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Libanon: Im Palästinenser-Flüchtlingscamp «Schatila»

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

© GMC/Gerd Müller

VORWORT

Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund, prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend Eine gelungene Mischung aus gehobener Reiseliteratur, globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten und persönlichen Essays – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Der Autor publizierte Hunderte von Reportagen in deutschsprachigen Tageszeitungen und Magazinen.

Es war wieder einmal eine alte „Airline-Connection“ die mich in den Libanon verfrachteten sollte, denn dorthin wollte ich schon immer. In meiner Jugend war der Libanon die «Schweiz des Nahen Ostens», eine kulturelle Hochburg im Orient, ein Schmelztiegel von Jet Set, Aussteiger und kreativen Musik-Freaks. Zudem kam von der Beeka Ebene in meinen Augen der weltbeste Shit, also Haschisch aus von Hand geernteten Hanfblüten, von feinstem Geschmack und bestem Feeling sowie besonders intensiven und wohlriechenden Geschmacksnoten versehen. Tempi passati, als ich endlich in den Libanon kam. Da war das Land bereits vom Krieg mit Israel gezeichnet und wirtschaftlich am Boden zerstört, sowie gesellschaftlich zu tiefst gespalten zwischen ethnischen Gruppen wie den Shiiten, Suniten, Drusen und Maroniten sowie anderen Minderheiten. Beirut war ein heisser Boden und eine heikle Mission, selbst für einen krisenerprobten Reporter. Das grösste Problem war, dass ich kein Wort arabisch sprach oder verstand.

Ich habe Ich habe ja schon viele Konfliktregionen besucht und das selbst kritisch heisse Phasen erlebt, aber in die Hisbollah-Quartiere vorzustossen, habe ich mich ohne entsprechende Kontakte und Verbindungen oder eine ortsvertraute Person im Hintergrund dann doch nicht getraut. Doch um Kontakte zu knüpfen, war die Zeit bis zur Abreise innert wenigen Tagen zu knapp. Ausserdem ist einer der wichtigsten Schutz-Faktoren in meiner Tätigkeit, nicht nur die Sprache der Bevölkerung zu sprechen, sondern wenn möglich gar nicht als Ausländer oder Fremdling erkannt zu werden..

Während meines kurzen Aufenthaltes wurde ich alleine drei Mal an einem Tag von der libanesischen Armee angehalten und kurz verhört und in den Hisbollah Quartieren wurde es noch ungemütlicher. Fast an jeder dritten Ecke wurde man als Ausländer angehalten und gefragt, wer man sei und was man hier wolle. Die Hisbollah ist Irans wichtigster Verbündeter im Libanon und das nicht nur aus militärischer sondern auch aus politischer Sicht, denn die Hisbollah ist zusammen mit ihren Verbündeten die wichtigste politische Kraft im implodierten Land an der Levante. Doch der Libanon dient dem Iran als militärische Front gegen Israel und das ausserhalb des eigenen Staatsgebietes. Daher ist das Assad Regime in Syrien auch ein Verbündeter und Irans einziger strategischer Partner des Irans mit starken Kräften im Libanon.

Aufgrund der prekären Sicherheitslage und ohne lokale Kontaktpersonen sowie einen angemessenen Schutz zog ich mich aus diesem Quartier zurück und kam stattdessen im Palästinenser-Flüchtlingscamp «Schatila» an. Dort zeigte mir ein Palästinenser die drei Massakerstätten. Als Massaker von «Sabra» und «Schatila» wird eine Aktion von phalangistischen Milizen , also maronitisch-katholischen Gruppen bezeichnet, die gegen die im Süden von Beirut lebenden palästinensischen Flüchtlinge gerichtet war.

Im September 1982 – mitten im libanesischen Bürgerkrieg – wurden die Flüchtlingslager «Sabra» und «Schatila» gestürmt, die zu jener Zeit von israelischen Soldaten umstellt und Hunderte von Zivilisten massakriert. Da es sich bei der Kampfhandlung um einen Konflikt zwischen christlichen Milizen und palästinensischen Kämpfern handelte, entzündete sich die internationale Empörung an der israelischen Mitverantwortung. Denn nach dem Abzug des israelischen Militärs in eine Sicherheitszone vor der israelischen Grenze übernahm Syrien die militärische Kontrolle des Gebiets rund um das Flüchtlingslager.

Da auch Syrien daran interessiert war, die im Libanon verbliebenen «PLO»-Kämpfer und palästinensischen Nationalisten zu schwächen, wurde die Lage der Menschen im Flüchtlingslager noch schlimmer. Im Zuge der Lager-Kriege verübte die schiitische Amal-Miliz im Mai 1985 ein von libanesischen und syrischen Armeeverbänden geduldetes Massaker an Zivilisten in denselben palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila. Der libanesische Bürgerkrieg dauerte noch bis 1990. Das Massaker wurde daraufhin von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1982 als Genozid gewertet. Soviel zu dieser tragischen Geschichte der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon.

Nachdem ich Beirut ein wenig erkundet hatte, machte ich einen Abstecher nach Byblos, das zu den ältesten Städten der Welt zählt und seit über 7000 Jahren besiedelt ist. Der Hafen wurde schon seit der Steinzeit genutzt. Berühmt wurde der Ort auch durch die Sage von Adonis, der eine Tagesreise entfernt bei der Quelle des Adonis Flusses ums Leben kam. Der Aufstieg Byblos kam mit dem Bedarf der Aegyptischen Pharaonen am libanesischen Zedernholz für ihre Schiffe.

Dann kamen die Griechen, die dem Ort den heutigen Namen gaben, als Papyrus die grösste Rolle beim Aufstieg der Phönizier spielte, weil hier das erste Alphabet entstand und Byblos daher auch zum Geburtsort der Schrift und der Bibel wurde. Nach den Asyren und Babyloniern eroberten die Perser den Raum bis Alexander der Grosse den griechischen Einfluss durchsetze. Schliesslich kamen auch die Römer in Byblos an. Eine Stadt also, die geschichtlich gesehen immer eine grosse Rolle gespielt hat und verschiedenste Einflüsse und Strömungen erlebt hat.

Wenn man bedenkt, dass der Libanon in den 70er und frühen 80er Jahren ein sehr liberales Land mit einem ausgeprägtem französischen Savoir vivre war und Beirut, als auch Teheran im Iran und Kabul in Afghanistan, Hochburgen des Vergnügens waren und des internationalen Jet-Set ebenso wie Aussteiger auf dem Weg nach Indien anzog.  Heute strahlte Beirut nur noch einen erbärmlich heruntergekommen „Katastrophen-Chick“ aus. Die Spuren der vielen Kriege und Bombenattentate sind unübersehbar und äusserst bedrückend. Als 2020 auch noch der ganze Hafen in die Luft flog und das umliegende Quartier pulverisierte, war der von einigen Clans ausgeblutete Staat total am Ende angelangt.

Zudem beherrbergt der Libanon auch noch eine weitere Last, die der über eineinhalb Millionen syrischen Flüchtlinge. Eine aussichtslose Lage für das Zedernland. Mit dem Mietauto fuhr ich von den Tempelruinen des Unesco Welterbe Byblyos nach Tripolis und dann in das Hochgebirge weiter bis nach Bsharreh zu den maronitischen Felsenklostern hoch. Für die Bekka-Ebene reichte die Zeit leider nicht. Heute ist der Libanon ein implodierter, höchst korrupter, abgehalfter Staat und die religiösen Gruppen sind zerstrittener, den je zuvor. Aber halten wir uns in Erinnerung, dass auch Europa über 150 Jahre von religiösen Konflikten erschüttert wurde bis eine säkulare Gesellschaft entstand.

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