sich im Vietnamkrieg mit den Amerikanern und lieferten der «CIA» tausende von Tonnen Rohopium jährlich für ihren kostspieligen Krieg. Man munkelt von 150’000 Tonnen Rohopium pro Jahr, die von der «CIA» in leere Munitionskisten verpackt und mit der mit Piloten der «Air America» und privaten Chartern der korsischen Mafia in Laos, die damals im internationalen Drogenhandel kräftig mitmischte, direkt nach Mexico vor die Tür der USA geflogen wurden. Die «CIA» finanzierte so nicht nur ihren schmutzigen Krieg, der gegen sein Ende eine Milliarde Dollar pro Tag kostete, sondern heitzten auch den Opium-Handel und Drogenkosum etlicher US-Bürger und Mexikaner gewaltig an. Die Ironie der Geschichte: Der oberste Hmong-General lebte in Washington und genoss den Schutz der US-Regierung, ansonsten wäre er längst in Den Haag gelandet. Der Exodus der Hmongs hat zu über 150‘000 US-Emigranten in San Diego geführt. Ferner leben auch viele Hmong in Französisch Guayana und sind somit Europäer mit Französischem Pass.

Magische Mekong Delta Cruise durch die Mäander zwischen den 4000 Inseln

Nun geht es mit dem Flugzeug von Luang Brabang bis zur Handelsmetropole Pakse im Süden des Landes hinunter, wo der zweite Teil der Flussreise im Mekong Delta beginnt. Hier sieht die Flusslandschaft ganz anders aus. Breite Flussströme, flaches zumeist mit Reisfeldern überwachsenes Land oder Sandinseln und da und dort ausgedehnte Hügelzüge fernab am Horizont. Die Fahrt verläuft sehr gemächlich und ist mehr auf das Bordleben fokussiert. Die Gäste an Bord sonnen sich an Deck, lesen ein Buch oder hören Musik und lassen die Welt einfach an sich vorbei gleiten. Das war somit die weniger spannende aber umso gemächlichere und erholsamere Flussreise. Doch auch hier im Süden gibt es eine grosse Tempelanlage namens Vat Phou. Sie ist allerdings eine von den Khmer erbauteTempelanlage, aber bei weitem nicht so beindruckend wie Ankor Wat in Siam Reap, der Hauptstadt von Kambotscha, die ich ebenfalls besucht habe und beeindruckt war, von der kolossalen kulturellen Hochburg der Khmer.

Am nächsten Morgen werden wir von Elefanten begrüsst, die ein Bad im Mekong nehmen, bevor sie entweder zu einer Touristen-Safari aufbrechen und lautlos durch den dichten Dschungel entlang der eindrücklichen Flusslandschaft pirschen, auf ihrem Rücken begeisterte Backpackers tragend oder aber für Arbeitseinsätze rund ums Dorf gebraucht werden. Sie sind die stärksten Baumeister-Gehilfen und ersetzen den Kran und den Traktor. Die Elefanten schichten unter den Zurufen der Mahuds geschickt die riesigen Holzstämme aufeinander, die sie zuvor in die richtige Positions gebracht hatten. In Laos gibt es noch zahlreiche wilde Elefanten in den unzugänglichen Regionen des Nordens. Dort werden bis heute jährlich noch zwischen 40 bis 60 neue Tierarten entdeckt. Auch eine neue Hirschart und die grösste Spinne der Welt zählen zu den erstaunlichsten Entdeckungen.

Leider sind auch hier durch die Vernichtung des Lebensraumes von Flora und Fauna eine Vielzahl der Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Im Jahr 1996 galten 68 Arten von Säugetieren, Vögeln Reptilien und Fischen als gefährdet. Mittlerweile sind jedoch etwa 14 % des Territoriums geschützt. Der Wald ist vor allem durch die Holzgewinnung, durch Rodung zur Ackerlandgewinnung und durch die Brennstoffgewinnung gefährdet, wobei etwa 8 % des Energiebedarfs des Landes mit Holz gedeckt werden. Der jährliche Waldverlust wird auf etwa 300‘000 Hektaren geschätzt.

Ein weiteres touristisches Highlight ist die malerische Karst- und Flusslandschaft um Vang Vien, wo sich die Backbacker mit Grass und Opium zudröhen. Vang Vien liegt auf halben Weg zu Laos Hauptstadt Vientiane, die wie Luang Brabang als Stadt der tausend Tempel bekannt ist. Hier überragt der heilige Stupa That Luang mit ihrem klotzig vergoldeten Turmaufbau alle anderen religiösen Bauwerke.

In der Tiefebene des Mekong nahe Pakse, wo die «Mekong Island» auf ihre Gäste wartet, liegen die 4000 tropischen Inseln am Unterlauf des Flusses. Der Mekong-Strom hat hier schon eine beachtliche breite erreicht und fächert sich zu einem breiten Delta auf. Auf der grössten Insel leben rund 30‘000 Laoten, welche die fruchtbaren Schwemmböden landwirtschftlich intensiv nutzen und auch rege Fischfang betreiben. Der Reisanbau, die Fischerei und die Agrarwirtschaft sind bisher die bedeutendsten Resourcen des Landes gewesen, von denen die Flachland-Laoten recht gut lebten. Auf den kleinsten Mekong-Inseln und Schwemmdünen haben kaum zwei Reiher oder eine Palme Platz.

So ist es denn auch kein Wunder, dass der Markt von Pakse, der grösste Warenumschlagsplatz in ganz Indochina ist. Unglaublich, was es hier alles zu sehen und zu verkosten gibt. Gigantisch die Fülle und Berge von Reis, Gemüse, Salaten, Gewürzen, Früchten und Mekong-Fischen. Da hüpfen Frösche zu tausenden in Schüsseln rum, da gibt es grillierte Ratten und Schlangen, kleine Kugelfische und allerlei andere Spezialitäten. Das sollten Sie werte Leserin, lieber Leser lieber gleich Mal mit eigenen Augen sehen. Nach einem Abstecher zu den Kuang Si Wasserfällen geht es zurück in die Hauptstadt von Laos, Vientianne.

Indien 2006: Im Reich der liebenden Hände bei den Ayurveda Pionieren

1996 flog ich das erste Mal nach Indien und zwar nach Kerala an die Südspitze des Landes zu den aufstrebenden Ayurveda-Resorts und Kliniken. Ich hatte zuvor schon auf Sri Lanka mit der ayurvedischen Medizin hautnahen Kontakt aufgenommen und eine Pancha Karma Reinigungskur gemacht und auf der Tropeninsel sieben der damals Besten Ayurveda-Resorts besucht und sie miteinander verglichen. Es waren dies das «Aida» in Bentota, das «Lanka Princess» in Beruwela, «Lawrence Hill» in Hikkaduwa, das «Paragon» in Unavatuna, das «Surya Lanka» in Matara und das «Vattersgarden» in Kottegoda. Der Bericht darüber hat in diversen Wellness-Magazinen reissenden Absatz gefunden. Die ayurvedische Medizin, die ich in Sri Lanka kennengelernt hatte, faszinierte mich derart, dass ich beschloss nach Kerala zu reisen und traf dort auf die südindischen Ayurveda-Pioniere, die «cgh earth group», die sich mit sehr exklusiven Resorts bereits einen Namen gemacht haben.

Die ayurvedische Medizin wurde vor über 5000 Jahren von hochbegabten Indern in der Tiefe ihrer Meditation und Spiritualität entdeckt, aber infolge der Kolonialisierung und Berufsverboten der britischen Kolonialregierung über 50 Jahre lang unterbunden, bevor sie in den 90er Jahren ein Revival erlebte. «Durch das Verbot ging viel Wissen verloren», sagt Dr. Jayawardhana von der Universität Colombo. Was vor tausenden von Jahren in Nordindien entwickelt wurde, ist ein ganzheitliches Natursystem, das Körper, Geist und Seele eine Einheit betrachtet, denn ndie Ayurveda-Philosophie geht davon aus, dass alle Materie, so auch der Mensch, auf die fünf Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer und Raum zurückzuführen sind.

Aus der Verbindung der fünf Elemente bilden sich drei Grundkonstitutionen, die sogenannten Doshas. Die Elemente Luft und Raum bilden das Vata-Dosha und steht für das Lebensprinzip Bewegung. Es steuert also die Bewegungsabläufe im Körper, die Atmung und das Nervensystem. Die Pitta-Energie ist für alle Reaktionen zuständig, bei denen Wärme entsteht, also für den Verdauungstrakt und die Stoffwechselvorgänge. Die Elemente Erde und Wasser beeinflussen das dritte Dosha, das Kapha. Ihre Energie ist strukturierend, formgebend und verantwortlich für den Zell- und Skelettaufbau, gleichzeitig reguliert sie den Flüssigkeitsausgleich. Und dann gibt es noch die drei Säulen der Gesundheit: Es sind dies «Ahar» (Ernährung), « Nidra» (Schlaf) und « Bramacarya» (Mentale Ethik).

Nun hat jeder Mensch von Geburt an sein individuelles Zusammenspiel der Doshas und diese einzigartige Kombination beeinflusst seine Gesundheit und sein Körperbau als auch die charakterlichen Eigenschaften. Nur wenn sich die Doshas im Gleichgewicht befinden, sind Körper und Seele gesund. Das ist das Ziel einer Ayurveda-Behandlung, gerade im Bereich von chronischen Krankheiten. Wie Migräne oder Neurodermitis kann Ayurveda beträchtliche Erfolge aufweisen. Die Ayurveda-Kur beginnt zumeist mit einer Pulsdiagnose, wobei die Ayurveda Ärztin drei Finger sachte oberhalb der Daumenwurzel auf den Unterarm presst und den Pulsschlag misst. Sie stellt fest, ob er «stark pocht, wie Wellen durch den Körper gleitet, hüpft wie ein Frosch oder wie ein Elefant dahin trottet». So wird die Harmonie der drei Doshas festgestellt.

Ayurveda geht davon aus, dass in der Natur alles wächst, was es braucht um den Menschen gesund zu machen und und zu erhalten. So werden Pflanzen, Mineralien, Aschen, salze, Rinden, Hölzer, Wurzeln und tierische Produkte gekocht und pulverisiert und dann zu Pillen, Salben und Ölen verarbeitet. Das zartgelbe Sesamöl ist die Basis aller Massageöle. Es ist reich an ungesättigten Fettsäuren und macht spröde Haut weich und glatt. Dem Sesamöl mischt der Arzt oder die Arztin andere natürliche Zutaten bei, die spezifisch auf den jeweiligen Dosha-Typ abgestimmt sind. Das Öl kann somit optimal auf die individuelle Konstitution des Menschen einwirken.

Keine andere Medizin der Welt weist ein derart allgemeingültiges, tiefgreifendes und ganzheitliches Reinigungssystem auf, wie die ayurvedische Medizin und die Pancha Karma Kur insbesondere. Sie ist die Mutter aller Kuren! Während 21 Tagen werden zuerst alle Giftstoffe aus dem Körper ausgeschieden und das Gewebe bis auf die Knochen mit den Heilölen eingerieben. Die passende Kost und die wohltuenden Behandlungen führen dazu, dass man nach der Pancha-Karma Kur vor Vitalität nur so strotzt und sich wie ein neuer Mensch fühlt. Die Ayurvedische Medizin verbreitete sich fortan auch in Europa mit rasanter Geschwindigkeit.

Ayurveda-Zentren schossen wie Pilze aus dem Boden, denn die fernöstliche Medizin wollte sich rasch über den Wellnessbereich hinaus auch im medizinischen Sektor etablieren und insbesondere die Ernährungsberatung werde gefragt sein, waren sich die Fachleute damals einig. „Du bist, was du isst“, hatte Hypokrates einst gesagt und war sozusagen der erste westliche Ayurveda-Botschafter. Immer mehr Menschen drehen das Rad zurück und lassen sich von uralten Heilmethoden überzeugen oder probieren sie zumindest aus. Dass auch Yoga und Meditation ihre Wirkung auf ein gesundes Leben nicht verfehlen hat sich auch in der westlichen Welt zunehmend durchgesetzt. Zumindest Yoga ist zu einem unübersehbaren Trend geworden.

In Kerala angekommen, durfte ich das Kronjuwel der «cgh earth group», den alten Maharadscha-Palast «Kalari Kovilakom» besuchen und erlebte einen wahrhaft königlichen Empfang und bekam eines der zwölf Palastgemächer. Die Authentizität der alten Kultur und die Heiligkeit eines Ashrams verliehen diesem Ayurveda-Tempel ein einmaliges Ambiente. Wer hier eintritt, der lässt die alte Welt hinter sich und lebt ein ganz anderes, in sich gekehrtes von der Aussenwelt abgeschnittenes Urerlebnis und eine höchst qualitative Behandlung. Besonders in Deutschland wurde die «Somatheeram» und «Malatheeram» in Chowara bei Trivandrum berühmt. Die beiden Resorts wurden regelmässig vom Department for Tourism als «beste Ayurveda-Resorts» ausgezeichnet und mit dem «Greenleaf-Award» geehrt. Ein weiteres Highlight war die «Duke’s Forest Lodge» inmitten einer Gummiplantage in Anapara. Das Bijoux, das aus fünf grosszügigen Pavillions besteht ist, in der prächtigen tropischen Fauna mitten im Wald eingebettet.

Zu den Top Ayurveda Resorts gehörte die «Coconut Lagoon» in Kumarakom, das an einem zauberhaften See in einer prächtigen Gartenanlage liegt und durch die traditionellen Kerala-Häuser besticht. Sowohl das Essen, als auch die Therapeuten waren Spitzenklasse. Ebenfalls ein ganz spannender Ort ist das «Spice Village» in Periyar, das inmitten einer Teeplantage auf rund 1000 Höhenmetern liegt und daher vom Klima sehr angenehm ist. Wer ein internationales Luxushotel mit sehr guter Ayurveda-Abteilung und vielen Spa-Behandlungen sucht, der findet dies im «The Leela Meridien» an der Koralam Beach. Genug des guten Wohlbefindes in Indien, nun werfen wir kurz einen Blick auf die zweite Indien-Reise als Narenda Moodi im Wahlkampfmodus war und eine der professionellsten internationalen Wahlkampagnen (die ich je gesehen/miterlebt habe) orchestriert hatte und gleichzeitig ein Tourismusförderungsprogramm für den Bundesstaat Gujarat propagierte, aus dem sowohl Moodi als auch Ghandi stammt.

Als sich Ende der 90er Jahre die Wellness und Wellbeing Tourismusindustrie zu etablieren begann, fokussierte ich mich einige Jahre sehr stark auf diesen Tourismuszweig und besuchte weltweit die besten Spa-Resorts. Da ich mittlerweile über die Kooperation mit den Tageszeitungen hinaus auch viele weitere edle Hochglanzmagazine für meine Publikationen gesichert hatte und nun für Lifestyle-Magazine wie das «Relax & Style», «World of Wellness» und «Wellness live» nicht nur Reportagen ablieferte, sondern auch Anzeigen generierte und so auch vom Verlagsgeschäft profitierte.

Gleich geht es nochmals um ein gesundheitspolitisches Thema, das weltweit ein ähnliches Schicksal erlitten hat, wie die Ayurvedische Medizin, nämlich Cannabis, also die Hanfpflanze, die bei vielen Krankheiten und Beschwerden nicht nur über äusserst potente Heilkräfte verfügt, sondern auch zu den am vielfältigsten verwertbaren Pflanzen gehört und von der Faser bis zur Blüte zu vielen Zwecken eingesetzt werden können. Doch zuvor noch ein Abstecher in den indischen Bundesstaat Gujarat, den ich auf einer weiteren Indien Reise 2013 besuchte.

2013: Augenschein in Gujarat und Treffen mit Narenda Moodi

2013 wurde ich im März an der jährlich in Berlin statt findenen Tourismusfachmesse «ITB» in der Halle, wo sich Indien und die indischen Veranstalter präsentierten, auf eine Pressereise nach Gujarat angesprochen und gab den Initiatoren meine Visitenkarte. Schon zwei Monate später flog ich via Dehli nach Ahmedabad, in die Hauptstadt des Bundesstaates Gujarat und traf dort zu meinem Erstaunen auf ca. 150 JournalistInnen und InfluencerInnen, die aus der ganzen Welt eingeflogen worden waren, um die vielfälltigen touristischen Reize Gujarats kennenzulernen. Nachdem wir uns in verschiedene Interessen-gruppen aufgeteilt hatten, wurden wir fünf Tage lang durch die Gegend gekarrt und mit den touristischen Highlights vertraut gemacht. Das war zunächst der Rani ki Vavstepwell bei der Stadt Patan am Ufer des Saraswati Flusses.

Die zum Unesco Weltkulturerbe zählende Tempelanlage wurde im 11. Jahrhundert zu Ehren der Königstochter von Khengara von Saurashtra der Solanki Dynastie gewidmet. Die Tempelanlage ist ein riesiger, achtstöckiger Wasserspeicher und enthält über fünfhundert Fresken  aus der damaligen und bis heute gültigen Hindu-Mythologie. Ein weiteres Highlight war der Sun Tempel in Modhera, auch diese Tempelanlage liegt am Ufer eines Flusses, dem Pushpavati-River. Die heilige Stätte wurde zwischen 1026 und 1027 v. Chr. während der Ära von König Bhima I von der Chaulukya Dynastie gebaut. Die Tempelanlage besteht aus drei Komplexen: Dem Shrine Gudhamandapa, der Vereinigungshalle Sabhamandapa und dem Wasserreservoir Kunda. Dann ging die Fahrt im Jeep weiter und führte in ein unwirtliches, staubtrockenes Land zur Rann of Kutch, ein Salzwasser-Marschland an der Grenze zwischen Indien und Pakistan. Die Rann of Kutch ist in zwei Regionen unterteilt: Die Grosse und die Kleine Rann Kutch. Die grosse liegt in Pakistan, die Kleine Rann of Kutch grenzt südöstlich an den grossen Bruder und reicht bis zum Gulf of Kutch. 20,946 km2 der Kleinen Kutch sind geschütztes Gebiet mit einem Wildlife Sanctuary, welches schon 1973 etabliert wurde. Am Schluss der Reise verbrachten wir noch eine Nacht im Maharadscha Palast in Poshina und bevor es in die Hauptstadt GujaratsAhmedabad zurück ging, wo ich noch das Ghandi Museum besuchte und dann kam es zur Schlussveranstaltung des Journalisten-Events mit dem Auftritt von Narenda Moodi, von dem bis zur Stunde keiner der MedienverteterInnen etwas wusste. Erst als einige schwerbewaffnete Soldaten mit Minenspürgeräten und Suchhunden auftauchten, war klar, dass es in Kürze hohen Besuch gab. Dann fuhr eine kleine Eskorte vor und NarendaMoodi stieg im Beisein des Tourismusministers von Gujarat und einiger anderer Officials auf und machte so allen seine Ambitionen auf das indische Präsidentschaftsamt klar, ein Ziel, dass er ja dann auch erreicht.

6. Orient: Im Sinai, im Libanon und in der iranischen Botschaft

Ägypten 2004: Bei den Beduinen im Sinai zwei Terroranschläge miterlebt

2005 im Sinai, genauer gesagt in Sharm el Sheikh angekommen, sah die Situation als Resident Manager für einen Schweizer Tour Operator wiederum ganz anders aus, als vorher in Brasilien. Hier hatte ich rund 700 Gäste pro Woche zu betreuen, die mit diversen Flügen an fast allen Tagen der Woche ankamen und zudem täglich Dutzende Ausflügen zu managen und das unter erschwerten Bedingungen. Dieser Einsatz war eine echte Herausforderung und in etwa so heftig wie damals in London 1987. Erstens war der lokale Tour Operator lausig und unfähig, worauf ich die Zusammenarbeit nach zwei Vorwarnungen mit dem Agenten vor Ort sistierte und mich neu organisierte. Dies hatte ich schon in Brasilien getan und in beiden Fällen habe ich die richtige Entscheidung getroffen, die ich mir dann auch zu Nutze machte. Daraus ergaben sich natürlich etliche Probleme mit den abgehalfterten Kooperationspartnern und dazu die erneute Aufregung in der Schweizer Reisezentrale.

Da ich aber mein Talent mit Umstrukturierungen schon vorher in Brasilien bewiesen habe und der von mir eingesetzte Agent sich bewährte, vertrauten sie mir und wurden nie enttäuscht. Operationell war ich ein Ass und zudem ein Meister der Improvisation. Zudem hatte ich mit meinem krisenerprobten Background, reichlich Erfahrung und ein gutes Gespür – das Wichtigste! Die vielen Reisen durch Konfliktregionen und Aufenthalte an den unwirtlichsten Orten dieser Welt in über 50 Ländern, haben meinen ausgeprägten Spürsinn sowie meine Adleraugen geschärft, das Feingefühl und die Intuition bis hin zur gelegentlicher Telepathie verfeinert. Dank meinen analytischen sowie taktisch-strategischen Fähigkeiten, gepaart mit Schlagfertigkeit, rhetorischer Dominanz, Sachverstand und einer guten Portion Frechheit aus den 80er Jahren und stets im vollen Vertrauen in meinen Schutzengel, habe ich immer wieder Aussergewöhnliches gewagt, entsprechend dem Motto. „Was ist das Leben wert, dass man es aus Angst vor dem Tod aufgibt, bevor es begonnen hat!“

Zurück in den Sinai: Die ersten zwei Monate als Resident Manager im Sinai lebte ich im «Radisson»Hotel“ mit allen touristischen Annehmlichkeiten, guter Infrastruktur und nettem Ambiente. Dann wurde ich in einen spartanischen Betonblock für die lokalen Reiseleiter in einer tristen Umgebung verfrachtet, worauf ich mir beim Generalgouverneur für die militärischen Sperrbezirke im Sinai (aufgrund der UN-Friedensmission nach dem Sechs-Tage-Krieg) eine Sondergenehmigung besorgte, damit auch ich Nachts in die Sperrgebiete in der Wüste ausserhalb von Sharm-el-Sheikh fahren durfte. Denn gleich hinter demletzten Hotel ist der Checkpoint, der abends um 18.00 Uhr schliesst. Was wollte ich nachts dort? Nun, wie immer Zugang zum Lokalkolorit und zu den Einheimischen ausserhalb der Touristen-Hotspots. In diesem Fall Zugang zum Leben der Beduinen im Sinai und zu meinem Freund Faroud.

Bei Aussentemperaturen tagsüber bis über 50 Grad Celsius spielt sich das Leben in der Wüste nachts ab. Da ich Bekanntschaft mit Faroud gemacht hatte, der allein beim Schiffswrack «Maria Schroeder» im Nabq Nationalpark lebte, konnte ich ihn nun nach Feierabend in der Abgeschiedenheit der Wüste, dem touristischen Trubel entfliehend, treffen und ein paar spirituelle, poetische Stunden unter dem Firmament mit meinem Beduinen-Freund verbringen. Die Fahrt zu ihm war gar nicht so einfach, denn die 35 km lange Fahrt durch die Wüste und Sanddünnen hatten es in sich. Ich legte die Strecke mit dem Dienstfahrzeug, also einem herkömmlichen PKW zurück. In stockdunkler Umgebung hiess es dann mit viel speed über die Dünen zu fahren, ohne ins Stocken zu geraten, denn ohne 4-Rad Antrieb gab es hier normalerweise kein Durchkommen. Aber ich fand eine ideale Strecke und bretterte zwei Mal pro Woche nachts in die Wüste rein, um mit dem jungen Beduinen die funkelnden Sterne ohne Lichtverschmutzung zu geniessen. Dort habe ich auch den Eintritt der letzten Raumfähre in die Erdatmosphäre in einem unvergesslich glühenden Spektakel am Firmament gesehen. Während etwa eineinhalb Minuten schwirrte dieser leuchtende Erdtrabanten-Komet einem Lichtpunkt gleich mit seinem riesigen Feuerschweif, der wohl mehrere hundert Kilometer lang gewesen sein musste, am Sternenhimmel über den ganzen Horizont und rund um den Erdball hinweg und entschwand am anderen Ende des Horizonts auf dem Weg zu seinem Zielort. Was war dass für ein erleuchtendes Wüsten-Spektakel, zumal mir erst nicht bewusst oder bekannt war, dass ein Raumschiff in die Erdatmosphäre eintreten würde und so habe ich mir erst einmal mit dem Beduinen die Augen gerieben, was für ein aussergewöhnlicher Meteorit das war, der sich über das ganze Firmament hinweg zog, bis wir erfassten, was da eigentlich genau vor sich geht.

Im Sinai lernte ich zu jender Zeit auch Opium kennen, dass die Beduinen essen, um so entspannt aber dennoch hellwach durch die Wüste zu kommen, denn das hilft enorm, die gleissende Hitze erträglich zu machen, wenn man auf dem Kamel den Sinai oder andere Wüsten durchquert. Ich habe es mit den Beduinen, die nahe dem Schiffswrack «Maria Schröder» leben auf meinem Kameltrip von Sharm-el-Sheikh über Dahab bis zum St. Katarinen-Kloster am Fusse des Berg Moses ausprobiert. Bei über 45 Grad im Schatten ging die schaukelnde Reise vier Tage auf dem Dromedar durch die zerklüfteten Täler des Sinai-Gebirges. Das war anstrengend, doch dank der Opium-Ration bin ich wie ein Derwisch durch die Wüste geritten. Das muss wohl ähnlich «powerfull» gewirkt haben, wie etwas «Pervertin», das den Nazi-Soldaten den furiosen Durchmarsch in Frankreich erlaubte und auch an der Kriegsfront im Osten auf dem Schlachtfeld eingesetzt wurde. Oder jene Speed-Pillen, die den japanischen Kamikazeflieger für ihre „heldenhaften“ Banzei-Todesflüge verabreicht wurde. Der Auflug zum Mount Moses war an sich schon spannend. Als wir dann beim St. Katharinenkloster angelangt waren und uns so gegen 02.00 Uhr in der Früh auf den Weg zum Gipfel des heiligen Berges machten, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, wiviele Menschen an diesem Morgen dasselbe taten und wieviele sich ziemlich weit hoch auf Kamelen hochtragen liessen. Wir stapften zu Fuss an den Kamelkarawanen vorbei hinauf zur Bergspitze hoch und verbrachten den Sonnenaufgang mit ungefähr 300 weiteren Pilgern dort oben. Das Panorma über die rötlich glühenden Bergspitzen des gebirgigen Sinai war überwältigend.

Zu jener Zeit, als ich im Sinai stationiert war, gab es zwei von insgesamt drei grösseren Terror-Anschlägen. Der erste war in Taba, der zweite und grösste Anschlag ereignete sich im Juli 2005 in Sharm-el-Sheikh und forderte 88 Menschenleben, und weit über 100 wurden verletzt. Der dritte Terroranschlag geschah am Abend des 24. April 2006 in Dahab, bei dem drei Splitterbomben gezündet wurden. Die erste detonierte an einer belebten Kreuzung vor dem Supermarkt «Ghazala» gegenüber der Polizeistation. Zwei weitere explodierten kurze Zeit darauf an der Strandpromenade. Bei dem Anschlag verloren um die 30 Menschen, fast alle Ägypter, ihr Leben. Viele weitere Personen wurden schwer verletzt. Das waren wir äusserst knapp einer Katastrophe davon gekommen, denn wir erinnern uns noch gut an die Terroranschläge vom 17. November 1997 in Luxor bei denen auch 36 Schweizer ihr Leben verloren Aber die Furcht war gross und die Sicherheitsmassnahmen vor jedem Hotel rigoros. Jeder Wagen wurde bei der Einfahrt sorgfältig gespiegelt und gefilzt, bevor er in die Hoteleinfahrt reinfahren konnte. Röntgengeräte scannten jeden eintretenden Hotelgast.

Damals herrschte Hochalarm im Sinai und demzufolge nahmen die Militärkontrollen zu. Auch die internationale «MFO»-Schutztruppen waren in höchster Alarmbereitschaft und wenn Mubarak jeweils in Sharm el Sheikh landete und mit seinem Konvoi vom Flughafen einige Meilen zum Hafen fuhr, stand jeweils alle 50 Meter ein bewaffneter, weissgekleideter Posten stundenlang rechts und links der Fahrbahn in der staubtrocken Wüste und an der prallen Sonne postiert. Jedes Auto, das vor einem Hotel vorfahren wollte, wurde von Soldaten am Eingang gespiegelt und untersucht. Also auch hier konnte ich mich über mangelnde action am Rande der Weltpolitik und bei meiner Reiseleiter-Tätigkeit nicht beklagen.

Umso verrückter war eine Reise mit zwei Fahrzeugen und sieben Schweizer Touristen, die unbedingt mit mir persönlich einen Trip quer durch den ganzen Sinai hindurch bis nach Cairo im Auto machen wollten, von der Südspitze Sharm-el-Sheikh in einem Tag nach Cairo inklusive Rückfahrt mit insgesamt über 1000 km Strecke und gut 30 Militär-Strassensperren auf einer Wegstrecke. Mein einheimischer Co-Fahrer und ich haben das Kunststück bewältigt und für die Ochsentour 27 Stunden gebraucht. Drei Stunden länger, als geplant aber dies nur weil ich die vorletzte Militärsperre in meiner Müdigkeit nach über 24 Stunden am Steuer übersehen habe und mit ca. 60 Stundenkilometern durch die in Schlangenlinie aufgebauten Barrieren hindurch gebraust war – notabene ohne eine einzige Betonblockade zu streifen.

Der Begleitfahrer hinter mir vollbrachte das waghalsige Manöver ebenso gut und mit ebenso quietschenden wie qualmenden Reifen fuhren wir an den verdutzten Soldaten vorbei, traten gleich wieder voll auf das Gaspedal, um rasch aus der Schusslinie zu geraten, löschten zur Sicherheit die Lichter und bogen nach etwa 10 KM von der Strasse in die Wüste ab, wo wir uns einen Weg durch das Gebirge und die Sanddünen bis nach Sharm-el-Sheikh bahnten, weil sonst an der über Funk verständigten nächsten Strassensperre Endstation für uns gewesen wäre. Auch hier hatten meine Schutzengel, von der ich eine ganze Fachtruppe habe, einen grossartigen Job gemacht. Ansonsten vermisse ich ausser den Sternstunden mit den Beduinen und dem Kameltrip nichts. Die Kultur der Ägypter ist mir fremd geblieben, was wohl auch hier in erster Linie ein Sprachproblem. Könnte ich arabisch, sähe das schon wieder ganz anders aus. Auch der legendäre «Pasha Club», in den es jede Woche Tausende von internationalen Ravern zog, konnte mir gestohlen bleiben. Durch den Einsatz im Sinai wurde ich natürlich auch vermehrt in die geostrategische Lage und Konflikte eingeführt und eingeweiht, auch wenn der Nahe Osten nicht meine bevorzugte Reiseregion war.

Wobei ein Highlight möchte ich noch kurz erwähnen: Bei einem der vielen schönen Tauchgänge in Scharm asch-Schaich, wie der Ort richtig heisst, tauchte über mir als ich in etwa 26 Metern Tiefe war eine Wolke über mir auf. Erst war ich irritiert, denn es gab zu diesem Zeitpunkt keine Wolken am Himmel und ein Boot konnte es auch nicht sein, da ich keine Motorengeräusche gehört hatte. So blickte ich nach oben und sah direkt über mir einen ausgewachsenen Walhei vorbeischwimmen. Ich war so verblüfft beim Anblick dieses riesigen über 20 Meter langen Schwergewichts wenige Meter über mir, dass mir fast das Mundstück aus dem Mund fiehl. Es war das erste Mal in den sieben Jahren, in denen mein italienischer Tauchlehrer hier schon arbeitete, dass er nun auch zum ersten Mal einen Walhai mit mir zusammen zu Gesicht bekam.

Libanon 2006: Im Palästinenser-Camp «Schatila»

Es war wieder einmal eine alte „Airline-Connection“ die mich in den Libanon verfrachteten sollte, denn dorthin wollte ich eigentlich schon immer. In meiner Jugend war der Libanon die «Schweiz des Nahen Ostens», eine kulturelle Hochburg im Orient, ein Schmelztiegel von Jet Set, Aussteigern und kreativen Musik-Freaks. Zudem kam von der Beeka Ebene in meinen Augen der weltbeste Shit, also Haschisch aus von Hand geernteten Hanfblüten, von feinstem Geschmack und bestem Feeling sowie besonders intensiven und wohlriechenden Geschmacksnoten versehen. Tempi passati, als ich endlich in den Libanon kam. Da war das Land bereits vom Krieg mit Israel gezeichnet und wirtschaftlich am Boden zerstört, sowie gesellschaftlich zu tiefst gespalten zwischen ethnischen Gruppen wie den Shiiten, Suniten, Drusen und Maroniten sowie anderen Minderheiten. Beirut war ein heisser Boden und eine heikle Mission, selbst für einen krisenerprobten Reporter, denn das wohl grösste Problem war, dass ich kein Wort arabisch sprach oder verstand.

Ich habe ja schon viele Konfliktregionen besucht und das selbst kritisch heisse Phasen erlebt, aber in die Hisbollah-Quartiere vorzustossen, habe ich mich ohne entsprechende Kontakte und Verbindungen oder eine ortsvertraute Person im Hintergrund dann doch nicht getraut. Doch um Kontakte zu knüpfen, war die Zeit bis zur Abreise innert wenigen Tagen zu knapp. Ausserdem ist einer der wichtigsten Schutz-Faktoren in meiner Tätigkeit, nicht nur die Sprache der Bevölkerung zu sprechen, sondern wenn möglich gar nicht als Ausländer oder Fremdling erkannt zu werden. Diese Trümpfe konnte ich hier nicht einsetzen. Während meines kurzen Aufenthaltes wurde ich alleine drei Mal an einem Tag von der libanesischen Armee angehalten und kurz verhört. In den Hisbollah Quartieren wurde es noch ungemütlicher. Fast an jeder dritten Ecke wurde man als Ausländer angehalten und gefragt, wer man sei und was man hier zu suchen habe. Die Hisbollah ist Irans wichtigster Verbündeter im Libanon und das nicht nur aus militärischer sondern auch aus politischer Sicht, denn die Hisbollah ist zusammen mit ihren Verbündeten die wichtigste politische Kraft im implodierten Land an der Levante. Der Libanon dient dem Iran als militärische Front gegen Israel und das ausserhalb des eigenen Staatsgebietes, daher ist das Assad Regime in Syrien auch ein Verbündeter und Irans einziger strategischer Partner.

Aufgrund der prekären Sicherheitslage und ohne lokale Kontaktpersonen sowie einen angemessenen Schutz zog ich mich aus diesem Quartier zurück und kam stattdessen im Palästinenser-Flüchtlingscamp Schatila an. Dort zeigte mir ein palästinensischer Flüchtling die drei Massakerstätten. Als Massaker von Sabra und Schatila wird eine Säuberungs-Aktion bezeichnet, die von phalangistischen Milizen, also christlich maronitischen Soldaten verübt wurden und gegen die im Süden von Beirut lebenden palästinensischen Flüchtlinge gerichtet war. Im September 1982 – mitten im libanesischen Bürgerkrieg – wurden die beiden genannten Flüchtlingslager gestürmt, die zu jener Zeit von israelischen Soldaten umstellt waren und Hunderte von Zivilisten von den christlichen, also phalangistischen Milizen massakriert wurden. Da es sich bei der Kampfhandlung um einen Konflikt zwischen christlichen Milizen und palästinensischen Kämpfern handelte, entzündete sich die internationale Empörung an der israelischen Mitverantwortung. Denn nach dem Abzug des israelischen Militärs in eine Sicherheitszone vor der israelischen Grenze übernahm Syrien die militärische Kontrolle des Gebiets rund um das Flüchtlingslager und liessen es zu, dass Hunderte von Palästinensern massakriert wurden. Da auch Syrien daran interessiert war, die im Libanon verbliebenen «PLO»-Kämpfer und palästinensischen Nationalisten zu schwächen, wurde die Lage der Menschen im Flüchtlingslager noch schlimmer. Im Zuge der Lager-Kriege verübte die schiitische Amal-Miliz im Mai 1985 ein von libanesischen und syrischen Armeeverbänden geduldetes Massaker an Zivilisten in denselben palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila. Der libanesische Bürgerkrieg dauerte noch bis 1990. Das Massaker wurde daraufhin von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1982 als Genozid gewertet. Soviel zu dieser tragischen Geschichte der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon.

Nachdem ich Beirut ein wenig erkundet hatte, machte ich einen Abstecher nach Byblos, das zu den ältesten Städten der Welt zählt und seit über 7000 Jahren besiedelt ist. Der Hafen wurde schon seit der Steinzeit genutzt. Berühmt wurde der Ort durch die Sage von Adonis, der eine Tagesreise entfernt bei der Quelle des Adonis Flusses ums Leben kam. Der Aufstieg Byblos geschah mit dem Bedarf der Ägyptischen Pharaonen am libanesischen Zedernholz für ihre Schiffe. Dann kamen die Griechen, die dem Ort den heutigen Namen gaben, als Papyrus zu jener Zeit die grösste Rolle beim Aufstieg der Phönizier spielte, weil hier das erste Alphabet entstand und Byblos dadurch auch zum Geburtsort der Schrift und der Bibel wurde. Nach den Asyren und Babyloniern eroberten die Perser den Raum bis Alexander der Grosse den griechischen Einfluss endgültig durchsetze. Schliesslich kamen auch die Römer in Byblos an. Eine Stadt, die geschichtlich gesehen immer eine grosse Rolle gespielt hat und verschiedenste Einflüsse und Strömungen erlebt hat. Wenn man bedenkt, dass der Libanon in den 70er und frühen 80er Jahren ein sehr liberales Land mit einem ausgeprägtem französischen Savoir vivre war und Beirut, als auch Teheran im Iran und Kabul in Afghanistan, Hochburgen des Vergnügens waren sowohl für den internationalen Jet-Set als auch für Aussteiger auf dem Weg nach Indien anzog. Heute strahlte Beirut nur noch einen erbärmlich heruntergekommen „Katastrophen-Chick“ aus. Die Spuren der vielen Kriege und Bombenattentate sind unübersehbar und äusserst bedrückend. Als dann 2020 auch noch der ganze Hafen in die Luft flog und das umliegende Quartier pulverisierte, war der von einigen Clans ausgeblutete Staat total am Ende angelangt.

Zudem beherrbergt der Libanon noch eine weitere Last, die der über eineinhalb Millionen syrischen Flüchtlinge. Eine weitere Belastung und aussichtslose Lage für das Zedernland. Mit dem Mietauto fuhr ich von den Tempelruinen des Unesco Welterbe Byblyos aus nach Tripolis um von dort in das Hochgebirge bis nach Bsharreh zu den maronitischen Felsenklostern hoch zu fahren. Für die Bekka-Ebene reichte die Zeit leider nicht. Heute ist der Libanon ein implodierter, höchst korrupter, abgehalfter Staat und die religiösen Gruppen sind zerstrittener, den je zuvor. Aber halten wir uns in Erinnerung, dass auch Europa über 150 Jahre von religiösen Konflikten erschüttert wurde bis eine säkulare Gesellschaft entstand.

Die Schweiz, der Schah und seine diplomatischen Drogenprinzen

Humanitäre Gründe zählten im Reich des Schahs von Persien nicht. Als einer der gnadenlosesten Verfolger von Rauschgifthändlern hatte Mohammad Reza Pahlavi seit 1969 aufgrund seines Anti-Drogengesetzes weit über 100 Menschen wegen illegalen Besitzes von Drogen erschiessen lassen. Wer in Persien mit mehr als zehn Gramm Heroin oder zwei Kilogramm Opium erwischt wurde, war zum Tode verurteilt. Um so grösser war in der Schweiz das Unbehagen und rund um das daraus resultierende politische Dilemma beim Verlauf der Genfer Affäre, als ein Mitglied der Equipe des Schahs, der seinen Winterurlaub in St. Moritz abbrach, weil in Genf ein Richter und einzelne Behördenmitglieder verlangt hatten, die Immunität des in der Schweiz nicht akkreditierten Opium-Prinzen aufzuheben, um ein Drogen-Strafverfahren einzuleiten.

Immerhin war Persien für die Schweiz damals der drittwichtigste Handelspartner in Asien und überdies einer der größte Waffenkäufer. 1969/70 setzten helvetische Kriegsmaterial-Produzenten für über 90 Millionen Franken Waffensysteme im Iran ab. Dem prominenten St. Moritzer Wintersportler Resa zuliebe durfte sich der prominenteste Schah-Kritiker, Bahman Nirumand, in der Schweiz damals auch nicht öffentlich äussern. Im selben Jahr, als der Schah damals die schärfsten Drogenprohibitionsgesetze der Welt erliess, hob Mohammad Reza Pahlavi, ein aus 1955 datiertes Pflanzverbot für Opium-Mohn wieder auf und schwang sich so auf den Thron der Mohnblumen-Bauern: 12‘000 Hektaren Mohnkulturen gehörten nun ihm und seiner Familie. Laut der WHO in Genf konnte das aus dem kaiserlichem Mohn gewonnene Heroin und Opium nur zum kleinsten Teil medizinisch verwendet werden. So war Persien neben Afghanistan und der Türkei damals die Drehscheiben für den illegalen Drogen-Handel. Das Buch «Weltmacht Droge. Das Geschäft mit der Sucht» von Georg Behr, war damals sehr erhellend.

Uno-Drogenfahnder vermerkten damals schon eine weitere persische Auffälligkeit: Derweil alle Länder, die von ihnen beschlagnahmten Drogen vernichtet hatten, wurden von den 18,4 Tonnen beschlagnahmten Drogen, im Iran lediglich 329 Kilo vernichtet, 152 Kilo gingen an den regulären Handel, die restlichen 17 Tonnen liess der Schah über seine diplomatischen Kuriere über die ganze Welt verteilen. Der Verdacht, dass persische Diplomaten für die Devisenkasse ihres Kaisers Heroin und Opiate schmuggelten, war nicht erst seit der Huschang-Affäre in Genf aufgetaucht, der schon zwölf Jahre zuvor in Paris wegen Besitz und Gebrauch von Drogen angeklagt und inhaftiert wurde. 1961, als Mohnpflanzen im Iran verboten war, sollen auch die Zwillingsschwester des Schahs, Prinzessin Aschraf, auf dem Genfer Flughafen Cointrin mit einem randvollen Koffer Heroin ertappt worden sein. Nur ihre diplomatische Immunität, so die «National-Zeitung», habe sie vor der Strafverfolgung bewahrt. Wie sieht die Situation heute aus?

Irans Drogenprobleme haben stetig zugenommen und sorgen im eigenen Land, als auch international für Aufsehen. Im Juni 2017 gab Irans zentrale Drogenkontrollstelle bekannt, dass einer Studie zufolge 2,8 bis 3 Millionen Iraner zwischen 15 und 65 Jahren drogenabhängig seien. Beobachter hingegen schätzen ihre Zahl noch höher ein. Der Drogenmissbrauch hat sich also innerhalb von sechs Jahren verdoppelt. 2016 deckte ein Mitglied des Sozialausschusses des iranischen Parlaments auf, dass manche Abhängige gerade einmal erst 11 Jahre alt sind. Besonders beunruhigend sei der Trend und latente Drogenmissbrauch unter Frauen, denn mitunter bringen drogensüchtige Mütter bereits bei der Geburt suchtabhängige Babys zur Welt. Eine wahre Teufelsspirale und eine nationale Tragödie, die totgeschwiegen wird. Diese Eskalation gleicht einer nationalen Epidemie und betrifft Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund. Die dünne Mittelschicht mag illegale Substanzen hin und wieder als Freizeitdrogen nutzen, aber die Hoffnungslosigkeit scheint für den wachsenden Missbrauch die bedeutendste Rolle zu spielen. Die Verzweiflung der Bevölkerung infolge der Sanktionen und der Corona Krise, ist im Iran weit verbreitet und wächst zusätzlich mit den fehlenden ökonomischen Perspektiven und politischen Alternativen. Die wirtschaftliche Not – das Resultat von jahrzehntelangem Missmanagement und Korruption – sowie internationale Sanktionen haben einen starken negativen psychologischen Effekt auf die Gesellschaft hinterlassen. Auch Irans geografische Nähe zu Afghanistan, dem Zentrum der Opiumproduktion, trägt zu dieser Misère bei, denn 90 Prozent der weltweiten Schlafmohnernte stammt aus dem Nachbarland Afghanistan, das eine über 1000 Kilometer lange Grenze mit dem Iran hat. Laut Parviz Afshar, dem Sprecher der Zentralen Drogenkontrollstelle, ist Opium das am häufigsten gebrauchte Rauschgift im Iran und macht etwa zwei Drittel der Gesamtmenge des Drogenkonsums aus. An zweiter Stelle stehen heute mit etwa 12 Prozent Marihuana und dessen Derivate, die zum Glück die Methamphetamine abgelöst. Es wird angenommen, dass Cannabisprodukte vor allem von Jüngeren konsumiert werden, die auch freier darüber sprechen als andere Drogenkonsumenten. Offener Austausch in sozialen Netzwerken und die Legalisierung von Cannabis in Teilen der westlichen Welt haben zur Popularität beigetragen, glaubt Abbas Deylamizadeh, Chef der regierungsunabhängigen Rebirth Charity Society. Seit der Revolution von 1979 versuchte die iranische Regierung, Drogenanbau und -konsum sowie Alkoholkonsum zu unterbinden. Auch hier ohne Erfolg und mit gravierenden Konsequenzen.

Nach dem im Iran geltenden islamischen Recht ist all dies verboten. Die Gesetze sind streng und wurden energisch und mit drakonischen Strafen durchgesetzt. Zweifellos eine Politik der Härte: Bis zum letzten Jahr zeigte die Politik keine Toleranz gegenüber Drogentätern. Auf den Besitz selbst kleinster Mengen harter Drogen wie Heroin oder Kokain steht die Todesstrafe. In den vergangenen Jahrzehnten wurden tausende Drogendelinquenten verhaftet und hingerichtet. Doch war die rigide Politik nicht erfolgreich. Die Drogenkrise hat sich verschlimmert, doch die Regierung von Präsident Hassan Rohani hat das Parlament und den Wächterrat im vergangenen Jahr zu einer Änderung der Drogengesetze bewogen. Durch die Reform entfällt die Todesstrafe für bestimmte Drogendelikte. Schätzungen zufolge rettete das bereits an die 4000 Häftlingen im Todestrakt das Leben. Nicht abgeschafft wurde dagegen die Todesstrafe für den Besitz von oder den Handel mit über zwei Kilogramm harter Drogen, zum Beispiel 50 Kilogramm Opium aber auch grosse Mengen Cannabis.

Der mörderische Gottesstaat und General Qassam Soleimanis Exekution

Was „zum Teufel“ den iranischen Botschafter in der Schweiz, Alireza Salari, veranlasst hat, mich zur diplomatischen Feier aus Anlass des 35. Jahrestages der iranischen Revolution in die Botschaft in Bern einzuladen, weiss ich nicht. Ich erwartete einen kurzen Medientermin inmitten einer Schar JournalistInnen und ein paar Worte „zur Lage der Nation“. Doch es kam anders. Verblüffenderweise war ich der einzige Medienschaffende und Pressefotograf unter einer handverlesenen Auswahl von Privatpersonen. Alle anderen gut 150 geladenen Gäste waren entweder Diplomaten, Spione oder beides. Noch interessanter wurde es, als auch der iranische Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif in der iranischen Botschaft in Bern erschien und von Alireza Salari enthusiastischbegrüsst wurde. Die Schweiz und die iranische Botschaft in Bern, als auch die akkreditierten Vertreter bei den Vereinten Nationen in Genf spielten eine wichtige Rolle in der Weltpolitik bei den diplomatischen Beziehenung zwischen dem Iran und der USA. Wie bei Kuba auch, dient und tritt die Schweiz als neutrales Land und Vermittlerin der diplomatischen Interessen dieser Länder untereinander auf.

Doch möchte ich an dieser Stelle die Feierlichkeiten in der Botschaft beenden und posthum einen weiteren einflussreichen von den Amerikanern am 3.Januar 2020 durch eine US-Drohne im Irak getöteten Strippenzieher der iranischen Aussenpolitik vorstellen und seine Fähigkeiten sowie seinen grossen Einfluss auf das Weltgeschehen anschauen. Die Rede ist von General Qasem Soleimani, der «Che Guevara» der iranischen Revolution, der inetwa auch so endete, wie sein berühmter kubanischer Vorgänger und dessen Strategie anwendete (die kubanische Revolution nicht nur in alle Länder Lateinamerikas zu exportieren, sondern auch kommunistische oder marxistische Länder in Afrika zu unterstützten). So wie Gaddafi mit der Finanzierung von Befreiungs- und Terrororganisationen oder Regierungsparteien vor ging, so exportierte auch Soleimani die iranische Revolution weit über die umliegenden Länder hinaus.

General Qasem Soleimani, Teherans langjährige graue Eminenz, wurde 1998 von Chomenei zum Chef der «Khuz»-Brigaden ernannt und koordinierte die Angriffe auf die israelischen Besatzer vom Libanon aus, bis diese dann zwei Jahre später abzogen. Der Einmarsch Israels im Libanon ist rückblickend ein schwerer Fehler, weil er den Iran dazu befeuerte, im Libanon die Hizbollah aufzubauen und im Irak mit shiitischen Milizen, die Sunniten anzugreifen, wie der damalige iranische Vize-Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian sich dazu äusserte. General Soleimani war der Schöpfer der «Widerstandsachse gegen den Imperialismus» und der langjährige Chefstratege bei der iranischen Aussenpolitik, die darauf abzielte, „die Imperialisten im Ausland zu beschäftigen, die shiitische Gemeinschaft im ganzen Nahen Osten zu vereinen und die Glaubensgemeinschaft gegen die sunnitischen Machtansprüche zu verteidigen“. Insbesondere der acht jährige Irak-Krieg, der über eine Million Iraner das Leben kostete und der israelische Einmarsch im Libanon, prägten den unter den «Revolutionsgarden» und «Khuz»-Brigaden, einer Sondereinheit gross gewordenen Soleimani.

Der Iran hat vom Zusammenbruch des Iraks und von den Folgen des Arabischen Frühlings profitiert und seinen Einfluss in der Region massiv ausgebaut. Teheran wird dabei von drei wesentlichen Interessen getrieben: die drei Komponenten der iranischen Aussenpolitik sind ideologische, geopolitische und sicherheitspolitische Strategien. Ideologisch betrachtet sieht sich der Iran einerseits als Schutzmacht unterdrückter Muslime im Kontext einer revolutionären Widerstandsmacht gegen Israel und die USA. Geopolitisch hingegen zielt der Iran darauf ab Saudi Arabien die Stirn zu bieten, um seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Diese Rivalität wird in Syrien oder im Jemen ausgetragen. Da der Iran kräftemässig seinen mächtigsten Nachbarn militärisch unterlegen ist, verlagert er sein Abwehrdispositiv ins benachbarte Ausland. Die Strategie hat bisher gut funktioniert, doch dazu ist ein mächtiges Netzwerk nicht-staatlicher Akteure essentiel.

Teherans regionalpolitische Entscheidungen werden vom Obersten Nationalen Sicherheitsrat gefällt, dem der Präsident, Vertreter des Revolutionsführers, die Kommandeure der Streitkräfte und im operativen Geschäft die Quds (Jerusalem Brigaden) beiwohnen. Ferner sind auch noch die Pasdaran, die paramilitärischen Revolutionsgarden eingebunden. Dieses supranationale Netzwerk beinhaltet auch die Kooperation und Unterstützung der Hamas in den Palästinensischen Gebieten und im Gaza Streifen, derweil im Libanon wie erwähnt die Hisbollah eine entscheidene Rolle spielt auch zum Assad Regime gute Kontakte auf staatlicher Ebene bestehen. Dies ist die bisher sehr erfolgreiche asymetrische Kriegsführung des Irans im Nahen Osten.

Als Osama Bin Laden die Twin Towers in Schutt und Asche legte, wollte die Amerikaner plötzlich wieder mehr von den Iranern über die Taliban und die Lage in Afghanistan wissen. Auch der Iran sah Osama Bin Laden als Feind an und so lieferte Solemani als Chef der Khuz-Brigaden in Genf der CIA die wichtigsten Informationen. Doch die iranisch-amerikanische Allianz dauerte nicht lange, schon befeuerte der bescheuerte US-Präsident George Bush die Iraner wieder zu Staatsfeinden hoch und kreeirte die «Achse des Bösen». So fühlte sich der Iran durch die US-Intervention im Irak und der Umzingelung aggressiver, imperialistischer US-Truppen bedroht, intervenierte bei den Vereinten Nationen und die warnten die Amerikaner vor den Konsequenzen einer Intervention im Irak in Genf. Doch die Amerikaner, „idiotisch wie so oft“, zerstörten dann „binnen weniger Monate die gesamte Struktur im Irak, schwächten den Staat und lösten die Streitkräfte auf“, wie Hossam Dawod, ein Berater des irakischen Diktators ausführte. „So wurden die Fundamente der irakischen Gesellschaft total zerstört“, fügt er hinzu.

Das von den Amerikanern herbeigeführte Machtvakuum nutzte auch Soleimani aus. Er spielte eine zentrale Rolle bei der Nachkriegsentwicklung im Irak und beeinflusste die Geschichte auch dort, in dem er die im Iran ausgebildeten, irakischen, shiitischen Milizen zurück in die Heimat schickte, mit Waffen ausstattete und auch finanziell unterstützte, wie mir mehrere Insider bestätigen. Daraufhin griff die pro-iranische Hisbollah die US-Streitkräfte derart gnadenlos an, dass die Amerikaner sich zurückziehen mussten und wieder einmal ein gigantisches Chaos hinterliessen, das die westliche und nahöstliche Welt auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen wird. Denn durch die shitische Aggression Irans im Irak entstand die sunnitische Extremismus-Variante, der IS, der wie wir wissen, ebenfalls viel Terror und Elend verursacht hat und noch immer tut, um die bekannten Ereignisse kurz zu fassen.

Innenpolitisch wurden nach dem achtjährigen Iran-Irak Krieg rund 4000 Iraner bei einer Säuberungswelle exekutiert, womit der mörderische Gottesstaat einmal mehr seine Unbarmherzigkeit gegenüber politisch nicht linientreuen Personen erneut offenbarte. Bei späteren Protesten zum Beispiel bei den Aufständen infolge der erhöhten Benzinpreise, wurde scharf geschossen und viele Demonstranten mit gezielten Kopfschüssen getötet, weitere nach einer Inhaftierung zu langen Haftstrafen verurteilt oder exekutiert und in Massengräbern verscharrt, ohne dass den Angehörigen die Leichen übergeben wurden oder ihnen ein angemessener Abschied und die Trauerzeit zugestanden wurde. Ein barbarisches System. Doch wie kam es zur Allianz des Irans mit Syrien? Die Lage ist kompliziert. Bashar Assad, der ja ein Christ ist und der für seine Greueltaten bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurde – trotz einst lau(t)en Protesten gegen sein diktatorisches Regime zu Beginn der Revolution im Schatten des arabischen Frühlings. Dank den Russen und der Türkei konnte er an der Macht bleiben. Das tragische an der EU und Nato ist, dass immer nur lamentiert und an den Frieden appelliert wird, derweil andere Staaten entschlossen sind, einzugreifen. Doch zurück zur Ursache der syrisch-iranischen Allianz: Weil die Sunniten und insbesondere der erstarkte IS nun auch in Syrien für Bashar Assad zur Gefahr wurden, solidarisierten sich Solemani und Assad im Kampf gegen die Sunniten. Nach Angaben gut informierter Kreise, flog Solemani verdeckt in einem mit humanitären Gütern beladenen Flugzeug nach Amman zu Assad und koordinierte mit ihm die Angriffe gegen den IS. So gesehen, müsste Europa und der Westen Solemani ironischerweise ein klein wenig dankbar sein. Nun zu einem weiteren genialen Strategie-Spielchen Soleimanis, das zur Kontrolle des Iraks von Teheran aus führte und die Amerikaner Milliarden für den Erzfeind kosteten. Von der Wiederaufbauhilfe zwischen 2005 – 2015 im Umfang von rund 800 Mia. US-Dollars an den Irak wurden gemäss Aussagen des ehemaligen irakischen Ministers, Ahmed Al Hadj, aufgrund eines Finanzausschussberichtes etwa 312 Mia. von den Iranern via Hisbollah und andere pro iranische Organisationen abgezweigt und ausser Landes geschafft. „Der Irak wurde zum Goldesel des Irans“, bekräftig auch Hosham Dawod. Doch 2019 wird Solemani durch ein Geheimdienst-Leak beim iranischen Geheimdienst (MOIS) desavouiert. Dann kamen die Kriegsverbrechen von 2014 in «Jurf al Sakhar» ans Licht. Die shiitische Hisbollah verübte damals grauenhafte Verbrechen, was zu über 150’000 Vertriebenen unter der sunnitischen Bevölkerung führte.

Qassem Solemani ist tot – und das ist (mit Verlaub) gut so. Dies ändert jedoch wenig an der Aussenpolitik des Irans und man fragt sich auch, wieviele Amerikaner zuvor so hätten getötet beziehungsweise eliminiert werden müssen, um all das Unheil zu vermeiden, dass die USA ausschliesslich in ihren eigenen Interessen mit katastrophalen Folgen für die ganze Welt verursacht haben. Hier wie andernorts! Schauen sie sich doch nur mal auf Wikipedia die Auflistung aller US-Interventionen an. Das ergibt ein unglaubliches Puzzle der Infiltration, Subversion, Konterrevolution und wie immer man all das nenn will. Doch muss man sich bei aller Schuldzuweisung an die USA auch fragen, was denn eigentlich die muslimische Gesellschaft und Diaspora weltweit macht, um den fortwährend schwelenden religiösen Konflikt zwischen Sunniten und Shiiten endlich zu befrieden und den gordischen Knoten vieler Konflikte und Terrorakte zu beenden? Da geschieht fast gar nichts und das ist das grösste Problem. Aber erinnern wir uns kurz daran, wie lange der Konflikt zwischen Christen und Katholiken angedauert hat und wie viele Menschenleben die Religionskriege in Europa forderten.

Eines zeichnet sich jedenfalls immer wieder ab. Die fortlaufenden «Law and Disorder» Interventionen der Amerikaner, sei es im Irak, im Iran, in Afghanistan, in Syrien wie in Vietnam und an vielen anderen Orten sind oder endeten zumeist mit einem riesigen Desaster, dass alle Regionen letzlich instabiler machte und zahlreiche Aggressoren und Terrororganisation erst erschuf. Die Aufrüstung aller heute existierenden Terrogruppierungen inklusive der Taliban sind zumeist auf die militärische Aufrüstung und Veranlassung durch die Vereinigten Staaten geschehen. Ein fataler Kreislauf, der sich immer wieder zu wiederholen scheint. Hinzu kommen die menschenverachtenden Verhältnisse auf Guantanamo, die dort praktizierten Foltermethoden werfen ein unrühmliches Licht auf die westliche Welt und die gelobte humane und rechtsstaatliche Auffassung der Menschenrechte und verletzen auch Kriegsrecht. Seien wir uns bewusst, dass wir in unserer zumeist passiven Rolle, als ungläubige Zuschauer angesichts des grotesken Weltgeschehens und übelsten Machtgebaren, auch im Kleinen, oft korrumpieren und bei vielen Missständen die Augen zudrücken und weitere Interventionen bequem ausblenden. So geschehen auch 50 Jahre lang beim Thema Klimaerwärmung und CO2-Ausstoss. Die Menschheit lernt offenbar nichts hinzu.

Komoren: Die Parfüminseln tauchen aus der Versenkung empor

Nun machen wir einen kurzen, unbeschwerten Abstecher in den Indischen Ozean und tauchen ab zu einer unbekannten Inselgruppe, die einst von Frankreich kolonialisiert wurde. Die Rede ist von den Komoren. Lange hielten sich die rivalisierenden Sultanate am Schnittpunkt der arabischen und afrikanischen Welt im Verborgenen. Ausser den Parfumherstellern, die sich hier mit den begehrten Ylang-Ylang Duftstoffen eindeckten und bereicherten, kennen nur wenige die Grande Comores, mit den vier Inseln, Grande Comores, Anjouan, Moheli und Grand Mayotte. Die Einheimischen nennen die vier Vulkaninseln zwischen Madagaskar und Mocambique Ngazidja, Ndzuani, Mwali und Mayotte. Sie sind politisch und geografisch gespalten und ein kulturelles Panoptikum, worin malayische, polynesische, afrikanische und französische Einflüsse verschmelzen. Vor der Kolonialzeit rangen bis zu 12 Sultanate vergeblich um die Vorherrschaft.

Den Franzosen gelang es 1845, die durch die zerstrittenen Regenten geschwächten Komoren unter ihre Schutzherrschaft zu stellen und sie 1912 zu einem der Überseeterritorien der Grande Nation zu erklären. In einem Referendum votierten 1977 allein Mayottes Bevölkerung für den Verbleib bei Frankreich. Die anderen Inseln entschieden sich wiederum für die lang ersehnte, hartumkämpfte Unabhängigkeit und vereinten sich schliesslich zur islamischen Konföderation der Komoren. Doch der Spaltpilz Mayotte trübten die Einheit des neuen Inselstaates, der die Unabhängigkeit übrigens wirtschaftlich gesehen, enorm einbüsste und dadurch total verarmte. An touristischer Attraktivität würde es den Inseln bei weitem nicht fehlen. Grande Comores ist mit 1025 Quadratkilometern die grösste Insel. Hinter Ngazidjas Hauptstadt Moroni, deren prächtiger Bau die strahlend weisse Freitagsmoschee schon von weitem aus dem Häusermeer hervorsticht, erhebt sich der mächtige Vulkan Karthala. 1977 brach er zum letzten Mal aus, hinterlies dabei breite Lavaspuren, die der jüngsten komorischen Vulkaninsel einen bizarren Anstrich verleiht.

Durchquert man die Grande Comores von West nach Ost über den steilen Dibwani-Pass, ragen auf der nördlichen Flanke der Strasse viele weitere kleine Vulkankegel empor. Dieser fantastischen Krater-Mondlandschaft haben die Komoren wohl auch den arabischen Namen der «Mondinseln» zu verdanken, denn die Küste ist zumeist aus schroffem, pechschwarzem Lavagestein. Der schönste Badeort der Hauptinsel wartet mit drei perlenweissen Stränden auf, umsäumt vom vorgelagerten, schillernden Korallenriff. Hier hat sich das Galawa Hotel eingenistet und bei Ebbe treffen scharenweise bunt gekleidete Frauen mit Kopftüchern ein. Im seichten, kristallklaren Wasser fischen sie mit Netzen und Harpunen aus Armierungseisen und machen Jagd auf Tintenfische aber auch grössere Fische, die sich in ihren im Kreis aufgespannten und dann zusammengezogenen Netzen verfangen.

Anjouan, die Perle der Komoren, ist die Insel der unberührten Täler, der idyllischen, tropischen Fluss- und schroffen, dicht bewachsenen Kraterlandschaften und ihren Vulkankegeln. Am Fusse der Regenwälder liegen die herrlich duftenden Vanille, die Gewürz und Ylang Ylang Plantagen, an denen sich die französischen Parfumhersteller Jahrzehntelang schamlos bereicherten. Die Nachbarinsel Moheli gibt sich überaus afrikanisch orientiert und ist ein Refugium der Riesenwasserschildkröten, die ich eines Nachts völlig überraschend zu Hunderten am nächtlichen, vom Vollmond hell erleuchteten Strand ihre Eier verbuddeln sah.

Ansonsten ist die Insel eher ein Refugium für Robinson Crusoe AnhängerInnen. Auf dem Markt von Mitsamiouli erkennt man die wenigen Musungus (weisse Touristen) auf den ersten Blick, wobei ich jedenfalls ausser meinen drei Journalisten-Kollegen keinen einzigen Weissen auf der Insel sah. Hier dominierten nicht mit schwarzen Hijabs verschleierte Frauen, sondern jene mit farbenfrohen Ngazidjas und um den Körper geschlungen Lesotho-Tücher gekleideten Ladies das Bild, derweil die Frauen auf Anjouan zumeist einen rotweissen Chiromani trugen. Viele der Gesicher waren mit einer dicken Schicht aus Sandelholz als Sonnen- und Moskitoschutz bedeckt. Die mit fortschreitender Tageszeit bröckelnde Schönheitsmaske, dient dazu, die zarte Haut der Frauen feucht und gepflegt zu erhalten. Echt schockiert war ich, als ich im Hotelzimmer, der sich so puritanisch gebenden islamischen Gottesstaaten auch wenig kaschiert Präservative herum lagen. Dass anstatt des Korans Kondome auf dem Nachtisch liegen würden, hätte ich hier zuletzt erwartet. Man(n) lernt dazu. Später fand ich heraus, dass es neben dem Normaltarif auch noch einen Schäferstündchen-Tarif gab. Doch von den pragmatisierten und zeitgenössischen sogenanten Unsitten nun zu den traditionellen matriarchalischen Sitten des Landes.

Bei der Grande Mariage, dem pompösesten Fest und wichtigsten Ereignis im Leben eines Komorers und einer Komorerin, werden traditionellerweise alle Geschütze aufgefahren. So kommt es vor, dass die Eltern ihrer Braut ein Haus bauen, derweil der Bräutigam die Braut mit echtem Gold oder Juwelen überhäuft. Die während Tagen oft mit Hunderten von Gästen zelebrierte Hochzeit ist nicht nur ein festliches Grossereignis sondern stets auch mit sozialem Aufstieg verbunden. So jedenfalls ist die Erwartung der meisten InselbewohnerInnen. Eine Familie vollzieht durch diesen Akt oft auch einen Klassenwechsel in die Oberschicht, wird im Kreis der grands notables aufgenommen und ist fortan auch im politisch religösen Kontext einflussreicher. Nicht selten bedeutet die Grande Mariage aber auch den finanziellen Ruin einer Familie, denn schon damals monierten die Jungen Leute zu Recht, dass das Geld besser in die Bildung und Weiterentwicklung des Landes investiert werden sollte, statt es so unsinnig zu verpulvern. Die Analphabetenrate betrug damals fast 50 Prozent und die Republik der Komoren zählte zu den 15 ärmsten Nationen der Welt.

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7. Insel-Perlen: Australien, Maurtius und die Südsee

Mauritius: Symphonie in Türkis und Weiss mit den weltbesten Spa-Resorts

Unter Schatten spendenen Filaos am korallenweissen Sandstr+and unter dem stahlblauen Himmel und die türkisblau schimmernde Lagune vor Augen – solch paradiesische Ausblicke bietet Mauritius. Die facettenreichen Blauschattierungen des Meeres und des Himmels, die sich so klar vom Weiss der Strände abheben, nehmen einen gefangen. Dahinter dann das satte Grün von Wiesen, Palmen, Zuckerrohrplantagen und tropischer Vegetation. Die fruchtbare Vulkanerde lässt die herrlichsten Früchte gedeihen, wie zum Beispiel zuckersüsse Ananas, Mangos, Papayas oder Zimtäpfel. Was für eine Vielfallt an Farbschattierungen. Das gleiche trifft auf die Mauritianer selbst zu. Von ebenholzschwarz über safrangelb bis perlweiss reichen die Hautfarben der mauritianischen Bevölkerung. Es ist ein buntes Völkergemisch, zwei Drittel der Insulaner sind Hindus, rund 180‘000 sind Araber, vorwiegend Sunniten. Ausserdem leben hier auf der Fläche des Kantons Zürich auch noch einige zehntausend Chinesen, Hakkas und Weisse, mehrheitlich französischer Herkunft. Die über 300‘000 Kreolen stammen von afrikanischen und madagassischen Sklaven, weissen Siedlern, indischen Landarbeitern und chinesischen Händlern ab. So vermischt sich asiatische Lebenskunst mit dem europäischen Kolonialerbe, das Ergebnis macht den Zauber dieses Inselraums aus und schlägt die Touristen in ihren Bann.

In Mauritius Hauptstadt Port Louis kann man innerhalb eines Tages die verschiedensten Glaubensstätten besuchen, seien es hinduistische oder buddhistische Schreine, Shivas und Kovils, aber auch Moscheen und Kirchen. Täglich hört man den Ruf des Muezzin, den Klang der Gongs und da sLäuten der Kirchglocken durch die Strassen hallen. Das Kaleidoskop und die Summe aller Feste ist so riesig, dass der Eindruck entstehen könnte, die Mauritianer seien unablässig am Feiern. Die Verständigung ist trotz 63 verschiedenen Sprachen kein Problem. So eindrücklich und facettenreich das kulturelle Spektrum Mauritius auch ist, noch schillernder ist die opulente maritime Unterwelt. Inmitten der tiefblauen Unendlichkeit des indischen Ozeans breitet sich ein submarines Paradies aus: Vor der farbenprächtigen Kulisse filigraner Korallengärten, stacheliger Seeanemonen und Fächerwürmern tummeln sich im kristallklaren Wasser Papagei-, Lipp-, Koffer- und Trompetenfische und der Clown-Fisch verteidigt sein Anemonen Heim. Die überreiche Meeresfauna, feinsandige Strände und gediegene Hotels sowie das kulinarische Angebot sind die Trümpfe und die Touristen-Magnete. Ob Sonnenanbeter, Wassersportler und Tau-cher, Golfspieler und Spa-LiebhaberInnen kommen alle hier auf ihre Kosten.

Trotz der stark gewachsenen Beliebtheit von Mauritius als Reiseziel treten sich hier die Urlauber noch nicht auf die Füsse. Selbst in den touristischen Zentren wie Flic en Flac, Grand Baie oder Trou dEau Douce findet man immer noch Abschnitte, die man ganz für sich alleine haben kann. Hinter der Pointe aux Cannoniers öffnet sich die tief ins Land reichende Grand Baie. Vor Wind und Wellen geschätzt, hat sie sich zu einem Magneten für Badeurlauber entwickelt. Die Küste im Osten ist ein ideales Windsurfer-Revier – besonders in den Monaten Juni bis September, wenn der Südostpassat gleichmässig weht. Im Norden bei Troux aux Biches und Pointe aux Cannoniers gibt es drei Strände die für die Einheimischen und für die Touristen sind. Die Strände im Westen bei Wolmar und Flic en Flac werden von vielen als die schönsten der Insel bezeichnet, zumindest sind sie die Längsten. Von Filao-Wäldern gesäumt, schmal, weiss und scheinbar unendlich ziehen sie sich dahin. Etwa 100 Meter vom Ufer befindet sich ein grosses Korallenriff, das der Bucht Schutz verleiht und im Süden der Insel liegen die Blue Bay und der Morne Brabant. In ihrer ungeschützten ursprünglichen Wildheit bietet die Südküste den stärksten Kontrast zu den sonst so sanften Gestaden der Insel. Von Mahebourg im Osten bis zum Morne Brabant im äussersten Süden  reicht der wohl spektakulärste landschaftliche Teil der Insel.

Werfen wir einen Blick auf die weltbesten Spa-Hotels. Der beeindruckendste Wellness-Tempel beherrbergt das Hotel «The Residence Mauritius», welches im Stil vergangener Kolonialstil-Epochen und durch die opulente Pracht eine Augenweide ist. In der damals über 600 m2 grossen Spa & Wellness Oase «The Sanctuary» wurden Ayurveda-Behandlungen, «La Prairie»-Schönheitspflege, Hot Stone Kuren, Lymphdrainagen, Fussreflexzonen-Massagen, Yoga und Meditation und vieles mehr auf höchstem Niveau angeboten. Auch das Luxushotel «The Oberoi» stand punkto Auswahl und Qualität der Wellnessbehandlungen dem «Residence» in Nichts nach. Auch hier gehören ayurvedische und orientalische Behandlungen ebenso zum Standart wie die westlichen Wellnessbehandlungen. Dann gibt es noch die «Naiade Resorts» mit den «Les Pavillions» in denen man unbedingt eine Synchron-Massage mit Ylang Ylang ausprobieren sollte. Zu den Fünf-Sterne Top Resorts und Golfer-Eldorados zählt auch das «Constance Belle Mar Plage» und das «Constance Le Prince Maurice» an der Ostküste, dessen Wellness-Zentrum der «Shiseido Pavillion» ist, in dem die Signatur Anwendung der Qi-Methode praktiziert wird, aber auch herrliche Frangipani und Ylang Ylang Behandlungen angeboten werden. Sieben Restaurants sorgen für das kulinarische Wohl der Gäste. Last but not least kann man auch das «Taj Exotica Resort & Spa Mauritius» mit einer über 2000 m2 grossen Spa-Oase zu den Wellness-Highlights hinzuzählen. Auch hier bleibt kein Wunsch unerfüllt.

Australiens fantastische Naturparadiese und die dreckige Kohleindustrie

Nun noch eine ganz entspannte Reise nach Australien und dann geht es ab in die Südsee. Die Ostküste gilt als Einstiegstrip in den  mythenumwobenen Kosmos und die landschaftlich abwechslungsreiche Welt Australiens. Fliegt man direkt nach Cairns, gelangt man binnen zwei Autostunden zu den Regenwäldern am Cape Tribulation, an den Gestaden des Great Barrier Reefs. Allein in dem am dichtesten besiedelten Küstenstreifen an der Ostküste, in dem 80 Prozent der Bevölkerung leben, reicht völlig aus um sich wochenlang bestens zu vergnügen und um Fantastisches zu erleben. Beginnen wir unsere Reise auf der grössten Sandinsel der Welt im Great Barrier Reef vor der Küste von Queensland, wo tropisch bewaldete Dünen am Ufer kristallklarer Süsswasser-Seen inmitten smaragdgrüner Regenwälder empor ragen. Vor Fraser Islands Küste tummeln sich Buckelwale und Delphine. Das Inselbiotop ist auch Zufluchtsort rarer Pflanzenarten, endemischer Tierarten aber auch der Homo Ökotourismus nistete sich hier im Unesco Weltkulturerbe zunehmend ein.

Der Reiz des Inselmikrokosmos sind die bis zu 240 Meter hohen Sanddünen, 120 Kilometer Strand, über 100 kristallklare Süsswasserseen, die sich zwischen Eukalyptuswäldern, Palmenhainen und einem Meer aus Farnen in der gigantischen Dünenlandschaft ausbreiten sowie eine grosse geschützte Bucht, die Hervey Bay, welche den Buckelwalen zwischen August und Oktober einen geschützen Rückzugsort bietet. Das kristallklare Wasser des Lake Mc Kenzie lockt zum erfrischenden Bad ein. Sein von weissem Sand gesäumtes Ufer ist nicht nur ein beliebter Rastplatz nach dem Trip durch den Regenwald, auch die Dingos und Walabis (Mini-Kängurus) kommen hier zur Tränke. Die Dingos kommen aber auch wegen der prall gefüllten Provianttüten der Touristen. Da fällt manch ein feiner Happen für die Wildhunde ab. Dann geht es weiter zum Lake Wabby, der diesseits von dichtem Regenwald umschlungen ist, während man am anderen Ufer von den beinahe in den Himmel ragenden Sanddünen herunterrollen und ins Wasser klatschen kann. Die gigantischen Süss-wasser-Reservoire bergen zusammen gerechnet zehn bis zwanzig Millionen Mega-Liter Frischwasser

Fraser Island ist uralt und trägt die Ewigkeit von über 220 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte auf dem Buckel. Seit zwei Millionen Jahren wird Sand auf die Insel angeschwemmt und angehäuft. Im Eiszeitalter wurde diese Landschaft geformt und in ihrer heutigen Prägung existiert sie seit ungefähr 6000 Jahren. Mit der Erwärmung des Klimas vor 140‘000 Jahren, tauchten dort auch die ersten Spuren der Aborigines auf, doch geht man davon aus, dass die Butschulla-Ureinwohner sich erst vor 20 Millionen Jahren auf «KGari» Island niederliessen, wie sie die Insel damals nannten. Für die westliche Welt wurde Fraser Island von James Cook 1770 entdeckt. Eine Legende des Butschulla-Stammes über die Evolutions Geschichte besagt, dass der Schöpfer einst die Götter Jendigi und Gari auf die Erde sandte. Sie schufen Berge, Flüsse und Seen worauf die Göttin Gari unbedingt auf der Erde bleiben wollte. So verwandelte Jendigi die Göttin Gari in eine wunderschöne Insel mit über 40 Seen, so klar, das Gari ihn darin im Himmel sehen konnte. Er schuf auch Tiere und Menschen und lehrte sie die Vermehrung. Das ist die Entstehungsgeschichte von Fraser Island, der weltweit grössten Sandinsel mit 120 km länge und 25 km Breite.

Schon im Vorfeld der Australien Reise habe ich mich für das „Walfang-Verbot“ stark gemacht und darüber in verschiedenen Zeitungen berichtet, u.a. in der Sonntags Zeitung unter dem Titel «Lieber touristisch ausschlachten, als abschlachten»! Nun wollte ich mir selbst den Traum erfüllen und bei einer Walbeobachtung teilnehmen und die Meeressäuger von nahe sehen. Hervey Bay ist nur einer von gut einem Dutzend Orten im Great Barrier Reef, wo sich die Wale tummeln. Gegen 100 Personen drängeln sich auf dem «Kingfisher»-Katamaran zur Reling und suchen den Horizont nach Fontänen oder einer hochragenden Schwanzflosse ab. „Da sind sie“, schreit einer und die Menge jubelt! Ein vielleicht 30 Tonnen schwerer Koloss mit gewiss über 16 Meter langem Leib schiesst wie ein silbriger Pfeil hoch in die Luft führt eine Pirouette aus und taucht dann kopfüber wieder in die Fluten ein. Was für ein erhabener Anblick! Zum Glück sind sie hier geschützt.

«Whale-Watching» hat sich in den 90er Jahren zu einem 600 bis 700 Millionen schweren Tourismuszweig gemausert. Whale-Watchers reisen zur Baja California, zur Küste von Brasilien, Patagonien oder Südafrika, um Whale zu sehen. Australien hat schon 1994 jährlich über 50 Millionen Einnahmen aus den Walbeobachtungen eingenommen. Kein Wunder, denn die Giganten der Meere sind faszinierend in jeder Beziehung! Wie verschlüsselte Botschaften (heute sind es wohl eher Klagegesänge) klingen ihre Töne aus der Tiefe des Ozeans, ähnlich einem Sonar, dem Echolotsystem der sie mit Radarsignalen ihren Kurs. Sie senden exakte Sende-intervalle ab und sind imstande mit ihrem sensiblen Feingespür die Signale der Schallwellen wieder aufzunehmen und präzise zu analysieren und zu orten, so dass sie sich über tausende von Kilometern orientieren können. Die bis zu dreissig minütigen Gesänge dienen der Kommunikation mit Artgenossen. Nicht nur für Geologen, Botaniker, Natur-, Tier- und Vogel-freunde auch für Segler, Surfer und Erholungssuchende bot Fraser Island vor 20 Jahren paradiesische Zustände. 2020 gab es dagegen wie überall in Australien auch hier verheerende Waldbrände und auch sonst ist das Ökosystem aus den Fugen geraten, wie im gesamten Great Barrier Reef. Der gesamte Archipel leidet unter der globalen Klima-erwärmung und der Verschmutzung durch Öl und Plastikmüll der Touristen. Von den türkisfarbenen Gestaden des Great Barrier Reefs nun in eine ganz andere Gegend, die im Kontrast zu dem maritimen Leben steht, aber ebenso ums Überleben kämpft.

Fliegt man nach Brisbane und von dort nach Cairns weiter, gelangt man zu den Regenwäldern am Cape Tribulation. Nicht weit der Stadt Cairns befindet das «Tapukjai Cultural Village», in dem die Besucher/innen der Kultur und den Gebräuchen der hiesigen Aborigines näher geführt werden. Fährt man der Küste entlang weiter nördlich, kommt man erst nach Palm Cove, ein kleines charmantes Nest, dann geht es nach Port Douglas weiter, wo die berühmte Thala Beach Lodge und die Daintree Forest Lodge situiert sind, letztere wurde mehrfach als umweltfreundlichste Unterkunft Australiens gekürt. Im Wawu-Jirakul Spa (was in der Sprache der Ureinwohner so viel wie «Reinigung des Geistes» bedeutet), werden die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther zu einem fantastischen Wellness-Cocktail inmitten eines Wasserfalls im Urwald zelebriert, der den Kuku Yalanji Aborigines als heiliger Reinigungskral und der amerikanischen Schauspielerin Brook Shields als Yoga Ort diente. Für die Spa-Behandlungen werden nebst ätherischen Ölen auch verschiedene Sandsteine verwendet, welche die Aborigines nicht nur für ihre Körperbemalung sondern im Notfall auch zur Mineralienaufnahme dient. Ich staune, worauf der Aborigines mit mir um die Quelle herum läuft, an drei Stellen in die lehmige Erde greift und einen Abstrich auf mein nacktes Bein streicht. Sofort sehe ich dass der eine Streifen sandgelb, der zweite lehmgrau und der Dritte rötlich gefärbt ist. „Siehst du hier haben wir Zink, Kupfer und Kalzium mineralhaltige Schichten. Wenn du einmal keine Nahrung mehr hast“, meint er zu mir, „spülst du den Lehmbrei mit Wasser runter und kommst so zu Mineralstoffen“! Nicht schlecht, dachte ich, trotzdem möchte ich nicht in so eine Lage kommen, diesen Brei essen zu müssen.

Die Northern Territories sind die beste Region, um die Kultur der Ureinwohner Australiens zu entdecken, eine Welt vieler Kontraste zwischen dem grünen, tropischen Norden und dem rot glühenden Herzen Austaliens, dem Outback. Besonders das Arnhemland ist Aborigines Land und es grenzt östlich an den Kakadu Nationalpark, in denen mehr als 40 Aborigines-Dialekte gesprochen werden. Alice Springs ist die zweitgrösste Stadt und Darwin die am Meer liegende Hauptstadt der Northern Territories. Die Schatzkammer der Ureinwohner liegt aber im Kakadu National Park, der zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Berühmt sind auch die heissen Thermalquellen von Mataranka südlich von Katherine im Elsey National Park, wo täglich 30 Millionen Liter Wasser aus der Tiefe hervorströmen. Der Kings Canyon ist Australiens grösste Schlucht und bis zu 300 Meter tief. Dieser grandiose Mikrokosmos, der vom Regenwald bis zur Wüste und von traumhaften Stränden bis zu den weltweit schönsten Tauchgründen reicht, sprengt alle Grenzen.

Kein Wunder lässt sich so mancher vom Australien-Virus anstecken. Kurz vor dem „Millenium“ machte ich eine weitere Australien-Reise der besonderen Art. Für eine Lifestyle-Reportage waren die besten Hotels, Spa-Lodges und Restaurants auf der Menü-Palette. Dies führte zum Flagschiff der australischen Hotellerie «Hayman» Island inden White Sunday Islands, in dem damals ein Schweizer Hotelmanager war, dann zum damals neu eröffneten «Palazzo Versace» Hotel und schliesslich zu den beiden Luxus Outback Feeling «Peppers Lodge»und «Spicers Peak Lodge». Auf dem Weg zu dieser geriet mein Geländewagen auf der nassen Natur- und Splitterstrasse durch ein Ausweich-Manöver infolge hervor springender Kängurus ins Schleudern gebracht hat und ich frontal in einen Stacheldrahtzaun geriet, der über die ganze Motorhaube, die Windschutzscheibe und das Dach schrammte, sodass das brandneue Fahrzeug total zerkratzt war und schrottreif aussah, aber immer noch fuhr. Nur die total zerkratze Windschutzscheibe trübte den Fahrspass, doch es hätte weitaus schlimmer ausgehen können.

Opalsucher in Coober Pedy: Die Hoffnung lebt im Untergrund

Zwischen Adelaide und Alice Springs irgendwo inmitten einer glühend heissen, unwirtlichen Mondlandschaft liegt das damals 5000 Seelen zählende Wüsten-Nest Coober Pedy, auch «Opal-Miner City» genannt. Die Bewohner leben in unterirdischen maulwurfartigen Bauten und verbringen den Tag unter der Erde, im Stollen, mit Dynamit bestückt, um weitere Sprengungen vorzunehmen. Einblicke in das Leben der Opalschürfer in einem dynamit-gela-denen Untergrund, angetrieben von der Hoffnung auf schnellen Reichtum und dem Risiko ausgesetzt, mausarm zu scheitern – echte Glücksucher also, aus allen Teilen der Erde sind hier bei ihrer gefährlichen Arbeit anzutreffen. Männer aus Albanien, Italien, Kroatien, Griechen, Serbien, Polen und auch Schweizer schürfen hier im heissen Outback nach den kostbaren Steinen. Einöde, sengende Hitze, jede Menge Staub und Geröll sowie Strapazen ohne Ende, nichts bleibt den Opalschürfern erspart. Vierfünftel der Bevölkerung lebt im Untergrund in den zu Woh-nungen ausgebauten Stollen, die Licht- und Lüftungsschächte nach oben haben. Auch der Supermarkt, die Tankstelle und die Kirche sind im Untergrund. Noch Ende der 90er Jahre konnte man sich einfach einen «Claim» abstecken und zu bohren und sprengen beginnen. Glückspilze, die Coober Pedy als reiche Männer verlassen haben, gibt es nur wenige. Dafür ist der grosse Friedhof in dem Wüstennest ein beredtes Zeugnis. 

Es gibt auch einen Postboten für die Region. Die Ochsen-Tour von John Stillwell zeigt die hiesigen Dimensionen aufs Deutlichste auf. Zweimal pro Woche fährt John von Coober Pedy aus nach William Creek, einem Provinznest mit neun Häusern und dann nach Oodnadata weiter, einer verkommenen Aborginies-Siedlung weiter und versorgt so auf den 650 Kilometern noch drei Farmer mit der Post. John fährt diese Tour nun schon seit sechs Jahren und er hat die Strecke schon über 700 Mal gemacht. Er durchquert dabei auch die Moon Plain Area, eine trockene, steinige, sandige und mit kleinen Hügeln besetzte Mondlandschaft, die zur Rinderfarm Anna Creek führt und deren Zaun über 9600 Kilometer lang ist. Die Farm ist somit fast so gross wie die Niederlande. Dann fahren wir weiter nach William Creek und obschon da nur neun Häuser stehen, gibt es die wahrscheinlich teuerste Sattelitenfunk-Telefonkabine der Welt sowie einen schattigen Parkplatz samt Parkuhr unter dem einzigen Baum weit und breit. Weiter geht die Reise durch das Outback einem alten Aborginies-Trail entlang zu den unterirdischen, heissen Quellen nahe der «Great Overland Telegraph Linie». Bei Sonnenuntergang spielten wir noch eine Runde Wüstensand-Golf am Schluss der anstrengenden Reise. Kommen wir zum unrühmlichen Teil:

Australien hat ein grosses CO2-Problem aufgrund der Abhängigkeit von der Kohleindustrie. Allein im Staat Queensland gibt es über 50 Kohlenminen und gleichzeitig mit dem Umweltgipfel 21 in Glasgow ist sogar eine der weltgrössten Minen, die «Adani-Mine» im Bau aber noch nicht in Betrieb. Australien ist der zweitgrösste Exporteur von Kohle und schert sich einen Dreck um die angestrebten Klimaziele. Der Kohleaustoss verursacht weltweit 30 Prozent der CO2 Emissionen. So kommt es zu langen Dürreperioden, verheerenden Buschbränden, aussergewöhnlichen Hitzeperioden, man könnte sagen, die Erde glüht und kocht vor Wut über den fossilen Raubbau und die Unbedenklichkeit bei der Ausbeutung des Planeten. Die Buschbrände führten zu über einer Milliarde toter Tiere und über die Hälfte des Great Barrier Reef ist ausgebleicht und ein zu einem gigantische Korallenfriedhof verkommen. Es gäbe noch viel über das Land, das ich fünf Mal bereist habe, zu berichten, doch fliegen wir nun in die Südsee.

Südsee-Perlen 1996: An der Pforte zum Paradies

Die Magie der Südsee hat schon viele Poeten ins Schwärmen gebracht. Der ganze Fundus abendländischer Poesie und Fantasie wurde ausgeschöpft um die Herrlichkeit Polynesiens und die sanftmütige Lebensart der Maori zu beschreiben. Ein Mosaik aus Licht und Farben umspielt die weit versprengte Inselkette. Wie leuchtend weisse Perlencolliers heben sich die schillernden, von smaragdgrüner Vegetation überzogenen und von kranzförmigen Riffen umsäumten Inseln von erst türkis, dann tief blauen Pazifischen Ozean ab. Weit über 2500 Atolle verlieren sich in der unbegrenzten Weite des Pazifischen Ozeans, der mit seinen 182 Millionen Quadratkilometern ein Drittel der Erdoberfläche verschlingt.

Die Vulkaninseln und Korallenatolle begrenzen die Tiefe des Meeres, kehren dessen opulente Unterwasserpracht nach oben und entfalten die Schönheit der farbenprächtigen Korallengärten mit grosser Artenfülle und schirmen die oft nur wenige Meter über der Meeresoberfläche gelegenen Inseln gegen die Brandung ab. Nach einem unendlich langen Flug von Zürich, via Paris, New-York, San Francisco und Hawaii landete ich an der «Pforte zum Paradies» auf Tahiti – auch «Insel der Liebe» genannt und Synonym für den Stoff aus dem die Träume gemacht sind. Das französische Übersee-Territorium mit seinen 118 Inseln ist aufgeteilt in die Austral- und die Gesellschaftsinseln, die Marquesas und den Tuamotu-Archipel. Da fällt die Wahl schwer, doch grundsätzlich stehen zwei sich zu einem fulminanten Ensemble vereinigender Inseltypen zur Auswahl: Hohe Vulkaninseln wie Moorea, Huahine und Tahiti, flache Atolle wie Marlon Brandos Reich Tetiaroa. Huahine teilt sich wie Tahiti in eine grosse und eine kleine Insel auf. Dazwischen eine Meeresenge, die bei Surfern sehr beliebt ist. Bora Bora besitzt gewissermassen die spektakulärste und schönste Lagune der Welt. Fürwahr ist das nur 30 Quadratmeter kleine aber 30 Millionen Jahre alte Atoll ein kostbares Juwel im Pazifik. Auch Moorea hatten damals viele Touristen in ihr Herz geschlossen aufgrund des dort in der Oponohu-Bucht gedrehten Filmes «Die Meuterei auf der Bounty».

Tahiti, die «Insel der vielfarbigen Wasser» ist auch Symbol für den verklärten Mythos, der die Südsee wie ihr funkelndes Firmament mit zauberhaften Impressionen überziehen. In der Südsee hat der Schöpfer einmal zeigen wollen, was er zu leisten vermag, hielt der Dichter Robert Brooke fest. Auch Gaugin geriet in einen malerisch impressionistischen Farben- und Sinnesrausch. Vorallem Moorea die keine halbe Stunde mit dem Katamoran von Papeete entfernt ist, wird von vielen ins Herz geschlossen. Berühmt wurde die Ferieninsel, auf der etliche Vulkanspitzen wie Lanzen in den Himmel ragen, durch Dino de Laurentis Film „Meuterei auf der «Bounty» Gleich neben dem 900 Meter hoch aufragenden Mount Rotui liegt die berühmte Cook Bay. In der Tat kommt man nicht umhin, die Südsee in den schönsten Farben zu malen und in den höchsten Tönen zu loben. Angesichts der sanftmütigen und straken Ausstrahlung der Insulaner, ist man versucht ihre Welt zum Paradies auf Erden hochzustilisieren.

Wenn anmutige, kräftige Männer pfeilschnell mit ihren Kanus durch das Wasser rudern oder anmutige weibliche Geschöpfe unter den Kokospalmen, Mango-, Papaya-, Avocado- und Brotfruchtbäumen sitzen.  Seither messen die Europäer die Südsee mit der Elle ihrer Wünsche und Träume; phantasieren, fabulieren und dichten Poeten aller Couleur viel verrückt Schönes zusammen. Doch ein Ort der lasterhaften Vergnügen ist die Südsee trotz allen matriarchalischen Sitten und der freizügigen Sinnlichkeit nicht. Aber auffallend viele Transvestiten (raerae) geben sich in Papeete ein Stelldichein. Und eine polynesische Besonderheit sind die Marus – von klein auf von den Müttern feminisierte Söhne, zumeist die Letztgeborenen in einer Familie, die keine Töchter hat. Sie benehmen sich wie Frauen und verrichten die Hausarbeit. Beide Randgruppen erfreuen sich einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz.

30 Jahre nach der französischen Invasion auf Tahiti und Mururoa durch ein Heer von Atomphysikern, Ingenieuren und Militärs, kennen die Südsee-Insulaner nicht nur den Gott der Liebe, sondern auch den Gott der Vernichtung und die Macht des Geldes. Das Leben im Paradies hat seinen Preis und dieser ist hoch. Probleme mit Alkohol und anderen Drogen sowie die Armut und Verslumung nehmen zu. Tatsächlich kommt man als Reiseberichterstatter nicht umhin, die Südsee in den schönsten Farben zu beschreiben und angesichts der sanftmütigen und beschaulichen Lebensart sowie der überaus gastfreundlichen Insulaner zum Paradies hochzustilisieren.

8. Klimareise ins Ungewisse: Wie begegnen wir dem epochalen Challenge?

«Chronologie guter Absichten» und jahrzehntelangem Versagens

Seit über 50 Jahren werden die Herausforderungen, denen sich die Menschheit stellen muss in einer Endlosschleife diskutiert. Neben dem «NASA» Wissenschaftler James Hendson der vor den CO2-Emmissionsfolgen warnte, gab es den Biologen Paul Ehrlich, der 1968 vor der Bevölkerungsexplosion warnte. 1972 erschien der «Club of Rome» Bericht von Dennis und Donella Meadows über «die Grenzen des Wachstums». Das war der Startschuss für ein weltweit vernetztes, globales Denken und verlieh den Umweltorganisationen Auftrieb. Der damalige US Präsident Jimmy Carter griff 1980 das Thema auf und initiierte die Studie «Global 2000» welche die vorhersehbare Umweltzerstörung und Resourcenverknappung aufzeigte. 1992 trafen sich Vertreter von 172 Staaten in Rio´, an der bis dahin grössten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung und verabschiedeten die «Agenda 21». Die Resultate waren ernüchternd. Lediglich die Smog-Glocken verschwanden und es gelang einigen Staaten Fortschritte beim Gewässerschutz.

Als 1997 der dritte Bericht des «IPPC»-Klimarats heraus kam und was da skizziert und belegt wurde, übertraf all die Schreckensszenarien und das Ausmass an Zerstörung bei weitem, dass ich bereits seit 1993 bemerkt hatte! Der Bericht sollte auch meine Tätigkeit nachhaltig verändern. Ich unterliess fortan die vielen Flug- und Fernreisen und konzentrierte mich vermehrt auf Nahziele, die mit der Bahn erreichbar waren und entsorgte auch mein Automobil. 1999 verlegte ich meinen Wohnsitz ins Oberengadin und gründete in Samedan mit Gisela Femppel einer Redaktorin der «Südostschweiz» und mit Berufskollege Heinz Schmid, das «Tourismus & Umwelt Forum Schweiz», das auch der berühmte St. Moritzer Tourismusdirektor Hansruedi Danuser damalsunterstützte.

Das «Tourismus & Umweltforum Schweiz» war beim Flughafen Samedan domiziliert, da ich zu jener Zeit dort oben im fantastischen Oberengadin, im Jahrhundert-Winter und den darauf folgenden zwei Jahren lebte und arbeitete. Im Engadiner Hochtal konnte ich regelmässig auch zu Pferd durch die Wälder der Alpenhänge streifen und im Winter zum ersten Mal im Leben auch durch den stiebenden Schnee und durch die unberührte weisse Pracht reiten. Das allein war schon ein Highlight. Hinzu kam natürlich die im Winter 1999/2000 besoders üppige Winterpracht. Auf dem Berninapass gab es stellenweise bis zu 27 Meter hohe Schneeverwehungen. Wenn man früh Morgens auf der Corviglia die ersten Schwünge im gleissenden Sonnenlicht machte und ab elf Uhr auf die andere Talseite zum Piz Corvatsch hinüber wechselte, weil der stiebende Pulverschnee auf dieser Talseite schon matschig wurde, worauf ich dann am Corvatsch aus 3300 Metern fast wie ein Vogel fliegend in die Tiefe stürzte und das Adrenalin in ungeahnte Höhen stieg. So einen schneereichen Winter, wie damals vor 20 Jahren, wird es nie mehr geben. Längst vorbei die Zeiten, als wir im Kindesalter schon Ende Oktober auf dem Zollikerberg bei Zürich Schnee schaufelen mussten.

Für das «Tourismus & Umwelt Forum Schweiz», schuf ich ein Webportal, welches wissenschaftliche Fakten, umweltrelevante NGO-Projekte, die zuständigen Behörden wie das «Bundesamt für Umwelt» (BUWAL), internationale Organisationen und kritische Medienberichte mit nachhaltigen Reiseangeboten und Tipps für umweltbewusste Reisende verknüpfte. Drei Jahre lang amtete ich als Geschäftsleiter und Präsident für diese Umweltorganisation und setzte im Bündnerland einige Akzente mit Wander-Ausstellungen zum Thema der «Klimawandel in den Alpen» mit einer «Rail-Expo» fahrenden Ausstellung der Rhätischen Bahn, drei Bahnwagen, die in Davos, St. Moritz, Samedan, Pontresina und sechs anderen alpinen Orten im Graubünden stationiert wurden sendeten wir die ersten Warnsignale aus. Mitglieder des «Tourismus & Umwelt Forum» wahren damals das «BUWAL/FLS», der Schweizer Nationalpark, das «Biosphärenreservat Entlebuch», das «Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus» der Uni Bern und das «Europa-Institut» in Basel aber auch die die frisch ins Leben gerufene Autovermietung «Mobility» und «Toyota» mit dem ersten Hybrid-Fahrzeug, dem «Prius», nebst einigen Verkehrsvereinen, Hotels und Medien.

Drei Eisenbahnwagons der Rhätischen Bahn wurden an sechs Bündner Orten jeweils für 14 Tage an den Bahnhöfen stationiert. Dazu organisierten wir jeweils ein Live-Konzert zum Auftakt der Ausstellung. Auch an den jährlichen Ferienmessen in Zürich und Bern war das «Tourismus & Umwelt Forum» mit Referaten und Ausstellungen präsent. „Bewusster reisen, mehr erleben, weniger zerstören“, war das Motto für die Reisenden, um auch im Inland die nötigen CO2-Reduktionsmassnahmen und einen Energiewandel herbeizuführen. Immerhin konnte ich eine bedeutende Hotelgruppe (Sun-Star Hotels) und einen grossen Freizeitpark in Morschach von energetischen Bausanierungen überzeugen und als Public Relation Beauftragter kommunizieren.

Also schon vor über 30 Jahren etablierte ich das erste langfristige, institutionelle «Corporate Social Respon-sability»-Engagement meiner eigenen Presseagentur «GMC Photopress»! Im Ausland hatte ich mich ja schon privat und publizistisch für einige Wildlife-Projekte und humanitäre Missionen engagiert. Zu dieser Zeit veröffentlichte ich zudem zahlreiche umweltkritische Publikationen und Kommentare über den Klimawandel wie zum Beispiel «Ein Requiem aufs Korallenriff» in der «Mittelland-Zeitung» oder «Im Taucher-Paradies Malediven tickt eine Zeitbombe» im «Der Bund». Im Kommentar schrieb ich folgendes: «Nicht El-Nino ist Schuld. Es ist der Mensch, der zu weit fort schreitet. Die Alarmglocken schrillen rund um den Erdball. Zentralamerika wurde verwüstet und um Jahrzehnte zurückgeworfen. Die Korallenwelt im Äquatorialgürtel ist bedroht bzw. schon grösstenteils vernichtet, die Meere verschmutzt, die Tierwelt da und dort ausgerottet und auch unsere Alpen verbaut und versaut». In der «Südostschweiz» ging ich 1997 als Reaktion auf den «IPPC»-Klimabericht auf den Klimawandel in den Alpen ein und hob unter dem Titel «Keiner kommt ungeschoren davon – die Alpen sind von der Klimaerwärmung besonders hart betroffen».

In der Zeitschrift «Touring» und im «Brückenbauer», beides Medien mit Millionen-Leserpublikum erschienen weitere meiner kritische Berichte, die weit über die Schweiz hinaus hallten, da ich den «UNEP» Direktor Klaus Töpfer, den Chef der UN-Umweltorganisation sowie mit Michael Iwand, damals Direktor Umweltmanagement bei «TUI» (Touristik Union International) und Iwand Widerpart von der «Deutschen Umwelthilfe» und dem Natur-schutzbund interviewte und an der ITB, der grössten Tourismusfachmesse in Berlin intervenierte, die Umwelt Thematik auf die Agenda zu nehmen. Auch Prof. Hansruedi Müller vom «Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus» (FIF) plädierte für «mehr Heart-Liner als Hardliner». Diesen dringenden Klima-Appelle richtete ich also zum Millenium an die Schweizer Politiker und Bevölkerung und an der «ITB» in Berlin an die „Weltöffentlichkeit“ und hielt damals schon fest: «Die drastische Spur der Verwüstung, die der industrialisierte Mensch und der (un-)zivilisierte Tourist hinterlässt, wird zumeist auf dem Buckel der 3. Welt-Nationen ausgetragen und kommt immer dramatischer zum Vorschein».

Aber, wie gesagt, auch wir hier in den Alpen sind wir ganz besonders vom Klimawandel betroffen, denn der Temperaturanstieg dürfte weitaus höher, als im Weltdurchschnitt ansteigen und die Gletscher schmelzen genauso wie die Biodiversität dahin. Allein zwischen 1961 und 1990 waren die Temperaturen in den Alpen bereits um zwei Grad Celsius gestiegen, während sie im weltweiten Mittel nur um 0,6 Prozent stiegen. Die damaligen Voraussagen für den Alpenraum reichten bis zu fünf Grad mehr in den nächsten 30 Jahren. Passend zum «Kyoto-Gipfel» im Dezember 1997 wirbelte «El-Nino» wieder durch die Schlagzeilen.

Dem können wir nicht länger tatenlos zuschauen, sagte ich mir und engagierte mich für den Ausbau der Bahninfrastruktur und von Velowegen. In meiner Funktion als Präsident und Geschäftsleiter des «Tourismus & Umwelt Forum Schweiz» hielt ich kritische Referate über die eigene Reisebranche, die dazu aufgefordert wurde, mehr für die Umwelt und gegen die enormen Schäden durch den Flugverkehr und den überbordenden Massentourismus zu tun – was mir mehr Feinde, als Freunde verschaffte. Die Tourismus-PropagandistInnen waren gar nicht erfreut, dass die globalen Auswirkungen ihres Geschäftsmodells zunehmend kritisiert wurden. Nachdrücklich forderte ich den Reisebüroverband heraus, mehr als nur die üblichen Lippenbekenntnisse abzu-geben. Doch was geschah: Um es mit den Worten von Greta von Thunberg auszudrücken: «Wenn ein Feuer ist, reiben sich die Leute oft am Feuermelder, anstatt das Feuer zu löschen». Mit den warnenden Klimaschützern ist es wie mit den Whistleblowern. Beide Gruppen werden für ihr Engagement bestraft, desavouiert, angefeindet, verfolgt und zuweilen auch ermordet.

Die Schweizer Behörden waren damals wie heute allerorts im Vollzugsnotstand. Ob es sich nun um die Einhaltung der Luftreinhalteverordnung, um die Lärmwerte zum Schutz der Bevölkerung, um internationale Abkommen über die Reduktion des CO2-Ausstosses oder um die Erfüllung von Absichtserklärungen und Zielsetzungen, wie der «Agenda 21», der «Charta von Lanzarote» oder der «Erklärung von Kreta» geht, wo immer wir hinschauen, müssen wir feststellen, dass keines der Ziele nur annähernd erfüllt worden ist. „Die Krux ist, dass die Notwendigkeit eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus zwar unbestritten ist, aber trotzdem nicht viel passiert“, was ich damals als Präsident des «Tourismus & Umwelt Forum» in den Referaten und Berichten aufs heftigste kritisierte.

Die Reiseveranstalter, allen voran die drei grossen «Kuoni Reisen», «Hotelplan» und «Tui Reisen» kümmerten sich kaum um die Wasser- und Energieversorgung oder das Abfallmanagement vor Ort, was insbesondere auf den Malediven und anderen Inseln zu verheerenden Verschmutzungen der Strände und Meere geführt hat. Eine Unter-suchung der «Höheren Fachschule für Tourismus» (HFT) kam damals zum Schluss, dass die «Erklärung von Kre-ta» ein toter Papiertiger geblieben sei»! Und von da ging das Greenwashing unverändert bzw. geradezu inflationär weiter.

Wir haben gewisse Klimakippunkte an einigen Orten rund um die Welt bereits erreicht, waren sich viele Klima-Forscher damals schon einig. Die Warnung konnte deutlicher nicht genug sein. Noch 1992 beim Umweltgipfel in Rio hatten die Politiker gelobt, das Klimasystem für heute und künftige Generationen zu schützen. Doch die Ent-wicklung verlief in die entgegengesetzte Richtung, die «Generation Easy Jet» wuchs heran und alle düsten für einige Tage nach London oder New York zum Shoppen, nach Ibiza für «Raves» oder nach Milano um ein paar Schuhe zu kaufen. Plötzlich kostete ein Flugticket von Zürich nach London weniger als die Zugfahrt von Zürich nach Bern oder Genf. Eine katastrophale Wende, die nichts Gutes verhiess. Der Flugverkehr müsste endlich inter-national besteuert werden. Eine Forderung, die schon jahrzehntelang vorliegt und nie angepackt wurde.

Zwar kam es 2020 zu einer Wiederbelebung der «Pariser Koalition der hohen Ambitionen» auf dem ersten virtuellen Klimaschutzgipfel der Vereinten Nationen, wo sich 75 Nationen zum Ziel der «Netto-Null-Emissionen» bekannt haben. Die meisten Staaten streben das Ziel bis 2050, China bis 2070 an. Bisher haben aber nur 75 von 197 Staaten neue oder erhöhte Klimaziele vorgelegt – nur Grossbritannien und die EU haben ihre Ziele substanziell erhöht. Bei allen anderen Staaten sind die Ambitionen gering, viel zu gering, als dass die Ziele des «Pariser Klimaabkommens» je erreicht würden. Es scheint eine Mission impossible zu sein und wird es wohl auch bleiben.

Damit verfügt die von Uno-Generalsekretär Antonio Gutierrez ausgerufene «Koalition für Kohlenstoffneutralität» über gut 65 Prozent des weltweiten CO2-Ausstossvolumens, die aber noch ansteigen, auch wenn die Finanzzusagen für den grünen Klimafonds von jährlich 100 Milliarden Franken vorankommen. Als zentrales Instrument gilt der von der EU anerkannte Kohlenstoffpreis, der bis 2030 stetig ansteigen soll. Der Wirtschaftsnobelpreisträger William Nordhaus hatte 2015 vorgeschlagen, einen Klimaklub zu schaffen, der einen wechselseitigen Nutzen aus der Aufteilung des Klimaschutz zieht und Trittbrettfahrer ausschliesst, denn nur so komme man aus dem „Gefangenen-Dilemma“ heraus.

Auch die Schweiz hat ihr Klimaziel für 2020 und auch 2021 deutlich verfehlet, wie schon in den Jahren zuvor und das in jedem Bereich, bei den Gebäuden, der Industrie, der Landwirtschaft und besonders beim Verkehr. Gegen-über 1990 hätte die Schweiz 20 Prozent reduzieren müssen. Bis 2019 schafften wir gerade mal 14 Prozent. „Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu stabilisieren, müssen die Klimagase bereitis 2030 um mindestens 50 Prozent reduziert werden“, sagt die ETH-Professorin Sonja Seneviratne, eine Autorin mehrerer Berichte für den «Weltklimarat». „Wir können nicht einfach weiterleben, wie bisher und darauf hoffen, dass uns dereinst die Wundertechnologie rettet“ sagt Seneviratne. „Wenn wir weitermachen, wie bisher, ist unser gesamtes CO2-Budget binnen eines Jahrzehnts vollständig aufgebraucht.“ Die Abnahme müsse daher in den nächsten zehn Jahren sehr drastisch sein und die reiche Schweiz mit ihrem grossen Fussabdruck endlich vorangehen.

UNO-Generalsekretär Guttierez erinnert immer wieder daran, dass die Welt noch immer auf dem Weg zu einem globalen Temperaturanstieg von über drei Grad sei, was einer Katstrophe gleich käme. Mit anderen Worten: „Wir sind immer noch mit 180 kmh unterwegs, was den fossilen Verbrauch anbelangt. Eine Temporeduktion tut not“. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, was in ausserordentlichen Lagen möglich ist und mobilisiert werden kann – und auf was man alles verzichten kann. Wir sollten uns bewusst werden, dass der Patient Erde auf der Intensivstation liegt und in den letzten Zügen röchelt. Es ist höchste Zeit zu handeln und einschneidende Massnahmen umzusetzen. Doch wie es leider zu erwarten war, ist auch der Klimagipfel in Glasgow 2021 zum „Blah blah“ verkommen, um nocheinmal Greta Thunberg zu zitieren. Der Ausstieg aus dem Kohle und Erdölzeitalter wurde wieder verschoben auf einen Point of no return in der Zukunft.

Artensterben & Pandemien: Werden wir das überleben?

In diesem Kapitel möchte ich mich detaillierter über die wissenschaftlichen Erkenntnisse des SOS-Zustandes von Mutter Erde infolge des Klimawandels und die Folgen für die Weltbevölkerung auslassen, da ich mich seit gut 30 Jahren damit befasse und weltweit vor Ort die dramatischen Auswirkungen gesehen habe. Am meisten haben mich die indigenen Völker rund um den Erdball mit ihrem Naturverständnis und nachhaltigen Lebensweise beeindruckt, doch sind gerade sie es, die oft zu den ersten Leidtragenden und Vertrieben gehören. Aber auch die junge und die nächsten Generationen werden fassungslos erkennen müssen, dass wir im Konsumrausch nach der Ölkrise 1975 und vor allem seit Beginn der 90er Jahre fast so viel Gas, Kohle und Öl verfeuert haben, wie in einer Million Jahre Erdgeschichte zuvor nicht. Und das, obschon die Sonne seit je her 10’000 Mal mehr Energie auf die Erdoberfläche schickt, als der Mensch braucht und die Menschheit trotz umweltwissenschaftlichen Erkenntnissen und seit den 50er Jahren verfügbaren Foto-voltaik politisch nicht zu folgen und schon gar nicht adäquat zu handeln vermag.

Zur Sprache kommen auch all die Verursacher der heutigen Misère, die Öl, Kohle- und Gasindustrie, die trotz besseren Wissens seit 50 Jahren mit milliardenschweren Desinformations-Kampagnien ihre desaströse Daseinsberechtigung auf Kosten der Gesellschaft, Natur und Geosphäre legitimiert– leider bis heute mit Erfolg. Schliesslich zeige ich praktikable Lö-sungsansätze auf und hoffe, dass Sie die Klimareise inspiriert, selbst noch viel mehr, als bisher zu tun und andere Menschen, ihren Arbeitgeber und weitere Firmen positiv und proaktiv zu beeinflussen sowie die Wirtschaft und Politik in die Pflicht zu nehmen. Denn letztlich haben wir Verbraucher und Verbraucherinnen es in der Hand, ökologisch zu leben. Doch dazu müssen wir alle unser Leben umkrempeln. Los geht’s. Wir schaffen das!

Wir, die wir den Zenit bereits überschritten haben, müssen wir wohl trotz technischen Fortschritten zurückbuchstabieren und zu den elementaren, fundamentalen Wurzeln unserer Zivilisations- und Evolutionsgeschichte zurückkehren. Die Erde leidet an drei Krankheiten: Artensterben, Klimawandel und Pandemien! Dies ist, als hätte der Patient eine Leberzirrhose, eine Herzschwäche und einen Niereninsuffienz zugleich. Es wird demzufolge zu noch mehr Kriegen, Krankheiten, Konflikten, Hunger- und Naturkatastrophen kommen, wenn wir die Resourcenaus-beutung und das Bevölkerungswachstum nicht in den Griff bekommen. Ernährungsknappheit, Verteilungskämpfe und Migrationsströme sind jetzt schon als Folge des Klimawandels weltweit zu sehen und sie werden weiterhin dramatisch zuehmen. Wenn wir an unserem Konsumverhalten nicht sofort radi-kal viel ändern, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Ende der Menschheit in Hundert Jahren naht und unsere Population weitgehend kollabieren wird. Dies wird zwar nicht das Ende der Evolution sein, gewiss aber das Ende einer Ära, wie wir Menschen sie zum Leben brauchen, kennen und lieb(t)en! Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit dem grossen Artensterben auch unsere Spezies ausgerottet und der Mensch zur planetarischen Geschichte wird.

Erst haben wir die pleistozäne Tierwelt in Nord- und Südamerika, dann in Australien die grossen Riesenbeuteltiere und -vögel ausgerottet und als der Mensch Polynesien bevölkerte, sind bis nach Neuseeland hin die grosse Megafauna verschwunden. Wenn diese fehlen, hat das auch Auswirkungen auf die gesamte Umwelt. So haben wir in den letzten 10‘000 Jahren ungefähr die Hälfte der natürlichen Waldbedeckung der Erde vernichtet und die Biosphäre so weit verändert, dass ganze Tierpopulationen ausgelöscht wurden, wobei die Roten Listen nur einen Bruchteil dessen erfassen und abdecken, was der Mensch gesamthaft an Fauna und Flora ausgerottet hat. Das heisst, die über 800 Arten, die nachweislich in den vergangenen 500 Jahren ausgestorben sind, stellen nicht die Anzahl der Tierarten dar, die tatsächlich verschwunden sind oder derzeit verschwinden. Wir verlieren in den letzten verbliebenen Primärwäldern viele Arten, lange bevor wir sie überhaupt entdeckt und wissenschaftlich beschrieben haben.

Heute wissen wir, dass wir in nur 40 Jahren 78 Prozent, also über zweidrittel der Fluginsekten ausgerottet haben und dass das Massensterben weiter geht und wir in naher Zukunft rund eine Million Tierarten verlieren werden, so die düsteren Prognosen. Erst haben wir mit der Landwirtschaft und dem Ressourcenabbau die Vegetation und den Lebensraum der Tierwelt verändert und massiv reduziert, dann haben wir die Geosphäre vergiftet, erst mit FCKW und nun mit Treibhausgasen. Die Bodenschätze werden vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen gnadenlos ausgebeutet, die Umwelt vergiftet, die lokale Bevölkerung vertrieben, aber der Profit kommt nur wenigen zu Gute. Das sollte uns nicht nur zu denken geben sondern zum Handeln bewegen, denn der Müllplatz der Menschheit ist mittlerweile nicht nur in den entferntesten Regionen sondern sowohl auf wie unter der Meeresoberfläche in den Weltmeeren gleichermassen unübersehbar – und das ist bekanntlich nur die Spitze des Eisberges.

Mikro-Plastik, Nanopartikel als auch Pestizid-Giftstoffe sind längst im Grundwasser und in der Nahrungskette angekommen und richten dort weitere Gesundheitsschäden und grosses Leid an. Zum Glück können wir all den Schrott im All nicht auch noch von blosem Auge sehen. Was müssen wir tun, um der Zerstörung unseres Planeten Einhalt zu gebieten? Nun wir könnten eine ganze Reihe von einschneidenden Massnahmen treffen, damit kein desaströser, globaler Klima-Tsunami auf die Menschheit zurollt. Obschon wir seit bald 70 Jahren um die schädlichen CO2-Emmissionen für unseren Planeten wissen, beuten wir weiter fröhlich fossile Energien aus, subventionieren die Vieh(-futter), Fleisch- und Milchwirtschaft und konsumieren immer mehr.

Der «NASA» Wissenschaftler James Hendson warnte schon in den 70er Jahren in wenigen, präzis formulierten Sätzen vor den dramatischen Auswirkungen des von Menschen verursachten Treibhausgasausstosses auf das Klima und die Atmosphäre. Der Öl- und Kohleindustrie lagen ebenfalls entsprechende Warnhinweise eigener Experten und beauftragten Wissenschaftler vor, doch statt sie ernst zu nehmen, beschlossen die führenden Ölfirmen «Exxon», «Standard Oil», «BP»,«Schell», «Total» sie komplett zu ignorieren und eine beispiellose Desinformationskampagne zu starten, die bis heute anhält. Dazu wurden Heerscharen von Lobbyisten, Pseudowissenschaftlern, Journalisten, Parlamentarier aufgeboten und geschmiert, die den Klimawandel verharmlosen, verleugnen und allerlei Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen sähten. Auch drang die Ölindustrie mit ihren Lobbisten in die renommierten amerikanischen Hochschulen vor und unterwanderten sie. Grosszügige Spenden an die Institutionen verhinderten dadurch allzu kritische Professoren und Berichte. Handkehrum wurden renommierte Experten bis hin zu Physikern und Nobelpreisträgern desavouiert, mit allen perfiden Mitteln bespitzelt und als Kommunisten oder Fantasten hingestellt.

Die Ölindustrie bediente sich dazu der gleichen Strategie, wie die Tabaklobby, die lange zuvor diese Praktiken perfektioniert hatte, letztendlich aber doch ein weitgehendes Tabakverbot in der Arbeitswelt, der Gastronomie und fast gänzlich im öffentlichen Leben hinnehmen musste. So begann sich die massive Lobbyarbeit der Öl- und Kohleindustrie ab den 70er Jahren bis heute auszuzahlen. Das Thema war vorerst vom bzw. unter den Tisch gewischt worden und durch die Liberaliserung im Luftverkehr ab 1993 sowie in einem zweiten Liberalisierungs-Schritt 1997 begann sich der Luftverkehr massiv zu entwickeln. Die Generation «Easy-Jet» rollte gerade heran und ich betrachtete fassungs-los die bedenkenlose und hemmungslos verschwenderische Trendumkehr. Statt der Einsicht, Mass zu halten, explodierte der Flugverkehr förmlich.

Auch der Elektro-, Gas- und Kohleindustrie ist es gelungen, die schon seit 1948 verfügbare Fotovoltaik und den damaligen Hype, die Häuser mit Solarpanels zu bauen oder auszurüsten, erfolgreich zu bekämpfen. Mit massiven finanziellen Mitteln, Schmierenkampagnen und politischer Einflussnahme ist es der US-Elektrizitätswirtschaft zunächst gelungen, ihre Grundlage für ein eigenes Stromnetz mit Subventionen und von Steuergeldern zu finanzieren, um dann die Bevölkerung jahrzehntelang zu schröpfen – und dieses Modell hat dann auch in Europa Einzug gehalten. Doch stellen wir uns einmal vor, wie es gewesen wäre, wenn diese bahnbrechende ökologische Stromver-sorgungslösung damals zum Standard geworden wäre. Wir hätten dann schon in den 90er Jahren E-Autos gebaut und sehr viel weniger auf unserem Planeten versaut. Wir hätten all die Kohle und das Öl im Boden belassen können und die lokale Bevölkerung weltweit hätte von unabhängier, lokaler Stromerzeugung profitiert. Zurück zur desaströsen Realität.

Bei gleichbleibenden Emissionen wird die Temperatur bis 2050 um 2,1 bis 3,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, darüber sind sich die Wissenschaftler heute einig. Bei einer Verdoppelung der CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts wäre ein Anstieg der Temperatur sogar um bis 5,7 Grad möglich und in diese Richtung wird es leider auch weitergehen. Denn die Energie-Agentur der US-Regierung (EIA) hat 2019 berechnet, dass der CO2-Ausstoss infolge der erst beginnenden Industrialisierung vieler 3. Welt-Länder bis 2050 von heute jährlich rund 36 Milliarden Tonnen auf über 42 Milliarden Tonnen ansteigen wird. China produziert am meisten Treibhausgas, etwa ein Viertel der Gesamtmenge, vor den USA mit 18 und der EU mit 17 Prozent. Der Anteil der CO2-Emissionen, die in Senken, Wäldern oder Ozeanen aufgenommen werden und nicht in der Atmosphäre bleiben, liegt nach dem Bericht bei etwa 44 Prozent.

Mehr als 2000 Milliarden Tonnen CO2 hat die Menschheit in die Erdatmosphäre gepustet. Es verbleiben noch 350 Mia. Tonnen CO2-Ausstosses, um das Klimaziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken oder knapp 1100 Tonnen um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Aber eine gründliche Analyse des Wissenschaftsmagazins «Nature» kommt zum Schluss, dass alle weltweit vorhandenen Anlagen im Laufe ihrer normalen Lebensdauer noch rund 700 Mia. Tonnen CO2 ausstossen werden. Also wird schnell klar, «dass wenig Hoffnung besteht, dass wir überhaupt das Zwei Grad Ziel erreichen werden», sagt auch Walter Rüegg, der 15 Jahre lang als Kern- und Teilchenphysiker an der «ETH» und dann 30 Jahre für «ABB» tätig war. Vielmehr läuft es in die Richtung, die der Wirtschaftsnobelpreisträger und Klimaökonomen William Nordhaus 2018 skizzierte hinaus, der die optimale Balance zwischen der Belastung der Wirtschaft auf Kosten des Wohlstandes und dem Nutzen für den Klimaschutz bei drei Grad bis 2100 festlegt. Was für düstere und depremierende Aussichten für unsere Kinder!

Gemäss «Copernicus» war das Jahrzehnt von 2011 bis 2020 global das heisseste Jahr seit Messbeginn. In Europa, vor allem aber in der Arktis, wurden Rekordwerte bis sechs Grad im Zeitraum von 1981 bis 2010 über dem Durchschnitt verzeichnet. 2020 waren die hohen Temperaturen besonders extrem, da sie ohne El-Nino-Effekt im Vorjahr zustande kamen. 2021 war infolge des La-Nina-Effekt noch ein Temperaturanstieg zu verzeichnen und das, obschon wir nun ein Covid-19 Jahr lang einen sehr eingeschränkten Luftverkehr hatten. Dadurch wird die CO2-Zunahme mit Sicherheit weiter ansteigen, die Arktis wird weiter schmelzen und wenn es zum „Worst Case“ Szenario kommt und sich die Atlantikwalze nicht mehr so, wie bis anhin bewegt, blicken wir noch viel düsteren Zeiten entgegen. Dieses Horrorszenario können wir uns gar nicht vorstellen.

Angesichts der leidigen Tatsache, dass nach über 30 Jahren Zaudern und Zögern, Abwiegeln und Verleugnen, Zerstören oder zuschauend und den erdrückenden Fakten tatenlos ins Auge schauend, muss jetzt jede/r von uns das Heft selbst in die Hand nehmen und substanzielle Beiträge leisten. „Reduce to the max“, sollte das Motto lauten. Also den Ressourcenverbrauch auf allen Ebenen absenken, sitzen wir doch alle im selben Boot, das hat uns Covid eindrücklich vor Augen geführt. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Es ist politisch und ökologisch viel mehr machbar, als bisher getan wurde. Denn die kostbaren, lebensnotwendigen Schätze unserer Erde verschwinden mit Lichtgeschwindigkeit. Alle vier Sekunden wird weltweit Wald von der Fläche eines Fussballfeldes abgeholzt – auch oder vor allem für Soja oder Palmölplantagen. Die Zerstörung der Regenwälder durch Brandrodung im Amazonas, im Kongo und in Indonesien machen elf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus! Die Biodiversität nimmt rasant ab, jeden Tag verschwinden bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten von der Erde. Je mehr die natürlichen Lebensräume der Tiere schrumpfen, desto grösser ist die Gefahr, dass Viren von Tieren auf den Menschen überspringen, wobei Covid-19 nur das jüngste Beispiel ist. Ebola, Dengue, Mers, Sars, Zika, all diese Viren sind nachweislich auch auf den Klimawandel und die schwindende Biodiversität zurückzuführen. Deswegen müssen wir viel entschlossener die natürlichen Lebensräume schützen und gegen Wildtierhandel und Wildtiermärkte vorgehen.

Laut der Fachzeitschrift «Nature Ecology and Evolution» kommt es zu einem dramatischen Insektensterben mit schwerwiegenden Folgen fürs Ökosystem und die menschliche Gesellschaft. Die Prognosen zeigen, dass wir in den nächsten Jahren über eine Million Tierarten verlieren werden und viele Arten werden in ihren Beständen so dezimiert sein, dass sie keine Rolle mehr spielen. Mit maximalen Auswirkungen für die Menschen: Durch die Zerstörung der Regenwälder ebenso wie durch den Biodiversitätsverlust der einheimischen Fauna und Flora entstehen vermehrt z. B. auch Borreliose. Es ist erwiesen dass, bei weniger Kleinsäuger-Biodiversität eine höhere Borrelien-Last in den Zecken anfällt. Durch die Klimaerwärmung und den den Biodiversitätsverlust mit wärmeren Temperaturen, steigt durch die trockeneren Sommer und Winter auch das Risiko in den gemässigten Zonen durch Borreliose zu erkranken.

Auf einer der Erdoberfläche von nur 20 Prozent sind 80 Prozent der Biodiversitäts-Hot Spots aller Arten in den Tropen zu finden. Eine der umfangreichsten Studie von Anthony Warden von der Universität Cambridge, bei der rund 100 Ökonomen weltweit untersucht haben, wie die globale Wirtschaft von der Natur profitiert und haben die Wissenschaftler feststellt, dass wenn 30 Prozent der Erdoberfläche mit den wichtigsten Schutzgebieten protegiert würden, dann überwiege der Nutzen des Schutzes dieser Gebiete die Kosten im Verhältnis 1:5. Das heisst, wenn wir einen Euro in den Schutz investieren, gewinnen wir längerfristig vier Euro hinzu. Aber bis diese Erkenntnis sich auch in den Niederungen der ressourcenintensiven Wirtschaft durchsetzt, wird wieder viel Zeit vergehen. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, dass trotz all der Erkenntnisse, die schon in den frühen 90er Jahren, spätestens aber 1997 mit dem «IPPC»-Bericht vorlagen und den einsamen Rufern in der Wüste Recht gaben, kaum griffige Massnahmen getroffen bzw. konsequent umgesetzt wurden.

Der erste «IPPC»-Bericht von 1990 warnte die Weltbevölkerung damals erstmals ausführlich und auf wis-senschaftliche Erkenntnisse gestützt über die Konsequenzen unseres ungezügelten Raubbaus – und rüttelte auch mich auf. Man braucht also kein verrückter Weltuntergangsprophet mehr zu sein, um an apokalyptische Klima-zustände zu glauben. Schon die damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisse liessen erkennen, wie lahm wir auf die Bedrohung reagieren. Wenn es so weitergeht, wird unsere Spezie bald das Endzeitalter erreichen. Gemäss Welt-klimarat gibt es zwei realistische Horrorszenarien: Zum einen der Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter bis Ende des Jahrhunderts, je nachdem, wie schnell der Eisschild der Antarktis weiter schmilzt. Ferner der Kollaps der Atlantischen Umwälzströmung (AMOC), die sich schon abgeschwächt hat. Sie verteilt kaltes und warmes Wasser im Atlantik und beeinflusst etwa den für Milliarden Menschen wichtigen Monsun in Afrika und Asien.

Die Meeresströmung ist auch als Golfstrom bekannt und führt in den höheren Wasserlagen selbst im Winter milde Temperaturen zu den Kanalinseln, nach Irland und Grossbritannien, weiter Richtung Niederlande bis nach West-deutschland und Skandinavien hoch. Das Golfstrom-System bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms“, so Stefan Rahmstorf, der Forscher vom «Potsdam Institut für Klimafolgenforschung» und Initiator sowie Ko-Autor einer Studie zur Bedeutung dieses Klimasystems (PIK), die im Frühling 2021 in der Fachzeitschrift «Nature Geoscience» erschienen ist. Der Zusammenbruch des Golf-stroms hätte auch gravierende Auswirkungen auf Europa, denn auch die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch an Kraft verloren und das Wetter in Europa verändert. Doch lassen wir das Horrorszenario beiseite und richten unseren Blick auf Europas Artenschwund die verfehlte EU Agrar- und Verkehrspolitik und nehmen den Schweizer Banken und Rohstoffsektor näher unter die Lupe. Dort an den Schalthebels des Neokapitalismus und der Reichtümer der Potentaten und Konzerne müssen wir die Schrauben ansetzen.

Endzeit: Das Sechste Massensterben hat begonnen – gehen wir mit unter?

Ende des Jahres 2020 musste die Schweiz Bilanz ziehen, wo sie hinsichtlich des Schutzes ihrer biologischen Vielfalt steht, sowohl zur Überprüfung der erreichten Zielsetzungen bei der schweizerischen Biodiversitätsstrategie, als auch der weltweiten Biodiversitätskonvention in der steht: «Der Erhaltungszustand der Populationen von national prioritären Arten wird bis 2020 verbessert und das Aussterben so weit wie möglich unterbunden.» Die Schweiz ist nur bei einem einzigen Ziel der Biodiversitätsstrategie auf Kurs und zwar bei der biologischen Vielfalt des Waldes. Bei einem Drittel der Ziele ist das Ergebnis geringer, bei einem Drittel sind keine Fortschritte zu sehen und beim letzten Drittel geht die Entwicklungen in die entgegengesetzte Richtung. Auch bei den «Aichi»-Biodiversitätszielen, die 2010 im Rahmen der Biodiversitätskonvention vereinbart wurden, ist das Bild fast deckungs-gleich mit der nationalen Strategie: Nur bei einem Fünftel ist die Schweiz auf Kurs. Bei 35 Prozent der Ziele gibt es dagegen keine Fortschritte. Allein unter den Vögeln sind aber Ende des Jahrzehnts Rebhuhn, Bekassine, Grosser Brachvogel, Rotkopfwürger und Ortolan als Brutvögel ausgestorben oder nur noch in winziger Anzahl vorhanden. Die Schweizer Flora war einst eine der reichsten und vielfältigsten Europas, allerdings gelten über 700 Pflanzen-arten als vom Aussterben bedroht. Forschende der «Universität Bern» und das Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora haben die Ergebnisse mit der Hilfe von 400 ehrenamtlichen BotanikerInnen analysiert und zwi-schen 2010 und 2016 über 8000 alt bekannte Fundstellen der 713 seltensten und gefährdetsten Pflanzenarten in der Schweiz besucht und überprüft. Von der «Universität Bern wurde dieser einzigartige Datenschatz nun analysiert und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift «Conservation Letters» publiziert. Bei ihrer «Schatzsuche» gingen die BotanikerInnen oft leer aus – 27% der 8024 Populationen konnten nicht wiedergefunden werden. Arten, die von Expertinnen und Experten als am stärksten gefährdet eingestuft werden, verloren gar 40% ihrer Populationen im Vergleich zu den Fundangaben, die aus den letzten 10 – 50 Jahren stammten.

Wir vermeintlich so „sauberen“ Schweizer und unsere uns fast ebenbürtigen deutschen Nachbarn sind Weltmeister im Verbrauch, im Konsum, im Abfall und im CO2-Ausstoss. Die Schweiz hat es auf Platz Vier auf der Weltrang-liste der Umweltsünder und CO2-Emmissionäre geschafft, doch haben wir unseren grossen Fussabdruck ins Aus-land exportiert. So wird der von der Entstehung bis zur Vernichtung entstehende Zivilisations-Müll unserer über alle Massen konsumierenden und Ressourcen verschleudernden Gesellschaft aus unseren Augen und unseren Umfeld verbannt. Eine der dreckigsten Branchen, die Textilindustrie, aber auch andere umweltbelastende Produktionen wurden in den letzten Jahrzehnten nach China, Vietnam und Bangladesch verlegt. Die CO-2 Emissionen werden so grösstenteils in strukturschwache oder menschenrechtsverachtende Regionen ausgelagert. Dafür haben wir «My climate»-Kompensationszertifikate und ähnliche Instrumente geschaffen, vorab um unser Gewissen zu beruhigen und unseren Konsum nicht einzuschränken – nicht aber, um die brisante Situation zu ent-schärfen. Unsere Bilanz ist keineswegs gut und sauber, sondern schlicht und ergreifend miserabel. Das «My-Climate» CO2 Kompensationsgeschäft ist reine Augenwischerei und hilft niemandem, wenn wir unseren Konsum, die Vielfliegerei und die Verschleuderung der Ressourcen stetig steigern, statt drastisch zu senken und unsere Wegwerfgesellschaft nicht radikal umstellen.

Auch hierzulande ist es um die Biodiversität, die Gewässer, Gletscher und die Luftschadstoffe schlecht bestellt. Buchhalterisch gesehen, müssten über 30 Millionen Tonnen CO2 (statt auf Schweizer Boden) ausserhalb der Landesgrenzen eingespart werden. Das würde nicht nur etliche Milliarden kosten, sondern wäre auch ökonomisch und ökologisch unsinnig. Diese Beträge, für die im Inland nicht erbrachten CO2-Reduktionen, fehlen der Wirtschaft. Die «Dekarbonisierung der Gesellschaft» wird dergestalt keinen Millimeter vorwärts kommen, die Abhängigkeit und die angerichtete Sauerei würde immer grösser, allein schon durch die ansteigende Bevölkerungsdichte. Die Fakten sind alarmierend und dokumentieren eindrücklich den Rückgang vieler gefährdeter Arten in der Schweiz. Besonders betroffen sind Pflanzen aus sogenannten Ruderalstandorten – Flächen, die unter ständigem menschlichen Einfluss stehen. Zu den betroffenen Pflanzenarten gehören die Randvegetation von landwirtschaftlich genutzten oder besiedelten Flächen. Diese Populationen zeigten mehr als doppelt so grosse Verluste wie Arten aus Wäldern oder alpinen Wiesen. Die Intensivierung der Landwirtschaft mit einem grossen Dünge- und Herbizideinsatz, aber auch der Verlust von Kleinstrukturen wie Steinhaufen und Ackerrandstreifen setzen dieser Artengruppe besonders zu. Ähnlich stark betroffen sind Pflanzenarten der Gewässer, Ufer und Moore. Auch hier sind die Ursachen gemäss den Forschenden hausgemacht: Wasserqualitätsverluste durch Mikroverunreinigungen und die Düngemittelbelastung aus der Landwirtschaft, der Verlust natürlicher Flussdynamiken durch Flussbegradigungen, die Nutzung von Flüssen als Stromlieferant, oder das Trockenlegen von Moorflächen.

In Deutschland wurden im Rahmen des «Jena» Experimentes 80‘000 Messungen von interdisziplinär aufgestellten Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden durchgeführt und ausgewertet. Auf mehr als 500 Versuchsparzellen hatten sie unterschiedlich viele Pflanzenarten angesät, von Monokulturen bis zu Mischungen von 60 Arten. Neben Pflanzen wurden auch alle im Ökosystem vorkommenden Organismen untersucht – im Boden und oberhalb davon, ausserdem die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Nitrat und auch der Wasserkreislauf über den gesamten Zeitraum von 15 Jahren hinweg. So konnten die Wissenschaft-lerInnen belegen, wie sich die Artenvielfalt auf die Kapazität des Bodens, Wasser aufzunehmen, zu speichern oder abzugeben auswirkt. Wie sehr etwa der Stickstoffkreislauf eines Bodens von vielen Faktoren wie der Artenvielfalt, von mikrobiologischen Organismen, dem Wasserkreislauf und der Pflanzeninteraktion abhängt, wurde im «Jena Experiment» erstmals deutlich. Artenreichere Wiesen hatten über die gesamte Zeit des «Jena Experiments» eine höhere Produktivität als artenarme Wiesen. Wenn ein Landwirt bestimmte Arten fördert und düngt, ist er im Durchschnitt betrachtet folglich nicht erfolgreicher, als die Natur. Die Energie der Biomasse (Bioenergiegehalt) von artenreichen Wiesen war deutlich höher als der von artenarmen Wiesen, zugleich aber ähnlich hoch wie viele der heute stark subventionierten Arten, etwa von Chinaschilf. Artenreiche Flächen hatten dazumal eine bessere Kohlenstoffspeicherung, die Anzahl von Insekten und anderen Arten war deutlich höher und die Wechselwirkungen zwischen Arten wie Bestäubungen fanden häufiger statt. Artenreichere Wiesen transportierten das Oberflächenwasser besser in den Boden und diversifizierte Ökosysteme waren stabiler gegenüber Störungen, als artenarme Monokulturen gegenüber Dürren oder Überschwemmungen.Die Landwirte müssen nun wirklich die Arme hochkrempeln und den Schutz der Gewässer sicherstellen als auch ihre Agrarflächen biodiversivizieren und renaturieren, oder wollen wir uns weiter vergiften lassen? Die KonsumentInnen haben es in der Hand, in dem sie mit veganer und lokal produzierten Gütern vorlieb nehmen und so der Viehwirtschaft, den Methanrülpsern und den Viehfutter-Monokulturen den Garaus machen.

Die Dürren in Europa sind hausgemacht und folge der EU-Agrarsubventionspolitik

Drei Jahre extreme Hitze und Trockenheit, so wie wir es in Europa von 2018-2020 hatten, gab es seit 250 Jahren nicht mehr“, sagt Dr. Andreas Marx vom  «UFZ Helmholz Zentrum für Umweltforschung» in Leipzig, das einen Dürre-Monitor erstellt hat, der die Trockenheit in ganz Deutschland tagesaktuell anzeigt. „So eine Dürre hätten wir erst so um 2040 erwartet und nicht heute schon“, fährt Marx fort. Der Landwirtschaft geht das Wasser aus. Der Anbau kann oft nur noch mit künstlichen Bewässerungssystemen aufrecht erhalten werden, weil vielerorts der Grundwasserspiegel gesunken ist und damit wird das künstliche Bewässern der Felder ökologisch und ökonomisch noch unsinniger. Auch der Wald leidet unter der Dürre und stirbt ab wie Frau Dr. Nicole Wellbrock vom «Thünen Institut für Waldökosysteme» feststellt „Der Zustand der Wälder ist in der Tat historisch schlecht. Die erhobenen Daten sind lebensbedrohlich für unser Ökosystem. „Besonders die Fichten und die Buchen sterben rasch ab in den unteren Lagen“. Damit gehen wertvolle CO2 Speicher flächendeckend verloren. 1400 Milli-arden Tonnen CO2 befinden sich in der niederen Atmosphäre. Wenn wir nicht sofort entscheidend unsere CO2 Emissionen reduzieren, haben wir das CO2-Ziel bereits in zehn Jahren überschritten.

Dass Dürren durch Fehler in der Land und Bodenbewirtschaftung hervorgerufen oder verstärkt werden, vor allem durch die Zerstörung des Bodens durch Monokulturen und Pestizide, ist eine längst bekannte Tatsache und doch werden EU-Subventioinen in Milliardenhöhe dafür ausgeschüttet. So ein Irrsinn: so entstehen Teufelskreise, in denen die Hitze zu Dürre wird, und die Dürre zu noch mehr Hitze führt. Die Waldbrände nehmen zu, werden grösser und entstehen sogar in Regionen im hohen Norden. Flüsse und Seen trocknen aus, Wüsten entstehen wie beim Montasi See in Rumänien, wodurch nicht nur die Fische, die Amphibien, Insekten und Wasservögel ausster-ben sondern die gesamte Flora untergeht und das ganze Gebiet unter wüstenähnlichen Wetterbedingungen leidet, weil sich das ganze Mikroklima verändert und die Desertifizierung fortschreitet.

Der rumänische Umweltaktivist Octavian Berceanu sagt: „Der Klimawandel kommt viel rascher und dramatisch drastischer auf uns zu, als wir gedacht haben und verweist auf die eigenen Agrar-Fehler während der Ceaușescu Ära am Beispiel des Potelo Sees. Der wurde trockengelegt, um die landwirtschaftliche Produktivität beim Anbau grosser Flächen zu steigern. Das Gegenteil ist passiert. Die nährstoffreiche Schlammschicht war bald aufgebraucht, worauf der Sand des Seegrund zum Vorschein kam und den Anbau obsolet machten. Heute ist die Region men-schenverlassen und lebensfeindlich geworden. Das «European Environmental Bureau» (EEB) in Bruxell vertritt ein Netzwerk von 170 Umweltorganisationen in Europa. Celia Nyssens vom EEB sagt: „Was diese Dürren so zerstörerisch macht, ist hausgemacht, weil wir überall grossflächige landwirtschaftliche Monokulturen geschaffen haben, welche die Böden auslaugen und die über keine Mikroorganismen mehr verfügen, denn es sind die Mikroorganismen, die dem Boden seine Wasserspeicherqualitäten verleihen. In einer Handvoll gesunder Erde befinden sich mehr Mikroorganismen, als Menschen auf der Welt. Die Einzeller, Tausendfüssler, Pilze, Bakterien und Algen sind für die Saugfähigkeit des Bodens verantwortlich. In Deutschland wird aber über die Hälfte der Ackerböden für den Anbau von Viehfuttermittel verwendet. Das Problem ist unser Hunger auf Fleisch und den damit verbundene Teufels-Kreislauf von Abholzung für Monokulturen, die binnen fünf Jahren zu ausgelaugten Böden degenerieren und der Versteppung und Verödung Vorschub leisten. Das geschieht nicht nur in Deutschland oder Rumänien, sondern vielerorts in Europa u.a. auch in Spanien.

Der UN-Experte und Umweltaktivist David Dean von der Organisation «Earth jurisprudence» kritisiert den Mono-kulturenabau auf das schärfste und hat zusammen mit dem Geologen Jose Maria Calafora, der Professor an der Universität in Almeria die Quelle des Rio de Aguas nahe dem Dorf Gotcha aufgesucht. Sie liefert kaum mehr Wasser und die ganze Bevölkerung mit über 8000 Bewohnern ist verschwunden, weil sie kein Wasser mehr zum Trinken haben oder ihre Felder damit bewirtschaften könnten. Einer der wenigen der geblieben ist, sagt dass er sich das Trinkwasser kaufen müsse, da das wenige Wasser, das noch herauskommt zu salzig und zu kalk- und chlorhaltig geworden sei. Wenn man bedenkt, dass es allein zur Herstellung einer Plastikflasche 17 Liter Wasser braucht und der Transportweg bis zum Verbraucher genauso viel Energie verschlingt, sieht man wie grotesk die Lage ist. Das Austrocknen der Quelle ist auf die intensive Monokultur-Agrarwirtschaft in der Region zurückzuführen.

Nun zum zweiten absurden Agrarsubventionismus-Beispiel: In der spanischen Region von Almeria erstreckt sich das «Mar del Plastico», ein Plastikplanen-Treibhausmeer auf 350 Quadratkilometern quer über das Land. Dort werden unter anderem die Tomaten für halb Europa angepflanzt. So eine Tomate braucht etwa 10 Liter Wasser bis zur Reife und so kommt es, dass aus einer der trockensten Regionen Europas die letzten Wasserreserven herausgepresst werden damit hoch subventionierten Früchte und Gemüse exportiert werden können. Zum Schaden der lokalen Bevökerung, der Fauna und Flora und des gesamten Ökosystems. Das ist der Schlüsselmoment, der die Desertifizierung bewirkt und sich mitunter auch auf das Wetter und das Klima auswirkt bis hin zum Jetstream über dem Atlantik, der sich abschwächt und neue Wege sucht. Politische Fehlentscheide in Brüssel und in den anderen EU Staaten bewirken, dass diese Katastrophe einfach so weiter geht.

35 Prozent der von Menschen gemachten Treibhausgase könnten durch gesunde Böden aufgenommen werden, wo gut 1000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff eingelagert sind. Wenn die infolge des Pestizideinsatzes auslaugen, setzen die erodierten Böden unglaublich viel mehr CO2-Emissionen frei, als das bis heute der Fall ist. Auch das müsste verhindert werden. Die Landwirtschaft muss sich radikal umstellen, denn Monokulturen sind Gift für unsere Umwelt. Biodiversität auf Ackerböden ist unverzichtbar für Fauna und Flora und letztlich auch für das Überleben des Menschen. Auch müssen die Nahrungsmittel vermehrt wieder vor Ort produziert und konsumiert werden, statt unendlich lange Reisen hinter sich zu legen.

Die Palmölindustrie hat in den letzten 30 Jahren in den indonesischen Provinzen Kalimantan und Sumatra über die Hälfte des Regenwaldes (so gross wie Deutschland) abgeholzt und fängt nun auch in Papua Neuginea damit an, den Urwald im grossen Stil zu vernichten. Die Holzindustrie freut das ebenso wie die Oligarchie und das Militär. Dabei werden zwangsläufig Kleinbauern enteignet, was in Indonesien ganz legal geht. Auch hat das indonesische Parlament jüngst ein Gesetz verabschiedet, dass die nationalen Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards radikal beschneidet und Null Umweltverträglichkeitsprüfungen vor sieht. Daher ist das fortschrittlich formulierte Abkommen ein weiterer illusionärer Papiertiger, der zur besorgniserregenden Vernichtung von riesigen Regenwald-Gebieten in Brasilien, Indonesien, Malaysien, Papua Neuguinea führt. Mit dem Freihandelsabkommen mit Indonesien würde die Schweiz diesen Zustand legitimieren und die völlig ungenügenden Öko-Labels einmal mehr zum Standard erklären.

Schmetterlingseffekt: Hedge Fonds sind die Treiber von Kriegen und Klimawandel

Seien wir uns bewusst, die Finanzmärkte stehen im Zentrum der neoliberalen Wirtschaft, sie bestimmen weltweit die Preise für Rohstoffe und Lebensmittel und sie diktieren das Geschehen rund um den Globus. Hedge-Fonds sind der Fluch des Nahrungs-, Wasser- und Rohstoff-Kapitalismus in Reinkultur. Schauen wir uns dies einmal näher an: 2008 stiegen die Preise für Lebensmittel und Rohstoffe stark an, obschon sich die Welt nach der Finanzkrise in einer Rezession befand. Das zeigt, dass die Preise aufgrund von Spekulationen und nicht aufgrund einer erhöhten Nachfrage gestiegen sind. Was in den 80er Jahren mit Thatchers und Reagans Neoliberalismus begann und als Flügelschlag eines Schmetterlings an der Wallstreet 2010 bekannt wurde, führte fortan zu Aufständen, Kriegen und weltweiten Flüchtlingskrisen. Den Flügelschlag lösten der damalige Präsident Bill Clinton und der Nationalbank-präsident Alan Greenspan mit dem «Commodity Modernisation Act» aus, d.h. mit der Liberalisierung der seit den 30er Jahren strikt regulierten Märkten und einer begrenzten Anzahl von Spekulanten. Doch von da an, konnte jeder unbegrenzt mit Rohstoffen und Lebensmitteln spekulieren, worauf die Finanzmärkte Blut leckten und die Wall-street und Hedge-Fonds das Geschehen fortan auf übelste Art und Weise diktierten.

Im gleichen Jahr fuhr Russland aufgrund des Klimawandels und der Trockenperiode über 30 Prozent weniger Weizenernte ein. Die Wallstreet spekulierte auf eine Verknappung des Angebotes und trieb den Weizenpreis um 50% in die Höhe, was in Tunesien und Ägypten zum Arabischen Frühling führte, weil Ägypten fast 80 Prozent des Weizens aus Russland importierte. Der rasche Anstieg der Lebensmittel- und der Erdölpreise führt zwangsläufig zu Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen, stellten auch Wissenschaftler und Mathematiker fest. So arteten 2011 in Lybien nach dem Sturz Gaddhafis als auch im Irak-Krieg, beides führende Ölexportstaaten, die Kriege aus, befeuerten weitere Konflikte in der Region und lösten einen Flächenbrand aus, der den ganzen Orient überzieht, wie im Krieg in Syrien. Auslöser dafür waren wiederum die Hedge-Fonds Manager und Spekulanten an der Wallstreet und in London. Sie trieben den Ölpreis massiv in die Höhe, weil sie auf Export-Verluste spekulierten. Der Flügelschlag des Schmetterlings hat auch hier zugeschlagen und so sind die deregulierten Märkte zu einem Motor des Chaos geworden.

Diese Spekulationen und die Entwicklung in den Ölstaaten hatten zudem noch weitreichendere Folgen. Durch den enormen Kursanstieg der Petrodollars kamen Russland und Saudi Arabien aber auch Venezuela zu immensem Reichtum und vergrösserten ihre Militärbudgets und Polizeikräfte entweder zur Unterdrückung von Revolten im eigenen Land oder für weitere Offensiven, wie Russland in Syrien, in der Ukraine und zuletzt auf der Krim. Im Falle von Saudi Arabien kam es zu kriegerischen Zuspitzung in Jemen und in vielen weiteren Regionen im Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, derweil der Iran, den Nahen Osten auf seine Weise infiltrierte und mit seinen kruden Ideologien, Waffen und Kämpfern vollpumpte. Der Anstieg des Ölpreises war auch der Anfang des Verderbens für Venezuela, das letzlich am Ressourcen-Fluch zu Grunde ging. Die Spekulanten waren auch hier letztlich Auslöser und verantwortlich für die Flüchtlingsströme von Lateinamerika in die USA und von Afrika und dem Orient nach Europa.

In Grossbritannien war es dem Einfluss des neoliberalen Medienmoguls Rupert Murdoch zu verdanken, dass es zum Brexit kam und bei den rechtsradikalen Regierungen in Polen, Ungarn und Italien, sind ebenfalls Medienmogule für den Auftrieb der Neonazis und Faschisten in Deutschland verantwortlich. Nach der Hausse folgt gewöhnlich die Flaute, nach dem Boom folgt der Crash, soviel Ökonomie hat jedes Kind schon in der 6. Klasse mitbekommen. Die Folgen sind wiederum verheerend. In Venezuela gibt es eine apokalyptische Hungersnot, dasselbe in Kuba, in Kenya und im gesamten Subsahara-Gürtel, wo verheerende Dürren zu Bürgerkriegen und im Orient zu desaströsen Wirtschafts- und katastropalen Menschenrechtslagen führen, derweil sich die Ausbeuter in ihrem Reichtum suhlen.

Der völlig entfesselte Rohstoff- und Finanzmarkt ist wie die Pest, weil er dank Algorithmen und Herdenmentalität sowie auf zynische Weise immer gegen den Wohlstand der fragilen Ökonomien wettet Mit der Covid-Krise wurde dies überdeutlich, dass die Märkte über das Wohl der Menschen gestellt werden und ein System geschaffen wurde, das kein Mitleid mit den Menschen, sondern nur Gewinner und Verlierer kennt. Jedes Waschmittel und jede Nahrung muss heute jede Komponente deklariert sein, bei der künstlichen Intelligenz, bei der eine Machine die Entscheidungen über unser Sein oder Nichtsein entscheiden, braucht hingegen keine Deklaration und Regulation. Absurder geht es nicht! Dieses Thema kommt im letzten Kapitel noch zur Sprache.

Gut 500 Firmen mit weit über 10‘000 Angestellten arbeiten in der Schweiz in der Rohstoffbranche, die mit March Rich ihren ersten berüchtigten Protagonisten hatte, der es zu zweifelhafter Berühmtheit brachte, als er zum erstenmal in den 70er Jahren in die Schlagzeilen geriet. Der in Belgien geborene US Bürger sorgte dafür, dass der Rohstoffhandel in der Schweiz bedeutend wurde. Seine skrupellosen Öldeals mit Südafrika und dem Iran unter Umgehung internationaler Sanktionen während der Apardheit verhalfen dem „Vater des Schweizer Erfolgsmodels“ zu immensem Reichtum und brachte ihn auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher in den USA, bis Bill Clinton, der Gottvater der Neoliberalen ihn 2001 begnadigte. Wir erinnern uns, dass Clinton und Greenspan auch die Liberaliserung der Nahrungsmittel-Märkte vorantrieben und damit die Hedge-Fond Plage auslösten.

In die Schweiz gehörten Christoph Blocher und Martin Ebner zu den skrupellosesten Liberalisierer in den 90er Jahren. Von den «Bloomberg» Journalisten Javier Blas und Jack Farchy wissen wir, dass Ebner zu den Rettern von Marc Richs Imperium gehörte und auch der «Glencore»-Chef Ivan Glasberg seine Sporen in Johannesburg in Südafrika abverdiente und viel von seinem Meister bei den illegalen Öl-Deals und der Umgehung von Sanktionen gelernt hat, auch wenn er in der Kohleabteilung tätig war. Tiefe Steuern, die zentrale Lage in Europa, der stabile Schweizer Franken und der Zugang zum internationalen Finanzsystem sowie die schwache Regulierung boten in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz einen fruchtbaren Boden für Unternehmen, welche die Ressourcen weltweit ausbeuten und kaum Steuern bezahlen. Aus «Glencore‘s» Umfeld gingen andere erfolgreiche Rohstoffhändler wie «Vitol» hervor, das dem Inselstaat Cuba zu Öldeals verhalf und dafür ihren Zucker zu günstigen Preisen abnahm, als Kuba in den 90er Jahren zahlungsunfähig war.

Es wurde gemunkelt, dass «Vitol» in Kuba ein Luxushotel finanzierte und sich der damalige wie «Vitol»-Chef Ian Taylor dort ab und zu mit Fidel Castro zu einem Zigarrenschmauch und einen Cuba libre traf. In den 90er Jahren kamen dann die ehemaligen Sowjetrepubliken zu den neuen Rohstoff-Eldorados hinzu. Die Schweizer Rohstoffhändler kontrollieren fast 80 Prozent des weltweiten Handels und agieren skrupellos. Der Fall «Gunvor» im Kongo, die Machenschaften der «Credit Suisse» in Mosambik sowie die Geldwäscher-Affäre in Bulgarien zeigen exemplarisch die Spitze des Eisbergs der Korruption.

Angesichts Dutzender von Skandalen und Bussen in Milliardenhöhe fragt man sich, ob sich die Credit Suisse in eine maföse Organisation mit Bankenlizenz verwandelt hat? Die letzten 20 Jahre in der über 150 jährigen Geschichte der ehemaligen «Schweizerischen Kreditanstalt» waren die kriminellsten  Jahrzehnte überhaupt. Ein Erbe von Dougan Bradley, dem ersten US-Bankmanager der CS in den 90er Jahren.

Der Bundesrat bestätigte zwar regelmässig in seinem Bericht „das grosse Korruptionsrisiko“, tat aber nichts weiter, um die Bankenaufsicht zu stärken und die Geldwäscherei einzudämmen. Die Rohstoffhändler «Glencore», «Trafigura», «Vitol», «Mercuria» und «Gunvor» erhielten nach Recherchen von Public Eye von 2013 bis 2019 insgesamt 363,8 Milliarden US-Dollar an Krediten. «Public Eye» untersuchte auch die hochrisikoreichen Finanzinstrumente und –praktiken der Rohstoffhändler, die mittlerweile selbst als Banken fungieren, sich aber weitgehend der Finanzkontrolle und der Banken- und Finanzaufsicht «finma» entziehen. «Gunvor» zahlte in den USA 164 Millionen Strafe für die Verfehlungen in Brasilien, Equador und Mexico. Es ist absolut stossend, dass sich grosse Konzerne, Banken und Superreiche immer wieder mit lächerlichen Bussen freikaufen können, derweil andere für viel geringe Taten ins Gefängnis wandern. Beispiele dafür gibt es auch in der Schweiz genug.

Erst im November 2020 hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur «Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) vorgelegt, und sie ist erneut ein Armutszeugnis für die „saubere“ Schweiz. Noch übler sieht die Bilanz der Vor-zeigeschweiz aus, wenn man die wirtschaftlichen Faktoren des grössten Off-Shore Finanzplatzes berücksichtigt, denn Ende 2019 verwalteten Schweizer Banken ein Viertel des Weltvermögens. Sagenhafte 3742,7 Milliarden Franken. Allein die 300 reichtsten Schweizer besitzen ein Vermögen von über 400 Milliarden Franken, aber das immense Vermögen wird kaum in nachhaltige Projekte investiert. Im Gegenteil! Die Goldgrube und Steueroase Schweiz begünstigt und schützt Hunderte potenter Hauptsitze multinationaler Rohstoff-Konzerne und trägt massiv zum Abfluss von Privatvermögen aus den Entwicklungsländern und damit zur weltweiten Umverteilung von unten nach oben bei. Die Ausbeutung und Gier kennt keine Grenzen, auch nicht in Zeiten von Covid-19. Ganz im Gegenteil, sie begünstigt die Globalen Technogiganten und Superreichen – und dieser grosse Schatten fällt auf die Schweiz zurück, egal wie weiss wir das Image waschen und wie schön wir es uns einreden oder anderen predigen!

Die Schweiz glänzt in vielen Statistiken, wie beim Gold- und Geld-Reichtum, beim Glücklich sein, bei den Paten-ten, beim Receyclen doch die Realität sieht ganz anders aus. Neben den 810‘000 Millionären und einigen Milliar-dären gibt es in der kleinen Schweiz über 300‘000 Familien, die ihre Krankenkassenprämie nicht bezahlen können, 240‘000 Personen, die für ihre Steuerschulden betrieben wurden und über 400‘000 Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Die Sozialausgaben bei Bund, Kantonen und Gemeinden verdreifachten sich in den letzten 15 Jahren, hinzu kommt, dass ein Prozent die Hälfte des Gesamtvermögens für sich behält. Was heisst das? Das bedeutet das Unternehmen in der freien Marktwirtschaft Arbeitsplätze mit existenzsichernden Löhnen anbieten müssten und über Coperate Governance hinaus eine Wertschöpfung für die Gemeinschaft ausweisen müssten anstatt nur Dividenden für reiche Aktionäre.

Die «finma», die Schweizer Finanzmarkaufsicht ist eine Schlafmützen und Beschwichtigungsbehörde par excellence. Bei Whistleblowern sieht die Sache ganz anders raus, diese werden verfolgt und wie Kriegsverbrecher behandelt. Es scheint in der Schweiz zum guten Ton zu gehören, dass reiche Menschen und Finanzinstitute sich an keine Regeln halten müssen und für ihre Delikte nicht inhaftiert werden. „Der Kuhhandel hat in der Schweiz eben Tradition“, möchte da wohl manch einer salbungsvoller Politiker sagen. Die Schweizer Banken haben nichts hinzugelernt und helfen noch immer, korrupten Politikern und Kleptokraten ihre unrechtmässig entwendeten Staatsgelder zu verstecken, wie die Pandora Papers zeigen. Man sollte endlich jeden einzelnen daran beteiligten Banker zur Rechenschaft ziehen. Aber auch in Deutschland passieren unsaubere Dinge von gigantischem Ausmass, wenn man auf den Abgasskandal der Deutschen Autobauer schaut. Bisher wurde noch keiner der glorreichen Automanager dafür persönlich gebüsst und belangt und in der Schweiz warten die geprellten Käufer der CO2-Schleudern noch immer auf eine Entschädigung oder Nachrüstung.

Kapitalismus- und Globalisierungskritiker Jean Ziegler, Genfer SP-Nationalrat und UNO-Sonderberichterstatter von 2000 bis 2008 sagte: „Für den Neoliberalismus ist der Egoismus der Motor. Für Antikapitalisten und soziale Menschen ist der Mensch vom Wunsch nach Solidarität, Reziprozität und Komplementarität beseelt“. „Die Oligarchie des globalen Finanzkapitals, will die NGOs zum Schweigen bringen“, sagt Ziegler. Es sei aber die Aufgabe der NGOs, gegen das fiskalische Ausbluten der Entwicklungshilfe und gegen die Straflosigkeit für Konzerne und Superreiche zu kämpfen. „Die Tatsache, dass die Schweiz Mafiosi, Diktatoren und korrupten Eliten den roten Teppich ausbreitet und Unterschlupf bietet, ist skandalös“, ergänzt der ehemalige UNO-Sonder-berichterstatter. Zwei Milliarden Menschen haben heute schon keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 62 UN Staaten praktizieren Folter. „Wir sind uns bewusst, dass wir diese kanibalistische Weltordnung so nicht wollen und nicht akzeptieren“, so lautet Zieglers Fazit und Aufruf zum Widerstand gegen die Kapitalismus-Oligarchie.

Ohne radikalen Paradigmenwechsel schaufeln wir unser eigenes Grab

Fakt ist, seit den 70er Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt und der Konsum hat sich weltweit mehr als verzehnfacht, wobei die Schweiz hier beim Konsum an der Spitze steht. Die Hyper-Globalisierung hat ihren Zenit längst erreicht und dabei viel politisches, humanitäres und soziales Kapital verspielt. Spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde uns in Erinnerung gerufen, wie fragil unsere ökonomisch durch- rationalisierte und digitalisierte Gesellschaft geworden ist und wie schnell sich – von einem Tag auf den anderen – alles ändern kann. So wie die Borkenkäfer ganze Wälder absterben lässt, zeigt ein unsichtbarer, fataler Virus seit zwei Jahren seine Wirkung rund um den Globus. Ob wir daraus etwas gelernt haben, wie wir unsere Zukunft gestalten und den Umbruch ohne weitere Verzögerungen angehen müssten, wird sich weisen. Es scheint aber, dass wir weiterhin in der Endlosschlaufe verharren und die substanziellen Massnahmen das Übel an der Wurzel zu packen, weiterhin aufschieben. Der «Great Reset» wie Klaus Schwab es am «WEF» formuliert hat, ist ausgeblieben und wird so schnell nicht kommen. 

Die Politik betreibt noch immer eine Pflästerli-Strategie. Es zeigt sich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und die weltweit akute Bedrohungslage durch den Klimawandel es nicht vermögen, die Gesellschaft und Wirtschaft zum radikalen Umdenken zu bewegen. Egoismus und der ungezügelte Turbo-Kapitalismus mit Ressourcenabbau und Wachstum „auf Teufel komm raus“, sind leider noch immer der Motor der Gesellschaft. Eine solche Trans-formation erfordert viel Selbstreflektion, Verantwortung und Solidarität. Das alles ist leider ausser Mode geraten. Das Geschrei und Gebrüll auf den (a)sozialen Medien und in den Filterblasen überhört jede Nuance der Debatte und unterbindet jeden echten Dialog, jeden Ansatz von Solidarität sowie die Fähigkeit „Über den eigen Horizont hinaus zu sehen“. So betrachtet, sind die Schweizer engstirnig, wie sie schon immer waren, geblieben.

Äusserst bedauerlich, aber nicht weiter verwunderlich, ist es da auch, dass die Schweizer Bevölkerung 2021 sowohl die Trinkwasser-, als auch die Pestizid- und die CO2-Initiative an der Volksurne bachab geschickt hat und die Konzernverantwortungsinitiate am Ständemehr gescheitert ist. Damit hat die Schweiz keinen Plan und keine Strategie mehr, wie sie die CO2-Reduktion in den Griff kriegt. Es dürfen also weiterhin Pestizide gespritzt werden, was das Zeugs hält, was die Bauern freut. Als Musterschüler gelten wir längst nicht mehr, mit dem Finger auf andere zeigen, geht nun einfach nicht mehr, wir müssen uns zuerst an den eigenen Haaren raufen.Gut, die Covid-19 Krise hat die Lust auf neue Restriktionen und neue Innovationen geschmälert. Doch die Schweizer Wirtschaft ist insgesamt mit einem blauen Auge davon gekommen, bis auf gewisse Kreise, wie die Tourismus- Gastro- und Eventbranche, aber auch die wurden hierzulande durch die Kurzarbeitslosengelder zumeist gut entschädigt und die Landwirtschaft wird weiterhin subventioniert.

Daher ist es nur folgerichtig, wenn die Klimajugend die Grünen radikal links überholt bzw. überflügelt und eine viel raschere und konsequentere Vorgehensweise fordert. Covid-19 kostet uns Milliarden, fügten wir aber ein paar Milliarden für die Transformation der Wirtschaft hinzu, hätten wir enorm viel gewonnen. Die Rüstungsbudgets sollten weltweit eingefroren und zur Bekämpfung des Klimaandels eingesetzt werden. Wir müssen unbedingt weitere Pandemien vermeiden, da allein würde sich jede Klima-Investition lohnen. Jeder von uns hat es in der Hand, dazu beizutragen, doch geht es nicht mehr ohne einschneidende Schritte in nie gekanntem Ausmass. Lieb gewonnene Lebensweisen werden sich stark verändern müssen. Insbesondere müsste man bei der Bekämpfung von Pandemien, bei einer drastischen Reduktion der Abholzung in tropischen Ländern anfangen, denn es zeigt sich das der sogenannte Spillover für die das vermehrte Auftreten von Pandemien verantwortlich ist. So nennen BiologInnen den Vorgang, bei dem Krankheitserreger von (Wild-) Tieren auf den Menschen überspringen. Durch Spillover entstehen Zoonosen, also Krankheiten mit tierischem Ursprung. Laut einer Studie der britischen Zoologin Kate Jones entstanden zwischen 1940 bis 2004 insgesamt 335 neue Infektionen, wovon 60 Prozent tierischen Ursprungs waren. Dazu gehörten das Influenza-A-Virus, der Vogelgrippe-Virus H5N1, das Napah-Virus und vermutlich eben auch Sars und Covid-19. Einer der bekanntesten Wissenschaftler, der sich mit Zoonosen beschäftigt, ist Serge Morand, ein in Thailand lebender Evolutionsbiologe und Parasitenforscher. Auch durch die Viehzucht, die nachweislich zum Abholzen führt, entstehen Zoonosen trotz Antibiotika-Einsatz. Umweltzerstörung, Klimawandel, Tierseuchen und Epidemien stehen also in engem Zusammenhang mit Ökologie, Tier- und Humanmedizin

Jeder von uns kann viel tun, indem wir den Fleischkonsum reduzieren, Foodwaste vermeiden, lokale, saisonale Produkte kaufen, auf ständig neue Kleider und Smartphones verzichten, den öffentlichen Verkehr statt das Auto nutzen und Flugreisen auf das nötigste einschränken, viel mehr Gebäude auf erneuerbare Energien umgerüsten, die Heizungen runterschrauben und selbst produzierte überschüssige Energie zu vernünftigen Preisen ins Netz einspeisen. Elektrostationen für E-Autos und E-Bikes müssten massiv ausgebaut werden, auch müssen wir die Solar- und Windenergie viel besser nützen, den Gewässerschutz konsequenter anwenden, alle Subventionen für die fossile Energiegewinnung einstellen, im Flugverkehr international eine hohe Treibstoffbesteuerung einführen, sodass der Flugverkehr erheblich reduziert wird – bis der Treibstoff der Luftverkehrsindustrie grüner geworden ist. In der Geschäftswelt sollte eine CO2-Fussabdruck-Bilanzierung in den Unternehmen und steuerliche Anreize für die Reduktion eingeführt werden. Beim (um-)Bau die nachhaltige Gebäudetechnik fördern, Bodenversiegelung vermeiden und in der Forstwirtschaft, alters- und artengemischte Wälder kultivieren.

Ferner sollte der Staat vermehrt Anreize für sinnvolle Aufgaben im Sozial-, Bildungs-, Gesundheitswesen aber auch im Natur- und Umweltschutz schaffen. Aufgaben gäbe es mit dem Klimawandel zur Genüge und statt dass der Staat immer mehr Sozialhilfegeld bezahlt, sollten die brachliegenden menschlichen Ressourcen für den klima-neutralen Umbau unserer Gesellschaft eingesetzt werden, aus allen Alters- und Bildungsschichten, Kultur- und Sprachräumen. De Facto finden ja nur wenige Arbeitnehmer über 50 Jahre alt wieder eine Stelle. Warum also sollten sie nicht entsprechend ihren Qualifikationen für soziale Aufgaben und Natur- und Umweltschutzprojekte eingesetzt und mit einem Grundeinkommen entschädigt werden, denn wir müssen eine permanente Spitex für die Natur einrichten. Kommen wir zu den einzelnen Wirtschaftsbereichen und ein paar Vorschlägen und was konkret getan werden kann.

Bauwirtschaft/Cementindustrie/Gebäudesanierung: Die Zementindustrie ist eine der grössten CO2-Schleudern nach der Öl- und Kohleindustrie. Dabei gibt es schon längst alternativen, nachhaltigere Baustoffe, die vielerorts zum Einsatz kommen könnten. Beim Bau oder der Sanierung von Gebäuden gibt es viel Potential. Da ist zunächst einmal eine gut gedämmte Gebäudehülle, die auch mit Hanfziegelsteinen und Hanfvlies vorgenommen werden können. Bei einer dichten Gebäudehülle sinkt durch die Isolation der Energieverbrauch im Winter. Energiesparende Häuser brauchen eine gute Durchlüftung der Räume. Gas- und Ölheizungen sind Auslaufmodelle und sollten durch Erdsonden und Wärmepumpen ersetzt werden, umsomehr, wenn auf dem Dach oder am Gebäude Solarpanels angebracht werden, wodurch der Strom für die Wärmepumpe und das heisse Wasser von der Sonne her kommt. Mit einer Fotovoltaikanlage können viele Hauseigentümer sich autark mit Strom versogen und zwischen 60 bis 80 Prozent des Bedarfs abdecken. Mit LED Beleuchtung, energieeffizienten Haushaltsgeräten und einer Ladestation für E-Autos sind sie gut aufgestellt und sparen in Zukunft erhebliche Betriebskosten. In der Schweiz sind die Pensionskassen und grossen Immobilienfirmen in der Pflicht dieses Ziel rasch umzusetzen.

Ernährung: Unser aller Kernproblem ist es, dass jedes Jahr 80 Millionen Menschen hinzukommen und die jetzt erst geboren haben theoretisch eine höhere Lebenserwartung, auch in den Entwicklungsländern. Bis Ende des Jahrhunderts werden wir elf Milliarden Menschen sein, die immer mehr Lebensraum beanspruchen und noch mehr Landwirtschaftszonen für die Nahrungsmittelproduktion brauchen. Es kann nicht sein, dass wir allein mit der Viehwirtschaft für die Fleisch- und Milchproduktion ganze Artenbestände und wichtige Ökosysteme unwiederbringlich vernichten. Eine vegane Ernährung wird daher zum obersten Credo für die wachsende Weltbevölkerung.

Mobilität: Auto: Die Mobilität in der Schweiz verschlingt ein Drittel des gesammten CO2-Verbrauchs. Schuld daran ist der Wahn und die Liebe zu SUVs also zu den „Saumässig Umweltschädlichen Vehicles“. Kein Land der Welt fährt mehr MonsterAutos und zumeist erst noch mit einer einzigen Person im Fahrzeug. Sorry liebe Auto-Liebhaber und PS-Protzer, bescheuerter geht es nicht! Daher gibt es nur eine Lösung: Benzin- und Diesel müssten vorerst drastisch stärker besteuert und bis 2030 verboten werden, sodass das Umsteigen auf E-Autos rasch attraktiver gemacht wird. Öffentliche Parkplätze sollten in den Metropolen nach und nach dezimiert werden und rasch verschwinden. Dafür sollten an den Peripherien mehr E-Bikes, E-Cars Terminals bereitgestellt werden und in den Städten hauptsächlich der öffentliche Verkehr mit Hilfe von mehr E-Mobilität ausgebaut werden. Wohlgemerkt: Bei einer Fahrt von 100 Kilometern werden 300 kg Gletschereis vernichtet. Das ärgste der Unvernunft sind zwei, drei Kilometer Fahrten zur Kita oder Einkäufe in der Umgebung.

Bahn: Der Bahnverkehr muss zumindest in der Schweiz erheblich verbilligt werden. Als Beispiel ist Österreich zu nennen, das einen erschwinglichen Preis für ein Jahresabo eingeführt hat. Dort kann man nun ein ganzes Jahr im ganzen Land für weniger als der Preis eines Schweizer Halbtaxabos herumfahren. Das stösst die Trendwende im ÖV gewiss kräftig an, doch die SBB hinken der Entwicklung äusserst lahm hinterher.

Luftverkehr: Ein Europaflug verursacht rund 5190 Kilogramm Gletscherschmelze in den Alpen – und das jeden Tag tausendfach. Daher müsste eine CO2-Abgabe weltweit auf alle Flüge auch auf Transportflüge erhoben werden, damit die Industrie sich auch hier technisch umstellt und die Fun-Vielflieger in die Schranken gewiessen werden oder einen adäquaten CO2-Kompensations-Beitrag leisten.

Schiffstransporte: Die Frachtschifffahrt verschlingt Unmengen von Diesel. Je mehr wir lokale Produke fördern und kaufen, umso weniger muss von weit hergeholt oft tausende Kilometer transportiert und verteilt werden. Auch die Schifffahrt muss sich mit neuen Treibstoffen, Segelantrieb und Windturbinen auseinandersetzen und volle Fahrt in Richtung Energiewende aufnehmen.

Finanzindustrie und Oligarchen: Kein Mensch auf der Erde braucht Milliarden, soviel ist glasklar. Warum nicht weltweit eine Obergrenze für Superreiche setzen und beispielsweise jeden Dollar über einem 50 Millionen Vermögen einziehen und so die für den Klimawandel nötigen Mittel bei den Superreichen eingetreiben? Die Rohstoffkonzerne und Tech-Giganten (Google & Co.) müssten ebenso ihren Beitrag leisten, wie die Krypto-Schürfer und Big-Data-Miners, da sie oft zu den grössten CO-2 Emmitenten gehören.

Kriegswirtschaft/Rüstungsindustrie: Wie schon kurz erwähnt, sollten sich alle Staaten zusammenraufen und für fünf oder zehn Jahre lang ein Kriegsmaterial-Moratorium einführen und die eingesparten Mittel für den Klimaschutz und die CO2-Reduktion ausgeben, denn die Menschheit wird in den kommenden Dekaden einen globalen Kampf zur Rettung unseres Planeten ausfechtn müssen, den sie aus heutiger Sicht offensichtlich zu verlieren scheint. Um diesen Krieg gegen unseren Untergang zu überleben, brauchen wir keine Waffen, Panzer, U-Boote und Flugzeuge. Diese nützten uns allesamt nichts, wenn wir in Folge von Hunger, Durst, Verwüstung und infolge Verteilkämpfen sterben. Keiner kommt aus dieser Geschichte ungeschoren davon. Kein Nationalismus schützt uns vor dieser Kriese.

Konsumgüterindustrie: Heute werden viele Billigprodukte so konstruiert, dass sich nach Ablauf der Garantiezeit schon bald einmalersetzt werden müssen, entweder, weil sie (mangels Ersatzteilen oder durch die Konstruktion) nicht repariert werden können oder weil sie von Anfang an für ein kurzes Leben konzipiert und angefertigt wurden. Wenn man sich anschaut, in welcher Qualität Bauteile, Maschinen, Kleider usw. frührer gebaut wurden, die zum Teil generationenübergreifend weitergereicht wurden. Qualität vor Quantität ist die Losung: Die Produkte müssten also so gefertigt sein, dass sie mindestens zehn oder zwanzig Jahre verwendet werden können

KonsumentInnen: Wir unterschätzen unsere Rolle und unser Einfluss beim Konsumverhalten, auch wenn ein einzelne Person vermeintlich wenig bewirken kann.Wir können in allen Lebensbereichen Zeichen setzen und die Hebel umlegen.

Landwirtschaft: Ich habe es bereits angesprochen und es ist uns allen klar, dass wir die Böden und die Gewässer nicht noch stärker vergiften dürfen.Wenn die KonsumentInnen ein klares Zeichen setzen und die Politik die Subventionen für Viehwirtschaft und intensive Monokultur-Agrarwirtschaft streicht, kommen wir auch hier in die Gänge und verhelfen den Bauern, die ökologischen Anbau betreiben mit den gestrichenen Subventionen für die Trinkwasser und Gewässervergifter. Wie in Holland könnten auch in der Aglomeration rund um die Städte riesige Anbaugebäude entstehen, wo Obst und Gemüse vertikal viel effizienter und sparsamer angebaut werden kann und bestens gedeiht sowie einfacher und automatisierter geerntet werden kann und erst noch dem lokalen Markt zur Verfügung stehen. Es gibt bereits Supermärkte, die auf ihrem Dach einen Biogarten haben und das Obst und Gemüse ein paar Meter über den Verkaufsflächen angebaut wird.

Plastik-Verpackung: 53 Kilogramm Einwegplastik landen in der Schweiz pro Kopf und Jahr im Abfall, im Wasser oder sonstwo in der Umwelt. Damit zählt die Schweiz zu den grössten Verbrauchern im Ranking nach Singapur (76 kg), Australien (59 kg), dem Oman (56 kg) und ist gleichauf wie Belgien, die Niederlande und Hong Kong. Bis 2040 werden weltweit 1,3 Milliarden Tonnen Plastik die Umwelt und die Gewässer belasten. Natürlich müsste die Verpackungsindustrie neue Verpackungsmaterialen verwenden, doch es liegt auch an den VerbraucherInnen, von wem, wie und was sie einkaufen.

Städteplanung/Selbstversogung/Soziales: Angesichts des rasanten Biodiversitätsverlustes und der Verödung der Städte, frage ich mich schon lange, warum nicht all die nutzlosen Rasenflächen vor allen Miet- und Wohnhäusern zu Gärten für geneigte Hobby-Gärtner und Selbstversorger unter den Anwohner/innen umfunktioniert werden und gerade die ärmeren Leute und solche mit Migrationshintergrund und Agrar-Know-how ihre Nahrung teilweise vor dem Haus anbauen könnten. Das würde auch der Armut ein wenig entgegensteuern und vielen Familien das Überleben garantieren sowie sinnstiftend sein. Warum sollten wir alle Lebensmittel aus Afrika, China und Lateinamerika importieren, wenn wir mit lokalem Anbau unsere Städte verschönern, die Biodiversität steigern, dabei das lokale Gewerbe stärken die Selbstversorgung erhöhen und dadurch die CO2-Emmissionen signifikant verringern könnten. Wir sollten darüber nachdenken, was unsere Gemeinden eigentlich mit ihren Gemeindeflächen machen. Zumeist schaffen sie grosse Anbau-Strukturen, statt die kleinräumige, lokale Bewirtschaftung und die Biodiversität zu fördern. Das muss sich ändern.

Textilindustrie: Sie ist eine der dreckigsten Industrien nach der fossilen Rohstoffindustrie. Zehntausende von Menschen leiden in Indien und Bangladesh nicht nur an Ausbeutung sondern an schwersten und irreparablen Krankheiten, Unfruchtbarkeit und vieles mehr. Hier gibt es nur einen Weg, liebe Ladies. Verzicht und nochmals Verzicht, weniger Kleider, dafür qualitativ bessere. Der Fast-Fashion-Wahnsinn muss ein Ende haben. Viel mehr gibt es hier nicht zu sagen.

Windenergie: Schottland und Norwegen machen es vor. Die Schotten haben jetzt schon keine CO-2 Emissionen mehr, weil sie soviele Windparks aufgestellt haben, dass sie sogar grünen Strom exportieren können. Viele Gemeinden finanzieren diese Anlagen selbst mit ihre Anwohnern und werden so nicht nur von der Stromversorgung unabhängig sondern auch noch zu grünen Stromlieferanten. Auch in Norwegen ist die Windenergie zu einem Motor der grünen Energie geworden. Überdies bietet das Land offenbar ideale Bedingungen, um CO2 tief unter die Erde in Holräume einzuspeisen und dort zu lagern. Co2 kann verflüssigt und so in die Tiefe der Erdschichten gepumt werden. In der Schweiz fristet die Windenergie ein Schattendasein. Doch auch hier und auch in vielen weiteren Teilen der Welt liessen sich Windräder aufstellen. Bei uns auf den Seen, in den Alpentälern, wo der Föhn ständig bläst, auf Alpenkämmen und auch auf den Dächern von Industrieanlagen. Bei der Windenergie gibt es jedenfalls noch viel Luft nach oben.

8. Spirituelle Reisen: Ayurveda- und Cannabis Medizin

Im Reich der liebenden Hände bei den Top Ayurvedaresorts in Kerala

Kein anderes medizinisches System der Welt weist ein derart allgemein gültiges, tiefgreifendes und ganzheitliches Reinigungssystem auf, wie die uralte ayurvedische Pancha-Karma Kur. Wo gestresste Westler von östlicher Weis-heit und meditativer Ruhe erfüllt wieder gesund werden und welches die besten Ayurveda-Jungbrunnen in Sri Lanka und Indien sind, darauf möchte ich hier aufgrund meiner Reisen und Reportagen für renommierte Gesund-heitsmagazine näher eingehen.

Langsam rinnt das warme Kräuter-Sesamöl bei der Shirodhara-Behandlung in einem feinen Strahl über die Stirn gleichmässig und beruhigend hin und her, gut 20 Minuten lang. Die Alltagsgedanken lösen sich auf und geben Raum für eine wohltuende Leere. Die Aufmerksamkeit richtet sich nach innen. Tiefe Entspannung breitet sich in meinem Körper aus. Der Spiegel zur Seele öffnet sich und auch alte Erinnerungen tauchen aus der Tiefe auf des Bewusstseins auf. Zwar fühlt man/frau sich bei den öligen Ayurveda-Massagen wie eine Ölsardine, doch gewöhnt man sich schnell daran und geniesst die wohltuenden Berührungen. Ein äusserst entspanntes Erlebnis ist die Synchronmassage, genannt Abhayanga, auch bekannt als die Massage der liebenden Hände. Dies beschreibt die Empfindung während der Massage sehr gut, denn von vier Händen synchron massiert zu werden, ist schöner als jede Liebkosung. Die sanften Handbewegungen massieren das Kräuteröl in die Haut ein, damit es die unteren Schichten des Gewebes erreicht, das Blut- und Nervensystem miteinbeziehen, um die Gift- und Schlackstoffe zu isolieren um sie hernach ausscheiden zu können.

Was vor tausenden vor Jahren in Nordindien entwickelt wurde, ist ein ganzheitliches Natursystem, das Körper, Geist und Seele als Einheit ansieht. Denn die Ayurveda-Philosophie geht davon aus, dass alle Materie, so auch der Mensch, auf die fünf Elemente Erde, Luft, Wasser, Feuer, und Raum zurückzuführen sind. Aus diesen Verbin-dungen bilden sich drei Grundkonstitutionen heraus, die sogenannten Doshas, die man als essenziellen Bioenergien versteht. Die Elemente Luft und Raum bilden das Vata-Dosha und stehen für das Lebensprinzip Bewegung. Es steuert die Bewe-gungsabläufe im Körper, die Atmung und das Nervensystem. Das zweite Dosha trägt den Namen Pitta und wird durch das Element Feuer dominiert. Die Pitta-Energie ist für alle Reaktionen zuständig, also für die Verdauungs- und Stoffwechselvorgänge. Die Elemente Erde und Wasser beeinflussen das dritte Dosha, das sogenannte Kapha. Ihre Energie ist strukturierend, formgebend und verantwortlich für den Zell- und Skelettaufbau als auch für die charakteristischen Eigenschaften. Nur wenn die Doshas im Gleichgewicht sind, sind Körper und Seele gesund. Die Ayurveda-Kur beginnt zumeist mit einer Pulsdiagnose bei einem Arzt oder einer Arztin. Frau Dr. Rupawathie Waidyawasana von der «Lotus Villa» in Sri Lanka presst mir ihre Finger sanft oberhalb der Daumenwurzel in den Unterarm. Doch sie misst nicht nur den Pulsschlag, sie stellt fest, „ob er stark pocht, wie Wellen durch den Körper gleitet, hüpft wie ein Frosch oder wie ein Elefant dahin trottet“. So wird die Harmonie der drei Doshas Vatta, Pitta und Kapha und die Anfälligkeit für Krankheiten festgestellt. Auch Dr. Buddhike vom «Paragon» verblüfft mich: Auf Anhieb stellt er mit der Pulsdiagnose drei geschwächte Organe fest.

Während der Kolonialisierung wurde den Ayurveda-Medizinern ihrer Berufsausübung untersagt. Dadurch ging viel Wissen verloren, sagt Dr. Jayawardhana vom «Institut Indigenious Medicin» an der Universität in Colombo. Und dann kam noch der Einfluss der westlichen Medizin hinzu, der die traditionelle Medizin verdrängte, fügt Dr. Kamal Sersinghe, ein weiterer Referent der Universität in Colmobo hinzu.

Ayurveda geht davon aus, dass es in der Natur alles gibt, was gebraucht wird, um die Menschen gesund zu machen und zu erhalten. So werden Pflanzen, Mineralien, Aschen, Salze, Rinden, Hölzer, Wurzeln und wenige tierische Produkte gekocht, pulverisiert und zu Pillen Crèmen und Ölen verarbeit. Das zartgelbe Sesamöl mischt der Ayur-veda-Arzt anderen natürlichen Zutaten bei, die er oder sie spezifisch auf den Dosha-Typ abstimmt. Das Öl kann somit optimal auf die individuelle Konstitution jedes Menschen einwirken. „Die Öle und die richtige Massage-technik miteinander kombiniert“, so werden die Doshas harmonisiert, philosophiert Dr. Wasanta Sumana vom Beliata-Ayurveda-Hospital in Hambatota auf Sri Lanka.

Wie erkennt man einen guten Ayurveda-Resort? Zur Evaluation kann man sich folgende Fragen stellen: Werden auch ausserhalb der Touristensaison Gäste aufgenommen? Wird hier Ayurveda schon seit vielen Jahrzehnten praktiziert? Wird individuell oder standardisiert behandelt? Gibt es eine Mindestaufenthaltsdauer von mindestens 18 Tagen für eine Pancha Karma Behandlung? Hat der Arzt oder die Arztin einen Universitäts oder hochschulabschluss? Entspricht die Trinkwasserversorgung der notwendigen Trinkwasserqualität? Werden die Speisen und die Medizin individuell zusammengestellt? Herrscht ein generelles Rauchverbot. Haben Sie diese Fragen für sich geklärt sind sie schon weit gekommen, auch als spirituelle Vorbereitung auf die Kur.

Meine Recherchen über die Ayurveda Medizin erfolgten zuerst in Sri (vor dem Tsunami) Lanka in folgenden Resorts: «Aida» in Bentota, «Lanka Princess» in Beruwela, «Lawrence Hill» in Hikkaduwa, «Lotus Villa» in Ahungatta, «Paragon» in Unawatuna, «Surya Lanka» in Talpe und «Vattersgarden» in Kottegoda. In Indien besser gesagt in Kerala kann ich folgende Resorts aufgrund der damaligen, eingehenden Recherchen empfehlen: «Somatheeram» und «Malamtheeram», «The Leela Kempinski», «Dukes Forest Lodge», «Nikkis Nest», «Kalari Kovilakom», «Coconut Lagoon» und das «Marari Beach Resort». Kehren wir zum Schluss kurz zu den Doschas, ihren Eigenschaften und Wirkungen zurück.

Die drei Dosha-Typen und ihre Eigenschaften

Die Doshas prägen Eigenschaften und Funktionen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten eines Menschen. Hier vereinfacht die drei wichtigsten Typen von insgesamt zehn Differenzierungen.

Vata-Typ: willenstark, verantwortungsbewusst, unternehmungslustig, mutig, emotional, motiviert, kreativ, flexibel, spontan, Frische, Freude, Glück. Negativ: Angst, Furcht, Nervosität und sprunghhaft.

Vata  kinetisches Prinzip – Atmung, & Bewegung (Gelenke und Muskeln) zuständig für die Anregung von Agni (Verdauungsfeuer), für die Ausscheidung, Sinneswahrnehmung und das Sprechen.

Organe: Dickdarm, Lenden- und Kreuzbereich, Oberschenkel, Knochen und Sinnesorgane.

Qualítät: Liefert Zellflüssigkeit, formt den Körperbau/-struktur, macht Gelenke geschmeidig, befeuchtet die Haut, stärkt die Immunabwehr und ist zuständig für die innere Entwicklung.

J/T-Zeit: Lebensphase von 46 – 80 Jahre, Monate: November bis Februar, Tageszeiten: 2 bis 6 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. Tipp: für viel innere und äussere Ruhe sorgen, Kälte vermeiden und warmes Essen bevorzugen.

Pitta-Typ: feurig, mutig, wahrheitsliebend, Verständnis, Dialog und Intelligenz fördernd. Negativ: Wut, Hass, Kritik, Eifersucht

Pitta thermisches Prinzip – (Körpertemperatur) es regelt den Stoffwechsel, die Verdauung, Energie, Wärme und Hautfärbung. Zuständig für Hunger, Durst Intelligenz und Tapferkeit,

Organe: Bauchnabel, Magen, Dick- und Dünndarm, Schweiss, Blut, Sehvermögen und äussere Aktivität.

Qualítät:  reguliert die Körperatur, Enzyme, Aminosäuren und steuert biochemische Prozesse.

J/T-Zeit: Lebensphase 17- 45 Jahre. Monate: Juli bis Oktober. Tageszeiten: 10-14 Uhr und 22 bis 2 Uhr.

Probleme: Fieber, Entzündungen, Augenreizungen, Zahnfleischbluten, Muttermale, Sommersprossen, Neigung zum Schwitzen, Übersäuerung des Magens, Hautprobleme, Geschwüre, empfindliche Zähne, frühzeitiges Ergrauen, Pitta-Typen sind oft workaholics. Tipp: Bei Hunger sofort etwas essen

Kapha-Typ: Langsame Auffassungsgabe, gutes Langzeitgedächnis, trifft Entscheidungen bedächtig, schwer aus der Ruhe zu bringen, gemütlicher, zufriedener Mensch, hat Durchhaltevermögen, Negativ: Gier, Neid, klammert sich an materielle Dinge und unbewegliche Zustände

Kapha Hydro Prinzip  (Synthese und Vereinigung) zuständig für das Schmieren der Gelenke und für das ölen und das Fetten des Gewebes und der Haut (Stoffwechsel), Potenz und Stabilität

Organe: Brustkorb, Rachen, Kehle, Kopf, Gelenke, Magen, Zunge,

Qualítät: regelt Atmung, Herzschlag, Nervensystem, Augenblinzeln und die Bewegung des Olasmas

J/T-Zeit: Lebensphase o bis 16 Jahre. Monate: März bis Juni. Tageszeiten: 6 bis 10 Uhr und 18 bis 22 Uhr.

Probleme: Husten, Erkältung, Benebhölen, Schleim, Depression, Esslust, Gewichtszunahme, Lethargie, Bluthochdruck, herzinfarkt, Diabetes, Wasser im Gewebe.

Was ist gut für die drei Dosha-Typen?

Vata –Typ: Gut sind warme, schwere und ölige Speisen, die süss, sauer und salzhaltig schmecken. Also Gurken, Karotten, Süsskartoffeln, Kohl, Kürbis, Rettich, Spargel, Aprikosen, Avocados, Bananen, Beeren, Honigmelonen, Kirchen, Jafer, Weizen, Reis, Nüsse, Geflügel, Fleisch, Fisch und gekochte Eie. Zu vermeiden sind kalte, trockene und leichte Speisen sowie kalte Getränke.

Pitta –Typ: Gut sind kalte Speisen, Nahrungsmittel und Getränke, die süss oder bitter schmecken, wie Blumenkohl, Brocolli, Erbsen, grüne Bohnen, Gurken, Kartoffeln, Kürbis, Rosenkohl, Pilze, Aepfel, Avocado, Dörrobst, Feigen, Kirschen, Mangos, Orangen, Pflaumen, Hülsenfrüchte, Dill, Fenchel, Kardamon, Korriander, Minze, Zimt. Zu vermeiden sind scharfe, gewürzte, salzige oder saure Speisen.

Kapha-Typ: Gut sind leichte, trockene und warme Speisen, die scharf gewürzt sind oder bitter schmecken. Auberginen, Blumenkohl, Brocolli, Karotten, Kohl, Spargeln, Paprika, Pilze, Salate, Apfel, Aprikosen, Beeren, Kirschen, Rosinen, Trockenfrüchte, alle Getreidesorten ausser Hafer, alle Hülsenfrüchte ausser weissen Bohnen, Knoblauch, Honig, Butermilch, Quark, Madeln, Fisch, Wild, Krustentiere, Eier, Sonnenblumenöl. Vemeiden sie schwere, ölige, und klate Speisen, ebenso alles was süss, sauer und salzig ist.

Cannabis: Die Prohibition hat nie funktioniert, das medizinische Potenzial wurde kastriert

Die Hanfpflanze und ihr medizinisches Potential hat das gleiche Schicksal erlitten, wie die Ayurveda Medizin. Auch Cannabis wurde 50 Jahren verboten. Daher machen wir nun eine spirituelle Cannabis-Reise von den Hoch-kulturen indigener Völker (vorallem der Azteken, Inkas und Mayas), bis zu den heutigen Niederungen, Irrungen und Wirrungen beim Drogengenuss, wobei wir uns auf die internationale und staatlichen Repressionsmaschinen im Umgang mit psychoaktiven Substanzen und auf die hiesige Drogenpolitik fokussieren, die vor allem die Pharmaindustrie schützt und stützt, aber wenig mit Prävention und Volksgesundheit zu tun hat. Denn derweil die weltweit salonfähige Droge Alkohol, weit mehr Gesundheitsschäden und Hundertausende von Toten fordert, wird die Hanfpflanze und der weitaus ungefährlichere THC-Konsum noch immer stigmatisiert und sind in Nordeuropa, also in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und in der Schweiz weitgehend verboten. Spanien und Portugal sowie die Tschechoslowakei haben die Gesetze gelockert und den Konsum im beschränkten Rahmen in sogenannten Social Clubs zugelassen. Nebst den USA und Kanada, die schon lange die Legalisierung vollzogen haben, folgt nun auch Mexico und weitere Länder.

In der Schweiz läuft 2022 eine 5-jährige Pilotprojektversuchsphase an, damit wird sogleich klar, dass es hierzulande noch 10 Jahre dauern könnte, bis sich die Hanf-Politik endlich ändern könnte. Die Hanfpflanze und deren Substrate, bis zu 160 verschiedene Cannabinoide und Terpene werden wider besseren Wissens seit bald 50 Jahren als Teufelsdroge verurteilt, verdammt und kriminalisiert, dabei spendet die uralte Kultur- und Kultpflanze weltweit seit tausenden von Jahren wertvolle Heil- und Nahrungsmittel. So ist das Hanföl sehr reich an ungesättigten Omega 3 und Omega 6 Fettsäuren und dies erst noch im optimalen Verhältnis. Die Anwendungen in der Medizin sind unglaublich weitreichend. Auch die Kosmetik hat die heilsamen Hanf-Wirkstoffe wiederentdeckt und in Frankreich beginnen einzelne Winzer ihren Wein mit Hanf anzureichern. Das taten übrigens schon die Römer, sie wussten damals schon um die potenzierte Wirkung von Alkohol und Cannabis. Und die indigenen Hochkulturen in Lateinamerika, allen voran Teotihuatlan, waren die Hochburgen der experimentellen Drogen-Höhenflüge. Wer zur Elite gehören wollte, musste sich einem wochenlangen, Drogen-Höllentrip in den dunkeln Tempeln unterziehen. Der Cocktail bestand nicht nur aus Cannabis sondern hautsächlich auch aus psycho-aktiven Pilzen und Kakteen wie Don Pedro und Meskalin.

Haben wir in der Jugend in den 60er und 80er Jahren erst einmal die berauschende und horizonterweiternden Aspekte der THC-Substanz geschätzt, kommen mit zunehmendem Alter und neuen Erkenntnissen weitere wertvolle medizinische Wirkungen hinzu, wie geistige und körperliche Entspannung, eine gute Schlaf und Einschlafhilfe, intensiveren und kreativeren Sex, eine verbesserte Hautstruktursowie veritable gesundheitliche Hilfen bei vielen Krankheiten, wie wir gleich sehen. Mary Jane wurde oft als Einstiegsdroge für härtere Substanzen verantwortlich gemacht und dabei wurde ausgeblendet, dass Alkoholkonsumation der erste und wichtigste Schritt hin zu allen anderen Drogen ist und handkehrum auch die Medikamentensucht nicht zu verunglimpfen ist. Heute ist der Mix von Alkohol, Designer-Drogen und schubverleihenden Medikamenten besonders gefragt und gefährlich. Synthetische Spice Produkte können auch tödlich sein. Eine Folge der verfehlten, weltweit auf Repression ausge-richteten und sehr verlogenen, rassistisch und politisch motivierten Drogenpolitik Nixons, die somit ihren Ursprung im Amerika der 70er Jahre hat. Unter Präsident Nixon wurde behauptet „Cannabis mache Menschen“ zu Tieren. Ziel der diskriminierenden Kampagne des «War on Drugs» waren die Schwarzen und die weissen Kriegsgegner und in der Schweiz hingen Plakate mit dem Slogan «Hasch macht doof». Gemeint waren auch hier die Hippies, die Freaks und die „Bewegten“. Heute würde man sagen, es ging hauptsächlich um die Desavouirung einer unbequemen Minderheiteit und nicht um Gesundheitsvorsorge.

In den 90er Jahren wurde erst Zürich, dann die ganze Schweiz zum Hanf-Mekka mit den legendären Hanflädelis mit Duftstoffsäckli oder die sogenannten Kräuter-Badezusätze, die THC-haltiges Grass und Haschisch enthielten. Auch mit Löchern versehene Ping Pong Bälle gefüllt mit MariJane waren erhältlich. Damals war Gras als solches legal, solange es nicht explizit zum „Drogenmissbrauch“, also zum Handel und Vertrieb der Blüten verwendet wurde. Für die Herstellung von Duftstoffen oder zum Brauen von Hanfblüten-Bier gab es lasche Regulierungen, die auch nicht vom THC Gehalt abhingen. So wurden Tonnen von Outdoor-Cannabis legal und kostengünstig im grossen Stil wie im «Hexenkessel» oder in Videotheken, Kleider-Boutiquen, Drogerien und anderen Lädeli gehandelt.

Die Hanf-Euphorie dauerte aber nur kurz und änderte sich, als die Schweiz der UNO beitreten wollte und die darauf bestand, dass die Schweiz den „Single Convention Act“ von 1961 anerkenne. Zudem übten auch die Nachbarstaaten Deutschland und Frankreich Druck auf die Schweiz aus, die Liberalisierung, die der Bundesrat noch 2002 dem Parlament vorschlug und im darauf folgenden Jahr von beiden Kammern gutgeheissen wurde, wieder zurückzufahren, da dem Bundesrat der Drogentourismus ein Dorn im Auge war. Mit der Reform des Betäubungsmittelgesetzes «BetmG» wurde der der EU konforme Status übernommen, mit der Ausnahme, dass bei uns in der Schweiz die THC-Toleranzgrenze für Nutzhanf etwas höher liegt und CBD seit 2016 legalisiert ist. Das Problem ist nur, dass man eine Pflanze schlecht halb legalisieren und immer noch kriminalisieren kann. Darum heisst der jetzige Artikel für die fünfjährigen Pilotprojekte in den vier Städten (Basel, Bern, Genf und Zürich) mit je 5000 Personen pro Stadt auch „Experimentierartikel“. Doch die Bedingungen sind etwas abstrus. Ebenso frus-trierend ist es, wenn man zwar unter gewissen medizinischen Kriterien eine Ausnahmebewilligung für Dronabinol (synthetisches THC) bekommt, dieses Medikament aber nicht von den Krankenkassen übernommen wird.

Statt den flächendeckenden, nachhaltigen, ökologischen und Landschaftsschutz trächtigen Outdoor-Anbau zu fördern, der für Medizin, Kosmetik, Nahrungsmittel, Baustoffe, Textilien usw. genutzt als auch als Lawinenschutz und zur CO-2 Reduktion eingesetzt werden könnte, den Berg-Bauern eine wirtschaftliche Bio-Grundlage bieten würden, wird weiterhin durch das Verbot auf den Indoor-Anbau gesetzt und einseitig die Synthetisierung der Inhaltsstoffe für pharmazeutische Produkte gesetzt. Zwar wurde in den USA Hanf, Gras, Hasch etc. in vielen Bundesstaaten schon länger weitgehend legalisiert, in der Schweiz lassen wir gerade einmal ein paar Pilotversuche zu, die in dieser Form untauglich sind und nur dazu dienen, bei einer Liberalisierung die Pharma-Industrie zu begünstigen und diese zu protegieren. In seinen «Perspektiven der Drogenpolitik 2030» kündigt der Bundesrat an die Vor- und Nachteile des Sanktionsverfahrens prüfen zu wollen und so die Chancen und Risiken einer Legalisierung neu beurteilen zu können. Das heisst mit anderen Worten, die Regierung denkt über die nächsten zehn Jahre hinweg über eine Entkriminalisierung und Legalisierung nach. Derweil Portugal schon vor zehn Jahren, 2001, diesen Weg eingeschlagen hat mit durchaus positiven Konsequenzen. Dass die Schweizer Regierung 30 Jahre oder mehr dazu braucht, ist nicht gerade berauschend. Zwar gab es noch einen Versuch, aber Bundesrätin Ruth Dreyfuss scheiterte damals im Parlament knapp mit ihrer Vorlage. Dabei hat die Schweiz, die in den 80er Jahren in der grossen Heroinkrise und angesichts der vielen Drogentoten ein weltweit einzigartiges Methadonabgabe-Programm entwickelt und den Heroinkonsum entkriminalisiert und praktisch eliminiert. Durch dieses Erfolgsmodell wurde Zürich und mit ihr die Schweiz zur Vorreiterin einer huma-nitären Drogenpolitik, die das Suchtpotential anerkannt hat. Seither setzt die Regierung auf das Vier-Säulen-Prinzip (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression).

Derweil Hunderte von Verkehrstoten und Tausende von Gewaltakten unter Alkoholeinfluss als normal in Kauf ge-nommen werden, hat Cannabis noch keinen umgebracht und führt in der Tendenz eher zu einem ruhigen, friedlichen wenn nicht gar apathisch bekifften Zustand. Wo ist da die weitgerühmte Verhältnismässigkeit und helvetische Einsicht zur Faktenlage? Bei der Volksdroge Alkohol nimmt man all die Verkehrstoten, familiären Gewalt-Exzesse, Vergewaltigten und Aggressionen hin? Grotesk nicht? Als die Fussball WM 2012 in Portugal stattfand, verbot die Regierung Alkohol für drei Tage aber drückte beide Augen beim Cannabis-Konsum zu. Und siehe da, es waren die friedlichsten Fussballspiele aller Zeiten.

Jetzt vertiefen wir die heutigen medizinischen Fakten und die politische Grosswetterlage. Cannabis wird inter-national zwar nicht mehr mit Heroin gleichgesetzt, seit die «Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen» (United Nations Commission on Narcotic Drugs» (CDN) im Dezember 2020 auf einer Tagung in Wien über diverse Vorschläge abgestimmt hat, die 2019 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Neueinstufung von Cannabis gemacht wurden. Es ging darum Cannabis aus der «Schedule IV der «Single Convention on Narcotic Drugs» aus dem Jahr 1961 herauszunehmen und zu zu entkriminalisieren. Weil Cannabis bisher zusammen mit Heroin und Methaphetamin, den illegalen Opiaten und Kokain in der Liste IV gestanden hat, beriefen sich viele konservative Staaten weiterhin auf die uralte Verordnung. die vor über 50 Jahren durch die messianische und heuchlerische US-Politik geprägte Drogenpolitik (und die Ambitionen eines arbeitslos gewordenen US-Alkohol-prohibitions-Chefbeamten, der nach einem neuen Tätigkeitsfeld suchte) weltweit im Umbruch ist.

Das Drogenverbot soll uns schützen, heisst es allenthalben. Unsere Gesundheit wird mit zwangs- und strafrecht-lichen Mitteln durchgesetzt. Auf sehr fadenscheinige, heuchlerische Weise, obschon die WHO Sucht per se als eine Krankheit definiert. Ob es nun Fresssucht, Alkoholsucht, Heroin oder Opium-Sucht oder Cannabis-„Missbrauch“ ist. Doch wie sieht die Realität aus? Ein obskures, kafkaeskes Wirrwarr, das jeglicher Logik widerspricht. Klingelt die Polizei, wenn Diabetiker, die Empfehlungen der Ärzte die Rezepturangaben missachten? Sanktioniert und büsst die Polizei Vergehen bei «Ritalin»- oder verschreibungspflichtigem Tablettenmissbrauch? In den USA gab es auf-grund der geldgierigen Pharmaunternehmen und lockeren Verschreibungspolitik von Opiaten wie «Oxytoxin» als Schmerzmittel Hunderttausende von Toten. Eine Katastrophe biblischen Ausmasses, die nur noch von Trumps und Bolsonaros primitiver Corona-Seuchenpolitik übertroffen wurde.

Die Schweiz hinkt hinterher, da liegt wohl daran, dass die Pharmagiganten sich dieses Big Business, einen Markt von über fünf Milliarden Franken nicht entgehen lassen wollen und in Bundesbern dafür lobbyieren, dass ja keine eigentliche Liberalisierung sondern nur eine pharmazeutische Regulierung angestrebt wird. Mit anderen Worten, dürfte es wohl auch weiterhin für Kreti und Pleti verboten bleiben, diese uralte Kulturpflanze im Garten neben die Tomaten und anderen Kräutern anzubauen und zu ernten. Wäre dies der Fall, könnte die Schweiz ein halbes Kernkraftwerk abschalten, wenn die Grower in diesem Land nicht dazu gezwungen wären, die Nutzpflanzen unter Leuchten in Kellern und Industrieanlagen mit einem immensen Strombedarf hochzupäppeln, derweil der Hanf unsere Berg und Lawinenhänge sichern könnte, würde er im grossen Stil draussen anpflanzt.

Gewiss ist nur, dass das grüne Gold, wie fast alles in der Schweiz, von der Pharmaindustrie einträglich zu Kohle gemacht und Cannabis nur auf Rezept medizinisch, klinisch und evtl. erst noch synthetisch gegen teures Geld abgegeben wird. So kosten die derzeit für sehr wenige Personen (rund 3000) legal erhältlichen CBD oder THC-Präparate zwischen 600 bis 800 Franken und die Krankenkassen übernehmen die Kosten erst noch nicht oder nur in den seltensten Fällen.So wird eine dergestalt legalisierte Abgabe den Schwarzmarkt nicht beseitigen. Und der Weg zu einer Sonder-bewilligung ist bisher nur in vier Fällen möglich: bei Spastik wie Multipler Sklerose, bei chronischen Schmerzpatienten, bei HIV-Erkrankungen und bei Krebsleiden nach den Chemotherapien. Da lohnt sich kurz ein Blick zurück in die 80er Jahre.

«Blickt man auf die Heroinkrise in der 80er Jahren zurück, kann man heute sagen, dass die Illegalität und Kriminalisierung den grössten Schaden verursacht hat», sagt Toni Berthel, der als Psychiater die «Eidgenössische Kommission für Suchtfragen» (EKSF) geleitet hat, die inzwischen zur «Eidgenössische Kommission für Sucht und Prävention nicht übertragbarer Krankheiten» (EKSN) umbenannt wurde. Berthel und andere SuchterxpertInnen sind überzeugt, in einer freiheitlichen Gesellschaft brauchen Erwachsene keine «Lebensführungs-BesserwisserInnen», das gelte auch für psychoaktive Substanzen aller Art. Verbote bringen nichts, eine geregelte Abgabe verbunden mit Sucht-Prävention sei der bessere Weg, ist Berthel überzeugt, «eine Drogenfreie Gesellschaft eine Illusion». Zudem sei es nicht haltbar, eine Droge mit geringem Suchtpotential und wenig schädlichen Indikationen wie Cannabis zu verbieten, derweil eine Substanz mit einem so hohem Suchtpotential wie Alkohol blauäugig konsumiert werde. In diesem Punkt sind sich Berthel und der Pharmakopsychologe Boris Quednow, der an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich zu Substanzkonsum und dessen Folgen forscht einig. Auch er ist der Meinung, dass der Konsum so bald wie möglich entkriminalisiert werde, «sonst bestrafe man die Schwerstbetroffenen weiterhin». Aber jede einzelne Substanz einzeln zu regulieren, sei enorm komplex. Und darüber hinaus stellen sich viele wie-tere Fragen ob dann diese Substanzen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten würden und welche Anfor-derungen an die hergestellten Substanzen bestünden.

Also sprechen wir auch über Legalisierungsschritte bei Kokain, von dem in der Schweiz jährlich über fünf Tonnen konsumiert werden. Oder auch über Crystal Meth, LSD und Meskalin. Allerdings sei auch klar, dass man ohne enge Rahmenbedingungen für die Abgabe, sofort die Kontrolle verliert, weil die Tabaklobby oder andere (auch du-biose) Interessenten den Startlöchern stehen. Doch zurück zu Cannabis, welches hier und nun auch im Fokus der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bewilligten Pilotprojekte über einen Zeitraum von drei Jahren (2022 – 2025) im Fokus der Kantone steht. Eine Substanz, die seit Jahrtausenden verwendet wird und ein seit langer Zeit bewiesenes, hohes medizinisches Potential aufweist, wurde zu Unrecht stigmatisiert. Soviel ist heute schon klar. Denn: Der Katalog der Krankheiten, bei denen Cannabis nachweislich eine positive aber keine oder kaum negative Aus-wirkungen hat, schon lange sehr viel weiter. In der Medizin werden THC und CBD daher immer öfters für therapeutische Zwecke eingesetzt, bei Kopfschmerzen und Migräne, Übelkeit oder Erbrechen. Es wirkt Angst lösend, antipsychotisch, lindert Schmerzen bei Nervenverletzungen, hemmt Entzündungen, unterdrückt Muskel-spastiken und Krampfanfälle, stimuliert das Knochenwachstum, senkt den Blutzuckerspiegel und Augeninnendruck und kann auch Krebszellen zerstören. Das ist längst nicht alles, schauen wir uns das reichhaltige Potential dieser halb legalen, halb illegalen Pflanze einmal medizinisch und wissenschaftlich näher an. Israelische ForscherInnen sind weltweit führend bei der Untersuchung von medizinischem Cannabis.

Dr. Raphael Mechoulam, hat vor 50 Jahren THC und später auch CBD entdeckt. Untersuchungen der «Jüdischen Universität» und der «Universität Tel Aviv» haben ergeben, dass THC und CBD die Heilung von Knochenbrüchen fördert und die Lysylhydroxylasen (die zur Knochenheilung nötigen Enzyme) in den Zellen aktivieren können. THC bindet sich im Körper an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2. Beim andocken an die CB1-Rezeptoren, wird die Signalübertragung an die Synapsen beeinflusst, die Informationen an das zentrale und periphere Nervensystem übertragen, worauf sich ein Glücksgefühl einstellt, man entspannter wird und Schmerzen nachlassen. In Israel wurde auch die heilende Wirkung von Cannabis auf Darmkrebszellen und adenomatöse Polypen nachgewiesen. Hier zeigte sich, dass CBG einen Zellstillstand bei Darmkrebszellen und einen apoptotischen Zelltod verursachte. Die häufigste Form von Krebs ist Hautkrebs. also ein Melanom.

THC wirkt gut bei Alzheimer, Diabetes Typ-2, MS und Parkinson

Kommen wir nun zu einer der Haupttodesursachen in der westlichen Welt, Typ-2-Diabetes. Fettleibigkeit ein entscheidender Risikofaktor, der mit der Erkrankung in enger Verbindung steht. Bestimmte Moleküle, die in der Cannabispflanze gebildet werden, können dazu beitragen, die Krankheit zu verhindern und zu therapieren. Bei Typ-1-Diabetes geht es sich um eine genetische Störung, bei der der Körper kein Insulin produzieren kann. Typ-2-Diabetes oder Diabetes mellitus kommt viel häufiger vor und tritt auf, wenn die Bauchspeicheldrüse, nicht genügend Insulin produziert. Ist dies der Fall, kann kein normaler Blutzuckerspiegel aufrecht erhalten werden. Ein in Grossbritannien ansässiges entwickelt derzeit ein Cannabismedikament, das potenziell die Notwendigkeit von Insulininjektionen bei Diabetes ausschaltet. Das Unternehmen hat bereits einen oralen Spray namens «Sativex» auf den Markt gebracht, der gegen die Muskelkrämpfe bei Multipler Sklerose hilft.

Dieses Medikament zielt auf die Verwendung der Cannabinoide CBD und THCV (Tetrahydrocannabivarin) ab, bei denen es sich um Moleküle handelt, die den Blutzuckerspiegel senken und die Insulinproduktion verbessern. THCV ist ein wirkungsvolles Cannabinoid und hat sich zunächst einmal als Appetitzügler erwiesen. Eine Studie, die von der «American Diabetes Association» veröffentlicht wurde, untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von THCV und CBD bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die Forscher, fanden heraus, dass THCV auch die Nüchtern-Plasma-glukose signifikant verringerte. Die Cannabinoide CBD und THC verstärken sich wiederum gegenseitig in ihren therapeutischen Eigenschaften. Cannabigerol (CBG) ist wie Cannabidiol (CBD) ein nicht-psychoaktives Cannabinoid aus der Cannabispflanze. Dabei ist der CBG-Gehalt in der Regel in Indica-Sorten höher als in Sativa-Sorten und wirkt entzündungshemmend, antibakteriell, schmerzlindernd sowie augeninnendrucksenkend. Forscher der «University of Barcelona» haben bewiesen, dass CBG ein partieller Agonist des Cannabinoidrezeptors 2 (CB2) und als Regulator der Endocannabinoid-Signale wirkt.

Italienische Forscher belegten, dass Entzündungen und oxidativer Stress bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Multipler Sklerose eine zentrale Rolle spielt und fanden heraus, dass Cannabis auch neuroprotektive Wirkungen gegen Entzündungen und oxidativen Stress ausübt und so vor dem Verlust neuronaler Zellen schützt. Forscher der «Universidad Complutense» Madrid in Spanien untersuchten die Auswirkungen von CBG und identifizieren Gene, die mit der Huntington-Krankheit in Zusammenhang stehen (z. B. das Gamma-Aminobuttersäure-A-Rezeptors (GABA). Die Untersuchung wurde unter der Aufsicht von WissenschaftlerInnen aus 18 Ländern vorgenommen wurde. Das „Journal of Investigative Dermatology“ publizierte eine Studie, in der Mäuse mit Melanomen mit THC und CBD behandelt wurden und ein internationales Team von Forschern hat herausgefunden, dass diese Stoffe durch Apoptose und Autophagie zum Tod der Krebszellen führen. Unter dem Begriff Autophagie versteht man einen Prozess bei dem die Zelle sich selbst demontiert, um geschädigte Teile loszuwerden.

Die Apoptose ist der natürliche Selbstmord der Zelle. Sie bricht auseinander und dann räumt das Immunsystem den Rest auf. Durch Studien an Tieren konnte gezeigt werden, dass THC und CBD beide Prozesse stimulieren und unterstützen können. Die Forscher nutzten bei ihrer Studie THC und CBD zu gleichen Teilen, so wie bei dem Medikament «Sativex» gegeben, das momentan eine Testphase als Schmerzmedikament für Krebspatienten durchläuft. Die Forscher entdeckten das Potential von Cannabinoiden zur Behandlung von Melanomen bereits im Jahr 2006. Damals fanden sie den CB1- und den CB2-Rezeptor in Melanomzellen. Diese Rezeptoren sind gleichzeitig die Bindungsstellen für THC im menschlichen Körper. Durch die Aktivierung dieser Rezeptoren war es den Forschern möglich das Wachstum der Krebszellen zu verlangsamen, weil durch die Behandlung Apoptose und Autophagie ausgelöst wurden. Wie wir sehen ist das rein medizinische Spektrum der Hanfpflanze enorm, ganz davon abgesehen dass die Pflanze, also die Samen und das Öl sehr gut zur Ernährung sind, weil sie einen überaus hohen Anteil und ein ideales Verhältnis an ungesättigten Fettsäuren und Aminosäuren enthalten.

73 Milliarden Dollar werden Cannabisfirmen nach Schätzungen der US-Firma «Grand View Research» im Jahr 2027 weltweit erwirtschaften. Die auf Cannabis spezialisierte Londoner Firma «Prohibition Partners» schätzen das Marktvolumen für Europa bis 2028 auf 115 Milliarden Euro. Das Umsatzpotential für die Schweiz wird derzeit auf gut fünf Milliarden veranschlagt, es könnte aber sehr viel höher sein. Zurzeit haben kanadische Firmen die Nase vorn, gefolgt von Unternehmen in den USA und in Grossbritannien, aber auch in der Schweiz sind einige schon recht grosse Players am Start. Die Drogenprohibition hat nie funktioniert, das medizinische Potenzial wurde kastriert. Das wissen wir jetzt seit 50 Jahren. Also sollten wir nun zumindest Gras geben, statt mit abstrusen Pilotprojekten wertvolle Zeit verstreichen zu lassen. Die Bevölkerung ist reif genug dafür und will sich auch hier nicht länger bevormunden und für dumm verkaufen lassen.

Die Hanfpflanze hat unbestritten sehr viel medizinisches Potential, dass durchaus auch von der Pharmaindustrie vermehrt genutzt werden sollte. Aber bitte nicht ausschliesslich und unter Diskriminierung derer, die die phyto-medizinischen Qualitäten mit Sonnenlicht und Regenwasser, CO2-neutral mit geringerer THC-Potenz gratis anbauen und jederzeit unbeschwert legal konsumieren wollen, egal, ob als Joint, als Hasch-Keckse oder als Hanföl. Das allein würde schon der Volksgesundheit dienen und der Wirtschaft, als auch dem Staat, der Polizei und Justiz helfen. Steuereinnahmen für Jugendschutz und Prävention, für Staat und Kantone, die Entlastung der Strafver-folgungsbehörden von der sinnlosen Kifferjagd, einen wirtschaftlichen Innovationsschub auch bei Textilien und Baumaterialien. Ein paar Beispiele dazu:

Die Haut ist unser grösstes Organ und dient als Schutzschild gegen Infektionen und Verletzungen. Es ist ein äusserst komplexes Membran mit der Epidermis und den Poren zu oberst, dann in der Derma mit den Talg- und Schweissdrüsen sowie den Haarfolikeln, gefolgt von der Subcutis mit den Adipozyten und dann der Muskelaufbau. Die Lipidschicht ist eine physiochemische Barriere mit antimikrobiellen Eigenschaften die das Hautmikrobiom steuert. Die Talgdrüsen (Sebozyten) tragen mit ihrem fettreichen Talg dazu bei und entscheiden bei unausgewogener Produktion über Akne, ausgetrocknete Haut und weiteren dermatologischen Krankheiten.

Neusten Erkenntnissen zu folge gibt es eine interessante Verbindung zwischen Cannabinoiden und den Stoffwechselvorgängen in der Haut. Bei einer systematischen Untersuchung der Auswirkungen auf die Haut beim Konsum von synthetischen Cannabinoiden, die rezeptfrei gekauft werden können, stellten Wissenschaftler fest, dass es zwischen Cannabinoiden und der Homöostase der Haut eine aktive Wechselwirkung gibt. An der Dermatologischen Universität Münster wurden 2015 erstmals die humanen Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 in den Talgdrüsen nachgewiesen. Eine weitere Forschergruppe fand heraus, dass das Potenzial der Cannabinoide einen erheblichen Einfluss auf die Homöostase der Talgproduktion (Sebum) hat. In einem Experiment wurden die CB2 Rezeptoren gezielt in den Sebozyten ausgeschaltet, was zur Folge hatte, dass die Talgproduktion gedrosselt wurde. Im zweiten Experiment, stellte sich heraus, dass exogen applizierten Endocannabinoide die Lipidproduktion steigern, was die Bedeutung des CB2 Rezeptors in der sebozytischen Lipogenese aufzeigt.

Mit anderen Worten: Das Phyto-Cannabinoid Cannabidiol zeigt klar Anti-Akne Effekte auf, durch eine Normali-sierung der Talgproduktion, vermehrter Proliferation von Keratinozyten und bakteriellen Entzündungen. CBD hemmt die Sebum Lipogenese nicht, sondern sie bringt sie in die richtige Balanace. Auch ätherisches Öl, das aus der Hanfpflanze extrahiert wird, besteht aus einer Vielzahl von Terpenen und antimikrobiellen Eigenschaften gegenüber P.acnes und wirken überdies ebenfalls entzündungshemmend.

Dadurch können bzw. müssen auch die Terpene als weiterer Baustein in der komplexen Wirkung der Hanfpflanze für medizinische Zwecke und gesundheitliche Aspekte vermehrt in den Vordergrund gerückt werden. Überdies haben Cannabinoide auch eine Schlüsselfunktion in der Haut, die nicht nur auf die Immunzellen beschränkt ist. Die modulierende Wirkung ist auch in den Talgdrüsen und vielen anderen Zelltypen wirksam, die phatogene und gefahrassoziierte Erkennungsrezeptoren enthalten. Diese Zellen koordinieren und formulieren die lokalen Immun-antworten und die Produktion von pro- und anti inflammatorischen Mediatoren. Und das alles geschieht unter dem strengen Regime des menschlichen Cannabinoidsystems (ECS), wie die Quelle dieser spannenden Erkenntnisse, Dr. Christian Löfke, Zellbiologe beim Bio-Hanfproduzenten «BioBloom» erklärt.

Kommen wir noch kurz zu einer ganz anderen Verwendung von Hanf: Die Hanffaser wurde schon bei der Schiff-fahrt sehr geschätzt, neuerdings kommt sie auch als Baustoff wieder ins Gespräch und eröffnet ganz neue, nachhaltige Bauweisen für den Bau von Kleinsthäusern bis hin zu Mehrfamilienbauten. Und zwar beim Boden, bei den Innen- und Aussenwänden, bei den Zwischendecken bis hin zum Dach können die hervorragenden, atmungsaktiven Dämmstoffe eingesetzt werden. Da gibt es zunächst einmal den Hanfkalk für die Aussenwände, der sehr flexibel bei verschiedensten Konstruktionen eingesetzt werden kann. Man kann den Hanf in beliebig grosse Blöcke (wie Ziegelsteine) verbauen oder auch ganze Wände und Böden massgeschneidert damit konstruieren. Hanflehm kommt wegen der hervorragenden ther-mischen Masse in den Innenwänden und im Fussbodenaufbau zur Anwendung.

Hanfwolle glänzt durch aussergewöhnliche Dämmeigenschaften bei gleichzeitig hoher Leichtigkeit und Zähigkeit. Hanfvlies wiederum ist ein guter Trittschalldämmer. Und mit dem Hanfkalk erschliessen sich ganz neue, nachhal-tige Einsatzmöglichkeiten in der Bau- und Holzindustrie.So kann man zum Beispiel auch ein Bauernhaus mit Holzfachwerk komplett restaurieren und die Aussenwände mit Hanfkalk abdichten. Der notabene alle Energie-standards erfüllt ohne zusätzliche Verwendung von anderen Dämmstoffen. Hanfkalk entsteht aus Hanfschäben (gehäckselte Hanfstengel) die schon als Tierstreu verwendet werden und unter Beigabe von Kalk und Wasser ergibt sich dann eine Art Naturbeton. Das Verfahren lässt sich auch mit Lehm statt mit Kalk machen, wodurch die Bau-weise wiederum für viele andere Weltregioinen erschlossen werden könnte. Für ein kleines Häuschen braucht es dazu etwa zwei Tonnen Hanfschäben und –fasern, ein Einfamilienhaus benötigt schon mal 15 Tonnen Hanfschäben und vier Tonnen Hanffasern. 

Fazit: Angesichts all dieser Fakten und der vielfälltigen Verwendungszwecke der Hanfpflanze, wäre es an der Zeit, den Hanfkonsum unter Berücksichtigung des Jugendschutzes zu legalisieren und das unglaublich vielfälltige medizinische Potential der Cannabinoide als auch die nachhaltigen Bausstoffe weltweit zu nutzen.

10. Asoziale Medienmogule, Big Data, KI, & Whistleblower

Die Rolle aller Medien und Quellen kritisch hinterfragen

Im Schlusskapitel möchte ich Sie noch auf eine zeitgenössische und futuristische Reise mitnehmen und mit Ihnen die Errungenschaften und Gefahren der Digitalisierung, die Glaubwürdigkeit der Medien und die disruptive Spaltung der Gesellschaft durch selbst ernannte Gurus, (a)soziale Fake-News und Filterblasen hinterfragen und reflektieren. Das führt auch zum Thema „Wer entscheidet: Mensch oder Maschine?“, eine Frage, die ich anhand einer militärischen und einer zivilen Flugzeugkatastrophe (Abschuss eines iranischen Airbus und der Kollision in Überlingen) aufzeigen und zur kritischen Debatte stellen möchte. Im letzten Abschnitt kommen die Whistleblower zur Sprache, denen wir viel zu verdanken haben, die aber nach wie vor keinen adäquaten Schutz geniessen.

«Big Brother is watching you!». Dieser Spruch und die entsprechenden Posters mit Uncle Sam, die damals in den 80er Jahren die Runde machten, haben sich bei mir als liberaler, freiheitsliebender Anarchist schon früh ins Gedächnis eingeprägt. Der «Fichenskandal» zu Beginn der 90er Jahre in der Schweiz, hat das groteske Ausmass der Überwachung „Andersdenkender“, als auch die faschistoide Einstellung und undifferenzierte Vorgehensweise der Staatsspione und Ermittler aufgedeckt. Mit der Digitalisierung begann das Zeitalter der Massenüberwachung und permanenten Einflussnahme auf unser Privatleben, als auch der maschinell trainierten Selbstoptimierung.

Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist zum reinen Optimierungsobjekt und zur Massenware verkommen. Was sich als technologischer „Segen“ über die Menschheit seither ergoss, hat sich in ein Diktat der digitalen Weltherrschaft einiger weniger privater Akteure verwandelt, weil es mit der Medienmündigkeit und dem logischen Menschenverstand weiterhin radikal bergabgeht und die Politik es verschlafen hat, den Techgiganten und Datenschürfern ein Korsett zu verpassen. Im Schlusskapitel möchte ich daher noch eine etwas gruselige Entdeckungsreise durch die Welt von Big Data, Künstlicher Intelligenz (KI) vollziehen und einen kritischen Blick auf die (a)sozielen Medien werfen, die unser aller Leben so stark beeinflussen. Wie so oft sind neue Technologien hilfreich und gut, werden aber letztlich zumeist in disruptiver Art und Weise eingesetzt und kommmerzialisiert.

In den Nullerjahren begannen die Unternehmen mit Big Data die Vermarktung ihrer Produkte über die digitalen Kanäle zu intensivieren, vom Wunsch beseelt, den Umsatz zu steigern. Seither wird nicht nur unser Kaufverhalten, unsere Klicks hier und dort, sondern all unsere Aktivitäten, Bewegungen, Konsumgewohnheiten und Kontakte ganz genau verfolgt und mit anderen Datenquellen vervollständigt. Unsere Telefonate und Chats werden ebenso minituös überwacht, mitgeschnitten, übersetzt sowie ausgewertet, wie mit wem wir interagieren und wohin wir gehen, fahren oder fliegen und mit wem wir uns über was austauschen. Ist das nicht beängstigend? Allein die Publikation einiger meiner Buchkapitel rief tausende von Boots auf den Plan, die sich auf meiner Webseite anmeldeten, um jeden weiteren Bericht minitiuös zu überwachen. China, Russland, der Iran und die USA waren dabei besonders intensiv vertreten, aber auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und das Schweizer Pendent waren vertreten.

Es scheint mir, als hätten viele Smart-Phone-Zombies und PC-Junkies ihre kognitiven und zwischenmenschlichen Fähigkeiten verloren und sind zu digitalen Sklavinnen und Sklaven mutiert, die stehts auf das den Bildschirm fokussiert sind und nicht mehr fähig sind, über den (eigenen) Horizont hinaus zu sehen. Augenfällig ist, dass sich die Sichtweise der Menschen auf ein kleines Display 30 cm vor den Augen und einen ebenso reduzierten Horizont fokussiert hat und die meisten ständig wie blöd auf dem Smart Phone herum wischen, statt einem interessanten Dialog ins Auge zu sehen, die Umgebung wahrzunehmen, mit anderen Menschen zu sprechen oder ein wenig zu flirten. Interessante Begegnungen im öffentlichen Verkehr sind weitgehend verloren gegangen, fast alle starren nur noch wie hypnotisiert auf ihr Display, als wären sie Teil der Maschine. Kein Wunder unterscheiden wir uns in der Masse kaum mehr von digitalen und fremdgesteuerten Robotern, die entweder nach „Schema F“ funktionieren, ziemlich abgestumpft sind und letztlich mit Burnouts und anderen Symptomen ausgemustert werden. Aber das ist ja nur die Spitze des Eisberges.

Wut, Hass, Denunziation und Fake News beherrschen das Kommunikations-Klima in den (a)sozialen Medien und schüren den Zwiespalt im Alltag. Das führt zur Lagerbildung und Wagenburg-Mentalität, die Filterblasen verhindern einen echten Diskurs und die Dialogbereitschaft, die es in der Gesellschaft und Gemeinschaft braucht. Die Corona Pandemie hat die Kluft verstärkt. Ein vernünftiger Austausch zwischen den Pole-Positionen kommt kaum mehr zustande. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Diskreditierung von anders denkenden Menschen als billiger Ersatz für eine seriöse, fundierte und lösungsorietierte Sach- und Medien-Politik verwendet wird. Vieles steht derzeit auf dem Prüfstand: Das Menschenbild, die Geschlechterrollen, die Welt- und die Wirtschaftsordnung, der Generationenvertrag und der Wohlfahrtsstaat, die Menschen- und die Grundrechte sowie mit dem nicht bewältigten Klimawandel das Fortbestehen der Menschheit an und für sich.

Da ich Anfang der 90 Jahre eine Public Relation Ausbilung gemacht habe und von Anbeginn politische Mandate mitbetreute, bevor ich mich als unabhängiger Journalist selbständig machte und den Spagat schaffte, einerseits eine Presse- und Bildagentur aufzubauen, als auch eine PR-Agentur für Mandate im Tourismus (Ländervertretungen, Tourismus-Regionen, Fluggesellschaften und Hotels) zu gründen, weiss ich wie Weisswäsche und Schönfärberei bzw. politische Einflussnahme mittels Lobbying funktioniert und konnte entsprechende PR-Strategien auch hinterfragen und sie als unabhängiger Medienschaffender entlarven oder kritisieren. Daher möchte ich dieses Kapitel mit dem Niedergang des klassischen Journalismus und der einstigen Medienvielfalt beginnen und dann auch die Auswirkungen durch die (a)sozialen Medien, disruptive Medienmogule, aber auch unser aller Medien-Konsumverhalten und die Medienunmündigkeit eingehen.

Machtmonopol-Missbrauch & Medien-Misstrauen

Als ich im Herbst 1986 nach dem Reportagekurs mit dem „Enfant Terrible“ der Schweizer Medienlandschaft, mit dem Historiker, Schriftsteller und Skandal-Autor Niklaus Meienberg meinen ersten Artikel über die unmenschlichen Zustände in der Asylanten-Empfangsstelle Kreuzlingen, in der damals noch renommierten «Weltwoche» publizierte, begann für mich der Startschuss für eine journalistische Laufbahn. Damals gab es noch in jeder grösseren Schweizer Stadt mindestens zwei Tageszeitungen, die sich konkurrenzierten oder ergänzten. Die Anzahl kritischer Zeitungen, Magazine und Fachpublikationen war damals extrem viel höher in allen Bereichen des Lebens, der politischen Meinungsvielfalt und der Medienbildung. Rasch baute ich mir auch durch meine Passion für die Pressefotografie ein umfangreiches Netzwerk zu den führenden Presse- und Bildagenturen in Europa auf, wie «action press», «agence france press», «Keystone», «dpa», «Ringer Bild Dokumentation (RDB)», «Big Pictures». Fast alle dieser Agenturen sind von der Bildfläche verschwunden, das Bildagenturgeschäft haben die Online-Plattformen wie «Adobe», «Alamy», «Fotolia», «Shutterstock», «Getty Images» übernommen. Damals, bei den Agenturen gab es noch Bildhonorare zwischen 50 bis 200 Franken bei Tageszeitungen und erheblich mehr bei renommierten Magazinen. Heute bekommt man noch zwischen 30 bis 60 Cents für ein Bild – auch wenn es eine Luftaufnahme in Polynesien ist. Von den zahlreichen Reise-Hochglanzmagazinen, wie «Animan» «Globo», «Relax & Style» usw. existiert keines mehr. Eigene Korrespondenten und/oder ein Heer von freischaffenden Journalisten, auch das sind tempi passati. Erst kam «Google», dann die ersten Online-Medien und schliesslich die Sozialen Plattformen, die den klassischen Zeitungen und vielen phänomenalen Publikationen den Garaus gemacht haben, weil die Werbeeinnahmen zu den ausländischen Tech-Giganten abflossen. Auch die einstigen Big-Players im Anzeigengeschäft wie «Publicitas», «ASSA» und «Ofa» sind Vergangenheit. Das führte zur Medienkonzentration und Ausdünnung der Presselandschaft, als auch zu einer grösseren Abhängigkeit von PR-Inhalten und damit verbunden zu einer Schwemme unkritischer Information sowie zu disruptiven Medienmogulen und medialen Machtkonzentrationen in vielen Ländern. Ein Beispiel:

Rupert Murdoch ist, einer der übelsten Strippenzieher bei der Spaltung der Gesellschaft in Grossbritannien und in den USA, er war an vorderster Front ein leidenschaftlicher Irak-Kriegstreiber und ist auch ein bekennender Klimaskeptiker wie Donald Trump. So unterstützten er und seine Medien nach dem Niedergang der Konservativen in Grossbritannien den Kurs der Regierung von Toni Blair, der ein Referendum über den Euro Beitritt Grossbritaniens im Wahlkampf 1997 versprach. Unter anderem wird Murdoch vorgeworfen, dass Fox TV und die 175 Zeitungen der «News Corporation» im Vorfeld des Irak-Krieges eine euroskeptische Grundhaltung eingenommen hätten. «The Sun» und die 2011 eingestellte «News of the world» waren für ihre EU-kritische und anti-deutsche Haltung bekannt. «Fox TV» wurde immer wieder wegen einseitiger Parteinahme zugunsten der Regierung Bush kritisiert. 2007 räumte Murdoch in einem Interview am «World Economic Forum» in Davos öffentlich ein, dass er aktiv versucht habe, die öffentliche Meinung zu Gunsten George W. Bush Nahost-Politik zu beeinflussen. Murdoch war öfters bei Blair, als der britische Aus-senminister oder andere Regierungsmitglieder in der heissen Phase und Debatte zum Kriegseintritt Grossbritan-niens in Allianz mit den USA. Murdoch hat Blair dazu gedrängt sich auf die Seite der USA zu schlagen.

Erst desavouirten Murdochs Boulevardmedien unter der Thatcher-Regierung alle Minister der Labour Regierung mit Schmutzkampagnen und brachten so die Torries an die Macht. Unter Cameron kam es dann zur Aufdeckung eines gigantischen Abhörskandals der «News of the world“. Der Journalist Nick Davis hat 2009 die Hintergründe des Abhörskandals im «The Guardian» publiziert. Ihm zufolge wurden systematisch Hunderte von Politikern und Prominenten jahrelang ausspioniert, überwacht, erpresst und bestochen. Vier britische Premierminister wurden schliesslich zum «Leveson-Untersuchungsausschuss» eingeladen. Dort erfuht man dann, dass Murdoch auch Nigel Farage von der «UKIP» dazu ermunterte, den Brexit weiter zu forcieren und es so geschafft hat, die britische Gesellschaft stark zu spalten.

Medien-Mogule wie Murdoch stellen eine echte Gefahr für liberale Demokratien dar – ohne ihn hätte es keinen «Brexit» gegeben, sind sich Politiker und Politologen einig. Der «Brexit» war der Höhepunkt Murdochs Macht in Grossbritannien und mit «FOX NEWS» hat er Trump gross gemacht und zum Präsidenten befördert – nicht die Russen. Yvanka Trump verwaltete offenbar die Vermögen von Murdochs Töchtern – so kam der Kontakt zwischen den beiden apokalyptischen Alphatieren zustande. Erst war Murdoch von Trump nicht begeistert, bald aber er erkannte Trumps Potential für seine Zwecke. Das Treffen der Stammeshäuptlinge fand 2006 in Schottland auf dem Golfplatz statt. Dort entschied Rupert sich für Trump statt für Hillary Clinton. Der Rest ist Geschichte. Trump wäre ohne die Hilfe von «Fox News» nie Präsident geworden, soviel steht fest. Murdoch ist damit direkt verantwortlich für die politische und gesellschaftliche Verseuchung. Er verlieh den Rechtsradikalen und Ultranationalisten eine Stimme. Auch hier zeigt sich dass die Brandstifter und Strippenzieher unbehelligt davon kommen und der „Pöbel“ bestraft wird, wie die Festnahmen und juristische Aufarbeitung nach dem Sturm auf das Capitol einmal mehr offenbaren.

Das ist aber nur eines von vielen Beispielen der politischen Einflussnahme durch Printmedien-Mogule, ein Virus der sich mittlerweile quer durch die ganze Presselandschaft in Europa hindurchzieht, von Grossbritannien über Italien, Österreich und Ungarn und natürlich auch in der Schweiz, ganz zu schweigen von den autokratischen Staaten und Pressezensur-Weltmeistern wie China und Russland. Die USA und Donald Trump haben es gerade auf die Spitze getrieben, aber der disruptive Medien-Dämon ist rund um die Welt im Dauereinsatz, dirigiert die Regierungen vor sich her und spaltet die Gesellschaft. Wir sind zwar mediengeil aber nicht medienmündig geworden – und die meisten verlieren sich bei der Verwendung dieser perfiden Techno-Tools, in der Endlosschlaufe der Filterblasen samt perfider Einflussnahme.

Schuld daran ist einerseits die Kanibalisierung der klassischen Medien durch die Online-Plattformen, die dem kritischen und unabhängigen Journalismus konstant das Wasser abgegraben haben, dann die alles durchdringende Banalisierung der Inhalte durch die Gratiszeitungen, die über Null-Tiefgang oder Breite verfügen und schliesslich unserem unkritischen Medienkonsum.

Der Fluch von Big Data und unsere vorsätzliche Fahrlässigkeit mit unserem Datenumgang

Big Data hat sich als Treibstoff des Informationskapitalismus etabliert und damit die Diktatur der Techgiganten und Informationseliten zementiert, weil die Abieter über die Daten und Schlüsseltechnologien zur Analyse verfügen. Umso tragischer ist unsere sorglose Gleichgültigkeit gegenüber der exzessiven Datensammelwut jeder Art. Damit müssten sich insbesondere alle Corona-ImpfgegnerInnen unter den Freiheitsgeistern längst so intensiv befassen, wie mit dem neuen Impfstoff. Die Gefahr, dass der Dreiklang aus Informations-, Gefühls- und Verhaltenskontrolle sumarum zu einer Risikotechnologie für unsere Gesellschaft, Freiheit und Demokratie und zu geistiger Armut und Herdentrieb führt, ist mehr als real. Das hat nicht nur der Sturm auf das Capitol bewiesen. Die Big Data Mogule und Datenkraken wie «Google», «Amazon», Facebook», Twitter» und Co, entziehen sich staatlicher Kontrolle. Regeln für die Informationsökonomie bestehen kaum. Genauso wenig gibt es eine geselschaftliche oder politische Optik und Strategie für den Umgang mit Big Data und intelligenten Maschinen. Sind wir denn alle vom kollektiven Wahnsinn umzingelt? Gewiss ist eines: wir sind Teil und zumeist passive Akteure der aktiven Kollaborateure des kollektiven Irrsinns. Wir nehmen es einfach so hin, dass unsere grundlegenden Menschenrechte und das Recht auf Privatsphäre ausgehebelt und unsere Daten völlig unnachvollziehbar fremdgesteuert kursieren und äusserst intransparent ausgeschlachtet werden. Wir steuern mit unseren bedenkenlosen Blogs und Beiträgen fleissig zur Goldgräberstimmung der Tech-Giganten und zugleich zur taktischen und politischen Vernebelung bei. Dabei wird immer klarer ersichtlich, dass intelligente Maschinen unseren Alltag und die Gesellschaft zunehmend radikal verändern werden, sowohl im zwischenmenschlichen Umgang, als auch unsere Werte- und Rechtssysteme als auch die Staatsformen und Kommunikation beeinflussen oder zerstören werden.

Jene Industrien, die Big Data Produkte mit Totalüberwachung zur Marktreife bringen, haben keine Gewissensbisse und kennen keine Grenzen, wenn es um lukrative Geschäfte geht. George Orwell lässt hämisch grüssen! Seine damals schon gruseligen, dystopischen Fiktionen, wurden bei weitem übertroffen, fast geräuschlos hat sich der Informationskapitalismus in unsere Grundfeste und in unser Leben eingeschlichen und das Hypertasking ist zu einem grotesken Hype verkommen. Bei der regelmässigen Beobachtung, wie flüchtig die User übers Display wischen und herumzappen und wie oberflächlich die Infos sind, wird mir übel. Immer mehr Daten sollen unseren Lifestyle verbessern beziehungsweise optimieren, nach dem Motto: Hedonismus, Egoismus und Subjektivismus sind gut. Me, myself and I. What else? So funktioniert die Indoktrination mit faschistischen Ideologien und pseuydo-religiösen Manifesten am Besten. Die Spaltung der Gesellschaft hat sich schon in erschreckend disruptivem Mass vollzogen. Der Angriff auf die Solidarität der Gemeinschaft ist erschreckend weit fortgeschritten, die Alarmglocken schrillen, aber keiner hört hin. Wie beim Klimawandel wird auch dieses Problem gerne verdrängt. In der Tat ist asketisches Verhalten im Umgang mit Smartphones, Chats, Communities zum Karriere-Killer geworden und die, die es tun erleben eine unheimlich Stille rund um das geräuschvolle Gebrüll, im Blog-, Multi- und Hypertasking-Zeitalter. Man ist sozusagen schon tot aber noch nicht ordentlich entsorgt. Wer nicht mitmacht, fällt aus der hyperisierten und automatisierten Gesellschaft heraus.

Hält man sich vor Augen, dass Big Data proaktiv lernende, intelligente Systeme mit Augen und Ohren für alles sind, dass sich aber kein Mensch mehr die Mühe macht, die Prozesse und Resultate zu hinterfragen. Auch muss man sich fragen ab wann künstliches Leben den Objektcharakter des Erschaffenene verliert und zum Subjekt wird, dem ebenfalls mehr Rechte und Freiheiten eingeräumt werden. Die Grenzen zwischenmenschlicher und künstlicher Intelligenz beginnen zu verschmelzen und das nicht nur beim Bio-Enhancement, die Fortschritte in der Anthropotechnik sind enorm. Damit löst sich nicht nur das christlich-kantische Modell sondern auch die Rechtsordnungen auf, die auf eben dieser Dichtomie, dem dualistischen System von Subjekt versus Objekt aufbauen. Wir sind aber leider nicht einfach Opfer, sondern sehr aktive MittäterInnen. Es liegt in unserer Hand, wie naiv wir bleiben wollen und bei ganzen Datenkraken-Zirkus munter mitmachen. Persönlich habe ich schon 2013 alle Social-Media Aktivitäten beendet und benutze auch auf dem Smart-Phone kein einziges App und schon gar nicht ist «Google» aktiviert. Das führt zwar einerseits zu einer Isolation und Abschottung, andererseits begünstig es die Weit- und Scharfsicht durch eine fokussiertere An- und Einsicht, als auch eine gewisse Gelassenheit und erhöhte Dialogbereitschaft infolge der nicht ständig reizüberfluteten Echokammern–Apokalypse.

Im Takt unseres Pulsschlages geben wir unser Innerstes preis und auch wenn wir noch so viel Kontrolle wie möglich ausüben, was wir preisgeben, können wir uns dem Diktat der Ausforschung nicht mehr entziehen. Die Güte der Systeme, die Beschaffenheit der über uns erhobenen Daten und die daraus gewonnen Erkenntnisse bleiben im Verborgen und können von uns nicht verifiziert werden. Leider ist auch unwissenschaftliches Vorgehen im Umgang mit den erhobenen Daten eher die Regel als die Ausnahme. Die Primärdaten, die wir selbst preisgeben, werden mit Sekundärdaten, also anderweitigen Hinweisen und Spuren die wir digital hinterlassen haben verknüpft. Die Quellen werden von Sensoren überwacht und in diesem Sinne ist jeder der den Spion mit dem Smartphone in der Tasche trägt selbst eine Quelle der Datenfusion, wenn Telefonate, Chats, Kalender, Internet abgesaugt und von unbekannten Mächten ausgewertert werden. Da man nicht genau weiss, wer welche Daten wie erhebt und an wen weiter gibt darüber hinaus zumeist nicht bekannt ist, was sich daraus letztlich ergibt, hat man auch keinen Einfluss auf Falschbewertungen und Fehleinschätzungen – und das kann sich höchst fatal auswirken. So gesehen müssten sich alle freiheitsliebenden (Corona-ImpfgegnerInnen) schon seit gut zehn Jahren von ihrem Smartphone getrennt haben.

Umso mehr, als das Leben vielschichtiger, komplexer und gefühlsbetont ist, als algorythmische Logikrätsel, können zum Beispiel die erhobenen Daten veraltet, aus fragwürdigen Quellen stammen, falsch, gefälscht oder unvollständig sein und so das Bild komplett verzerren. Wollen wir das zulassen? Im Gegensatz zur bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Individualisierung, sind es nun die intelligenten Maschinen, die uns zu standardisierten Menschen machen und je nach dem auch falsch klassifizieren und einordnen mit zuweilen fatalen Folgen. Ferner muss man wissen, dass die Datenfusion einer kontinuierlichen Anpassung unterworfen ist, weil sich die Welt rasch verändert und die Daten-menge exponentiell anwächst. Die Anpassung kann auf zwei Arten erfolgen, entweder der Daten-Scientist passt die Algorythmen selbst an oder bei der künstlichen Intelligenz, die Maschine passt sich den veränderten Bedingungen selbst an. Dass dieser Anpassungsprozess so fehlerhaft, wie der Mensch oder das menschliche Gehirn ist, sollte uns bewusst sein. Nützt uns aber herzlich wenig, weil wir und auch die Staaten kaum oder keinen Einfluss mehr über diesen Geschäftszweig haben. Lernende Maschinen sind reine Optimierer, bei Handelsgeschäften mag das ja noch durchgehen, ganz anders ist die Situation aber, wenn man Rückschlüsse auf Verhaltensprognosen von Individuen diesem starren Schema unterwirft. Bedeutet die zunehmende Quantifizierung und Vermessung etwa, dass wir uns lediglich genauer irren und dafür Werte wie Menschlichkeit, Zuneigung, emphatie dafür opfern?

So hat «Google» längst nicht nur das Internet aus dem Weltraum für infrastrukturschwache, abgelegene Regionen geschaffen sondern gleichzeitig auch die militärische Schlüsseltechnologie zur Überwachung aus dem Weltraum, denn die Google»-Drohnen sind «HALE» Drohnen und fliegen in einer Höhe von gut 20 Kilometern über die Erde hinweg. «Googles» Drohnen können jahrelang über jeder beliebigen Zone der Welt kreisen und sind mit herkömmlichen Luftverteidigungssystemen nicht zu bekämpfen, denn durch ihre feine Struktur sind sie kaum dedektierbar. So eine «HALE»-Drohne ist der Traum jedes Diktators und vieler Staaten, die Hoheit liegt aber bei einem privaten Unternehmen und das ist in vielen Bereichen der Big Data Schlüsseltechnologien heute so; gewisse Unternehmen haben heute mehr macht als einflussreiche Staaten, auch das sollte uns zu denken geben und Sorgen bereiten.

Die Auswüchse und fatalen Folgen fehlgeleiteter Algorythmen für die Weltbevölkerung lässt sich erstmals in gros-sem Stil an der Bankenkrise von 2008 erkennen. Bis dahin täuschten die finanzmathematischen Modelle vor, Verlustrisiken von Wertpapieren pulverisieren zu können, was aber nicht geschah und das Kartenhaus-System zusammenbrach. Dann hatten wir den «Wirecard-Skandal» ein ähnliches Konstrukt, das auf Luftschlössern und dreistem Betrug im grandiosen Ausmass fusste. Hat die Finanzindustrie oder die Welt was gelernt? Nein, denn der Zusammenbruch des Finanzsystems aufgrund der Kapitalakkumulation war 2008 plötzlich «too big to fail» geworden, was ein fatales Signal an die Turbo-Kapitalisten aussendete. „Macht einfach weiter so, aber macht es ein bisschen besser“, lautete die Message. Ja, Halleluja, so sind der Hochfrequenzhandel und das Kapitalsystem weiterhin tickende Zeitbomben und die Gier-Mentalität hat einen abgrundtiefen und Graben und irreparablen Bruch durch die Gesellschaft gerissen.

Als die Queen 2008 der «School of Economics» einen Besuch abstattete, fragte die Monarchin, weshalb die Wissenschaftler das globale Bankenbeben nicht hatten kommen sehen. Ein halbes Jahr später erhielt die Queen von den zwei Wissenschaftlern Tim Besley und Peter Hennessy die Antwort, die folgerndermassen lautete: „Das Unvermögen, den Zeitpunkt, dass Ausmass und die Schwere der Kriste vorherzusagen und ihr zuvorzukommen, hatte zahlreiche Ursachen, doch insbesondere haben viele intelligente Menschen national und internationals kollektiv versagt, als es darum ging, die systemischen Risiken für das ganze System zu begreifen.“ Dieses Fazit lässt sich ebensogut auf weitere grosse Skandale («Wirecard»/«1MbdFund») aber auch auf den Klimawandel und den Umgang der Menschheit mit ihrem übergrossen Fussabdruck anwenden. Es ist immer wieder dieselbe Leier. Leider.

Früher hiess es, Gott sieht alles, aber auch das ist passé. Gott wurde durch eine Tech-Dreigestirn ersetzt: die «NSA» sieht alles, «Google» weiss alles und «Apple» hört alles mit. Nur, wenn Privat-Unternehmen sich schon über die Hoheit von Staaten und Gesetzen stellen und unsere Grundrechte missachten, was kommt da noch auf uns zu? Und wo führt das hin, wenn die ständige Pflichterfüllung, bedingungsloser Gehorsam, stete Optimierung und ein stromlinienförmiges, konformes und steriotypes Verhalten zur Hybris unseres Daseins wird. Sind wir blind, taub oder einfach fahrlässig blöd, um das ganze Spiel einfach so mitzumachen und uns selbst abzuschaffen? Das ist doch komplett schizophren! Denken wir doch daran, dass ein Staat per Dekret oder eine fremde Macht durch Spionage und Sabotage, als auch Verbrecherbanden an unsere Daten herankommen. Es ist auch kein Wunder, dass sich die Spaltung der Gesellschaft durch die Digitalisierung extrem verschärft hat, dass Wahlen mit Boots manipuliert werden und soviele auf den social medias auf die irrsten Fake-News reinfallen, von Verschwörungsfanatikern gesteuert den Faschisten angeheizt und Sektieren abgesegnet werden. De Facto haben wir nun tag täglich einen globalen psychologischen Holocaust und Gehirnwäsche in fragmentierten Scheiben und Tranchen. Je intelligenter die Maschinen werden, umso dümmer und unkritischer wir werden, weil wir genau genommen gar nichts mehr verstehen und uns dem Sog oder der Magie der digitalen Götter und ihren Dämonen nicht mehr entziehen können.

Mensch oder Maschine – wer ist überlegen? Wer trifft die Entscheidungen?

Ein Beispiel von Big Data im militärischen Einsatz mit tödlichen Irrtümern und Konsequenzen gefällig? Ende August 1988 sollte der neun jährige Krieg zwischen dem Iran und dem Irak mit einigen Hundertausend Toten zu Ende gehen. Seit Jahren griffen die Kriegsparteien immer wieder zivile Öltanker am Persischen Golf an. Nach der Bitte Kuweits an die USA um Geleitschutz, begannen die amerikanischen Truppen Tankereskorten einzusetzen. Ins-gesamt waren sechs NATO-Staaten bei dieser Operation beteiligt, um die Strasse von Hormus frei zu halten. Vor Ort war auch der US Kreuzer «USS Vincennes», der über ein vollständiges Luftabwehrsystem aus damals modernsten Radars, umfangreicher Luftabwehrbewaffnung und eigener Luftaufklärungszentrale an Bord verfügte. Im «Combat Information Center» (CIC) laufen alle Fäden zusammen. Das High Tech Radar System «Aegis» hat die Aufgabe, komplexe Luftkämpfe mit bis zu 200 Flugzeugen in Echtzeit auszuwerten und eine grosse Anzahl Bedrohungen einzusortieren, sei es durch Raketen vom Boden aus abgeschossen oder zur Erkennung feindlicher Flugzeuge, deren Bewaffnung, Kurs und weitere überlebenswichtige Details.

Ebenfalls vor Ort war die «US Montgomery», die der Kapitän der «US Vincennes» zur Unterstützung bei einem Gefecht angefordert hat. Die «US Montgomery verfügte zwar nicht über dieselbe hochstehende Luftaufklärungsausrüstung, konnte aber durch einen «Link-II-Datenlink» taktische Informationen mit der «US Vincennes» austauschen und war so in der Lage, dasselbe Echtzeit-Lagebild des «Aegis»-Systems des Schwesterschiffes auf ihrem «CIC» und den zahlreichen Monitoren zu sehen.

Derweil die «US Montgomery» von einem feindlichen Boot am 3. Juli 1988 angegriffen wurde tauchte auch ein Flugobjekt am Himmel auf, das vom Iran aus gestartet war. Zur Identifikation von feindlichen Flugzeugen werden Handbücher mit zivilen Flugplänen, «IFF Codes» und weitere Angaben konsultiert. «IFF» steht für «Identification, Friend or Foe». Automatisch kam die Antwort, des «Squark Mode», vom Transponder des Flugzeuges zurück. Ein «Squark Mode», der mit II startet, deutet auf ein militärische Flugzeug hin, ein «Squark», der mit III beginnt, auf ein ziviles Luftfahrzeug hin. Was sich dann abspielte ist eine Abfolge von Chaos, Software-Problemen und Desinformation, die zu einem der tragischsten Flugverkehrsunglücke – vor dem Abschuss eine KLM Maschine durch die Russen in der Ukraine am 17. Juli 2014 zählte, bei dem getroffen wurde und 298 Menschen starben.

Um 10.17 hatte Kapitän Mohsen Rezaian den kurzen Routine-Flug von Bandar Abbas nach Dubai gestartet mit 290 Mekka-Pilgern an Bord. Die nur 120 Meilen Flugstrecke erforderten einen kurzen Anstieg der zivilen Verkehrs-maschine vom Typ Airbus 320. Zum Verhängnis wurde dem Flug der Iran Air 655 wohl, dass am Tag zuvor aufgrund der militärischen Luftaufklärung auch Militärmaschinen auf dem Flughafen Bandar Abbas gelandet waren. Als der weisse Punkt auf dem Radar der «US Vincennes» auftaucht und die Verkehrsmaschine nicht auf die Warnungen des US-Marine-Officers hörte und das «Aegis»-System das Flugzeug irrtümlicherweise als ein «IFF Model II», also einen Kampfjet einstufte, eskalierte die Situation. Da offensichtlich auch ein Feuerleitstrahl die iranische Maschine nicht zum Abdrehen bewog, kam es zum Abschuss und über 290 Menschen verloren ihr Leben.

Was war die Ursache dafür? Darüber gibt der «Fogarty-Bericht» der parlamentarischen Untersuchung Aufschluss. Aus den Analysen der Black Box der «US Vincennes» geht hervor, dass das «Aegis»-System fehlerfrei arbeitete. Woher rührten daher dann die Falschmeldungen und Fehlinterpretationen, die Kapitän Rodgers zum Feuerbefehl veranlassten? Zunächst einmal ist klar, dass wenn ein System in Echtzeit mehrere Dutzend bis hin zu Hunderten von Flugzeugen erfassen und einstufen muss, es sich dabei um ein äusserst komplexes und daher auch fehlerhaftes System handelt. Wenn dieses System oder die Software beginnt eigene Entscheidungen zu treffen und aus den Folgen der Beobachtung Konsequenzen zieht, kann es als durchaus intelligent betrachtet werden und ist dem Menschen weit überlegen, hat aber genaus so seine Tücken und Fehler. Die «US-Vincennes» war zum Zeitpunkt des Flugzeugabschusses in ein Gefecht mit iranischen Kanonenbooten verwickelt und befand sich in iranischen Hoheitsgewässern. Nach Angaben der US-Regierung war das Flugzeug ja von der Schiffsbesatzung als eine angreifende feindliche «F-14 Tomcat» identifiziert worden. Der Airbus wurde durch eine automatische Anfrage der «US-Vincennes» beim Transponder der Linienmaschine jedoch als Zivilflugzeug erkannt.

Die Besatzung der Vincennes entschied sich, der Meldung des Aegis-Systems zu glauben. Nach Angaben der USA wurden sieben Warnungen auf verschiedenen militärischen Frequenzen an das Flugzeug gesendet, doch die vermutete Tomcat antwortete nicht. Auf der zivilen Notfunkfrequenz seien drei Kontaktversuche unternommen worden, die iranische Besatzung meldete sich nicht, da sie eine andere Geschwindigkeit flog, als das von der USS Vincennes angerufene „unidentifizierte iranische Flugzeug“. David Carlson, Kommandant eines weiteren in der Nähe befindlichen amerikanischen Kriegsschiffs, sagte, dass er sich wunderte, als die USS-Vincennes die Absicht ver-kündete, eine zivile Linienmaschine abzuschiessen. Nach der Untersuchung des Unfalls wurde bekannt, dass drei Faktoren die Ursache für das Unglück seien: 1. Das «Aegis»-System arbeitete fehlerhaft. 2. Die nachrichtendienst-lichen Informationen waren falsch, die Quellen unzuverlässig. 3. Die Combat-Einsatzszentrale der USS Vincennes traf eine fragwürdige Entscheidung.

Dazu ein weiteres Beispiel aus den Tragödien der Luftfahrtsgeschichte und dem Konflikt zwischen Mensch und Maschine bei der Kollision zweier Flugzeuge bei Überlingen am Bodensee am 1. Juli 2002, bei der die Boing DHL 611 auf ihrem Weg nach Brüssel mit der russischen Tupolew Bashkirian Airlines 2937 auf dem Weg nach Barcelona in der Bodenseeregion zusammenstiessen. Dieser Zusammenstoss zählt zu den schwersten Luftverkehrsunglücken Deutschlands, wurde aber mitunter von einem Schweizer Lotsen verursacht, der dafür letztlich mit seinem Leben zahlen musste, da der Vater einer getöteten Tochter Rache nahm und den Fluglotsen ermordete. Zurück zum Unfallhergang: Als der Sicherheitsabstand der beiden Flugzeuge gefährlich gering wurde, verarbeiteten beide Flugobjekte mit dem Traffic Alert and Collison Avoidance System «TCAS», die Daten des Kontaktes, wie Kurs und Geschwindigkeit und warnten ihre Besatzungen.

Während das System des russischen Piloten, Alexander Gross, anweist, zu steigen, erhält der britische Pilot Paul Philipps die Anweisung zu sinken, was er auch sofort befolgt. Erst jetzt schaltet sich der Fluglotse von «Skyguide» in Zürich zu und es kommt zu einem Mensch-Maschine Entscheidungskonflikt und folgenschweren Eingreifen eines Menschen. Der Fluglotse schickt die Tupolew entgegen den Anweisungen des «TCAS» ebenfalls auf den Sinkflug, worauf es zur folgenschweren Kollision kommt. Die Aufzeichnungen der Blackbox über das Gespräch zwischen Kopilot und Pilot beweisen die Tatsache und Fehlentscheidung des gestressten Fluglotsen. Das zeigt, wann immer eine Maschine eine Entscheidung fällt, ist der Mensch überfordert und vertraut eher seinem eigenen Instinkt. Was zeigen uns diese beiden Beispiele für Big Data und KI im Alltag im kommerziellen Gebrauch bei der Verwendung unserer Daten? Das erste Beispiel zeigt gut auf, dass sich eben auch Maschinen irren können, nicht zu reden von den systematischen Irrtümern, die den Algorythmen zugrunde liegen könnten. Das zweite Beispiel zeigt zunächst einmal den Konflikt zwischen Mensch und Maschine auf? Wer hat recht? Wer ist schneller, besser oder zuverlässiger? Eins ist klar, Stress hat die Maschine nicht, sie rechnet und rechnet und spuckt Ergeb-nisse, Analysen und allenfalls Entscheidungen aus.

Bei der Datenmenge, die es zu erfassen und auszuwerten gilt, liegt das Augenmerk auf der Geschwindigkeit und nicht auf der seriösen Strukturierung und wissenschaftlicher Akribie. Man kann es sich ja denken, je weiter die Ent-wicklung geht, umso mehr werden Maschinen über uns entscheiden, sei es bei der Kranken- und Autoversicherung, bei der Jobsuche und Stellenwahl, bei Kreditvergaben bei politischen Amtern und in den Akten von Behörden und Geheimdiensten. «Google» hat schon 2014 den US Solardrohnenhersteller «Titan Aerospace» gekauft. Der gläserne Mensch ist Realität geworden. Hier deutet sich der Unterschied zwischen Mensch und Maschine bereits an. Der Sinn für Mystik, Metaphysik, Emphatie, Gefühle oder ein, ein Gewissen, Verantwortung, Solidarität, Reziprozität kennt ein Rechner nicht. Er trifft eiskalte Entscheidungen auch wenn er gerade ein wenig heiss läuft. Persönliche Daten sind das neue Öl des Internets und der New Economy und die neue Gold der digitalen Welt. Big Data ist die Symbiose von Mathematik, Algorythmen und künstlicher Intelligenz auf super schnellen Paralell-Rechnern.

Verkehrte Welt: Whistleblower werden bestraft und gefoltert, die Massenmörder laufen frei rum

Zum Schluss noch ein Abstecher in die politischen Abgründe und die Rolle und das Schicksal von Whistleblowern.

Vor 20 Jahren fanden die Terrorattacken vom 11. September auf die Twin Towers des «World Trade Centers» in New York statt. Diese veränderten die Welt grundlegend und der «War on Terror» löste den “Kalten Krieg” mit der Sowjetunion ab, wobei die NATO Bündnispartner sich sofort mit bedingungsloser Solidarität den USA anschlossen und zum ersten Mal in der Nato-Geschichte den Bündnisfall ausrief. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stand der US-Sicherheitsapparat ohne nennenswerten Feind da. Der «War on Terror» hat der US-Kriegsmaschine-rie wieder kräftig Auftrieb verliehen und grosse Militär-Budgets aufs Neue bescheert, die Rüstungskonzerne haben noch mehr davon profitiert. Der Krieg im Irak und in Afghanistan waren darauf hin die Folgen und Europa hat sich nicht geschämt, munter mitzumachen – und dies im Wissen um die Foltergefängnisse der USA in Afghanistan, im Irak, im Ostblock und auf Guantanamo. Bei den US-Entführungs- und Folterflügen hat auch die Schweiz mitgeholfen und humanitär gesehen eine katastrophal kollaborative Rolle gespielt. Deutschland steht nicht besser da und die Briten machen sowieso was die Amerikaner wollen. Auch wir Schweizer sind Schosshündchen der Vereinigten Staaten und kuschen auf allen Ebenen. Zudem sind wir auch die europäische, um nicht zusagen globale Geheimdienst-Operations-Drehscheibe mit all den internationalen Organisationen und den vielen Oligarchen, Steuerhinterziehern und Mafiosis die hier leben und unbeheligt arbeiten. Sie alle lieben die Schweiz, nicht nur der schönen Berge sondern auch der laxen Rechtssprechung wegen.

Erinnern wir uns an die schrecklichen Bilder vom Abu-Ghuraib-Folterskandal während der Besetzung des Irak durch die USA, die weltweit Aufsehen erregte. Dabei wurden irakische Insassen des Abu-Ghuraib-Gefängnis-ses vom Wachpersonal misshandelt, vergewaltigt und gefoltert, oft bis zum ihrem Tod. „Die meisten der Insassen seien „Unschuldige gewesen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, sagte ein US-General später. Im Dezember 2002 billigte Donald Rumsfeld 16 spezielle Verhörmethoden für Guantanamo, darunter auch, dass Gefangenen durch Hunde eingeschüchtert werden dürfen, dass sie sich bei Verhören nackt ausziehen und stundenlang unbe-queme Haltungen einnehmen müssen. Auch Isolationshaft, Verhöre bis zu 20 Stunden der Entzug warmer Mahlzeiten und das unsägliche und menschenunwürdige Water-Boarding gehörten dazu. Seit dem Krieg in Afghanistan werden Gefangene in einem Internierungslager in der Guantánamo-Bay auf Kuba sowie auf Diego Garcia festgehalten; ohne gerichtliches Verfahren oder Schutz durch die Genfer Konventionen. Auch bei diesen Internierungslager gab es Berichte und Belege von Misshandlungen und Folter.

Da es international keine völkerrechtlich anerkannte Definition von Terrorismus gibt, haben die Staaten den Begriff vorsorglich immer weiter ausgedehnt, den Sicherheitsapparat zu einem Präventivüberwachungsstaat hochgefahren und aufge-bläht und mittlerweile ist jeder und jede eine verdächtige Person. Unter Terrorismus fallen heute Delikte, die nichts mit politischer, umstürzlerischer Gewalt zu tun haben, so wie auch im neuen «Schweizer Polizeimass-nahmengesetz» (PMT), das einem schon sehr zu denken gibt, weil in dem Gesetz nur schon die Verbreitung von Furcht und Schrecken als «Terror» gilt. Im Strafrecht hat sukkzessive eine Verschiebung in den präventiven und damit in den privaten Bereich stattgefunden. Die vorsorgliche Überwachung hat dramatisch und unverhältnis-mässig zugenommen. Nach 2015 beschloss auch die Schweiz eine Anti-Terror-Strategie und verschärfte das Nachrichtendienstgesetz, wobei nun zwangsrechtliche Massnahmen aufgrund von Vermutungen, vagen Indizien und genauso undurchsichtigen Algorythmen bei der Rasterfahndung zulässig sind. Und das perfide ist, dass nun auch Überwachungsmassnahmen auf «gewalttätigen Extremismus» ausgedehnt wurden, auch dies ist eine sehr vage juristische Umschreibung, wer, warum oder weshalb ab welchem Zeitpunkt als «extrem» eingestuft wird.

Im Zuge des Verfassen meines Buches habe ich ganz bewusst schon im Entwurfstadium die Kapitel online gestellt, um zu beobachten, welche Geschichten interessant zu sein scheinen, wie die Suchmaschinen die Stichworte ver-breiten und welche Reaktionen es darauf gibt. Nun es zeigt sich verkürzt gesagt folgendes Bild. Das Abgrasen der online gestellten Informationen wird vorallem von Staaten wie China, Russland, USA und auch vom Iran ange-trieben und im Nu ergiesst sich eine Flut von Anmeldungen zur systematischen Überwachung der Inhalte als auch eine Flutwelle von von Pishing-Mails und anderen Cyber-Attacken. Es ist zwar nicht sonderlich erstaunlich aber dennoch beeindrucken, wie lückenlos heute das Internet nach relevanten Informationen abgegrast wird. Dazu kommen Spyware-Prgramme wie «PRISM», «Tempora» und «Boundless Informant» zum Zug, wie wir seit dem Fall von Edward Snowden wissen. Dank mutigen Whistleblower, wie Wikileks-Gründer Julian Assange, oder Edward Snoden oder Investigativ-JournalistInnen und Recherche-Netzwerken wie «Bellingcam» oder «correctiv» kommen so einige Schweinereien von Despoten, korrupten Politikern, Militäroperationen, Überwachungsmass-nahmen und Wirtschaftsdelikte ans Tageslicht. Zum Glück sollte man meinen. Doch weit gefehlt!

Julian Assange hat Beweise für schwerste staatlich sanktionierte Verbrechen erbracht, wie Folter und Massen-mord“, sagt kein Geringerer als der UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer in seinem Buch «Der Fall Julian Assange – Geschichte einer Verfolgung». Offenbar hat Melzers in der equadorianischen Botschaft im April 2019 angekündigter Besuch zur Untersuchung angeblicher Menschenrechtsverletzungen dazu geführt, dass die drei in-volvierten Staaten in einer dreitägigen koordinierten Blitzaktion es ermöglicht haben, dass Assange an die britische Polizei ausgeliefert wurde und seither wieder in Haft sitzt. Erst habe ihm die equadorianische Botschaft den Asyl-status und die Staatsbürgerschaft ohne rechtsstaatliches Verfahren entzogen, gleichzeit hat die britische Regierung von den US-Behörden ein Auslieferungsgesuch erhalten um darauf hin Assange der britischen Polizei zu über-geben. Davor hielt er sich sieben Jahre lang im Asyl in der ecuadorianischen Botschaft auf, um der Auslieferung an die USA via Schweden zu entgehen.

„Dass derjenige, der Massenmörder und Folterverbrechen gegen die Menschlichkeit aufgedeckt habe, nun selbst als Verbrecher für 175 Jahre ins Gefängnis soll, derweil kein einziges Verbrechen gesühnt oder die Verantwortlichen bestraft seien worden“, sei übel für Europa, fährt Melzer fort. „Ich hielt es zuerst nicht für möglich, dass Schweden oder Grossbritannien die Menschenrechte derart missachten. Aber wenn es ums Eingemachte geht, funktioniert der Rechtsstaat auch bei uns in Europa nicht mehr. Julian Assange ist sozusagen „die Leiche im Keller des selbst-gerechten Westens.“ Das habe ihn (Melzer) schon erschüttert, obschon er ja als IKRK-Delegierter einiges erlebt und gesehen habe. Auch das Verfahren gegen Assange in Schweden wegen angeblicher Vergewaltigung an und anderer Sexualdelikte sei eingestellt worden, nachdem Meltzer der Schwedischen Regierung einen Brief geschrie-ben und sie auf rund 50 zum Teil schwerste Verfahrensverletzungen hingewiesen hatte.

Auf die Frage, ob dies auch in der Schweiz passieren könne, lautet die Antwort des UN-Sonderberichterstatters: „Durchaus.“ Er müsse auch hierzulande regelmässig auf massive Behördenkollussion eingehen. Die «Crypto-Affäre» mit den maipulierten Chiffriergeräten sei das wohl jüngste Beispiel, das ans Licht kam. Auch hier gilt: Der Bundesrat wusste von nichts, das Parlament verhält sich ruhig und setzt keine Untersuchungskommission ein und die Justiz wird auch nicht aktiv, „das zeigt, dass die Gewaltenteilung in der Schweiz auch nicht immer funktio-niere“, so Melzer. Christoph Meili, der 1997 die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern publik machte und in die USA geflüchtet ist. Oder Hervé Falciani, ein früherer Informatiker bei der «HSBC»-Bank in Genf, der den französischen, britischen und deutschen Steuerbehörden Daten von Tausenden Steuerbetrügern verschafft hat. Die Schweiz hat ihn 2015 wegen „Wirtschaftsspionage“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und forderte seine Aus-lieferung von Spanien, als Falciani 2018 in Madrid verhaftet wurde. Der Whistleblower Adam Quadroni, der den Bündner Bauskandal aufdeckte, wurde inhaftiert und in eine psychiatrische Institution eingewiesen. So geht man hierzulande mit Whistle-blowern um – eine Schande für die Schweiz. «Einen gesetzlich verbindlichen Hinweis-geberschutz gebe es in der Schweiz nicht, was auch von der EU und OECD gerügt wurde, sagt Patrick Krauskopf, Professor an der «Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften» (ZAHW). Den habe der Nationalrat im März 2020 versenkt. Seit 2021 müssen alle Unternehmen in der EU ein vertrauliches Meldesystem einrichten. Die Schweiz ist im Hintertreffen.

Doch zurück zum Fall Assange: Die beispiellose Kampagne der US-Regierung ziele darauf ab, die Methoden von «Wikileaks» abzuwürgen, die es Whistleblowern ermöglichen, anonym grosse Mengen geheimer Daten zu veröffent-lichen. Bei 17 der 18 Anklagepunkte, die Assange in den USA vorgeworfen werden, handelt es sich um alltägliche journalistische Aktivitäten wie Recherche und Veröffentlichung von Beweisen für staatlichen Macht-missbrauch. „Assange selbst hatte nie eine Geheimnispflicht“, sagt Melzer, denn er ist ein Journalist oder Publizist, der Informationen erhalten und veröffentlicht hat. „Das ist keine Straftat“, so Melzers Fazit. Wenn er dafür als Spion verurteilt würde, könnte künftig weltweit allen investigativen Journalisten dasselbe drohen. Das wäre das Ende der demokratischen Überwachung der Staatsgewalt.

Doch es besteht noch Hoffnung, denn nach englischem Recht darf niemand wegen eines politischen Delikts ausge-liefert werden. Spionage ist per Definition aber politisch motiviert. Nicht zuletzt verbietet das Völkerrecht jede Auslieferung in ein Land, in dem Folter droht. Dies ist in den USA bei Spionageanklagen bekanntlich so. Anders verhielt sich die Situation bei Chelsea Manning, damals als Bradley Manning bekannt. Er spielte «Wikileaks» ein US-Militär-Video mit Bildern von den Luftangriffen in Bagdad vom 12. Juli 2007 und über 250‘000 diplomatische Depeschen zu. Im Video ist zu sehen, wie aus US-Kampfhubschrauber Zivilisten erschossen werden, unter ihnen auch Reporter von «Reuters», begleitet von zynischen Kommentaren der Hubschrauberbesatzung. Am 30. Juli 2013 wurde er in 19 von 21 Anklagepun-kten für schuldig befunden und am 21. August 2013 zu 35 Jahren Haft und einer Geldstrafe von 100‘000 US-$ ver-urteilt. Am 17. Mai 2017 wurde Manning freigelassen.

2013 hat Edward Snowden – ein ehemaliger technischer Mitarbeiter der US-amerikanischen Geheimdienste «NSA» und «CIA», mit Hilfe Tausender kopierter Dokumente die Existenz von Programmen wie «PRISM», «Tempora» und «Boundless Informant» öffentlich gemacht, die der Totalüberwachung des weltweiten Internetverkehrs dienen. Auch er musste flüchten und setzte sich nach Russland ab. Es wird höchste Zeit, dass der Friedensnobelpreis bald einmal an Whistleblower vergeben wird, damit deren Rolle und Mut aufgewertet werden und sich hoffentlich ein besserer Schutz nicht nur für Whistleblower sondern auch für alle JournalistInnen/Medienschaffende ergeben wird.

Wie sieht die Situation hinsichtlich Datenschutz und Whistleblower in der Schweiz aus?Bundesangestellte können bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) Whistleblower-Meldungen einreichen, worauf der Datenschutzbe-auftragte zum Schluss kam, dass datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Er verlangte daher, dass die «EFK» ein Reglement erstelle und die Datenbank ordentlich beim Datenschutzbeauftragten anmel-de. Da die «EFK» dies verweigerte, musste das Bundesverwaltungsgericht der «EFK» auf die Sprünge helfen. Laut Datenschutzgesetz sind die Bundesbehörden dazu verpflichtet, ihre Datensammlungen beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten anzumelden. Eine Datenbank liegt dann vor, wenn mehr als eine Person erfasst sind und die Erschliessbarkeit der Daten Rückschlüsse auf die betreffenden Personen ergben. „Wie die «EFK» in so einem sensiblen Bereich zum Schluss kam, dass die von ihr abgelegten Whistleblower-Meldungen keine Datenbank han-delt ist bis heute schleierhaft“. Mit dieser windigen Erklärung versuchte sie das Bundesgericht davon zu überzeu-gen, dass der Datenschutzbeauftragte keine Einsicht erhalte und ein Reglement unnötig sei. Das Bundesgericht kam jedoch wie der Datenschutzbeauftragte zum Schluss, dass es sich bei der Erfassung und Sammlung der Meldungen von Whistleblowern um eine anmeldungspflichtige Datenbank handle und da diese besonders schützenswerte Inhalte und Personendaten enthalte, auch ein Bearbeitungsreglement vorgelegt werden müsse.

Ein exemplarisches Beispiel gefällig, wie Whistleblower feindlich und Kriminellen andienend die Schweiz ist? Kürzlich fand vor dem Obergericht Zürich ein «Cum-Ex»-Whistleblower-Prozess statt bei dem sogar die Deutsche Botschaft einen Beobachter schickte, den damaligen deutschen Bundestagsabgeordneter von «Die Linke», der sagte: „Wir haben mit Besorgnis Kenntnis genommen, dass die Schweiz ausgerechnet die Whistleblower der Basler «Bank J. Safra Sarasin» verfolgt“, die Hinweise auf einen der grössten Steuerbetrugsdelikte lieferten, in die der Deutsche Milliardär Erwin Müller und der mutmassliche Drahtzieher, der deutsche Steueranwalt und Sarasin-Ge-schäftspartner Hanno Berger verwickelt sind. Ein Prozess, der wieder auf dem Pult des Staatsanwaltes Peter Giger landete, der schon den Whistleblower Rudolf Elmar angeklagt hatte. Als der Stuttgarter Rechtsanwalt Eckhard Seith bei der Zürcher Staatsanwaltschaft III eine Strafanzeige wegen Betrugs gegen die « Sarasin»-Verant-wortlichen einreichte, schickte er der Bank eine Kopie davon und schubladisierte sie. Das taxierte das Obergericht als Amtsgeheimnisverletzung. Dem nicht genug. Giger blockierte auch ein Rechtshilfegesuch, das an vierzehn weitere Staaten geschickt wurde. Die Schweiz war das einzige Land, das weder eine Strafuntersuchung, noch Hausdurchsuchungen bei den «Cum-Ex»-Geschäften einleitete. Die beiden Whistleblower hingegen sassen meh-rere Monate in Untersuchungshaft. Giger musste in den Ausstand treten und das Verfahren abgeben, was zeigt, dass auch in der Schweiz Richter nicht vorurteilsfrei sondern zuweilen sehr parteiisch sind. Eine Schande!

Nicht nur aufgrund dieser Beispiele und ähnlicher Interventionen seitens des Datenschutzbeauftragten zeigt sich, dass die Schweiz eher die Whistleblower ins Visier nimmt, als diejenigen, die offensichtlich erhebliche Straftaten begangen haben. Hier sollte endlich ein Umdenken stattfinden und den Whistleblowern ein besserer Schutz ge-währt werden

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