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Gesichtserkennung verletzt das Recht auf Privatsphäre

Wenn Menschen einen öffentlichen Platz betreten, werden ihre Gesichter in immer mehr Ländern automatisch erfasst, gescannt und von einem Algorithmus verarbeitet. Dies verletzt das Recht auf Privatsphäre. Ausserdem wird Gesichtserkennungstechnologie vor allem gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen eingesetzt. Daher fordert Amnesty International mit der internationalen Kampagne «Ban the Scan» ein Verbot dieser Technologie.

Eine steigende Anzahl von Ländern setzt Gesichtserkennungstechnologie zur Überwachung des öffentlichen Raumes ein. Wir leben bereits in einer Zeit potenziell vollständiger Überwachung der elektronischen Kommunikation. In manchen Ländern müssen Menschenrechtsverteidiger*innen zusätzlich etwa mit verwanzten Wohnungen und dem gezielten Ausspähen ihrer elektronischen Geräte rechnen. Gesichtserkennung schliesst den für viele Menschen letzten überwachungsfreien Rückzugsraum – die öffentlichen Strassen und Plätze. In Kombination mit Informationen aus der Kommunikationsüberwachung kann dies ein vollständiges Bild unseres gesamten Alltags ergeben.

Obwohl Gesichtserkennungstechnologie zu Identifikationszwecken für legitime Ziele eingesetzt werden kann – etwa dafür, Straftäter*innen oder vermisste Kinder zu finden – kann sie im öffentlichen Raum nach Auffassung von Amnesty International nicht verhältnismässig eingesetzt werden, da sie alle vorbeikommenden Menschen erfasst und analysiert, ohne einen individualisierten begründeten Verdacht. Dies verletzt das Recht auf Privatsphäre. Es gefährdet die Rechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäusserung, da es Menschen davon abhalten kann, an Protesten teilzunehmen.

Gesichtserkennungssysteme leisten zudem Rassismus Vorschub, da People of Color häufig am stärksten von ihrem Einsatz betroffen sind. Diese Personengruppen erfahren ohnehin bereits Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen durch die Ordnungskräfte. Schwarze Menschen laufen darüber hinaus am stärksten Gefahr, von Gesichtserkennungssystemen fälschlich identifiziert zu werden. Auch Frauen sind häufiger von Fehlidentifizierungen betroffen.

«Es besteht die Gefahr, dass die Gesichtserkennungstechnik von Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt gegen marginalisierte Gemeinschaften eingesetzt wird. Von Neu-Delhi bis New York setzt diese invasive Technologie unsere eigene Identität gegen uns ein und untergräbt unsere Menschenrechte», so Matt Mahmoudi, Experte für künstliche Intelligenz und Menschenrechte bei Amnesty International.

«Die Menschen in New York sollten in der Lage sein dürfen, ihren alltäglichen Tätigkeiten nachzugehen, ohne von Gesichtserkennungssystemen beobachtet zu werden. Andere US-amerikanische Grossstädte haben die Gesichtserkennung bereits verboten, und New York muss diesem Beispiel folgen.»

Millionen Bilder zusammengetragen

Für die Entwicklung von Gesichtserkennungstechnologie werden unter anderem Millionen Bilder ohne die Einwilligung der Betroffenen aus Social-Media-Profilen und Ausweisdokumenten, darunter Fahrausweisen, zusammengetragen. Somit können dann Bilder aus Überwachungskameras von der Software auf bestimmte Gesichtsmerkmale analysiert und mit der Datenbank gesammelter Bilder abgeglichen werden.

Während andere Städte in den USA wie z. B. Boston, Portland und San Francisco den Einsatz von Gesichtserkennung bei der Polizeiarbeit bereits verboten haben, setzt die Polizei in New York diese Technologie nach wie vor ein, um Menschen, die keinen Gesetzesverstoss begangen haben, einzuschüchtern und zu schikanieren – wie beispielsweise 2020 während der Proteste der Bewegung von Black Lives Matter.

Filmtipp zum Thema: «Coded Bias»

Der Dokumentarfilm «Coded Bias» lief am Zurich Film Festival 2020 in der Reihe «Border Lines», die jeweils von Amnesty International präsentiert wird. «Coded Bias» ist jetzt auf Netflix zu sehen.

Hausverwaltung setzt Technologie ein

Der diskriminierende Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie beschränkt sich nicht nur auf die behördliche Verwendung gegen friedliche Protestierende. In New York besteht zudem die Gefahr, dass Vermieter*innen die Technik dazu einsetzen, um People of Color auszuspionieren. Im Jahr 2019 wollte die Hausverwaltung eines Hochhauskomplexes in Brooklyn Gesichtserkennungstechnologie in dem Gebäude installieren. Bewohner*innen, die sich dagegen wehrten, wurden mit der Wohnungskündigung bedroht und aufgefordert, ihre Kampagne einzustellen.  Die Bewohner*innen gaben jedoch nicht auf und gingen gerichtlich gegen die Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre vor. Erst dann liess die Hausverwaltung von dem Plan ab, Gesichtserkennungstechnik in dem Gebäude zu installieren. Amnesty International fordert ein komplettes Verbot der Nutzung, Entwicklung und Herstellung sowie des Verkaufs und Exports von Gesichtserkennungstechnik, wo diese zum Zweck der Massenüberwachung durch die Polizei oder andere staatliche Stellen eingesetzt werden soll.

Neue Amnesty-Kampagne

Am 26. Januar 2021 startete eine Kampagne von Amnesty International gegen den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen, einer Form der Massenüberwachung, die rassistischer Polizeiarbeit Vorschub leistet und das Recht auf friedlichen Protest bedroht. Die Amnesty-Kampagne Ban the Scan ist an eine Internetseite gekoppelt, auf der die Bewohner*innen von New York gemäss dem Gesetz zur öffentlichen Darlegung der eingesetzten Überwachungstechnologien (Public Oversight of Surveillance Technologies (POST) Act) Kommentare über den polizeilichen Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie hinterlassen können. Später können zudem Anträge unter dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt werden, um zu erfahren, wo die Gesichtserkennung vor Ort eingesetzt wird.

Interview: Patrick Walder von Amnesty International über die Gefahren der Gesichtserkennung https://www.youtube.com/embed/pVPfdiuK4UM Teilen

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Die Patriarchen im islamischen Gottestaat Iran wollen die Selbstbestimmung der Frauen stark einschränken. Archivbild

Frauen im Iran droht eine massive Beschneidung ihrer Rechte. Mit gleich zwei Gesetzesinitiativen will die Regierung der sinkenden Geburtenrate im Land entgegenwirken. Sollten die Gesetze verabschiedet werden, wird der Zugang zu Verhütungsmitteln und zum Arbeitsmarkt für Frauen stark eingeschränkt.

Der heute veröffentlichte Bericht von Amnesty International «You Shall Procreate: Attacks on women’s sexual and reproductive rights» dokumentiert im Detail die geplante Einschränkung der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen im Iran. (Bericht im Anhang)

«Die geplanten Gesetze sehen vor, dass die Behörden das Intimleben von Frauen reglementieren können. Frauen sollen zu Gebärmaschinen degradiert werden, damit die Geburtenrate im Land wieder steigt. Das ist diskriminierend und ein eklatanter Rückschritt für die fundamentalen Rechte von Frauen und Mädchen im Iran», sagt Stella Jegher von Amnesty International Schweiz.

Der erste Gesetzesentwurf (Bill 446 „to Increase Fertility Rates and Prevent Population Decline“) reglementiert die Information über und den Zugang zu legalen Verhütungsmitteln. Vorgesehen ist auch ein Verbot der freiwilligen Sterilisation, der zweithäufigsten legalen Verhütungsmethode im Land. Der Stopp des Familienplanungsprogramms wird unweigerlich zu einem Anstieg ungewollter Schwangerschaften und damit zu illegalen und gefährlichen Schwangerschaftsabbrüchen führen.

Der zweite Gesetzesentwurf (Bill 315 „The Comprehensive Population and Exaltation of Family“) sieht vor, dass öffentliche und private Arbeitgeber der Reihe nach verheiratete Männer mit Kindern, verheiratete Männer und verheiratete Frauen mit Kindern bei einer Stellenbesetzung bevorzugen müssen. Das ist eine gezielte Diskriminierung am Arbeitsmarkt von nicht verheirateten, beziehungsweise kinderlosen Frauen.

«Die Iranischen Behörden bestimmen bereits die Kleiderordnung für Frauen, den Zugang zum Studium und zu Berufen. Jetzt wollen sie auch noch ihre Privatsphäre kontrollieren und den Frauen vorschreiben, wie viele Kinder sie zu bekommen haben. Beide Gesetzesvorschläge müssen gekippt werden und die iranischen Behörden müssen ausreichende Mittel für qualitative Familienplanung zur Verfügung stellen», fordert Jegher.

Amnesty International setzt sich mit der weltweiten Kampagne «Mein Körper, meine Rechte!» (My Body My Rights) für die sexuellen und reproduktiven Rechte ein mit dem Ziel, die Kontrolle und Kriminalisierung von Sexualität und Reproduktion von Regierungen zu stoppen. (Quelle: Amnesty)

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