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Höllentrip in Kolumbien im Dienste der Swissair

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

VORWORT

Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund, prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend Eine gelungene Mischung aus gehobener Reiseliteratur, globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten und persönlichen Essays – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Der Autor publizierte Hunderte von Reportagen in deutschsprachigen Tageszeitungen und Magazinen.

Hört oder spricht man von Kolumbien, dann ist meistens von Drogen, Mord und Korruption die Rede. Selten dringen die Sonnenseiten des kolumbianischen Lebens und die Schönheiten des Anden und des Urwald-Staates ans Licht. Wer der Terra incognita im Garten Eden Südamerikas trotz Armut und Gewalt furchtlos gegenübertritt, der wird vom Zauber Kolumbiens und dem feurigen Temperament der Bevölkerung magisch angezogen werden. Wenige Länder sind mit der imposanter landschaftlicher Vielfalt und einer unvergleichlichen Fülle von Naturwundern gespickt, wie der Viert grösste Staat Lateinamerikas.

Im Norden Kolumbiens dominieren die Ost-, West- und Zentral-Kordillieren. Drei wuchtige bis auf 5000 Meter ansteigende Andenstränge mit schneebedeckten Gipfeln, sind das topografische Panoptikum des Landes. Sie bergen fruchtbare Täler mit vulkanischen Ascheböden auf denen Kaffeeplantagen, Gemüse- und Getreidefelder und Obstbäume gedeihen, duftende Blumen und Gewürzstauden blühen. Der Bergbau bringt die schönsten Smaragde sowie Gold, Platin, Silber und auch reichlich Kohle und Erdölvorkommen zu Tage. Leider profitieren auch hier die wenigsten vom Reichtum, der durch einige wenige Profiteure auf der Ausbeutung natürlicher und menschlicher Resourcen basiert.

In Amazonien ist es, als sei die Zeit stehen geblieben. Fitzgeraldos Abenteuer leben am geistigen Horizont wieder auf – noch immer lauern tausende Gefahren im tropischen Regenwald. Die Yaguas-Indios sind keine Bedrohung, obschon sie noch immer tödliche Giftpfeile aus ihren Blasrohren pusten, wenn Sie Jagd auf Tiere und Vögel machen. Krokodile und Pirahas verhindern ein Bad im kühlen Amazonas. Entlang der andinen Ausläufer breiten sich im Norden endlose Savannen mit Viehweiden aus,  die sich im Osten in wüsctenhafte Gebiete wie die Halbinsel Guajira verwandeln. Weisse Sandsstrände säumen die Küsten der Karibikinseln San Andres und Providencia vor Nicaraguas Küste. 

Ueber 40 Naturschutz und Nationalparks von insgesamt 10 Millionen Hektaren Grösse, die eine Art genetische Schatztruhe und Informationsbank über die Entwicklung unseres Planeten darstellen, zeugen vom imensen Fauna und Flora Reichtum Kolumbiens. Die Vorboten des Urwaldes beginnen keine 100 Kilometer von Bogota entfernt. Doch um dorthin zu gelangen muss man schon die mörderische Passstrasse der Sierra Oriental in einer Höhe von 3700 Metern über Meer überwunden haben und dann die kurvenreiche Talfahrt entlang abgrundtiefer Schluchten bis auf Hundert Meter über Meer gemeistert und überlebt haben.

Die Sonne senkt sich gerade am blutrot gefärbten Horizon über dem dampfenden Urwald, wo das tropische Gewitter kurz vor Einbruch der Dämmerung heftig auf den esmerald grünen Dschungel niederprasselt und auf den silbernen Rumpf der DC-6, mit der wir mit lautem Propellergeheul durch den peitschenden Regen fliegen. Auch die Stirn des Piloten ist mit dicken Wasserperlen überzogen, denn es sieht nach schwierigen Landebedingungen aus. Dröhnend kämpfen die Propellermotoren gegen die dichten, schnell vorbeisausenden Wolkenschwaden an. Der Blick aus den kleinen runden Fenstern schweift über das grüne Urwaldmeer im Amazonasbecken , die mäandrierenden Flussläufe und Inseltupfer und setzen zur Landung an worauf wir alsbald mit der alten Klapperkiste über die holprige Urwaldpiste.

Cartagena ist eine der schönsten Kolonial-Reliquien ganz Lateinamerikas und das höchste aller Gefühle für Historiker, Architekten und kulturell Ambitionierte. Die ehemals bedeutende Hafenstadt des Kontinents für den Sklavenhandel und Sitz des damals gefürchteten Inquisitionstribunals, ein Ort der Tragödie und der Helden, der Abenteurer und Legenden, ist reich an Burgen, Klöstern, und Museen, die alle zum Weltkulturerbe zählen.

Überragt von den Anden, vom Urwald umschlungen und von der karibischen und pazifischen Symphonie der Ozeane umwogt, brodelt das Leben der Kolumbianer zwischen Glück und Verzweiflung, Wut und Ohnmacht, pendelt von überschäumender Lebensfreude, getragen von fröhlicher Tanzmusik wie dem Cumbia, bis hin zur tiefsten Traurigkeit über die Opfer der Armut, der Drogenbarone, korrupter Politiker und Tyrannen. Kolumbianer und Kolumbianerinnen leben, lieben und erleiden das Leben in vollen Zügen. Man wird mitgerissen, taucht ein, vielleicht auch unter und mit etwas Glück wohlbehüteter wieder auf – fast Fuss und verlässt das Land wieder, gespickt mit unvergesslichen Erlebnissen.

In Bogota traf ich meinen Berufskollegen und Aviatik-Journalisten Hans-Jörg Egger und zusammen flogen wir von der Hauptstadt in alle Richtungen. Zuerst nach Letiza ins Dreiländereck Brasilien, Kolumbien und Peru im Süden des Landes am Amazonas, dann nach Cartagena in die Kolonialperle, nach Cali, damals die Drogenhochburg von Pablo Escobar, das nächste Ziel war Villa Vicencio und schliesslich flogen wir bis zur Karibikinsel San Andres hoch, die vor der Küste Nicaraguas liegt. Ein recht ambitioniertes Programm in einer Woche und das ging nur, weil wir jeweils knapp 15 Minuten vor Abflug der Maschine beim Flughafen eintrafen und noch einsteigen konnten.

Das klappte bestens bis zum letzten Flug nach Equador, der somit wieder ein Auslandflug war. Daran und dass das Prozedere ja viel länger dauern würde, hatten wir nicht gedacht.  Als wir am Schalter ankamen und erfuhren, dass das Boarding schon abgeschlossen war, zeigte ich auf den Check-in Counter Angestellten zwei Visitenkarten und sagte: „Stop the airplaine, now immediately“ ! Und rannte einfach durch das Gate vorbei an den überrumpelten Securities auf das Flugfeld hinaus, Hans-Jörg keuchte neben mir her, schliesslich hatten wir beide viel Kameragepäck umhängen und im Schlepptau.

Ohne, dass auf uns geschossen wurde rannten wir dem Flugzeug entgegen, das alle Türen geschlossen hatte und im Anrollen zur Startbahn war. Gleichzeig sahen wir ein Treppenfahrzeug auf das Flugzeug zu rasen und der Jet stoppte. Nach einigen Dutzend Metern hatten wir es dann geschafft und durften die Treppe hocheilen, die Boardtüre wurde geöffnet und wir konnten an Bord gehen. „Wow, was für eine geile Action!“ Warum das Flugzeug stoppte, fragen sie sich? Die eine Visitenkarte war die des kolumbianischen Luftfahrt-Ministers und die andere, die des Flughafendirektors von Bogota. Beide Personen hatten wir zuvor interviewt. Und so kam es also, dass für uns zwei Schweizer Journalisten in Kolumbien ein Verkehrsflugzeug auf einem internationalen Flug auf der Rollpiste zum Abflug gestoppt wurde. Das sollte man mal in Zürich, Frankfurt oder London probieren.

Da schon unser Boarding schon recht spektakulär verlief, durften wir auch gleich im Cockpit dieser Maschine abwechslungsweise auf dem dritten Piloten-Sitz Platz nehmen und den Flug nach Quito wie die Piloten erleben. Da wurde mir zum ersten Mal sichtbar bewusst, wie schnell es geht, wenn zwei Verkehrsflugzeuge mit je 700 Stundenkilometern auf einander zurasen. Das konnte ich beim spektakulären Landeanflug in Quito miterleben, als eine von dort gestartete Maschine recht nah und sehr schnell an unserem Cockpit vorbei flog. Erst sah man nur einen winzigen Punkt, der rasch grösser wurde und ganz schnell an einem vorbei zischte. Noch krasser war der Flug mit den Militärmaschinen über die Anden, bei dem ich infolge der Beschleunigung ziemlich benommen war. So fit wie ein Militärpilot war ich dann doch nicht!

Und wie sieht es heute in Kolumbien aus? Zwar haben die zähen Friedensverhandlungen zur Entwaffnung der Farc und Einstellung ihrer Attacken auf das Militär und die Zivilbevölkerung geführt, doch ist mit der Amnestie keine Sühne, kein Schuldeingeständnis und keine Aufarbeitung der Gräuel-taten der Farc-Guerilleros im Hinblick auf die zahlreichen Opferfamilien erfolgt und andererseits wurde den Bauern die notwendige Unterstützung bei der Infrastruktur Strassen, Strom, Wasser) in unzugängliche Regionen versagt, so dass diese in vielen Urwaldregionen keine andere Wahl haben, als Kokain anzubauen. Hinzu kommt, dass nun auch die kolumbianische Regierung mehr und mehr Urwald rodet und dies nicht für eine Agrarreform, die den Bauern helfen würde, sondern einzig der Ausbeutung durch die Holzwirtschaft dient und überdies dazu führt, dass die schmalen Gewässer, die einzigen per Boot zugänglichen Verkehrsachsen mit Holzstämmen verstopft werden, sodass andere Güter wie Bananen, Gemüse oder Früchte unmöglich weiter-transportiert werden könnten. Da es keine Strassen, kein Strom und auch keine Verwaltung gibt, sind die Bauern hilflos den Drogenkartellen ausgeliefert. Eine Alternative zum Coca-Anbau haben die Allerwenigsten.

Links zu ein paar Aviatik Print Publikationen:

Tempi passati am Amazonas  (Airport Magazi

Abenteuerlich von den Anden bis zum Amazonas (Der Bund)

Swissair: Personelle Probleme schon vor dem Start  (Facts) 

Wird die Swissair überleben? (Der Bund) 

Singapore Airlines: Im Himmelbett um die Welt (Relax & Style)               

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Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen: Die Osterprozessionen der Mixteken Indios

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

VORWORT

Der Zürcher Autor (Jg. 62) reiste als Fotojournalist durch mehr als 70 Nationen und lebte in sieben Länder, darunter auch in Südafrika im Untergrund während der Apartheid. In den 80er Jahren war er Politaktivist bei den Zürcher Jugendunruhen und dann im Autonomen Jugendzentrum (AJZ) tätig. Dann engagierte er sich für wegweisende Wildlife & Oekoprojekte im südlichen Afrika und weltweit. Schon 1993 berichtet Müller über den Klimawandel und 1999 gründete er das Tourismus & Umwelt Forum Schweiz. Durch seine humanitären Einsätze lernte er Nelson Mandela, den Dalai Lama und weitere Lichtgestalten kennen. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus Politthriller, Reiseberichten und voller abgefahrenen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Lebens eben.

In den folgenden Jahren machte ich noch eine längere Reise und einen Segeltörn durch die Windward Islands in der Karibik von St. Lucia und St. Vincent über Grenada bis nach Trinidad und Tobago runter, dann durch den Süden von Mexico nach Oaxaca und Chiapas. Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca fuhr ich mit einer jungen Malerin ins Hochland nach Zacantepec hoch, um die Mixteken Osterprozessionen zu erleben.

Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrast-reichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie Juwelen aus der schillernden Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen nicht gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturver-bundener, anarchischer, sippenhafter und weitaus spiritueller. Im Hochland von Mexico feiert eines der ältesten Völker Zentralamerikas, die Mixteken, jedes Jahr seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellt eine seltsame Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowohl Jesu Christi und Maria Jungfrau, die Virgen de Guadaloupe, als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie vor der Vernichtung und Unterdrückung bewahrte.

Von 200 bis 900 n. Chr. Herrschten in der Tempelstadt Monte Alban die Zapoteken über ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie die nahe Oacaxa gelegene Hochburg, welche in der Zeit danach von den Mixteken besetzt wurde. Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt und besichtigte die imposanten Kultstätten wie Mitla, Zaachila und Yagul. Zurück in der pittoresken Kolonialstadt, auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie hiess Marcela und erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Osterfesttage fahre, weil sie einem Lehrer Schulbücher bringen wolle. Das hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.

Also schloss ich mich Marcela Vera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die zehnstündige Fahrt war abenteuerlich und sehr beschwerlich. Die ganze Zeit oben am Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd eng an die anderen Passagiere und Marcela gepresst, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern fauchend in die Berge hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert ihre zerfurchten Mimiken und lebendigen Gestiken einprägen. In Zacantepec endete die Strasse. Hier beginnt das Reich der Söhne und Töchter Rey Condoys.

Das war eine einzigartige Erfahrung, als einziger Weisser und Ausländer unter den Mixteken Indios an ihrer Kreuzweg-Prozession durch die Berge auf fast 3000 Metern teilzunehmen. Vor dieser Reise habe ich drei Monate lang vier Stunden täglich Spanisch gelernt, aber die hiesige Indio-Sprache verstand ich gar nicht. Umso eindrücklicher war die Prozession, von der ich versteckt Fotos machte und dann bei der 7. Station des Kreuzzugs, bei der Wiedervereinigung von Jesu Christi und Maria Jungfrau von den Indios mitten ins Zentrum der Prozession geholt wurde und einen der drei vor den Weihrauch-Gefässen niederknieenden Bannerträger sein durfte.

Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrast-reichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie Juwelen aus der schillernden Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen nicht gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturver-bundener, anarchischer, sippenhafter und weitaus spiritueller. Im Hochland von Mexico feiert eines der ältesten Völker Zentralamerikas, die Mixteken, jedes Jahr seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellt eine seltsame Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowohl Jesu Christi und Maria Jungfrau, die Virgen de Guadaloupe, als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie vor der Vernichtung und Unterdrückung bewahrte.

Von 200 bis 900 n. Chr. Herrschten in der Tempelstadt Monte Alban die Zapoteken über ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie die nahe Oacaxa gelegene Hochburg, welche in der Zeit danach von den Mixteken besetzt wurde. Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt und besichtigte die imposanten Kultstätten wie Mitla, Zaachila und Yagul. Zurück in der pittoresken Kolonialstadt, auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie hiess Marcela und erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Osterfesttage fahre, weil sie einem Lehrer Schulbücher bringen wolle. Das hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.

Also schloss ich mich Marcela Vera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die zehnstündige Fahrt war abenteuerlich und sehr beschwerlich. Die ganze Zeit oben am Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd eng an die anderen Passagiere und Marcela gepresst, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern fauchend in die Berge hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert ihre zerfurchten Mimiken und lebendigen Gestiken einprägen. In Zacantepec endete die Strasse. Hier beginnt das Reich der Söhne und Töchter Rey Condoys.

Nun hielt ein Padre vor einer Statue der Virgen de Guadaloupe, der schwarzen Maria Jungfrau, eine pastorale Rede im hiesigen Indio-Dialekt. Doch faszinierender waren all die vor Ehrfurcht geprägten Indio-Gesichter unter ihren bunten Rebozas, den Schals, die sie als Kopfbedeckung und über die Schultern geschlungen, trugen. Das spärliche Kerzenlicht, die Kopal-Weihrauchschwaden und das am Boden ausgebreitete, duftende Meer von Fichtennadeln sowie die prächtig kostümierte Honoratoren mit den silberbeschlagenen Stöcken als Insignien ihrer Würde, verwandelten das Kirchenschiff in eine sehr spirituelle und mystische Welt. Die flackernden Kerzen erleuchteten all die ernstenvon Entbehrungen gezeichneten Antlitze. Für einmal schmilzt der Stolz dahin. Die harte Realität kaschierende unkomplizierte, fröhliche und heissblütige Lebenseinstellung weicht der Offenbarung der Nöte und Ängste ihres leidgeprüften Berbauerndaseins.

Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, Indios in so einer christlichen Pose zu sehen. Ich hatte eine von Winnetou-Filmen geprägte Vorstellung von den Indianern, obschon ich in den USA zuvor den Sioux Indios begegnet bin. Dann ging es los! Die Indio-Frauen schulterten die Virgen de Guadaloupe und die Männer eine Jesus Christi Statue auf ihre Schultern, dann zog der ganze Indio-Tross in die Berge hoch. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und ich entschloss mich dem Frauen Fackel- und Kerzenlichterzug anzuschliessen und so kletterten wir die schmalen, rutschigen Pfade hoch. Unterwegs gab es ein paar Kreuzweg-Rituale und bei der Siebten Station versammelten sich die beiden Züge auf einer kleinen Lichtung mit einem Platz um die Bannerträger und den knienden Frauen mit ihren Weihrauchgefässen. Jetzt hielt der Padre wieder eine Ansprache und in diesem Moment riss der Himmel zum ersten Mal vollends auf und die Sonne erschien wie ein göttlicher Bannstrahl auf die kleine Indio-Gemeinde gerichtet, wie wenn dies ihre Zusammenkunft speziell segnen würde. Auch die Gesänge versetzen mich in Trance. Es war aussergewöhnlich diese spirituelle Erfahrung als einziger „Gringo“ und Ausländer unter den Mixteken-Indios zu erleben. Andächtig und überwältigt von diesem authentischen Schauspiel tiefster indigener Glaubensbekenntnisse und ergreifender Emotionen, sind auch wir Teil dieser Welt geworden. Ich verschmolz sozusagen mit ihnen und ihren Ahnen. Dies müssen auch die Indios gespürt haben und schenkten mir ihr Vertrauen und eine Ehrbezeugung.

Als sich aus dem Kreis der Würdenträger einer der Bannerträger herauslöste und auf uns zukam, erschrak ich erst heftig, da ich im Geheimen versteckt Fotos von der Wiedervereinigung von Jesu Christi und Maria Jungfrau machte. Ich bekam Schiss, sie hätten mich beim Fotografieren erwischt und ich würde nun als Sühne-Opfer dargebracht und an einer der Lanze aufgespiesst. Die Furcht war nicht unbegründet, denn in Chiapas wurden schon Touristen umgebracht, die die einheimischen Indios fotografierten. Stattdessen wurde ich als Geste ihrer reichlichen Gastfreundschaft mitten ins Zentrum der Prozession geholt und ich durfte einer der drei Bannerträger sein. Welch eine Geste und Ehre für mich, die mich sehr berührte, wo ich ihnen gegenüber vorerst abgründig kritisch war! Ich war echt gerührt! Auf vielen weiteren Reisen zu den Urvölkern rund um den Globus stellte ich immer wieder fest, dass ich einen besonderen spirituellen Draht zu den Indigenen habe und offensichtlich auch über telepathische Fähigkeiten verfüge, mich über Sprachbarrieren hinweg, verständigen zu können.

Nunmehr vereint, bestreiten Frauen und Männer gemeinsam die restlichen sieben Kreuzwegstationen bis zur Abnahme des geschnitzten Heiligenbildes auf dem Zocalo. Der Grablegung und Messe folgtdann die gotteslästernde Verbrennung Jesu Christi. Verehrt werden jetzt wieder die Götter und Ahnen nach traditioneller Art. Nach aztekischer und mixtekischer Auffassung muss göttliche Autorität erworben werden, erklärt uns der Lehrer der Dorfschule von Zacantepec. Die Üeberlieferung besagt, dass Nanauatzin, der den Sprung ins Feuer gleich beim ersten Mal wagte, so zur Sonne wurde, während der ihm nachstürzende Teciciztecatl nur zum Mond gereichte. Eines scheint klar, dass der christliche Gott einer der vielen Götter in der Indiowelt ist. Daher sei an dieser Stelle die Frage gestattet, ob es wirklich eine Rolle spielt an welchen Gott, Glauben oder an welche Götter und Dogmen man glaubt? Ist Allah besser als Gott und sind nun die Sunniten, Shiiten, Wahabiten oder Alewiten auf dem richtigen Pfad? Die Christen oder Buddhisten erleuchteter? Zurück zu den Indios. Wenigsten hier findet kein von Menschen ausgerufener „Heiliger Krieg“ statt. Den überlassen die Indios lieber den Göttern.

Umso mehr öffnete ich mich nun den Indios gegenüber und verfiel in den folgenden Tagen und anderen abgefahrenen Prozessionen öfters wieder Mal in Trance bis zur Ekstase geratend, und das ganz ohne die Nanacatl-Pilze oder andere Drogen wie Mescalin. Nur mit einer halben Flasche Mezcal Schnaps pro Tag, mit der ich die Rache Montezuma’s, also die Magenverstimmung beruhigte. Und infolge des Nahrungsmittelmangels und der Höhe wirkte sich der Alkoholpegel besonders gut auf die rauschartigen Trancezustände aus. Da gab es keine Sprachbarrieren mehr und das universell Verbindende überwand alle kulturellen Grenzen. Dank der jungen Malerin Marcela Vera aus dem Atelier des berühmten mexikanischen Malers Tamayo erfuhr ich mehr und mehr über die Geschichte und Identität der Mixteken. Fortan haben mich die Ureinwohner auf allen Kontinenten besonders interessiert, um nicht zu sagen, magisch angezogen.

Bei den Indio-Aufständen und Friedensverhandlungen in Chiapas    

10 Jahre nach meiner ersten ausgedehnten Reise durch Mexico kehrte ich als Journalist nach Mexico zurück, als 1994 als in Chiapas die Indio-Aufstände eskalierten und die Soldaten der mexikanischen Armee in die Region der sechs Dörfer und in San Cristobal de las Casas einmarschierten, um die «MARCOS»-Rebellen zurückzudrängen und den Indio-Aufstand zu zerschlagen. Die sechs Buchstaben «MARCOS» waren die Anfangsbuchstaben der sechs aufständischen Indio-Kommunen in der Umgebung um San Cristobal. «M»argaritas, «A»ltimirano, «R»ancho, «N»uevo, «C»omitan, «O»cosingo und «S»an Cristobal. Zehn Kilometer weiter, liegt San Juan Chamula, dem Dorf der traditionsverhafteten Chamulas, wo am 1.1.1994 der Aufstand begann. Daraus ergab sich der als Anführer bekannte uns stets verhüllte «Subcomandante Marcos». Das Juwel und der Kristallisationspunkt der chamulenischen Glaubenswelt, wo Gott und die Götter verschmelzen, Christus vom Kreuz gestiegen ist, um als Sonne wiederaufzuerstehen, ist eine barocke Dorfkirche aus dem 17. Jahrhundert. Dort fuhren wir an Panzern und Strassensperren vorbei, am Himmel kreisten Militärhubschrauber und überall waren Soldaten und Truppenbewegungen zu sehen. In Ocosingo flogen uns in dieser Zeit, als ich mit einer Ernährungsberaterin für Säuglinge der UNO-Hilfsorganisation (DIF) vor Ort war, die Kugeln nur so um die Ohren und wir hatten Glück, dass uns davon keine traf und nur Einschuss-löcher in den Häuserwänden zurück blieben.

Der Chiapas-Aufstand wurde vom «Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional» (EZLN), einer sogenannt linksradikalen Bewegung ausgelöst, die sich gegen neue staatliche Auflagen im Bundesstaat Chiapas auflehnte und der mexikanischen Revolution sehr ähnelte. Die Maya-Indios litten unter dem Freihandelsabkommen der Globalisierung und der rassistischen Politik in der mexikanischen Verwaltung und dagegen wollten sie sich wehren, weil sie unterdrückt und von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen wurden. Der Konflikt begann als im Januar 1994 eine EZLN-Offensive vier Städte rund um San Cristobal de las Casas besetzte, worauf das mexikanische Militär die Situation vor Ort mit Gewalt und Unterdrückung beenden sollte und dabei auch Foltermethoden einsetzten. 2001 machten die Zapatisten unter der Führung von MARCOS einen Marsch von Chiapas nach Mexico-Stadt und am 1. Januar 2003 nahmen sie San Cristobal de las Casas ein. Erst danach setzten sich mehr und mehr NGOs für Friedensverhandlungen ein und übten Druck auf die Regierung aus. Letztlich hat sich das Schicksal der Indio-Gemeinschaften aber nicht viel zum Guten gewendet. 

Nachdem ich diesem brandgefährlichen Ort entflohen war, erlebte ich in Chiapas noch ein schweres Erdbeben und in Yucatan einen turbulenten Hurrikan. Also Mexico hat wirklich nicht mit Eindrücken gespart. Das war schon immer ein höllisch heisses Land, mal ganz abgesehen von all den Drogenkartellen, die sich damals gerade bekämpften. Eindrücklich war die Flussfahrt durch den Sumidero-Canyon, an dessen glitschigen bis zu 1000 Meter hohen Felswänden sich geübte Kletter über den Köpfen gefrässiger Krokodile emporziehen und auch schon dutzende Geier auf ihre Opfer warten. Auch die nebelverhangenen Täler und zauberhaften See- und Flusslandschaften Lago Monte Bellos an der guatemaltekischen Grenze und die wildsprudelnden Kaskaden von Agua Azul zählten zu den Highlights dieser Reise. Soviel zu Mexico. Nun geht es weiter nach Kuba, ins sozialistische Zucker- und Tabakparadies in elenden Zeiten.

Als ich mit Mitarbeitern des «DIF-Ernährungsprogrammes der UNO in einem Indio-Dorf war, pfiffen uns plötzlich die Kugeln um die Ohren und wir mussten ins Innere flüchten, worauf es minutenlang zu einem Schusswechsel rund um das Dorf kam. Nach stundenlangem Abwarten brachen wir dann im Schutz der Dunkelheit auf und verschwanden von Ocosingo.

Auf dieser Mexico-Reise gab es noch einen Hurrican in Yucatan, der uns mächtig durchschüttelte aber nichts im Vergleich zu dem schweren Erdbeben an der Pazifikküste bei Huatulco, das mich zwar verschonte, aber nachhaltige Spuren hinterliess. Ich blieb unverletzt, obschon grosse Betonbrocken runterflogen. Aber ich hörte beziehungsweise spürte noch monatelang zu Hause jedes Vibrieren der Tramschienen in 200 Meter Entfernung. Es war als hätte man hochaktive Seismographen in meinem Hirn installiert, die die geringste Erschütterung registrieren.

Höllentrip in Kolumbien im Dienste der Swissair

Und dann flog ich nach Kolumbien und traf in Bogota meinen Berufskollegen Hans-Jörg Egger vom Airport Magazin. Von Bogota flogen wir in alle Richtungen. Nach Letiza im Dreiländereck im Süden des Landes am Amazonas, nach Cartagena in die Kolonialperle, nach Cali, damals die Drogenhochburg vn Pablo Escobar. Dann nach Villa Vicencio und zur Karibikinsel San Andres hoch, die vor der Küste Nicaraguas liegt. Ein recht ambitioniertes Programm in einer woche und das ging nur, weil wir jeweils so 15 Minuten vor Abflug der Maschine beim Flughafen eintraffen. Das klappte bestens, nur beim letzten Flug nach Equador, der somit wieder ein Auslandflug war, hatten wir nicht daran gedacht, dass das Prozedere ja viel länger dauern würde.

So waren schon alle Fluggäste an Bord, als wir eintraffen. Over, lautete die Message. Hans-Jörg und ich sahen uns entsetzt an und zogen beide unsere Dokumente und zwei Visitenkarten hervor. Die knallte ich auf den Check-in Counter und sagte: „Stop the airplaine, now, immediately“. Und rannte einfach durch das Gate vorbei an den überrumpelten Securities auf das Flugfeld hinaus. Hans-Jörg keuchte neben mir, schliesslich hatten wir viel Kameragepäck im Schlepptau. Ohne dass auf uns geschossen wurde rannten wir dem Flugzeug entgegen, das alle Türen geschlossen hatte und im Anrollen war. Gleichzeig sahen wir ein Treppenfahrzeug auf das Flugzeug zu rasen und der Jet stoppte. Nach einigen Dutzend Metern hatten wir es dann geschafft und durften die Treppe hocheilen, die Türen wurden geöffnet und wir waren an Bord. „Wow, was für eine geile Action“.

Warum die funktionierte und das Flugzeug anhielt, möchten Sie wissen? Tja, die eine Visitenkarte war die des kolumbischen Luftfahrt-Minister und die andere, die des Flughafendirektors. Beide hatten wir interviewt. Und so kam es also, dass für uns zwei Schweizer Journalisten in Kolumbien ein Verkehrsflugzeug auf einem internationalen Flug auf der Rollpiste gestoppt wurde und die Bord-Türen aufgingen.

Da schon unser Boarding recht spektakulär verlief, durften wir auch gleich im Cockpit dieser Maschine abwechslungsweise auf dem dritten Piloten-Sitz Platz nehmen und den Flug nach Quito so erleben. Da wurde mir zum ersten Mal sichtbar bewusst, wie schnell es geht, wenn zwei Verkehrsflugzeuge mit je 700 Stundenkilometern auf einander zurasen. Das konnte ich beim spektakulären Landeanflug in Quito miterleben, als eine von dort gestartete Maschine recht nah und sehr schnell an unserem Cockpit vorbei flog. Erst sah ich nur einen winzigen Punkt, der rasch grösser wurde und ganz schnell an uns vorbei zischte. Noch ein wenig krasser war dann nur noch der Flug mit den Militärmaschinen über die Anden, bei dem ich allerdings ziemlich benommen war.

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