Kinder werden durch russische Angriffe vermehrt verletzt und getötet

Die Gefährdungslage für Kinder in der Ukraine ist weiterhin dramatisch. Mit gezielten Luftangriffen auf zivile Ziele verbreiten die russischen Streitkräfte Angst und Schrecken. Zahlreiche Kinder wurden im laufenden Jahr auch in Gebieten weitab der Front verletzt und getötet.

Amnesty International untersuchte von Januar bis September 2024 17 Angriffe, bei denen sich Kinder unter den Opfern befanden. Die Recherchen von AI ergaben, dass die russischen Streitkräfte gezielt Zivilpersonen und zivile Infrastruktur angreifen. Basierend auf diesen Befunden bekräftigt Amnesty International die bereits wiederholt angebrachte Forderung an die internationale Gemeinschaft – darunter die Schweiz – die Verantwortlichen von rechtswidrigen Angriffen und Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Ausserdem muss den Opfern von Kriegsverbrechen im Zuge des russischen Angriffskriegs Wiedergutmachung gewährt werden.

«Kinder gehören zu den verletzlichsten Gruppen in jeder Gesellschaft und geniessen daher besonderen Schutz durch das humanitäre Völkerrecht. Dennoch werden sie in Gebieten fernab der Front getötet und verletzt, auch in Regionen, in denen es keine militärischen Ziele gibt» Patrick Thompson, Ukraine-Experte bei Amnesty International

«Kinder gehören zu den verletzlichsten Gruppen in jeder Gesellschaft und geniessen daher besonderen Schutz durch das humanitäre Völkerrecht. Dennoch werden sie in Gebieten fernab der Front getötet und verletzt, auch in Regionen, in denen es keine militärischen Ziele gibt», sagte Patrick Thompson, Ukraine-Experte bei Amnesty International.

«Bei den Angriffen, die Amnesty International dieses Jahr dokumentierte, darunter der Luftangriff auf das grösste Kinderkrankenhaus der Ukraine in Kyjiw, handelt es sich um Kriegsverbrechen. Sie erinnern an den Beginn des Angriffskriegs, als die russischen Streitkräfte die Entbindungsklinik und das Theater in Mariupol bombardierten. Zivilpersonen und zivile Infrastruktur, darunter auch Krankenhäuser, die unter besonderem Schutz stehen, sind weiterhin Ziele rechtswidriger Angriffe, bei denen immer mehr Kinder getötet und verletzt werden.»

Anhaltende Angriffe auf Kinder stellen Kriegsverbrechen dar

Organisationen, die zivile Schäden in der Ukraine dokumentieren, berichten übereinstimmend, dass die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2024 erheblich gestiegen ist. Die Daten, darunter Zahlen des Büros des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte, deuten darauf hin, dass im Sommer 2024 besonders viele Kinder in der Ukraine getötet wurden. Das für die Überprüfung von Foto- und Videomaterial zuständige «Digital Verification Corps» von Amnesty International verifizierte über 120 Videos und Fotos von Angriffen auf Kinder. Expert*innen vor Ort führten weitere Recherchen durch.

Bei einem Angriff am 8. Juli 2024 schlug ein russischer Marschflugkörper Kh-101 in das Kinderkrankenhaus Okhmatdyt in Kiew ein. Er verursachte massive Schäden, zwei Menschen wurden getötet und über hundert weitere verletzt, darunter Kinder.

Der Chirurg Oleg Golubchenko operierte zum Zeitpunkt des Angriffs auf das Krankenhaus gerade ein Kind. Er sagte: «Als ich wieder zu mir kam, lag alles um mich herum in Trümmern und ich war verletzt. Ich spürte Wärme am ganzen Körper und sah, dass ich blutete. Aber meine Arme und Beine funktionierten und ich atmete. Ich konnte nur noch auf allen Vieren kriechen und sah dann, dass es dem Kind gut ging – obwohl die komplette Einrichtung zerstört war.»

Amnesty International hat 14 Fotos und 6 Videos überprüft, die den Raketenangriff auf Okhmatdyt und die Folgen zeigen. Die Fotos zeigen schwere Schäden an dem Krankenhausgebäude, zerbrochene Fenster und Trümmer sowie Blutflecken. Amnesty International konnte keine Hinweise für die Anwesenheit ukrainischen Militärs in dem weitläufigen Krankenhauskomplex oder seiner unmittelbaren Umgebung finden. Die schiere Grösse des Krankenhauses schliesst die Möglichkeit aus, dass der Marschflugkörper auf ein anderes Ziel gerichtet war. Denn die eingesetzte Waffe soll eine Zielgenauigkeit von 5 bis 20 Metern haben.

«Die Zunahme der Angriffe auf Zivilpersonen und der Anstieg der zivilen Opfer zeigt mit brutaler Gewissheit, dass die russische Aggression gegen die Ukraine einen enormen menschlichen Preis fordert. Diese unrechtmässigen Angriffe, insbesondere solche, bei denen Kinder getroffen werden, haben zum Ziel, Terror und Panik in der Zivilbevölkerung zu verbreiten. Die Straffreiheit der Verantwortlichen dieser Verbrechen muss beendet werden. Es ist die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass sie vor Gericht gestellt werden», sagte Patrick Thompson.

Hintergrund

Die steigende Zahl der getöteten und verletzten Zivilpersonen sowohl in der von der Regierung kontrollierten Ukraine als auch in den von Russland besetzten Gebieten und in russischen Regionen ist die unmittelbare Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der ein Verbrechen nach dem Völkerrecht darstellt.

Nach Angaben des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte sind etwa 89 Prozent der zivilen Opfer in ukrainisch kontrolliertem Gebieten zu beklagen. Es ist für Amnesty International nicht möglich, die Zahl der von russischen Quellen als getötet gemeldeten Kinder unabhängig zu überprüfen. Auch die Zuverlässigkeit der Informationen oder die angebliche Zuordnung dieser Angriffe zu ukrainischen Streitkräften kann nicht bestätigt werden.

Direkte Angriffe auf Zivilpersonen oder zivile Objekte sind verboten und stellen Kriegsverbrechen dar. Wahllose Angriffe auf bewohnte Gebiete, sind ein Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht. Auch stellen wahllose Angriffe, bei denen Gefahr besteht, dass Zivilpersonen getötet oder verletzt werden, Kriegsverbrechen dar. Amnesty International hat seit Februar 2022 zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen russische Streitkräfte solche wahllose Angriffe in der Ukraine durchführten, die zu Tausenden von Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt haben. Zudem wurden Belege für andere Kriegsverbrechen gefunden, darunter Folter, sexualisierte Gewalt und rechtswidrige Tötungen.

Alle für völkerrechtliche Verbrechen Verantwortlichen müssen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Zudem müssen die Opfer ihre Rechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung wahrnehmen können.

(Quelle: Amnesty International)