Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd M. Müller. Das ganze Manuskript ist als E-Book-Version auf www.self-publishing.com zu finden.
Ende des Jahres 2020 musste die Schweiz Bilanz ziehen sollen, wo sie hinsichtlich des Schutzes ihrer biologischen Vielfalt steht, sowohl zur Überprüfung der erreichten Zielsetzungen bei der schweizerischen Biodiversitätsstrategie, als auch der weltweiten Biodiversitätskonvention in der steht: «Der Erhaltungszustand der Populationen von national prioritären Arten wird bis 2020 verbessert und das Aussterben so weit wie möglich unterbunden.» Die Schweiz ist nur bei einem einzigen Ziel der Biodiversitätsstrategie auf Kurs, und zwar bei der biologischen Vielfalt des Waldes.
Bei einem Drittel der Ziele ist das Ergebnis geringer, bei einem Drittel sind keine Fortschritte zu sehen und beim letzten Drittel geht die Entwicklungen in die entgegengesetzte Richtung. Auch bei den «Aichi»-Biodiversitätszielen, die 2010 im Rahmen der Biodiversitätskonvention vereinbart wurden, ist das Bild fast deckungsgleich mit der nationalen Strategie: Nur bei einem Fünftel ist die Schweiz auf Kurs. Bei 35 Prozent der Ziele gibt es aber gar keine Fortschritte. Doch allein unter den Vögeln sind aber Ende des Jahrzehnts Rebhuhn, Bekassine, Grosser Brachvogel, Rotkopfwürger und Ortolan als Brutvögel ausgestorben oder in winziger Anzahl vorhanden.
Die Schweizer Flora war eine der reichsten und vielfältigsten Europas, allerdings gelten über 700 Pflanzenarten als vom Aussterben bedroht. Forschende der «Universität Bern» und das Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora haben die Ergebnisse mit der Hilfe von 400 ehrenamtlichen BotanikerInnen analysiert und zwischen 2010 und 2016 über 8000 alt bekannte Fundstellen der 713 seltensten und gefährdetsten Pflanzenarten in der Schweiz besucht und überprüft.
Von der «Universität Bern wurde dieser einzigartige Datenschatz nun analysiert und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift «Conservation Letters» publiziert. Bei ihrer «Schatzsuche» gingen die BotanikerInnen oft leer aus – 27% der 8024 Populationen konnten nicht wiedergefunden werden. Arten, die von Expertinnen und Experten als am stärksten gefährdet eingestuft werden, verloren gar 40% ihrer Populationen im Vergleich zu den Fundangaben, die aus den letzten 10 – 50 Jahren stammten.
Wir vermeintlich so „sauberen“ Schweizer und unsere uns fast ebenbürtigen deutschen Nachbarn sind Weltmeister im Verbrauch, im Kon-sum, im Abfall und im CO2-Ausstoss. Die Schweiz hat es auf Platz Vier auf der Weltrangliste der Umweltsünder und CO2-Emmissionäre geschafft, doch haben wir unseren grossen Fussabdruck ins Ausland exportiert. So wird der von der Entstehung bis zur Vernichtung entstehende Zivilisations-Müll unserer über alle Massen konsumierenden und Ressourcen verschleudernden Gesellschaft aus unseren Augen und unseren Umfeld verbannt.
Eine der dreckigsten Branchen, die Textilindustrie, aber auch andere umweltbelastende Produktionen wurden in den letzten Jahrzehnten nach China, Vietnam und Bangladesch verlegt. Die CO-2 Emissionen werden so grösstenteils in strukturschwache oder menschenrechtsverachtende Regionen ausgelagert. Dafür haben «My climate»-Kompensationszertifikate und ähnliche Instrumente geschaffen, um unser Gewissen zu beruhigen, nicht aber, um die Situation zu entschärfen. Unsere Bilanz ist keineswegs gut und sauber sondern schlicht und ergreifend miserabel. Das «My-Climate» CO2 Kompensationsgeschäft ist reine Augenwischerei und hilft niemandem, wenn wir unseren Konsum und die Verschleuderung der Ressourcen stetig steigern, statt drastisch zu senken und unsere Wegwerfgesellschaft nicht radikal umdenken.
Auch hierzulande ist es um die Biodiversität, die Gewässer, Gletscher und die Luftschadstoffe schlecht bestellt. Buchhalterisch gesehen, müssten über 30 Millionen Tonnen CO2 (statt auf Schweizer Boden) ausserhalb der Landesgrenzen eingespart werden. Das wird nicht nur etliche Milliarden kosten, sondern ist auch ökonomisch und ökologisch unsinnig. Diese Beträge für die im Inland nicht erbrachten CO2-Reduktionen fehlen der Wirtschaft. Die «Dekarbonisierung der Gesellschaft» wird dergestalt keinen Millimeter vorwärts kommen, die Abhängigkeit und Sauerei würde immer grösser, allein schon durch die ansteigende Bevölkerungsdichte. Nun die dünne Schutzschicht in der Atmosphäre ist in der freien Marktwirtschaft keinen Heller wert, sie kostet nichts und sie zu verpesten auch nicht. Das muss sich ändern!
Die Fakten sind alarmierend und dokumentieren eindrücklich den Rückgang vieler gefährdeter Arten in der Schweiz. Besonders betroffen sind Pflanzen aus sogenannten Ruderalstandorten – Flächen, die unter ständigem menschlichen Einfluss stehen. Zu den betroffenen Pflan-zenarten gehören die Randvegetation von landwirtschaftlich genutzten oder besiedelten Flächen. Diese Populationen zeigten mehr als doppelt so grosse Verluste wie Arten aus Wäldern oder alpinen Wiesen. Die Intensivierung der Landwirtschaft mit einem grossen Dünge- und Herbizideinsatz, aber auch der Verlust von Kleinstrukturen wie Steinhaufen und Ackerrandstreifen setzen dieser Artengruppe besonders zu.
Ähnlich stark betroffen sind Pflanzenarten der Gewässer, Ufer und Moore. Auch hier sind die Ursachen gemäss den Forschenden hausgemacht: Wasserqualitätsverluste durch Mikroverunreinigungen und die Düngemittelbelastung aus der Landwirtschaft, der Verlust natür-licher Flussdynamiken durch Flussbegradigungen, die Nutzung von Flüssen als Stromlieferant, oder das Trockenlegen von Moorflächen.
In Deutschland wurden im Rahmen des «Jena» Experimentes 80‘000 Messungen von interdisziplinär aufgestellten Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden durchgeführt. Auf mehr als 500 Versuchsparzellen hatten sie unterschiedlich viele Pflanzenarten angesät, von Monokulturen bis zu Mischungen von 60 Arten. Neben Pflanzen wurden auch alle im Ökosystem vorkom-menden Organismen untersucht – im Boden und oberhalb davon.
Ausserdem die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Nitrat und auch der Wasserkreislauf über den gesamten Zeitraum von 15 Jahren hinweg. So konnten die WissenschaftlerInnen belegen, wie sich die Artenvielfalt auf die Kapazität des Bodens, Wasser aufzunehmen, zu speichern oder abzugeben auswirkt. Wie sehr etwa der Stickstoffkreislauf eines Bodens von vielen Faktoren wie der Artenvielfalt, von mikrobiologischen Organismen, dem Wasserkreislauf und der Pflanzeninteraktion abhängt, wurde im «Jena Experiment» erstmals deutlich.
Artenreichere Wiesen hatten über die gesamte Zeit des «Jena Experiments» eine höhere Produktivität als artenarme Wiesen. Wenn ein Landwirt bestimmte Arten fördert und düngt, ist er im Durchschnitt betrachtet folglich nicht erfolgreicher als die Natur. Die Energie der Biomasse (Bioenergiegehalt) von artenreichen Wiesen war deutlich höher als der von artenarmen Wiesen, zugleich aber ähnlich hoch wie viele der heute stark subventionierten Arten, etwa von Chinaschilf.
Artenreiche Flächen hatten eine bessere Kohlenstoffspeicherung, die Anzahl von Insekten und anderen Arten war deutlich höher und die Wechselwirkungen zwischen Arten wie Bestäubungen fanden häufiger statt. Artenreichere Wiesen transportierten das Oberflächenwasser besser in den Boden und diversifizierte Ökosysteme waren stabiler gegenüber Störungen, als artenarme Monokulturen gegenüber Dürren oder Überschwemmungen.
Die Landwirte müssen nun wirklich die Arme hochkrempeln und den Schutz der Gewässer sicherstellen und ihre Agrarflächen biodiversivizieren und renaturieren, oder wollen wir uns weiter vergiften? Die KOnsumentInnen haben es in der Hand, in dem sie mit veganer und lokal produzierten Gütern vorlieb nehmen und so der Viehwirtschaft, den Methanrülpsern und den Viehfutter-Monokulturen den Garaus machen.
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