Auszug aus dem Buch «DAS PENDEL SCHLÄGT ZURÜCK – POLITISCHE & ÖKOLOGISCHE METAMORPHOSEN» des Zürcher Fotojournalisten Gerd M. Müller. Das ganze Manuskript ist als E-Book-Version auf www.self-publishing.com zu finden.
Der Zürcher Autor, Gerd Michael Müller (Jg. 62), reiste als Fotojournalist durch mehr als 50 Nationen und lebte in sieben Ländern, darunter auch in Südafrika im Untergrund während der Apartheid. In den 80er Jahren war er Politaktivist bei den Zürcher Jugendunruhen und im «AJZ». Dann engagierte er sich für wegweisende Wildlife & Ökoprojekte im südlichen Afrika und humanitäre Projekte andernorts auf der Welt. Schon 1993 berichtet Müller über den Klimawandel und 1999 gründete er das «Tourismus & Umwelt Forum Schweiz». Durch seine humanitären Einsätze lernte er Nelson Mandela, den Dalai Lama und weitere Lichtgestalten kennen. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus gehobener Reiseliteratur, spannendem Politthriller und gespickt mit abgefahrenen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie.
1996 flog ich das erste Mal nach Indien und zwar nach Kerala an die Südspitze ins Land der aufstrebenden Ayurveda-Resorts und Kliniken. Ich hatte zuvor schon auf Sri Lanka mit der ayurvedischen Medizin hautnahen K1996 flog ich das erste Mal nach Indien und zwar nach Kerala an die Südspitze ins Land der aufstrebenden Ayurveda-Resorts und Kliniken. Ich hatte zuvor schon auf Sri Lanka mit der ayurvedischen Medizin hautnahen Kontakt aufgenommen und eine Pancha Karma Reinigungs-kur gemacht und auf der Tropeninsel sieben der damals Besten Ayurveda-Resorts besucht und sie miteinander verglichen. Es waren dies das «Aida» in Bentota, das «Lanka Princess» in Beruwela, «Lawrence Hill» in Hikkaduwa, das «Paragon» in Unavatuna, das «Surya Lanka» in Matara und das «Vattersgarden» in Kottegoda. Der Bericht darüber hat in diversen Wellness-Magazinen reissenden Absatz gefunden. Die ayurvedische Medizin, die ich hier kennengelernt hatte, faszinierte mich derart, dass ich beschloss nach Kerala zu reisen und dort traf ich auf die südindischen Ayurveda-Pioniere die cgh earth group, die sich mit sehr exklusiven Resorts bereits einen Namen gemacht hat.
Ayurveda-Kräutersauna im Aida Hotel, Bentota, Sri LAnka.
Die ayurvedische Medizin wurde vor über 5000 Jahren von hochbegabten Indern in der Tiefe ihrer Meditation und Spiritualität entdeckt, aber infolge der Kolonialisierung und Berufsverboten der britischen Kolonialregierung über 50 Jahre lang unterbunden, bevor sie in den 90er Jahren ein Revival erlebte. «Dadurch ging viel Wissen verloren», sagt Dr. Jayawardhana von der Universität Colombo. Was vor tausenden von Jahren in Nordindien entwickelt wurde, ist ein ganzheitliches Natursystem, das Körper, Geist und Seele eine Einheit betrachtet, denn ndie Ayurveda-Philosophie geht davon aus, dass alle Materie, so auch der Mensch, auf die fünf Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer und Raum zurückzuführen sind. Aus der Verbindung der fünf Elemente bilden sich drei Grundkonstitutionen, die sogenannten Doshas. Die Elemente Luft und Raum bilden das Vata-Dosha und steht für das Lebensprinzip Bewegung. Es steuert also die Bewegungsabläufe im Körper, die Atmung und das Nervensystem. Die Pitta-Energie ist für alle Reaktionen zuständig, bei denen Wärme entsteht, also für den Verdauungstrakt und die Stoffwechselvorgänge. Die Elemente Erde und Wasser beeinflussen das dritte Dosha, das Kapha. Ihre Energie ist strukturierend, formgebend und verantwortlich für den Zell- und Skelettaufbau, gleichzeitig reguliert sie den Flüssigkeitsausgleich. Und dann gibt es noch die drei Säulen der Gesundheit: Es sind dies «Ahar» (Ernährung), « Nidra» (Schlaf) und « Bramacarya» (Mentale Ethik).
Buddhist monk and ayurvedic doctor showing old sanskrit letters in Galle-City, Sri Lanka
Nun hat jeder Mensch von Geburt an sein individuelles Zusammenspiel der Doshas und diese einzigartige Kombination beeinflusst seine Gesundheit und sein Körperbau als auch die charakterlichen Eigenschaften. Nur wenn sich die Doshas im Gleichgewicht befinden, sind Körper und Seele gesund. Das ist das Ziel einer Ayurveda-Behandlung, gerade im Bereich von chronischen Krankheiten. Wie Migräne oder Neurodermitis kann Ayurveda beträchtliche Erfolge aufweisen. Die Ayurveda-Kur beginnt zumeist mit einer Pulsdiagnose, wobei die Ayurveda Ärztin drei Finger sachte oberhalb der Daumenwurzel auf den Unterarm presst und den Pulsschlag misst. Sie stellt fest, ob er «stark pocht, wie Wellen durch den Körper gleitet, hüpft wie ein Frosch oder wie ein Elefant dahin trottet». So wird die Harmonie der drei Doshas festgestellt.
Ayurveda geht davon aus, dass in der Natur alles wächst, was es braucht um den Menschen gesund zu machen und und zu erhalten. So werden Pflanzen, Mineralien, Aschen, salze, Rinden, Hölzer, Wurzeln und tierische Produkte gekocht und pulverisiert und dann zu Pillen, Salben und Ölen verarbeitet. Das zartgelbe Sesamöl ist die Basis aller Massageöle. Es ist reich an ungesättigten Fettsäuren und macht spröde Haut weich und glatt. Dem Sesamöl mischt der Arzt oder die Arztin andere natürliche Zutaten bei, die spezifisch auf den jeweiligen Dosha-Typ abgestimmt sind. Das Öl kann somit optimal auf die individuelle Konstitution des Menschen einwirken. Keine andere Medizin der Welt weist ein derart allgemeingültiges, tiefgreifendes und ganzheitliches Reinigungssystem auf, wie die ayurvedische Medizin und die Panch Karma Kur insbesondere. Sie ist die Mutter aller Kuren! Während 21 Tagen werden zuerst alle Giftstoffe aus dem Körper ausgeschieden und das Gewebe bis auf die Knochen mit den Heilölen eingerieben. Die passende Kost und die wohltuenden Behandlungen führen dazu, dass man nach der Pancha-Karma Kur vor Vitalität nur so strotzt und sich wie ein neuer Mensch fühlt.
Yoga Training at the Kalari Kovilakom Ayurveda Healing Palace in Kerala, India.
Da sich Ende der 90er Jahre die Wellness und Wellbeing Tourismusindustrie zu etablieren begann, fokussierte ich mich einige Jahre sehr stark auf diesen Tourismuszweig und besuchte weltweit die besten Spa-Resorts, da ich nun über die Kooperation mit den Tageszeitungen hinaus auch viele weitere edle Hochglanzmagazine für Publikationen gesichert hatte und schliesslich für Publikationen wie das «Relax und Style», «World of Wellness» und «Wellness live» nicht nur Reportagen ablieferte, sondern auch Anzeigen generierte und so auch vom Verlagsgeschäft profitierte. Die Ayurvedische Medizin entwickelte sich fortan auch in Europa mit rasanter Geschwindigkeit. Ayurveda-Zentren schossen wie Pilze aus dem Boden, denn die fernöstliche Medizin wollte sich rasch über den Wellnessbereich hinaus auch im medizinischen Sektor etablieren und insbesondere die Ernährungsberatung werde gefragt sein, waren sich die Fachleute damals einig. Du bist, was du isst, hatte Hypokrates einst gesagt und war sozusagen der erste westliche Ayurveda-Botschafter. Immer mehr Menschen drehen das Rad zurück und lassen sich von uralten Heilmethoden überzeugen oder probieren sie zumindest aus. Dass auch Yoga und Meditation ihre Wirkung auf eine gesundes Leben nicht verfehlen hat sich hernach auch in der westlichen Welt zunehmend durchgesetzt. Zumindest Yoga ist zu einem unübersehbaren Trend geworden.
Kalari, die alte Kampfsportart wird auch im Kalari Kovilakom Ayurveda Healing Palast in Kerala von den Therapeuten (und manchmal auch von den Gästen) praktiziert.
In Kerala angekommen, durfte ich das Kronjuwel der «cgh earth group», den alten Maharadscha-Palast «Kalari Kovilakom» besuchen und erlebte einen wahrhaft königlichen Empfang und eines der zwölf Palastgemächer. Die Authentizität der alten Kultur und die Heiligkeit eines Ashrams verliehen diesem Ayurveda-Tempel ein einmaliges Ambiente. Wer hier eintritt, der lässt die alte Welt hinter sich und lebt ein ganz anderes, in sich gekehrtes von der Aussenwelt abgeschnittenes Urerlebnis und eine höchst qualitative Behandlung. Besonders in Deutschland wurde die «Somatheeram» und «Malatheeram» in Chowara bei Trivandrum berühmt. Die beiden Resorts wurden regelmässig vom Department for Tourism als «beste Ayurveda-Resorts» ausgezeichnet und mit dem «Greenleaf-Award» geehrt. Ein weiteres Highlight war die «Duke’s Forest Lodge» inmitten einer Gummiplantage in Anapara. Das Bijoux, das aus fünf grosszügigen Pavillions besteht ist in der prächtigen tropischen Fauna mitten im Wald eingebettet. Ein weiteres Highlight war die «Coconut Lagoon» in Kumarakom, das an einem zauberhaften See in einer prächtigen Gartenanlage liegt und durch die traditionellen Kerala-Häuser besticht. Sowohl das Essen, als auch die Therapeuten waren Spitzenklasse. Ebenfalls ein ganz spannender Ort ist das «Spice Village» in Periyar, das inmitten einer Teeplantage auf rund 1000 Höhenmetern liegt und daher vom Klima sehr angenehm ist. Wer ein internationales Luxushotel mit sehr guter Ayurveda-Abteilung und vielen Spa-Behandlungen sucht, der findet dies im «The Leela Meridien» an der Koralam Beach. Genug des guten Wohlbefindes in Indien, nun werfen wir kurz einen Blick auf die zweite Indien-Reise als Narenda Moodi im Wahlkampfmodus war und eine der professionellsten internationalen Wahlkampagnen (die ich je gesehen/miterlebt habe) und gleichzeitig ein Tourismusförderungsprogramm für den Bundesstaat Gujarat, aus dem Moodi als auch Ghandi stammt.
2013: Augenschein in Gujarat und Treffen mit Narenda Moodi
Press conference with Gujarats Tourism-, Transport-, Chief Minister Nahredra Modi at the Gujarat Travel Mart in Ahmedabad-City
2013 wurde ich im März an der jährlich in Berlin statt findenen Tourismusfachmesse «ITB» in der Halle, wo sich Indien und die indischen Veranstalter präsentierten, auf eine Pressereise nach Gujarat angesprochen und gab den Initiatoren meine Visitenkarte. Schon zwei Monate später flog ich wie Dehli nach Ahmedabad, die Hauptstadt des Bundesstaates Gujarat und traf dort zu meinem Erstaunen auf ca. 150 Journa-listInnen, die aus der ganzen Welt eingeflogen worden waren, um die touristischen Reize Gujarats kennenzulernen und nachdem wir uns in verschiedene Interessengruppen aufgeteilt hatten, wurden wir fünf Tage lang durch die Gegend gekarrt und mit den touristischen Highlights vertraut gemacht. Das war zunächst der Rani ki Vavstepwell bei der Stadt Patan am Ufer des Saraswati Flusses. Die zum Unesco Weltkul-turerbe zählende Tempelanlage wurde im 11. Jahrhundert zu Ehren der Königstochter von Khengara von Saurashtra der Solanki Dynastie gewidmet. Die Tempelanlage war ein riesiger, achtstöckiger Wasserspeicher und enthält über fünfhundert Fresken aus der damaligen und bis heute gültigen Mythologie.
Ein weiteres Highlight war der Hindu Sun Tempel in Modhera, auch diese Tempelanlage liegt am Ufer eines Flusses, dem Pushpavati-River. Die heilige Stätte wurde zwischen 1026 und 1027 v. Chr. Während der Aera von König Bhima I von der Chaulukya Dynasty gebaut. Die Tempelanlage besteht aus drei Komplexen: Dem Shrine Gudhamandapa, der Vereinigungshalle Sabham-andapa und dem Wasserreservoir Kunda. Dann ging die Fahrt im Jeep weiter und führte in ein unwirtliches, staubtrockenes Land zur Rann of Kutch, ein Salzwasser-Marschland an der Grenze zwischen Indien und Pakistan. Die Rann of Kutch ist in zwei Regionen unterteilt: Die Grosse und die Kleine Rann Kutch. Die grosse liegt in Pakistan, die Kleine Rann of Kutch grenzt südöstlich an den grossen Bruder und reicht bis zum Gulf of Kutch. 20,946 km2 der Kleinen Kutch sind geschütztes Gebiet mit einem Wildlife Sanctuary (7506.22 km2), das es seit 1986 gibt und dem – (4953.71 km2), welches schon 1973 etabliert wurde. Am Schluss der Reise verbrachten wir noch eine Nacht im Maharadscha Palast in Poshina und bevor es in die Hauptstadt GujaratsAhmedabad zurück ging, wo ich noch das Ghandi Museum besuchte und dann kam es zur Schlussveranstaltung des Journalisten-Events mit dem Auftritt von Narenda Moodi, von dem bis zur Stunde keiner der Medien-verteterInnen wusste. Erst als einige schwerbewaffnete Soldaten mit Minenspürgeräten und Suchhunden auftauchten, war klar, dass es in Kürze Action gab. Dann fuhr eine kleine Eskorte vor und NarendaMoodi stieg im Beisein des Tourismusministers von Gujarat und einiger anderer Officials auf und machte allen seine Ambitionen auf das indische Präsidentschaftsamt klar, ein Ziel, dass er ja dann auch erreichte und seither Indien mit seinem Hindu-Nationalistischem Kurs spaltet.
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Auszug aus dem Buch «DAS PENDEL SCHLÄGT ZURÜCK – POLITISCHE & ÖKOLOGISCHE METAMORPHOSEN» des Zürcher Fotojournalisten Gerd M. Müller. Die E-Book-Version ist auf www.self-publishing.com zu finden.
VORWORT
Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Hot-Spots und Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf und rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund. Er prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Resourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus gehobener Reiseliteratur und globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben.
Peace, Love and Happiness dazu ein paar horizonterweiternde Substanzen – eine irre schöne Zeit
1980 war das Jahr, das die biedere Gesellschaft in der Schweiz aufrütteln und im Laufe der 80-Jahre umpflügen sollte. Im Mai desselben Jahres begannen die «Opernhauskrawalle» als Auftakt zu den «Zürcher Jugendunruhen». Auslöser dafür war die Unzufriedenheit der Jugend mit den für sie zur Verfügung stehenden Einrichtungen und Freiräumen. Das manifestierte sich am augenfälligsten Beispiel der bevorstehenden Abstimmung über einen Subventionsbeitrag von 60 Mio. Franken an das Opernhaus und im Gegenzug keine 10‘000 Franken für die «Rote Fabrik», damals das einzige Jugendkulturzentrum der Stadt Zürich. Zu jener Zeit gab es noch die Sperrstunde für alle um Mitternacht. Eine halbe Stunde später mussten alle brav zu Hause sein. Der Freizeitspass und weitere kulturelle Angebote hielten sich in engen Grenzen. Freiräume für pubertierende Jugendliche gab es überhaupt keine, nur ein oder zwei Freizeitzentren, die auf Sport fokussiert waren.
Drei kurze Sätze waren in meiner Jugend prägend: „Das kannst du nicht!“ „Das darfst du nicht!“ Und: „Das geht nicht!“. Das war Motivation pur für eine Revolution nach dem Motto: „Klar geht das!“ Warst du einen Zacken neben der Spur, das heisst abseits der biederen bürgerlichen Norm von Moral und Ordnung, wurdest du gleich eines Aussätzigen behandelt. Radio und TV waren tote Hose damals. In der Schweiz und in ganz Europa war es in den 70er grau Jahren und trist in jeder Hinsicht. Die Bevölkerung verharrte in ihrem biederen, konservativen Korsett. Ein Nachtleben, Internet oder Streaming gab es nicht. Gute Musik oder Filme waren rar bis Videotheken aufkamen und der «Walkmen» die Musikwelt veränderte. Aber Handy, Labtop, PC, Social Media und Co. gab es nicht. Kein Wunder, dass es in der jugendlichen Szene schon länger brodelte. Und plötzlich entlud sich das Pulverfass, das die Gesellschaft nicht nur in der Schweiz sondern in ganz Europa erschütterte. Nach den 68ern kam die nächste anarchistische Jugendrevolte, die im Mai 1980 begann.
Die Tristesse war eine Folge der Ölkrise, des «Kalte Krieges», der Mauer und Bedrohung durch die Kommunisten, des Vietnamkrieges, der immer brutaler und grotesker wurde, in Europa weit verbreitet. Erst flächendeckende Napalm-Bombardements auf die Zivilbevölkerung. Dann die «Agent Orange» Entlaubungsaktionen, schliesslich die grauenhaften Bilder von brennenden Menschen und Kindern durch die Napalm-Bombardements, all die verstümmelten Toten und die Gefangenenlager. Einfach nur grauenhaft und sinnlos.
Da schrien Herz, Seele und Verstand nach Gerechtigkeit, wenn nicht gar nach Vergeltung. Unerklärlich an diesem Vernichtungskrieg war, dass er jahrzehntelang nicht vom US-Kongress abgesegnet und von der «CIA» finanziert wurde und die hat die Kriegskosten dadurch bezahlt, indem die US-Truppen im Goldenen Dreieck das Opium tonnenweise in die leeren Bombenflugzeuge verfrachteten und nach Mexico brachten, wo das Opium zu Heroin verarbeitet wurde. So hat sich Amerika die Heroinflut vor die eigene Haustüre geschaffen und den Mexikanern ihre Drogenlabore und -kartelle beschert. Bei dieser kafkaesken Operation ist der «CIA» definitv das «I» also die «Intelligence» abhanden gekommen. Nebst dem «Kalten Krieg» kam die atomare Bedrohung hinzu und nicht zuletzt die Gefahr von den Atommeilern selbst.
Die Schweiz wollte damals eine Atommacht werden und im Zuge dieser irrwitzigen Absicht, ist es in der Schweiz im Januar 1969 zu einem Reaktorunfall in Lucens im Kanton Waadt gekommen. Dann kam es zu dem Reaktorunfall in Tschernobyl und später haben die Gebrüder Tinner skandalträchtigbewiesen, dass man das Atom Know How auch exportieren kann. Und Peter Regli, ein Schweizer Geheimdienst-Offizier, arbeitete mit dem Apartheidregime beim ABC-Waffenprogramm zusammen. Dazu kommen wir noch ausführlicher. Die Schweiz hat also nicht nur ihre politische Kurzsichtigkeit exportiert, sondern auch Südafrika und Pakistan mit Atom-Know-how und Uran versorgt.
Ein Schweizer Indio in Arizonas auf den Spuren von Jack Kerouak «On the road again»
Doch zurück nach Zürich zur hiesigen explosiven Lage: Schon im Vorfeld der Abstimmung für den Opernhauskredit am jährlich stattfindenden «Allmendfest» über Pfingsten mit den ersten Open Air Konzerten, wurden Flyer für eine Demo verteilt und Jugendzentren gefordert. An diesem warmen und wunderschönen Pfingst-Wochenende wurde mir die Bedeutung der Hippie-Bewegung vor Augen geführt, so nach dem Motto: «Peace, Love, Happiness & Freedom». Natürlich kifften fast alle auf dem Gelände. Einige hatten auch einen LSD-Trip intus und die Stimmung war absolut grandios. Die Musik war rockig, punkig und auf Rebellion getrimmt. Schliesslich brodelte es schon seit den 68ern in der Subkultur unter den Jugendlichen und so kam dieser Power-Sound gerade zur richtigen Zeit.
Zufällig fuhr ich am Samstag-Nachmittag des 30. Mai 1980 mit dem Tram beim Zürcher Opernhaus vorbei, exakt in dem Moment, als Hundertschaften von Polizisten aus dem von Demonstranten blockierten Opernhaus-Eingang herausquollen und auf die am Boden liegenden Personen (die sogenannten «Kulturleichen») einschlugen. Sie traten auf Frauen und Männer gleichermassen ein. Diese brutalen Szenen verschlugen mir und auch anderen Passanten den Atem und liessen die Wut in meinen Bauch explodieren. Sogleich stieg ich aus dem Tram, da brannten schon die ersten Container und die Scharmützel mit der Polizei begannen.
Als die Polizisten gleich mit aller Härte vorgingen und mit Tränengas und Gummigeschossen um sich schossen, als auch Wasserwerfer einsetzten, eskalierte die Situation innert wenigen Stunden, da sich an diesem frühen Samstagabend viele Jugendliche infolge des Bob Marley Konzert im Hallenstadion befanden und dann in die Innenstadt strömten. Viele nahmen spontan an den Protesten, die sich schon zu veritablen Strassenschlachten ausgeweitet hatten, teil. Von da an hatte die Polizei für drei, vier Tage nichts mehr unter Kontrolle und die Strassenkämpfe entluden sich mit voller Wucht.
Der Kantonspolizeiposten am Limmatquai wurde umzingelt, zwei der Polizei-Fahrzeuge brannten völlig aus und auch der Eingang zum Rathaus sah dementsprechend übel aus. Die Stadtluft im Niederdorf war geschwängert mit beissenden Tränengasrauchschwaden, dichter, als London im November-Nebel. Das Ausmass der Zerstörung war ebenso unfassbar, wie die Ohnmacht der Sicherheitskräfte, als sich der jahrelang aufgestaute Frust der Jugendlichen und Alt-68ern in blanke Wut verwandelte (angestachelt durch die Gewalt der Ordnungskräfte beim friedlichen Opernhaus-Protest), mit dem die Demonstranten den Opernhausbesucher die einseitige Subventionspolitik aufzeigen wollten.
Der ersten Krawallnacht folgten einige weitere Strassen-Schlachten im Lauf dieses Jahres, in der sich die «Bewegig» der Autonomen jeweils Mittwoch‘s in den Volksversammlungen («VV‘s») im Volkshaus oder vereinzelt auch auf dem Platzspitz formierte. Fast jeden Samstag waren Demonstrationen angesagt. Regelmässig verbarrikadierten die Geschäfte im Niederdorf um 14.00 Uhr ihre Schaufenster mit Brettern, weil die Proteste weiterhin an Fahrt aufnahmen und sich bis hin zu Grossdemonstrationen mit fast 20‘000 Personen formierten. Die Forderung der Jungend war schlicht und einfach: „Ein Autonomes Jugendzentrum!“, ein «AJZ» muss her! Und zwar „subito!“
Am 15. Juli 1980 sollte in der Sendung «CH-Magazin» einer der grössten Skandale in der Geschichte des Schweizer Fernsehens stattfinden und Gesprächsthema Nr. 1 des Landes werden: Die Zürcher Jugendunruhen, die mit solcher Heftigkeit über das biedere Land hereingebrochen waren schlugen die Wogen bis zum Hudson River und wurden auch von der «New York Times» aufgegriffen. Die beiden vom Fernsehen eingeladenen Vertreter/innen der Jugendbewegung, Herr und Frau Müller, liessen den beiden Stadtvertreter/innen, im Gespräch mit Stadträtin Emillie Lieberherr und dem Polizeikommandanten mit ihrer Polit-Persiflage die Hosen runter.
Die Protagonisten der Jugendbewegung, „Herr und Frau Müller“, kehrten den Spiess nämlich um und präsentierten sich als stock konservatives Paar, dass die Politik geradezu unverschämt dazu aufforderte, mit aller Härte gegen jene «Krawallanten» vorzugehen, denn zur Option stünden viel grössere und härtere Geschosse z.B. aus Nord-Irland. Auch der Einsatz von Napalm müsse diskutiert werden. Ansonsten wäre es auch mit einem «Ticket nach Moskau“ ohne Rückfahrkarte getan. Zuerst war ich auch verblüfft und konsterniert, traute meinen Ohren nicht, verstand dann aber rasch die Pointe des kafkaesken Auftritts, der Schweizweit für Entrüstung und Schlagzeilen sorgte. „Châpeau, fein gemacht, compatriots revolutionaires!“
Die überschäumende Kreativität der «Bewegig» und ihrer Aktivisten und Aktivistinnen gipfelte in einem weiteren Medien-Coup. Als der Tagesschausprecher Leon Huber 3. Mai 1981 die Nachrichten verlass, hielten ihm plötzlich zwei maskierte Männer das Schild «Freedom für Giorgio Bellini» (ein anarchistischer Tessiner Buchhändler, der Sprengstoffanschläge auf AKWs verübte und zuletzt einen Strommasten in die Luft sprengte, weil er mit einer Gruppe militanter Autonomer gegen die Atomkraftwerke war) vor die Brust und in die Kamera und verschwanden unerkannt. „Wir haben uns köstlich amüsiert über diese unverfrorene und medial spektakuläre Aktion“. Aber Bellini hat es nichts genützt. Er wurde verurteilt und inhaftiert.
Erst zu ein paar Details, wie die spektakuläre TV-Aktion ablief: Insgesamt drangen fünf Personen, zwei Frauen und drei Männer beteiligt, die als PolizistInnen verkleidet das Fernsehstudio betraten unter dem Vorwand eine Drogenrazzia zu machen, was damals offenbar beim Schweizer Fernsehen kein Stirnrunzeln oder einen Verdacht hervor rief. Zwei Personen drangen in den Regieraum ein und sorgten dort für Ablenkung und ein wenig Chaos.
Zeitgleich drangen zwei weitere Personen in die Sprecherkabine ein und hielten Leon Huber das Schild vor die Nase in die Kamera der Hauptausgabe. Es kommt aber noch besser: Als die beiden Chaoten aus dem Regieraum angehalten und der Polizei übergeben werden sollten, holten die KollegInnen von der Sprecherkabine die beiden ab und sagten, sie nähmen sie gleich mit. So kamen alle fünf unerkannt davon. Zurück zu Giorgio Bellini, der in Zürich einen revolutionären Buchladen an der Engelstrasse betrieb.
Als das Schweizer Stimmvolk am 18. Februar 1979 die Atomschutzinitative mit einem knappen Anteil von 51,2 Prozent ablehnte machte sich eine kleine Gruppe von militanten AKW-Gegnern auf den Weg ins Fricktal. Die Gruppe „Do it yourself“ hatte acht Kilo Sprengstoff im VW-Bus und sprengte damit den Informations-Pavillion beim geplanten KKW Kaiseraugst in die Luft. Personen kamen keine zu Schaden, doch über den materiellen Schaden hinaus, entzündeten die AktivistInnen eine harsche politische Debatte, denn Sprengstoffanschläge haben in der Schweiz zum Glück Seltenheitswert. Nach dem Sprengstoffanschlag in Kaiseraugst folgten weitere Anschläge auf die AKWs Leibstadt und Gösgen.
Auf die Frage, wie die Gruppe an den Sprengstoff heran kam, sagte Bellini, dass dieser in der Landwirtschaft und auf dem Bau verfügbar war und zu seiner Zeit sowas wie das Spielzeug für „die dem Kindesalter entwachsenen war“. In der Tat kann ich das bestätigen und hinzu fügen, dass wir als Kinder auch mit Armee-Pistolen und anderen Waffen gespielt haben und schon als 14 jährige auf grösseren Motorrädern ohne Helm Jumps in der Kiesgrube übten.
Das was damals alles nichts aussergewöhnliches. Natürlich auch mit gewissen Risiken verbunden. Doch welch eine grossartige Freiheit unter vielen weiteren. Kein Vergleich zur heutigen Schisskultur und Risikoarmut. Doch gingen die AktivistInnen sehr professionell vor und lernten vom Klassenfeind und seinen Institutionen. So wurde das berühmte Guerillia-Handbuch eines schweizer Geheimdienst-Offiziers «Der totale Widerstand – Kriegsanleitung für jedermann» zur Hilfe genommen und bei der Spurentilgung half die Fachzeitschrift «Kriminalistik» den militanten AKW-Gegnern weiter.
Dann gab es auch noch den zum «Bündner Okoterroristen»abgestempelten Marco Camenisch, der 1979 ebenfalls zwei Sprengstoffanschläge auf Strommasten verübte und zu zehn Jahren Zuchthaus verbannt wurde. Die beiden waren aber nicht die einzigen radikalen AKW-Gegner. Einer ging noch weiter, Chaim Nissim, der später für die Grünen im Genfer Kantonsparlament sass griff mit einem Raketenwerfer sowjetischer Bauart, Typ RPG-7 1982 den Reaktor Creys-Malville im französischen Rhonetal an.
Legal? Illegal? Scheissegal, so waren wir drauf
Als nach monatelangen Protesten endlich das «AJZ» (Autonomes Jugendzentrum Zürich) auf dem heutigen Car-Parkplatz in einer alten Fabrikanlage aufging, entlud sich zu unserer Freude das ganze Kreativpotential, das so lange im Verborgenen schlummerte. Das war ein radikaler Schub für uns gebeutelten Stadtindianer/innen. Autonome sprossen aus allen WG-Löchern hervor, die Hippies lebten ihren Kult und ihre Musik nun hemmungslos in aller Öffentlichkeit aus. Zumindest im «AJZ» – einem in der Tat rechtsfreien Raum aber mit massiver Polizeiüberwachung durch Spitzel. Das Zürcher Polizeicorps wurde daraufhin „subito» um über 30 Personen nur zur Überwachung der „Bewegung“ aufgestockt und überdies ein weitaus grösseres Heer von Spitzeln rekrutiert, um die Hippie-Szene und alle anderen subversiven Elemente zu überwachen. Und deren waren viele.
Zugegeben: Nach all den Repressionen und drakonischen Strafen wurden die Sprüche der Jugendlichen radikaler. „Macht aus dem Staat, Gurkensalat», war nur eine der unmissverständlichen Parolen, die überall an den Wänden prangten und bei den Demos lauthals skandiert wurden. Das war damals schon „Landesverrat“ und so wurden wir Sympatisanten auf die Stufe von Terrorristen gestellt und wahlweise als Kommunisten, Maoisten oder Palästina-Freunde abgestempelt.
Der Staat ging mit aller Härte auf die Aktivistinnen und Aktivisten los. Es gab im Bildungssystem, in der Verwaltung und in Teilen der Wirtschaft geheime Absprachen über Arbeits- und Ausbildungsverbote von „Linken“ bei Tätigkeiten wie Lehrer und Pädagogen, Piloten, Ingenieure usw.. Auch den Militärdienstverweigerern wurden viele Berufsbildungstüren verschlossen und einige Tätigkeiten verwehrt. Und so kam es auch zu vielen Verstössen und Gewaltexzessen seitens der Polizei. Einer meiner Freunde verlor dadurch ein Auge durch ein Gummigeschoss und meine Freundin Lena schleiften sie an den Haaren herum bis ihr Gesicht danach arg zerschrammt war. Ich wurde einmal mit 300 anderen Personen verhaftet und während der 24 stündigen Untersuchungshaft illegal erkennungsdienstlich behandelt. Danach freigelassen und später mit Fr. 80.- für die Haft entschädigt. Weitere spektakuläre Guerilla-Aktionen, zeigten uns, dass die Demut und der Respekt vor der Obrigkeit am erodieren war.
«Underground»-Bar’s und illegale Clubs schossen wie Pilze aus dem verdorrten Zürcher Boden. Gekifft wurde überall auch im Freien und in den Parks kreisten die Joints, sodass die Polizei gar nicht mehr nach, überall einzuschreiten. Die Marihuana- Euphorie» und der Duft der Freiheit waren einfach zu gross und der süssiche Gras-Geruch überströmte den Abgas und Dieselgeruch bei weitem. Nie war die Freiheit lebendiger, grossartiger und vielfältiger, als in den 80er Jahren, einer Zeit, die ich als «Zenit des letzten und 21. Jahrtausends» bezeichne.
Am Zürichsee-Ufer wurde weit verbreitet oben ohne gebadet und die Frauen genossen die Freiheit, mitunter auch die Freuden und die neue Unabhängigkeit, die Ihnen die Pille und damit die Möglichkeit zur autonomen Schwangerschaftsverhütung verschaffte voll auszuleben, was sich auch in ungehemmter Sexualität und Polygamie oder in Form der ersten Schwulen- und Trans-Parties ausdrückte. Es war damals unter uns kein Verbrechen und weder für Frauen noch für Männer verpönt, mit Dutzenden von Partner Sex zu haben und im Verlauf eines Jahres verschiedene Partnerschaftsmodelle auszuprobieren. «Sex, Drugs & Rock & Roll» oder lieber «Amore et Anarchia»? Nun, warum die Qual der Wahl? Am besten alles zusammen.
Jede Art von Einschränkung wurde abgelehnt, Hedonismus pur war das Ziel und die Zeit der Paradiesvögel angebrochen. Wir wollten uneingeschränkt auf allen Ebenen experimentieren und die freie Liebe ausprobieren, derweil unverheiratete Paare damals gesetzlich noch nicht einmal zusammen leben durften. So prüde war Zürich und die ganze Schweiz damals. Umso erstaunlicher ist es, dass die Mädels dahin schmolzen, wie Eiscreme oder selbst das Zepter übernahmen, heftig flirteten und auf einen One Night Stand aus waren. Jedenfalls wurde man damals als junger Mann hin und wieder hemmungslos von Frauen angemacht, die nur ein Ziel hatten, die Lust und das Bett zu teilen und alle möglichen Sachen auszuprobieren. Eine ebenso aphrodisierende wie inspirierende Zeit, die ihres gleichen sucht!
Die Frauen waren für uns Lichtgestalten, viele sehr selbstbewusst und experimentierfreudig. „Emanzipation, ja klar, sagten wir uns und führten endlich das Frauenstimmrecht ein. One (wo)man, one vote“, das galt bei der Jugendbewegung für Männer und Frauen gleichermassen. Es gab sehr viele Aktivistinnen, die sich entweder Gehör verschafften oder einfach taten, was sie wollten und wie sie es wollten und es störte sich aus unseren Kreisen niemand daran. Wir, also auch die Männer, schminkten uns gegenseitig und liefen öfters mit schwarz geschminkten Lippen, farbenfroh bemalten Gesichter und flatternden Haaren durch die Strassen zur «Roten Fabrik“, ins «Drahtschmidli» oder ins «AJZ». So haben wir auch vor 50 Jahren das Frauenstimmrecht unterstützt und schliesslich durchgesetzt.
In meiner Jugend war ich begeistert von Pippi Langstrumpf, vom Buch und der TV-Serie. Das freche Mädel war revolutionär und mein anarchistisches, feministisches Vorbild für die „Befreiung von Kinder, Küche und Kirche“ damit vorgespurt. Die autonomeste und frechste Rotzgöre und der erste weibliche Punk, der mir begegnete, hat wohl auch mein Frauenbild geprägt. Sinnlich, frech, unkonventionell, unabhängig und voll geil drauf. Handkehrum waren Tom Sawyer und Huckley Berry Finn meine abenteuerlich, brüderlichen Vorbilder. Ich liebte ihre Lagerfeuer-Romantik und Streiche. Sie waren unsere Vorbilder und die Schreckgespenste unserer Eltern. Doch auch wir betrieben viel Unfug und loteten die Grenzen mächtig aus. Kitas gab es nicht, der Spielplatz war der grosse Wald mit all seinen Bewohnern und Geheimnissen. So verschwand ich den ganzen Tag im Gestrüpp des Zolliker Waldes, verweilte bei den Kaulquappen und Feuersalamander an den Teichen, kletterte bis in die Baumspitzen und baute Baumhütten und Staudämme wie die Biber und kam nur zum Mittagessen und Abends zurück.
Eine Aufsicht gab es nicht, dafür jede Menge Abenteuer bis hin zu Schusswaffengebrauch, frisierten Floretts und Motocross-Töffs mit denen wir die Steilwände in den Kiesgruben hochfuhren und anderen wilden Spielchen. Wir konnten uns irre austoben, etwas was den Jugendlichen heute für die persönliche Entwicklung fehlt, da sie nur noch virtuell am Geschehen teilnehmen und schon da reizüberflutet durchdrehen. Ein weiteres Problem ist auch das abstrakte virtuelle Anbandeln und der digitale Austausch mit dem anderen Geschlecht sowie das heutige Sexual- und Rudelverhalten an sich, dass einerseits wieder ultra konservativ, andererseits extrem egozentrisch geworden ist. Da kommt kein Spass mehr auf, wenn man sich auf ein Rudel Jungs oder eine Mädchen-Traube einlassen muss, um in die Nähe des oder der Auserwählte/n zu kommen.
Zurück in die experimentell sehr bewegten 80er Jahre. Die ungehemmte Lust an der Befreiung von allen sexuellen Zwängen hielt bis zu den ersten HIV-Infektionen ab Mitte der 80er Jahre an und erschütterte dann vorerst einmal nur die Schwulenszene. «AIDS» war zu «AJZ»-Zeiten noch kein Thema und so entwickelten sich auch in der Horizontalen viele neue Experimente und Lebensentwürfe. Die ersten Teenager kamen gerade von Indien, von Baghwan aus Poona oder von Goa zurück und waren entweder total «high» oder ständig «stoned». Der Afghanistan Krieg dagegen spülte unendlich viel Afghan-Haschisch und Heroin, der Bürgerkrieg im Libanon den «roten Libanesen» in unsere verrauchten WG-Stuben und veränderte das Leben, das Stadtbild und auch die politische Weltanschauung.
MTV und der Walkman revolutionierten die Musikwelt
Zu Gast in Barcelona: Musikgenuss jederzeit und überall, das war damals schon eine Sensation
Es war die Zeit der Rebellen, der freien Entfaltung, der Politisierung, der Sex- und Drogenorgien und Strassenschlachten. Der «Rolling Stones», «Doors», «Deep Purple», die ebenso zu unseren Musikgöttern zählten wie Bob Dylan, Janis Joplin und Jil Scott Heron. Nichts war mehr wie früher und es gab auch kein zurück. Als Mitte der 1970er die «Punks» erst in New York und dann die Punkszene in London aufkam, schwappten die Ausläufer auch auf die Schweiz über. Die Sex Pistols und Talking Heads, Ramones oder under sex zählten zu den heissesten Bands, der damaligen Zeit.
Bald entwickelten sich in lokale Szenen, allen voran in Zürich. 1977 gab es in Zürich einen harten Kern von etwa 50 Jugendlichen, welche die Schweizer Punk– und New Wave-Bewegung massgebend beeinflusste. Ihre ersten Treffpunkte waren der Punk-Kleiderladen «Booster» mit und der «Club Hey» der ersten Punk-Discos ebenso wie im Umfeld verschiedener autonomer Netzwerke, wie der Reithalle in Bern oder bei Hausbesetzungen, bei denen die Punks an vorderster Front standen. So findet man zum Beispiel auch in Winterthur politisierte Punks, die sich häufig als Gegenbewegung zum rechtsextremen Umfeld und zu den Skinheads in der Schweiz verstanden. Und auch in Basel gab es ein «AJZ», indem die Punks und Autonomen sich trafen.
Mit dem Piratensender «Radio 24» von Roger Schawinski, der erst vom «Piz Gropera» aus Italien sendete, wurde auch die karge Medienlandschaft, bestehend aus «Radio Beromünster» (unsäglich) dem Schweizer Fernsehen (langweilig und einfältig), dem «ORF» (ebenso bieder) und der «ARD» (nicht viel besser), umgepflügt. «MTV» hielt Einzug mit den ersten Kultvideos und revolutionierte nicht nur die Musikwelt sondern auch die Jugendszene und Subkultur. Und mit Radio DRS3kam noch ein genialer Jugendsender in der Schweiz hinzu. Erst später bekamen dann auch Lokalradios eine Lizenz und bald gab es in jedem Kanton mindestens einen, wenn nicht zwei alternative Radio-Sender.
Die ersten Wohngemeinschaften zu Beginn der 70er Jahre bereicherten die neuen Lebensentwürfe und Formen der Jugendbewegung und schufen so auch viel Solidarität und Engagement mit anderen Untergrundbewegungen, Freiheitskämpfern und unterdrückten Staaten wie Palästina, Nicaragua und das von US-Soldaten besetzte Vietnam. Die Zeit war reif, für grosse gesellschaftspolitische Veränderungen. Zürich wurde zum Hot Spot für die aufblühende Jugendkultur, die gerade in allen Farben und Formen explodierte und die Grundlage für den unglaublichen Liberalisierungsschub hinsichtlich kultureller Freiräume lieferten. So ausgeflippt und trendy hat man die Städte Zürich, Bern und Basel nie zuvor und nie mehr danach gesehen.
Wir gingen neugierig und mit Respekt auf das andere Geschlecht ein und auf Andersdenkende oder Aussehende zu und das machte die Bewegung so einzigartig. Es war die Zeit der Anarchisten. Wir debattierten und kritisierten heftig, stritten und solidarisierten uns mit anderen unterdrückten Völkern. Im Strudel der explosiven Befreiung und des grenzenlosen Lebens wurden rauschende Parties ohne Ende gefeiert, aber immer mehr harte Drogen, wie Heroin, kam dazu.
Als das «AJZ» in einer alten Fabrikanlage beim Carparkplatz am Sihlquai aufging, spülte es allerlei schräge Vögel und Drogendealer mit rein. Bald lieferte sich die italienische Drogenmafia mit der türkischen einen gnadenlosen Bandenkrieg, der teilweise auch im «AJZ» ausgetragen wurde. Eine Weile lang, war es richtig gefährlich, sich mit diesen Typen anzulegen und wir mussten einen Wachdienst aufziehen um die schlimmsten Eskalationen zu verhindern.
In den frühen 80er Jahren starben Hunderte Jugendliche jährlich an einer Überdosis «Aitsch», der Slang-Name für Heroin. Die Situation verbesserte sich erst, als die Methadon-Abgabe eingeführt wurde und die Fixer, Dealer und Drogentoten von den Zürcher Strasse verschwanden und die Süchtigen sich in den Kontakt- und Methadon-Abgabestellen wieder trafen.
Jährlich starben Hunderte an Heroin
Mit 17 gab es kein Halten mehr, da schossen Amouren und politischen Aktivitäten durch die Decke
Ich bin damals mit 17 Jahren aus der Elternwohnung aus- und in eine Wohngemeinschaft (WG) an der Forchstrasse gezogen, in der Rico B. und Tommy M., zwei Literaten wohnten und die Kulturzeitschrift «Babayga» (russische Hexe) herausgaben, die in der Spinnerei Wettingen von Kaspar P. gedruckt wurde. Ein weiterer Wohngenosse arbeitete im grössen Plattenladen von Zürich und er hatte seine über 900 LPs (Schallplatten) umfassende Kollektion in unsere WG verfrachtet. Dadurch eröffnete sich so ein unfassbares musikalisches Universum für uns alle und wir schwebten im siebten Himmel.
Von da an ging die Post ab, denn wir waren alle „subversive“ Elemente in den Augen der Obrigkeit. „Also lieber subversiv, als konservativ“, sagten wir uns gelassen und legten los, die Welt zu verändern. Unverheiratete Paare durften damals gesetzlich noch nicht zusammen leben. Da uns das offensichtlich „Wurscht“ war, sah die Polizei öfters mal ungebeten in der WG rein. Da sich dort in der untersten 5-Zimmer Wohnung zumeist Tag und Nacht 10-15 Leute aufhielten, waren die Zweier-Patrouillen leicht überfordert und zogen unter Hundegebell und Beifall rasch wieder ab. Umso mehr wurden wir dafür bespitzelt, da hier auch viele «AJZ»-Aktivistinnen und Aktivisten ein und aus gingen.
Doch anstatt «aus dem Staat Gurkensalat“ zu machen, explodierte das Kreativpotential in der Gastronomie, Clubszene und in der Medienlandschaft. Schliesslich ging es uns ja nicht um die eine Konterrevolution und Abschaffung der Demokratie oder der Etablierung einer Anarchie anstelle von Parlament und Bundesrat, sondern schlicht um mehr Freiheit in der Freizeit, im Beruf, in der Familie, bei der Sexualität, beim Drogenkonsum und dem Nachtleben. So wurden die Bewegten medial sehr kreativ, gaben Strassenzeitungen heraus, druckten Flyer und Poster, hängten sie auch auf (Wildplakatierung) und probierten allerlei Neues aus. Zürich entwickelte sich von einem Provinznest zur Weltstadt und führte zu einem der bedeutendsten, gesellschaftspolitischen und kulturellen Wandel der letzten 50 Jahre in der Schweiz.
Sobald das «AJZ» beim heutigen Carparkplatz aufging, machten wir uns daran, das alte Fabrikareal und Gebäude umzubauen und einzurichten. Es wurden allerlei Gruppen gebildet: Handwerkergruppen, die «Beizengruppe», die «Frauengruppe», die «Drogengruppe» und die «Kurvengruppe», also für Jugendliche, die von zu Hause ausgebüxt und polizeilich ausgeschrieben waren. Zwei meiner Freunde, die Rimoldi-Brüder, waren in der «Beizengruppe», meine Freundin Michele in der «Kurvengruppe» und ich bei der „Drogengruppe“. Es war eine rauhe, aber herrliche Zeit, eine grandiose Aufbruchstimmung. Das «AJZ» war in der Tat sehr autonom und wir alle eine grosse bunte Familie von kreativen Individualisten, Alchemisten, Anarchisten und Überlebenskünstler.
Doch einhergehend mit der Heroinschwemme kam es zu vielen sehr jungen Toten. Die Jüngsten waren gerade mal 13 Jahre alt. Auch Mandy, meine damals ein Jahr jüngere, also 17 jährige Freundin starb später an einer Überdosis. Ich hatte stets Glück, doch das war zu viel für mich und für die Stadt Zürich. Die unmenschliche Misere dauerte so lange, bis das Methadon-Programm auch infolge von HIV-Infektionen zum Zug kam und Dr. Uchtenhagen zusammen mit der Stadträtin Emilie Lieberherr die Junkies von der Gasse holte und sie nun endlich menschenwürdig im Methadon-Programm betreut wurden. Das war ein mutiger Schritt in die richtige Richtung und das Modell wurde auch international kopiert.
Es war eine rauhe, aber herrliche Zeit, eine grandiose Aufbruchstimmung. Das «AJZ» war in der Tat sehr autonom und wir alle eine grosse bunte Familie von kreativen Individualisten, Alchemisten, Anarchisten und Überlebenskünstler. Die Heroinschwemme führte auch zu sehr jungen Toten. Die Jüngsten waren gerade mal 13 Jahre alt. Das war too much. Die unmenschliche Misere dauerte so lange, bis das Methadon-Programm auch infolge von HIV-Infektionen zum Zug kam und Dr. Uchtenhagen und Stadträtin Emilie Lieberherr die Junkies von der Gasse holte und sie nun endlich menschenwürdig betreut wurden. Das war ein mutiger Schritt in die richtige Richtung und das Modell wurde auch international kopiert.
Das AJZ war unsere Heimat. Hier trafen wir uns, hier schliefen wir oft, hier engagierten wir uns sehr kreativ. Einer der Höhepunkte zu dieser Zeit war das spontane Konzert von Jimmy Cliff auf dem Carparkplatz. Er kam eines Morgens ins «AJZ» mit seiner Entourage und war begeistert von der Zürcher Jugend Bewegung und dem autonomen Jugendzentrum Und zwar so sehr, dass er sich zu einem spontanen Konzert hinreissen liess und wir in Windeseile versuchten eine Bühne zu bauen und die Installationen für die Musikanlage und die Lautsprecher vorzunehmen.
Radio 24, RogerSchawinskis Piratensender auf dem Piz Gropero in Norditalien erfuhr davon und so sprach sich das Spontankonzert schnell in der ganzen Stadt rum. Ab 16.00 Uhr strömten immer mehr Jugendliche zum AJZ und brachten den Tram und Strassenverkehr am Sihlquai zum Erliegen. Auf dem Platz fanden sich an die 3000 Personen zusammen, die frenetisch und musikalisch ebenso wie mit Marie-Jane voll berauscht mit Jimmy Cliff in Ekstase gerieten. „Unforgetable times, indeed – war prägend für viele meiner Generation.
Im Strudel SchweizerPolitskandale
An einigen Orten war es gut, sich selbst zu schützen. Zum Glück geschah aber nie etwas
In den 80er Jahren gab es noch hinreichend gute Jobs. Zuerst arbeitete ich bei der «Brauerei Hürlimann» im Export, danach für kurze Zeit bei einer Handelsfirma, der ich den gesamten Import von Getreidemehl aus Schweden vom Strassenverkehr auf die Bahn verlagerte und so ein ökologisches Ziel umsetzte als der Firma auch viel Geld sparte, da die Bahnlösung auch erheblich günstiger war. Danach kamen drei Reiseleiter-Einsätze für je drei Monate im Senegal, in Polen und in London ins Spiel. Daraufhin arbeitete ich beim «Media Daten Verlag», der die «Werbewoche» und das «Media Trend Journal» heraus gab und so wurde ich Anzeigenleiter der «Neuen Zürcher Zeitung» für die Bereiche Tourismus, Schulen und Institute sowie Verkaufsleiter der «Swiss Review of World Affairs», dem damaligen, hochkarätigen, englisch sprachigen Magazin der Neuen Zürcher Zeitung «NZZ». Später produzierte ich die Wälzer, der «Portraits der Schweizer Werbewirtschaft» und «Portraits der Schweizer Kommunikationswirtschaft» beim «Bertschi-Verlag». So rückte ich dem Journalismus immer näher und ich beschloss das Handwerk über eine PR-Ausbildung am «SAWI» zu erlernen.
Im Oktober 1989 nahm ich an einem einwöchigen Journalismus-Workshop mit dem linken Journalisten, Schriftsteller und Historiker Niklaus Meienberg teil, der kurze Zeit zuvor den «Villiger-Skandal» im 2. Weltkrieg aufdeckte. Dieser führte uns überraschend nach Kreuzlingen zur Asylantenempfangsstelle, bei der wir noch am selben Abend unserer Ankunft eine menschenunwürdige Situation vorfanden. Vor der geschlossenen Asylanten-Empfangsstelle hatten gut ein Dutzend frierender Flüchtlinge ein Feuer angezündet, um sich vor der bitteren Oktoberkälte zu schützen und aufzuwärmen, denn sie seien von der Asylanten-Empfangsstelle ausgeschlossen worden, erklärten sie uns.
Die Polizei war gerade dabei das Feuer zu löschen, was uns in Rage brachte. Niklaus Meienberg kam so richtig in Fahrt und der wortgewaltige Hühne orchestrierte eine verbale Schandtirade feinster Didaktik. Aber Meienberg wäre nicht Meienberg, wenn den Worten nicht auch Taten folgen würden und so wies er uns an, die Flüchtlinge in die Jugendherberge zu verschieben, die gerade noch geöffnet hatte. Der arme Herbergen-Verwalter fiel fast vom Stuhl als er das Dutzend Flüchtlinge im Schlepptau der JournalistInnen vor sich sah, Da ging das bürokratische Prozedere mit den Papieren los und musste nach den ersten fünf Personen, aufgrund fehlender Papiere, als hoffnungslos, abgebrochen werden und kurz darauf konnten die Flüchtlinge wenigsten diese Nacht in der Wärme verbringen.
Meienberg indes hatte schon am nächsten Morgen die halbe Deutschschweizer Presse auf den Plan gerufen und über die menschenunwürdigen Vorkommnisse und Praktiken vor der Flüchtlingsstelle (Strafaktion) hingewiesen. So sahen wir uns plötzlich im Presse-Trubel mit einer Schar Journalisten konfrontiert und belagerten so das Flüchtlingszentrum, bis wir mit dem Leiter der Empfangsstelle eine Aussprache hatten. Dann kamen die Politiker und Stadträte, die mauerten, PeterArbenz, der Flüchtlingsdelegierte meldete sich zu Wort und stellte dem Empfangsstellenleiter einen Persilschein aus derweil die kirchlichen Organisationen mehr Menschenwürde einforderten.
Und so war die ganze Woche action. Der Kurs ging am Freitag-Abend zu Ende, jeder konnte über Nacht eine Story über das Geschehen der letzten Woche schreiben und sie Meienberg am Samstag Morgen zeigen, der dann einen kurzen Kommentar dazu abgab. Sein Kommentar war lausig. Doch hatte ich die Unverfrorenheit und das Glück, dass mein Beitrag in der «Weltwoche» mit der Essenz eines anderen Schreibwerkstatt-Teilnehmers an meinem 27. Geburtstag abgedruckt wurde. Der Einstieg war gelungen und der Ansporn, weiter in diese Richtung zu gehen da und weil Fotografieren zu einer Leidenschaft geworden war, wollte ich Journalismus und Fotografie miteinander kombinieren.
Der «Fichenskandal» und die «P-26» Geheimloge
Im Jahre 1990 war ans Licht gekommen, dass sowohl die Bundesbehörden als auch die kantonalen Polizeikorps seit Beginn des Jahrhunderts rund 900’000 «Fichen» über politisch verdächtige Personen angelegt hatten. Laut offiziellen Angaben waren mehr als 700’000 Personen und Organisationen erfasst, also über ein Zehntel der Bevölkerung war subversiv. Der Beobachtungsradius erfasste zuerst ausländische Anarchisten, Schweizer Sozialisten und Gewerkschafter, Schriftsteller, unwillkommene politische Flüchtlinge und Ausländer, die oft wieder ausgewiesen wurden. Mit dem Aufkommen des Antikommunismus wurden vor allem linksstehende Politiker und Mitglieder von Gewerkschaften überwacht. Offizielles Ziel der «Fichierung» war es, das Land vor aus dem Ausland gesteuerten subversiven Aktivitäten zu schützen.
Die Bekämpfung der Subversion war während des Kalten Krieges ein weitverbreitetes Schlagwort. Die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK brachte zu Tage, wie weit dieser schwammige Begriff aufgefasst wurde. Wie aus den Unterlagen der «Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr» (UNA) hervorging, empfanden eifrige Staatsschützer „Alternative“, „Grüne“, Friedensbewegte, Drittwelt-Aktivisten, Frauenbewegungen und Fremdarbeiterbetreuer, Anti-AKW-Aktivisten, „Linke“ aller Art also per se, als potentiell gefährlich einzustufen seien, denn sie könnten kommunistisch unterwandert, feind- oder fremdgesteuert oder sonst wie manipuliert sein.
Auch ich bestellte meine Fiche beim Polizei und Justizministerium, die dann doch detaillierter als angenommen war, was das Bewegungsprofil und die Kontakte angeht, aber ansonsten sehr belanglos war, bis auf die vielen schwarzen Stellen in dem 14 seitigen Protokoll, das wohl mehr die Spitzel-Identitäten verdecken und schützen sollte, als Staatsgeheimnisse, staatsfeindliche Aktivitäten oder einen «Landesverrat» des Überwachten zu Tage gebracht hätte. Es zeigte den blinden Eifer der Behörden und das traurige Abbild der Spitzel. Die wenigsten von uns waren Marxisten, Leninisten, Maoisten oder Kommunisten oder Staatsfeinde auch wenn das Motto: «Macht aus dem Staat Gurkensalat» skandiert wurden. Da wurde viel Staatspropaganda aufgefahren und mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Dann gab es noch einen weiteren Politskandal: Die «P-26» Geheimloge (Projekt 26) war eine geheime Kaderorganisation zur Aufrechterhaltung des Widerstandswillens in der Schweiz im Fall einer Besetzung. Sie wurde 1979/1981 als Nachfolgerin des Spezialdienstes in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) eingesetzt und 1990 nach der Bekanntmachung durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) durch Bundesrat Moritz Leuenberger aufgelöst. Für die P-26-Mitglieder war in Friedenszeiten keine Bewaffnung vorgesehen, doch darum scherte sich der illustre Geheimbund nicht. Vorgesehen war, dass sie als Gruppe auf Befehl einer allenfalls im Ausland verbleibenden Exilregierung aktiv würden, um als Nachrichtenquelle zu dienen, ein Kampfauftrag war nicht vorgesehen, denn der war allein der Armee vorbehalten. Dennoch hortete die Organisation Waffen und legte Munitionsdepots an.
Meine idealistischen und pazifistischen Vorstellungen deckten sich nicht mit meinen Arbeitgebern
Beruflich war ich zu Beginn der 90er Jahre mit meiner Public Relation Ausbildung und bei der PR-Agentur «Leipziger & partner» in Zumikon beschäftigt. Unser Dr. Emil S. war Chef war Oberst im Militär und ein kleiner Nazi und gehörte so betrachtet nicht zu meinen speziellen Freunden oder Vorbildern. Aber beruflich gesehen, war er ein Ass und bestens vernetzt wodurch ich viel von seinem Know-How und den Kontakten zum militärischen Kader und zu Zivilorganisationen wie «Helvetas» und dem «Europa Institut» profitierte. Bei der PR-Agentur organisierte ich u.a. das «Forum 91» und das «Colloquium Sicherheitspolitik & Medien» mit «NATO»-General Klaus Naumann, zwei hochpolitische Foren mit hochrangigen Militärs, Politikern, Wissenschaftlern und Medienvertretern. Da prallten zwei Welten aufeinander:
Hier der junge Freak, der Sympathie für die «Armee-Abschaffungs-Initiative» hatte und sich der Rekrutenschule entzog, dafür aber gerne Zivildienst leistete. Einer der auch mit der Anti-AKW-Bewegung sympathisierte Auf der anderen Seite das bürgerliche Establishment, die Spitze der Schweizer Armee bis hin zum Gastreferenten, «NATO»-General Klaus Naumann, der nur von drei Kantonspolizisten eskortiert herein geführt wurde. Insgeheim malte ich mir aus, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich die Militärelite mit einem Schlag mit einem der 35mm Flabgeschosse aus meinem Lehrbetrieb Oerlikon Bührle hätte vernichten können. Da habe ich gemerkt, dass man auch als Pazifist einige abgründige Szenarien in Erwägung ziehen kann, wenn man in militärischen Kategorien denkt, so wie das in Militär- und Spionagekreisen eben alltäglich und branchenüblich ist.
Nachdem das PR Diplom geschafft war, gründete ich meine Presse und Bildagentur, bezog mit einem «K-Tipp» Recherche-Journalisten und zwei Medienschaffenden aus dem Hotel/Gastrobereich ein Büro, baute die Kooperation mit der Tourismus-Fachzeitschrift «Travel Inside» und einigen Deutschschweizer Tageszeitungen sowie internationalen Bildagenturen aus und reiste in diesem Jahr zwei Mal in die Karibik, zuerst für einen Segeltörn von Grenada nach Trinidad und Tobago, dann nach Kuba. Auf dem ersten Segeltörn meines Lebens wollte ich mit ein paar Berner und Zürcher den Karneval in Trinidad erleben, da ich schon vom Nottinghill Carnival in London begeistert war.
Nach einer wilden Überfahrt von Grenada aus, die beinahe mein Leben gekostet hat, weil ich bei Aufnahmen auf dem Boot vorne im Bugkorb von einer Welle zwei Meter hochgerissen und in den Spinacker geschleudert wurde, im Segeltuch mit der schweren Kameraausrüstung runterrutschte, aussen am Bugkorb gegen das Geländer knallte und mich im letzten Moment an der verbeulten Eisenstange aussen am Bug baumelnd festhalten und dann mit grösster Mühe wieder in das Boot und auf das Deck ziehen konnte. Das war knapp und der Segeltörn eine Kotz-Tortur. Viele lagen nach 10-15 Stunden hohem Wellengang wie Sardinen eng beieinander auf dem Deck herum rollend, geschwächt und sich immer wieder übergebend. Zum Glück hatten wir einen erfahren Skipper und zwei hart gesottene Jungs, die das Segelboot bis zum Hafen mitten im Stadtzentrum von Port of Spain steuerten und dort anlegten. So konnten wir die nächsten drei Tage bequem von der Segelyacht zu den Calypso-Paraden und wieder zurück aufs Boot gehen. Der Karneval mit den gigantischen, fantasievollen Kostümen und den Steelbands, die durch die Strassen paradierten war der Hammer und sehr sexy. Die anmutigen, ekstatischen Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer waren magisch, erotisch, anziehend. Auch wenn alle halb nackt herumtanzten.
Lebenslust und Protest zu Calypsoklängen
Fantastische, gigantische Kostümkreationen flattern durch die mit Calypso-Musik erfüllten Strassen
Was 1777 mit den französischen Einwanderern seinen Anfang nahm und einer kolonialherrschaftlichen Minderheit vorbehalten war, entwickelte sich nach der Sklavenbefreiung zu einer musikalischen Protestbewegung. So ist der Karneval auf Trinidad und Tobago für viele das zum Lebensinhalt gewordene Ereignis. Zelebriert wird in ekstatischer Lebensfreude beflügelt von heissen Calypso-Klängen. Während mehreren Monaten beschäftigt sich eine ganze Familie an den Vorbereitungen für die Kostümkreationen und die -parade. Nebst Glamour spielt Prestige eine grosse Rolle, Ruhm und Ansehen der Familie steigen beträchtlich, wenn sich eine Königin oder ein König des Karnevals in die Familienchronik einreihen lässt. Dabei sein ist alles, siegen ist noch schöner.
Lange vor den Paraden werden in Ausscheidungsverfahren die Favoriten unter den Steelbands bestimmt. Nicht nur die spielerische Virtuosität zählt, auch die provozierende Originalität der Texte wird bewertet und ausgezeichnet. Denn der Calypso kennt keine Tabus. Alles ist erlaubt, was gefällt und ankommt. Auch nach der Sklavenzeit blieb der Calypso das satierische und auch zynische Sprachrohr der Unterdrückten. Die Texte der Sängersklaven waren mit sozialkritishen Untertönen und aufmüpfigen politischen Parolen gespickt. Dann endlich kommen die drei magischen Tage der Steeldrum-Paraden durch die Innenstadt von Port of Spain, deren Sound mit eruptiver Kraft die Bewegungen der Treibenden Tänzer und Tänzerinnen auf einen swingenden Rhythmus einstimmt und den Queens Park Savannah in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln.
Fantastic costumes at the parade along with hot Calypso-sound at the Carnival in Port of Spain
Dabei umschmiegten sich die Tänzer/innen hautnah und rieben sich aufreizend und leicht bekleidet aneinander. Und die Girls hatten Spass auch mal zu zweit von vorne und von hinten anzudocken, dich ins Sandwich zu nehmen und sich mit erhitzten Körpern an dir zu reiben. So lernt man blitzschnell tanzen und sich rythmisch zu den heissen Calypso-Klängen zu bewegen. Und dies geschah in einem ebenso katholischen wie muslimischen und chinesischen Umfeld, denn Trinidad ist ein Schmelztiegel aus all diesen und vielen karibischen und lateinamerikanischen Nationen. 1833 gelangten auch zehntausende von indischen Kontraktarbeitern auf der südlichsten, kleinen Karibik-Insel vor der Küste Venezuelas.
Am Nachmittag paradieren die Bands auf den Sattelschleppern und ihr kostümierter Tross dahinter durch die Strassen Trinidads und zu den Tribünen, wo auch die Jury sitzt. Jetzt sieht man die gigantischen, filigranen, prächtig glitzernden und fächerartig schwingenden Kunstwerke, die mit Abertausenden von glitzernden Pailletten bestückt sind besonders gut. Der Karneval in Trinidad riss uns derart mit, dass wir ihn nach Zürich holen wollten. Und das gelang uns, dank dem Trinidader Percussionisten an Bord des Schoners. Ralph R. und seiner Frau Angi, die beide leidenschaftlich Steeldrum spielten und Ralph überdies einige Steeldrum-Bands und Kinderbands in Zürich unterrichtete.
Durch Ralphs Kontakte konnten wir Mighty Sparrow, der achtfache «King of Calypso» zu einem Exklusiv-Galakonzert im «Hotel International» in Oerlikon, verpflichten. Dazu arrangierten wir ein Open-Air auf dem Marktplatz in Oerlikon mit acht Stelldrum-Bands am Vortag, an einem Samstag. Dank der Kooperation mit der «British West India Airlines» (BWIA), die damals neu nach Zürich flog, konnten wir während sechs Wochen vor dem Calypso & Steeldrum Festival karibische Spitzenköche nach Zürich einfliegen, mit allen frischen Zutaten und reichlich tropischer Dekoration, um im «Hotel International» in Oerlikon karibisches Flair, tropische Cocktails und leckere exotische Spezialitäten und Speisen anzubieten.
Im Senegal gab es Djembe-Unterricht und in Trinidad kaufte ich mir ein Steeldrum
Durch das «Calypso & Steeldrum Festival» durfte ich mit Roger Schawinskis «Radio 24» kooperieren und war bei ihm zu einem Interview und bei einer Sondersendung zu Gast. Auch bei «Radio DRS 3», das eine einstündige Sendung über den Calypso aus Trinidad und zu Mighty Sparrow machte, kurbelte die Promotionsschiene kräftig an. Zudem war auch Frederic Dru von «Radio Tropic» daran interessiert, diesen Event so richtig zu zelebrieren. Auch das Schweizer Fernsehen für liess sich für ihre erste Reisesendung von der Karibik und dem Mighty Sparrow-Konzert inspirieren, da «SRF»-Reise-Redaktor Kurt S. und der Musik-Redaktor des Schweizer Fernsehens an unserem Galakonzert waren.
Ebenso erfreulich war, dass ich dadurch bei «Radio Tropic» auf freiwilliger, unentgeltlicher Basis zu arbeiten begann und dann bald eigene Reisesendungen mit den Airlines, Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsämtern produzierte und dabei völlig freie Hand hatte. Was für eine geniale Erfahrung! So konnte ich auf dem werbefreien Radiosender zweistündige Spezialsendungen über Australien, Afrika und die Karibik machen und hatte zwei Jahre später die Gelegenheit beim «Radio Kanal K» ebenfalls Sendungen zu produzieren.
Der ebenfalls als Musik- und Kulturradio bekannte Sender im Kanton Aargau liess mir auch viel Spielraum und so machte ich zur Verblüffung aller ein hochkarätiges Interview mit vier kantonalen Parteipräsidenten zur heiss debattierten Asyl-Initiative der SVP. Mit dabei waren Gerry Müller, der später Stadtpräsident von Baden wurde. Der nächste Protagonist war Andreas Glarner von der SVP aus der Aargauer Gemeinde Arni, der durch seine Skandale in Sachen Migrationspolitik (Verhüllungsverbot und Minarett-Initiative) zu medialer Präsenz gelangte. Zudem kamen auch die beiden kantonalen FDP und CVP-Präsidenten zum Streitgespräch ins Studio. Das war mein erstes hochpolitisches und zugleich hochkarätiges besetztes Interview mit vier Spitzenpolitikern zu einem der heissesten Themen im Inland dazumal. Und es war eine sehr engagierte und kontroverse Diskussion, die ich als Moderator gut im Griff hatte.
Einige Konfliktregionen und die Umstände vor Ort habe ich mir mit dem IKRK angeschaut
Mein beruflicher Status als Fotojournalist und Radioproduzent liessen meinen Wert bei den Fluggesellschaften stratosphärisch in die Höhe schnellen. Für Reisen nach Afrika berief ich mich auf die «SAA» South African Airways an, in die Karibik flog ich mit der «BWIA», nach Brasilien mit der «TAM», zu den französischen Übersee-Territorien mit der «AOM» und nach Asien oder Australien mit «Singapore Airlines» und «Malaysia Airlines» von denen ich die Flugtickets gratis erhielt, da ich die Reportagen oft in sieben Tageszeitungen publizierte und auch für Hochglanz-Magazine arbeitete. So veröffentlichte ich Reisereportagen, Aviatik- und Wirtschaftsberichte in der «Aargauer Zeitung», «Der Bund», «Neue Luzerner Zeitung», «Solothurner Zeitung», «Südostschweiz», «Facts», «SonntagsZeitung» und in Hochglanzmagazinen wie «Globo», «Animan» «Relax & Style», «World of Wellness» und in der «Welt am Sonntag» wurden Reportagen von mir publiziert.
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Auszug aus dem Buch «DAS PENDEL SCHLÄGT ZURÜCK – POLITISCHE & ÖKOLOGISCHE METAMORPHOSEN» des Zürcher Fotojournalisten Gerd M. Müller. Die E-Book-Version ist auf www.self-publishing.com zu finden.
Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Hot-Spots und Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf und rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund. Er prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Resourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus gehobener Reiseliteratur und globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben.
Ende der 80er Jahre reiste ich sieben Wochen lang von Barbados via St. Lucia, St. Vincent, Grenada und die Grenadines bis nach Trinidad und Tobago vor der Küste Venezuelas runter, also durch die gesamten Westward Islands. Und der Höhepunkt war der Karneval in Port of Spain. Was 1777 mit den französischen Einwanderern seinen Anfang nahm und einer kolonialherrschaftlichen Minderheit vorbehalten war, entwickelte sich nach der Sklavenbefreiung zu einer musikalischen Protestbewegung. So ist der Karneval auf Trinidad und Tobago für viele das zum Lebensinhalt gewordene Ereignis. Zelebriert wird in ekstatischer Lebensfreude beflügelt von heissen Calypso-Klängen. Während mehreren Monaten beschäftigt sich eine ganze Familie an den Vorbereitungen für die Kostümkreationen und die -parade. Nebst Glamour spielt Prestige eine grosse Rolle, Ruhm und Ansehen der Familie steigen beträchtlich, wenn sich eine Königin oder ein König des Karnevals in die Familienchronik einreihen lässt. Dabei sein ist alles, siegen ist noch schöner.
Lange vor den Paraden werden in Ausscheidungsverfahren die Favoriten unter den Steelbands bestimmt. Nicht nur die spielerische Virtuosität zählt, auch die provozierende Originalität der Texte wird bewertet und ausgezeichnet. Denn der Calypso kennt keine Tabus. Alles ist erlaubt, was gefällt und ankommt. Auch nach der Sklavenzeit blieb der Calypso das satierische und auch zynische Sprachrohr der Unterdrückten. Die Texte der Sängersklaven waren mit sozialkritishen Untertönen und aufmüpfigen politischen Parolen gespickt. Dann endlich kommen die drei magischen Tage der Steeldrum-Paraden durch die Innenstadt von Port of Spain, deren Sound mit eruptiver Kraft die Bewegungen der Treibenden Tänzer und Tänzerinnen auf einen swingenden Rhythmus einstimmt und den Queens Park Savannah in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln.
Dabei umschmiegten sich die Tänzer/innen hautnah und rieben sich aufreizend und leicht bekleidet aneinander. Und die Girls hatten Spass auch mal zu zweit von vorne und von hinten anzudocken, dich ins Sandwich zu nehmen und sich mit erhitzten Körpern an dir zu reiben. So lernt man blitzschnell tanzen und sich rhythmisch zu den heissen Calypso-Klängen zu bewegen. Und dies geschah in einem ebenso katholischen wie muslimischen und chinesischen Umfeld, denn Trinidad ist ein Schmelztiegel aus all diesen und vielen karibischen und lateinamerikanischen Nationen, die auf einer Insel nicht grösser als der Kanton Bern friedlich zusammenleben. 1833 gelangten auch zehntausende von indischen Kontraktarbeitern auf der südlichsten, kleinen Karibik-Insel vor der Küste Venezuelas. Seit 1962 ist die Insel, zu der auch die Nachbarinsel Tobago gehört, unabhängig. Trinidad verdankt ihren Namen Kolumbus, der sich beim Anblick der drei Bergspitzen an die heilige Dreifaltigkeit, Trinität, erinnerte. Als Kolumbus 1498 auf seiner dritten Reise ankam, lebten dort zwei Indianerstämme, die binnen weniger Jahren nach Ankunft der Spanier ausgerottet waren. Doch zurück zum Karneval und zum Calypso, dem Trinidads Folklore so viel verdankt.
Am Nachmittag paradieren die Bands auf den Sattelschleppern und ihr kostümierter Tross dahinter durch die Strassen Trinidads und zu den Tribünen, wo auch die Jury sitzt. Jetzt sieht man die gigantischen, filigranen, prächtig glitzernden und fächerartig schwingenden Kunstwerke, die mit Abertausenden von glitzernden Pailletten bestückt sind besonders gut. Der Karneval in Trinidad riss uns derart mit, dass wir ihn nach Zürich holen wollten. Und das gelang uns, dank dem Trinidader Percussionisten an Bord des Schoners. Ralph R. und seiner Frau Angi, die beide leidenschaftlich Steeldrum spielten und Ralph überdies einige Steeldrum-Bands und Kinderbands in Zürich unterrichtete.
Lange vor der Eröffnung des Karnevals werden in unerbittlichen Ausscheidungsverfahren dieb esten Steelbands gekürt, die an der Parade teilnehmen dürfen. Es zählt aber nicht ausschliesslich die rein musikalische Virtuosität auf den aus Benzinfässern zusammengeschweissten Klanginstrumenten – viel wichtiger sind die frechen, provozierenden Texte, denn der Calypso kennt weder beim Singen oder Spielen noch beim Tanzen Tabus. Alles was ankommt und der strengen Jury gefällt, ist erlaubt. Die ursprünglichen Volkslieder und Tänze der leidenden Sklaven blieb auch nach dem Ender der Sklaverei satirisches bis zynisches Sprachrohr der Unterdrückten gegen die Kolonialherren und Obrigkeit. Die Texte waren schon immer mit sozialkritischen und aufmüpfigen politischen Tönen gespickt, diese Tradition setzt sich bis heute mit viel Witz und Charme fort. Das Motto der Band bestimmt meistens auch die Wahl der Kostüme. Auch hier sind enorm viel Fantasie und Kreativität im Spiel. Eine hervorragende Band hat ohne originelle Kostüme keine Chance, in der Endrunde zu bestehen. Die anmutigen Glitzergewänder übersteigen die Körpergrösse um ein Mehrfaches. Dieser wagemutige Gigantismus kann nur mit ausgefeilter Technik und ausgetüftelten Fahrwerken vollbracht werden. Während mehreren Monaten sind ganze Familienclans damit beschäftigt, die Kostümkreationen und Fabelwesen herzustellen.
Bereits ist es Mitternacht vor Beginn des Karnevals, der wie auch bei uns um vier Uhr in der Früh mit der Eröffnungsparade beginnt. Die Zeit tropft dahin. Minuten werden zu Stunden. Der Alkohol fliesst bereits in Strömen und das wird die nächsten Tage auch nicht abreissen. Endlich ist es soweit, alles strömt nach draussen, die engen von tropischem Buschwerk gesäumten Strassen werden überflutet von einem pulsierenden Menschenstrom, der sich auf das Stadtzentrum und Epizentrum des Karnevals bewegt. Ausser glitzernden Augen und grell bemalten Gesichtern ist in der Dunkelheit kurz vor Sonnenaufgang nicht viel auszumachen. Jäh brüllen Dieselmotoren auf: Die ersten Sattelschlepper setzen sich in Bewegung und reihen sich in den vorwärtskriechenden Menschenstrom ein. Darauf sind 20 bis 30 Steeldrums und andere Instrumente vereinigt und grosse Lautsprechertürme aufgebaut, deren Sound mit eruptiver Kraft und orkanartigen Bass-schwingungen die Bewegungen der im Strom Treibenden einfängt und auf einen swingenden Rhythmus einstimmt.
Aus allen Himmelsrichtungen kommen die Steelbands und verwandeln die Queens Park Savannah in einen brodelnden Hexenkessel. In der Morgendämmerung zeichnen sich die Silhouetten der Paraderampe und Tribünen ab. Rundherum sind Stände aufgebaut, lockt schillernder Budenzauber und überall dröhnen die Lautsprecher bis zum Anschlag aufgedreht. Eine unbeschreibliche Kakophonie, die einem das Hören und Sehen vergehn lässt. Am Nachmittag paradieren die Bands und ihr kostümierter Tross dahinter durch die Strassen Trinidads und zu den Tribünen in der Queens Park Savannah, einem grossen Platz, wo auch die Jury sitzt und die Trosse in einer Gasse zwischen den Tribünen hindurch ziehen. Jetzt sieht man die gigantischen, filigranen, prächtig glitzernden und fächerartig schwingenden Kunstwerke, die mit Abertausenden von glitzernden Pailletten bestückt sind besonders gut. Die riesigen Fächer- und schwingen artigen Paradiesvögel flattern rhythmisch tanzend durch Trinidas Strassen. Eine Stadt ausser Rand und Band, doch bei aller Anarchie und der scheinbaren Auflösung aller Gesetzesmässigkeiten mutet das zeitlich präzise Ende des Karnevals unglaublich an: Wie von einem Donnerschlag weggefegt, löst sich der Spuk punkt Mitternacht nach zwei intensiven Tagen und Nächten auf.
Auf einem zweiten Segeltörn von Grenada nach Trinidad, den ich für einige Freunde organisierte, riss der Karneval in Trinidad uns derart mit, dass wir ihn nach Zürich holen wollten. Und das gelang uns, dank dem Trinidader Perkussionisten an Bord des Schoners. Ralph R. und seiner Frau Angi, die beide leidenschaftlich Steeldrum spielten und Ralph überdies einige Steeldrum-Bands und Kinderbands in Zürich unterrichtete, waren die idealen Kandidaten, um den berühmtesten Calypso-Musiker Mighty Sparrow.
Durch Ralphs Kontakte konnten wir Mighty Sparrow, der achtfache «King of Calypso» zu einem Exklusiv-Galakonzert im «Hotel International» in Oerlikon einladen. Dazu arrangierten wir ein Open-Air auf dem Marktplatz in Oerlikon mit acht Stelldrum-Bands am Vortag, an einem Samstag. Dank der Kooperation mit der «British West India Airlines» (BWIA), die damals neu nach Zürich flog, konnten wir während sechs Wochen vor dem Calypso & Steeldrum Festival karibische Spitzenköche nach Zürich einfliegen, mit allen frischen Zutaten und reichlich tropischer Dekoration, um im «Hotel International» in Oerlikon karibisches Flair, tropische Cocktails und leckere exotische Spezialitäten und Speisen anzubieten.
Durch das «Calypso & Steeldrum Festival» durfte ich mit Roger Schawinskis «Radio 24» kooperieren und war bei ihm zu einem Interview und bei einer Sondersendung zu Gast. Auch bei «Radio DRS 3», das eine einstündige Sendung über den Calypso aus Trinidad und zu Mighty Sparrow machte, kurbelte die Promotionsschiene kräftig an. Zudem war auch Frederic Dru von «Radio Tropic» daran interessiert, diesen Event so richtig zu zelebrieren. Auch das Schweizer Fernsehen für liess sich für ihre erste Reisesendung von der Karibik und dem Mighty Sparrow-Konzert inspirieren, da «SRF»-Reise-Redaktor Kurt S. und der Musik-Redaktor des Schweizer Fernsehens an unserem Galakonzert waren.
Ebenso erfreulich war, dass ich dadurch bei «Radio Tropic» auf freiwilliger, unentgeltlicher Basis zu arbeiten begann und dann bald eigene Reisesendungen mit den Airlines, Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsämtern produzierte und dabei völlig freie Hand hatte. Was für eine geniale Erfahrung! So konnte ich auf dem werbefreien Radiosender zweistündige Spezialsendungen über Australien, Afrika und die Karibik machen und hatte zwei Jahre später die Gelegenheit beim «Radio Kanal K» ebenfalls Sendungen zu produzieren. Der ebenfalls als Musik- und Kulturradio bekannte Sender im Kanton Aargau liess mir auch viel Spielraum und so machte ich zur Verblüffung aller ein hochkarätiges Interview mit vier kantonalen Parteipräsidenten zur heiss debattierten Asyl-Initiative der SVP.
Mit dabei waren Gerry Müller, der später Stadtpräsident von Baden wurde. Der nächste Protagonist war Andreas Glarner von der SVP aus der Aargauer Gemeinde Arni, der durch seine Skandale in Sachen Migrationspolitik (Verhüllungsverbot und Minarett-Initiative) zu medialer Präsenz gelangte. Zudem kamen auch die beiden kantonalen FDP und CVP-Präsidenten zum Streitgespräch ins Studio. Das war mein erstes hochpolitisches und zugleich hochkarätiges besetztes Interview mit vier Spitzenpolitikern zu einem der heissesten Themen im Inland dazumal. Und es war eine sehr engagierte und kontroverse Diskussion, die ich als Moderator gut im Griff hatte.
Mein beruflicher Status als Fotojournalist und Radioproduzent liessen meinen Wert bei den Fluggesellschaften stratosphärisch in die Höhe schnellen. Für Reisen nach Afrika berief ich mich auf die «SAA» South African Airways an, in die Karibik flog ich mit der «BWIA», nach Brasilien mit der «TAM», zu den französischen Übersee-Territorien mit der «AOM» und nach Asien oder Australien mit «Singapore Airlines» und «Malaysia Airlines» von denen ich die Flugtickets gratis erhielt, da ich die Reportagen oft in sieben Tageszeitungen publizierte und auch für Hochglanz-Magazine arbeitete. So veröffentlichte ich Reisereportagen, Aviatik- und Wirtschaftsberichte in der «Aargauer Zeitung», «Der Bund», «Neue Luzerner Zeitung», «Solothurner Zeitung», «Südostschweiz», «Facts», «SonntagsZeitung» und in Hochglanzmagazinen wie «Globo», «Animan» «Relax & Style», «World of Wellness» und in der «Welt am Sonntag» wurden Reportagen von mir publiziert.
Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller
Schweizer Atommeiler Shutdown: Zehntausende von AKW-Gegnern versammels sich in Döttingen. Auch sie wurden wie viele andere Gruppierungen bespitzelt. GMC
VORWORT
Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund, prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend Eine gelungene Mischung aus gehobener Reiseliteratur, globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten und persönlichen Essays – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Der Autor publizierte Hunderte von Reportagen in deutschsprachigen Tageszeitungen und Magazinen
Mit enfant terrible Niklaus Meienberg im Asylantenzentrum
In den 80er Jahren gab es noch hinreichend gute Jobs. Zuerst arbeitete ich bei der «Brauerei Hürlimann» im Export, danach für kurze Zeit bei einer Handelsfirma, der ich den gesamten Import von Getreidemehl aus Schweden vom Strassenverkehr auf die Bahn verlagerte und so ein ökologisches Ziel umsetzte als der Firma auch viel Geld sparte, da die Bahnlösung auch erheblich günstiger war. Danach kamen drei Reiseleiter-Einsätze für je drei Monate im Senegal, in Polen und in London ins Spiel. Daraufhin arbeitete ich beim «Media Daten Verlag», der die «Werbewoche» und das «Media Trend Journal» heraus gab und so wurde ich Anzeigenleiter der «Neuen Zürcher Zeitung» für die Bereiche Tourismus, Schulen und Institute sowie Verkaufsleiter der «Swiss Review of World Affairs», dem damaligen, hochkarätigen, englisch sprachigen Magazin der Neuen Zürcher Zeitung «NZZ». Später produzierte ich die Wälzer, der «Portraits der Schweizer Werbewirtschaft» und «Portraits der Schweizer Kommunikationswirtschaft» beim «Bertschi-Verlag». So rückte ich dem Journalismus immer näher und ich beschloss das Handwerk über eine PR-Ausbildung am «SAWI» zu erlernen.
Im Oktober 1989 nahm ich an einem einwöchigen Journalismus-Workshop mit dem linken Journalisten, Schriftsteller und Historiker Niklaus Meienberg teil, der kurze Zeit zuvor den «Villiger-Skandal» im 2. Weltkrieg aufdeckte. Dieser führte uns überraschend nach Kreuzlingen zur Asylantenempfangsstelle, bei der wir noch am selben Abend unserer Ankunft eine menschenunwürdige Situation vorfanden. Vor der geschlossenen Asylanten-Empfangsstelle hatten gut ein Dutzend frierender Flüchtlinge ein Feuer angezündet, um sich vor der bitteren Oktoberkälte zu schützen und aufzuwärmen, denn sie seien von der Asylanten-Empfangsstelle ausgeschlossen worden, erklärten sie uns. Die Polizei war gerade dabei das Feuer zu löschen, was uns in Rage brachte.
Niklaus Meienberg kam so richtig in Fahrt und der wortgewaltige Hühne orchestrierte eine verbale Schandtirade feinster Didaktik. Aber Meienberg wäre nicht Meienberg, wenn den Worten nicht auch Taten folgen würden und so wies er uns an, die Flüchtlinge in die Jugendherberge zu verschieben, die gerade noch geöffnet hatte. Der arme Herbergen-Verwalter fiel fast vom Stuhl als er das Dutzend Flüchtlinge im Schlepptau der JournalistInnen vor sich sah, Da ging das bürokratische Prozedere mit den Papieren los und musste nach den ersten fünf Personen, aufgrund fehlender Papiere, als hoffnungslos, abgebrochen werden und kurz darauf konnten die Flüchtlinge wenigsten diese Nacht in der Wärme verbringen.
Meienberg indes hatte schon am nächsten Morgen die halbe Deutschschweizer Presse auf den Plan gerufen und über die menschenunwürdigen Vorkommnisse und Praktiken vor der Flüchtlingsstelle (Strafaktion) hingewiesen. So sahen wir uns plötzlich im Presse-Trubel mit einer Schar Journalisten konfrontiert und belagerten so das Flüchtlingszentrum, bis wir mit dem Leiter der Empfangsstelle eine Aussprache hatten. Dann kamen die Politiker und Stadträte, die mauerten, Peter Arbenz, der Flüchtlingsdelegierte meldete sich zu Wort und stellte dem Empfangsstellenleiter einen Persilschein aus derweil die kirchlichen Organisationen mehr Menschenwürde einforderten. Und so war die ganze Woche action.
Der Kurs ging am Freitag-Abend zu Ende, jeder konnte über Nacht eine Story über das Geschehen der letzten Woche schreiben und sie Meienberg am Samstag Morgen zeigen, der dann einen kurzen Kommentar dazu abgab. Sein Kommentar war lausig. Doch hatte ich die Unverfrorenheit und das Glück, dass mein Beitrag in der «Weltwoche» mit der Essenz eines anderen Schreibwerkstatt-Teilnehmers an meinem 27. Geburtstag abgedruckt wurde. Der Einstieg war gelungen und der Ansporn, weiter in diese Richtung zu gehen da und weil Fotografieren zu einer Leidenschaft geworden war, wollte ich Journalismus und Fotografie miteinander kombinieren.
Der «Fichenskandal» und die «P-26 Geheimloge»
Nicht der Spitzelstaat sondern die vielen HilfspolizistInnen und DenunziantInnen sind das Problem
Im Jahre 1990 war ans Licht gekommen, dass sowohl die Bundesbehörden als auch die kantonalen Polizeikorps seit Beginn des Jahrhunderts rund 900’000 «Fichen» über politisch verdächtige Personen angelegt hatten. Laut offiziellen Angaben waren mehr als 700’000 Personen und Organisationen erfasst, also über ein Zehntel der Bevölkerung war subversiv. Der Beobachtungsradius erfasste zuerst ausländische Anarchisten, Schweizer Sozialisten und Gewerkschafter, Schriftsteller, unwillkommene politische Flüchtlinge und Ausländer, die oft wieder ausgewiesen wurden. Mit dem Aufkommen des Antikommunismus wurden vor allem linksstehende Politiker und Mitglieder von Gewerkschaften überwacht. Offizielles Ziel der «Fichierung» war es, das Land vor aus dem Ausland gesteuerten subversiven Aktivitäten zu schützen.
Die Bekämpfung der Subversion war während des Kalten Krieges ein weitverbreitetes Schlagwort. Die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK brachte zu Tage, wie weit dieser schwammige Begriff aufgefasst wurde. Wie aus den Unterlagen der «Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr» (UNA) hervorging, empfanden eifrige Staatsschützer „Alternative“, „Grüne“, Friedensbewegte, Drittwelt-Aktivisten, Frauenbewegungen und Fremdarbeiterbetreuer, Anti-AKW-Aktivisten, „Linke“ aller Art also per se, als potentiell gefährlich einzustufen seien, denn sie könnten kommunistisch unterwandert, feind- oder fremdgesteuert oder sonst wie manipuliert sein.
Auch ich bestellte meine Fiche beim Polizei und Justizministerium, die dann doch detaillierter als angenommen war, was das Bewegungsprofil und die Kontakte angeht, aber ansonsten sehr belanglos war, bis auf die vielen schwarzen Stellen in dem 14 seitigen Protokoll, das wohl mehr die Spitzel-Identitäten verdecken und schützen sollte, als Staatsgeheimnisse, staatsfeindliche Aktivitäten oder einen «Landesverrat» des Überwachten zu Tage gebracht hätte. Es zeigte den blinden Eifer der Behörden und das traurige Abbild der Spitzel. Die wenigsten von uns waren Marxisten, Leninisten, Maoisten oder Kommunisten oder Staatsfeinde auch wenn das Motto: «Macht aus dem Staat Gurkensalat» skandiert wurden. Da wurde viel Staatspropaganda aufgefahren und mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Dann gab es noch einen weiteren Politskandal: Die «P-26» Geheimloge (Projekt 26) war eine geheime Kaderorganisation zur Aufrechterhaltung des Widerstandswillens in der Schweiz im Fall einer Besetzung. Sie wurde 1979/1981 als Nachfolgerin des Spezialdienstes in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) eingesetzt und 1990 nach der Bekanntmachung durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) durch Bundesrat Moritz Leuenberger aufgelöst. Für die P-26-Mitglieder war in Friedenszeiten keine Bewaffnung vorgesehen, doch darum scherte sich der illustre Geheimbund nicht. Vorgesehen war, dass sie als Gruppe auf Befehl einer allenfalls im Ausland verbleibenden Exilregierung aktiv würden, um als Nachrichtenquelle zu dienen, ein Kampfauftrag war nicht vorgesehen, denn der war allein der Armee vorbehalten. Dennoch hortete die Untergrund-Organisation Waffen und legte grosse Munitionsdepots an.
Seit 2021 ist die Schweizer Luftwaffe an 365 Tagen 24 h im Einsatz. Bild: GMC/Gerd Müller
Beruflich war ich zu Beginn der 90er Jahre mit meiner Public Relation Ausbildung und bei der PR-Agentur «Leipziger & partner» in Zumikon beschäftigt. Unser Dr. Emil S. war Chef war Oberst im Militär und ein kleiner Nazi und gehörte so betrachtet nicht zu meinen speziellen Freunden oder Vorbildern. Aber beruflich gesehen, war er ein Ass und bestens vernetzt wodurch ich viel von seinem Know-How und den Kontakten zum militärischen Kader und zu Zivilorganisationen wie «Helvetas» und dem «Europa Institut» profitierte. Bei der PR-Agentur organisierte ich u.a. das «Forum 91» und das «Colloquium Sicherheitspolitik & Medien» mit «NATO»-General Klaus Naumann, zwei hochpolitische Foren mit hochrangigen Militärs, Politikern, Wissenschaftlern und Medienvertretern.
Da prallten zwei Welten aufeinander: Hier der junge Freak, der Sympathie für die «Armee-Abschaffungs-Initiative» hatte und sich der Rekrutenschule entzog, dafür aber gerne Zivildienst leistete. Einer der auch mit der Anti-AKW-Bewegung sympathisierte Auf der anderen Seite das bürgerliche Establishment, die Spitze der Schweizer Armee bis hin zum Gastreferenten, «NATO»-General Klaus Naumann, der nur von drei Kantonspolizisten eskortiert herein geführt wurde. Insgeheim malte ich mir aus, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich die Militärelite mit einem Schlag mit einem der 35mm Flabgeschosse aus meinem Lehrbetrieb Oerlikon Bührle hätte vernichten können. Da habe ich gemerkt, dass man auch als Pazifist einige abgründige Szenarien in Erwägung ziehen kann, wenn man in militärischen Kategorien denkt, so wie das in Militär- und Spionagekreisen eben alltäglich und branchenüblich ist. Doch nun zurück zu einem weiteren Skandal, der die Schweiz erschütterte und perfide Geheimdienstoperationen ans Licht führte.
Die Schweiz als Apartheid-Gehilfe der Buren
Peter Regli war von 1991 bis 1999 Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes und eine illustere, zwielichtige Geheim-dienst-Figur. Er organisierte in den frühen 1980er Jahren geheime Pilotenaustausche mit dem Apartheidregime. Laut dem ehemaligen Geheimdienstchef Südafrikas, Chris Thirion, vereinbarten die Geheimdienste der Schweiz und Südafrikas 1986 auch einen Know-how-Austausch über C-Waffen. Am 25. Januar 1988 traf der Leiter des südafrikanischen ABC-Waffen-Programmes, Wouter Basson, der später als «Doktor Tod» in die Geschichte einging, sowie Polizeigeneral Lothar Neethling mit Vertretern des «AC-Laboratoriums Spiez» in Bern zusammen. Unter dem «Project Coast» wollte der Militärarzt Basson mit B- und C-Waffen damals mögliche Aufstände der schwarzen Bevölkerung im Keim ersticken. Eine grauenhafte Vorste-llung, dass die Schweiz bei diesem teuflischen Plan im geheimen mitgewirkt hat und an der Vernichtung hätte Mitwirkende sein können.
Vor Reglis erzwungenen Rücktritt liess er 1999 sämtliche Akten über die nachrichtendienstliche und militärische Zusammenarbeit mit dem Apartheidregime vernichten. 2003 reichte das (VBS) eine Strafanzeige und leitete eine Administrativuntersuchung gegen ihn ein im Zusammenhang mit den umstrittenen Kontakten des Geheimdienstes zum südafrikanischen Apartheid-Regime. Obwohl auch eine parlamentarische Untersuchungskommission diese Operation als unrechtmässig bezeichnete, wurde Regli 2007 vom Bundesrat vollständig rehabilitiert. Die Aktenvernichtungen im Geheimdienst sei im Interesse der Schweiz gewesen.
Die Rehabilitierung von Regli war umstritten, sie wurde von Hilfswerken und der politischen Linken (Sozialdemokraten, Partei der Arbeit, Grüne) mit Empörung zur Kenntnis genommen. Doch wie kam Regli überhaupt zu diesen hochrangigen ausländischen Kontakten zur «CIA», «Mossad» und zum südafrikanischen Geheimdienst? Quellen aus dem NDB»-Umfeld führen zu den geheheimen Sitzungen des «Club de Berne» teilnahm. Diese informelle Organisation wurde während des Kalten Kriegs 1971 in Bern gegründet. Sie vereinigt die Chefs aller Geheimdienste und der Bundespolizeien aus etwa zehn Ländern wie Deutschland, den USA, Grossbritannien und der Schweiz und ist auch heute noch operativ tätig. Ziel ist der regelmässige Informationsaustausch zwischen westlichen Geheimdiensten und Bundespolizeikorps über aktuelle Bedrohungen.
Aviva Guttmann, eine Historikerin am «King’s College» in London, ist eine der Forscherinnen mit Zugang zu den «Club-de-Berne»-Aufzeichnungen der 80er- und 90er-Jahren, die in ausländischen Archiven gelagert sind. Sie sagt, „dass Regli Kraft seines Amts Mitglied gewesen sein muss“. „Er verfügte stets über Wissen, das weit über seinen Dienstgrad hinausging“, sagt eine andere Quelle. Durch die Teilnahme am «Club de Berne» erhielt Regli Informationen der CIA» und des israelischen «Mossad» ein klassischer Modus Operandi für jeden Nachrichtendienstchef. Doch Regli sei dabei zu weit gegangen, «indem er das Risiko einging, die Sicherheit des Landes zu gefährden». Damit gemeint ist die Gefährdung internationalen Verpflichtungen und die Neutralität der politischen Schweiz. Dass Regli sich autonom mit dem «CIA und «Mossad austauschen konnte, hat auch mit einer anderen Personen zu tun, die ihm den Rücken frei hielt und Türen öffnete, wie der Leiter des internen Nachrichtendiensts «DAP».
Urs von Daeniken, ebenfalls «Club-de-Berne»-Mitglied, umtriebig und ambitioniert. Von Daenikens Vorgesetzter, Peter Huber, auch ein Mitglied im Club de Berne», wurde nach der «Fichenaffäre» 1989 aufgrund von öffentlichem Druck entlassen. Alt-Bundesrat Adolf Ogi erinnert sich an diese Zeit zurück und erzählt, der Geheimdienstchef für ihn immer mehr zum „Problemdossier“ geworden sei, weil „Regli zu eng mit Personen aus der Apartheid verbandelt war, die ein chemischbiologisches Waffenprogramm aufgebaut hatten.“
Carla Del Ponte wollte Regli wegen seiner damals bekannt gewordenen Südafrika-Affäre verhaften. Doch so weit kam es nicht. Erst kam noch die Bellasi-Affäre, benannt nach dem ehemaligen Geheimdienstbuchhalter Dino Bellasi, der von Regli mit 8,9 Millionen Franken beauftragt wurde, ein geheimes Waffenarsenal aufzubauen. Als Bundesrat Ogi im November 1995 die Leitung des Militärdepartements übernahm und in sein Amt einarbeitete, hoffte er, von seinem Vorgänger, dem FDP-Bundesrat KasparVilliger Informationen zu erhalten. Doch Villiger liess seinen Nachfolger auflaufen. «Er gab ihm keine Informationen über die Abläufe des «SND» oder über die Amtsführung von Peter Regli. So kam es, dass Ogi bis zum 12. Februar 2020 nichts von der Kontrolle des «CIA» und «BND» über «Crypto AG» wusste, wie er selber sagt.
Regli half Wouter Basson alias «Doktor Tod» bei der Beschaffung von Mandrax
In der dunkelsten Zeit der Apartheid in Südafrika: in die 80er-Jahren organisierte Peter Regli, damals Chef der Luftwaffe, einen geheimen, Austausch von Militär-Piloten mit Südafrika. Laut Aussage des ehemaligen Chef des südafrikanischen Geheimdiensts Chris Thirion, pflegten die schweizerischen und südafrikanischen Dienste einen jahrelangen Informationsaustausch über chemische Waffen. Damals war Wouter Basson Leiter des südafrikanischen Chemiewaffenprogramms. Die südafrikanischen Medien gaben ihm den Übernamen «Doktor Tod».
Er leitete die «Operation Coast», ein streng geheimes und tödliches Programm der Apartheidregierung, das an politischen Gegnern und Schwarzafrikanern getestet werden sollte. All dies ist in einem klassifizierten Bericht von Professor Schweizer und in der Studie «Mit der Apartheidregierung gegen den Kommunismus» von Peter Hug festgehalten. Anfang 1988 trafen sich also Wouter Basson und der südafrikanische General Lothar Neethling in Bern mit Vertretern des AC-Labors Spiez. Gemäss Basson wurde das Treffen von Jürg Jacomet arrangiert. Der ominöse Waffenhändler war Reglis «Agent in Südafrika».
1991, ein Jahr nach dem Sturz des Apartheidregimes, statteten Basson und Neethling Bern einen weiteren Besuch ab, diesmal direkt im Büro von Regli. 1992 half JacometBasson, eine halbe Tonne «Mandrax zu beschaffen, ein extrem giftiges Lähmungsmittel. Ein Deal, der Regli fädelte. Zwei Jahre später konnte Regli im Gegenzug auf Jacomets Unterstützung beim Kauf von zwei russischen SA-18-Boden-Luft-Raketen zählen. Die «Operation Coast» wurde 1992 abgebrochen. Die parlamentarische Aufarbeitung dieser problematischen Beziehung begann viel zu spät und nur durch Medienberichte ausgelöst.
Der Bundesrat war blind auf beiden Augen und kaum informiert über die engen Verflechtungen Reglis mit Südafrika. Die Wahrheit kam Stück für Stück ans Licht. Nur ein Mitglied des Bundesrats wusste von Reglis Deals, gemäss der parlamentarischen Untersuchung von 2003, nämlich Kaspar Villiger. Professor Schweizer, der Villiger ebenfalls befragt hat, zweifelte aber an der Kooperationsbereitschaft des ehemaligen FDP-Bundesrats und sagte: „Sicher hat er mir gegenüber nicht alles gesagt“. Für den emeritierten Professor ist der Fall Regli und Südafrika nicht abgeschlossen auch wenn Reglis Beziehungen zu Südafrika offiziell abgeschlossen sind und 2007 zu seiner Rehabilitation führten. Irre, nicht? Trotz eindeutiger Kontakte, problematischer Kontakte, privater Geschäfte und mehrerer Kompetenzüberschreitungen konnte ihm keine direkte Beteiligung am «Projekt Coast» nachgewiesen werden, auch wenn Regli in Gegenwart seines Anwaltes zugegeben, hatte, dass er Wouter Basson, den Leiter des Chemiewaffenprogramms, mindestens sechs Mal getroffen und mit ihm vertrauliches besprochen habe.
Von den verbrecherischen Forschungen dieses Arztes hatte er also Kenntnis, sagt Schweizer. Aber diese gut dokumentierten Befunde blieben für Regli bisher folgenlos. Das lag vor allem daran, dass Regli sämtliche Akten und Memos über seine Besuche im September 1999 vernichtet hatte. Wenige Monate bevor er vom Bundesrat wegen der laufenden Untersuchung in Frühpension gedrängt wurde, wird Regli ins Armeearchiv versetzt. Dort nutzte er die Gelegenheit, alle Dokumente im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten in Südafrika zu vernichten.
Er berief sich dabei ironischerweise auf den Datenschutz, seine Persönlichkeitsrechte und den «Fichenskandal» der damaligen Bundespolizei. Die Aktenvernichtung sei in den 70er- bis 90er-Jahren eine typische schweizerische Eigenheit gewesen, sagt Geheimdienst-historiker. Vor allem zu den Kooperationen mit ausländischen Intelligence Services seien Dokumente geschreddert worden, sofern überhaupt etwas schriftlich festgehalten worden sei. „Die Geheimdienste in den USA, Deutschland und England haben das nicht in diesem Ausmass gemacht.“
Zu den «Cryptoleaks». «SRF-Rundschau», «ZDF» und die «Washington Post» hatten gezeigt, dass die Zuger Exportfirma Crypto AG im Dienste des amerikanischen und deutschen Geheimdiensts über lange Jahre hinweg manipulierte Verschlüsselungsgeräte verkauft hatte. Die «Crypto AG» ist nur die Spitze des Eisbergs. Der gesamte Schweizer Nachrichtendienst war in den 1990er-Jahren geprägt von Dünkel, Intrigen und informellen Beziehungen zu westlichen und illusteren Geheimdiensten. Es gab einen kleinen Zirkel von Insidern an der Spitze, der unbeaufsichtigt von Bundesrat und Parlament den persönlichen Austausch mit amerikanischen, südafrikanischen oder israelischen Spionen pflegte.
Dank des 280-seitigen Dokuments namens «Minerva» wurde beweisen, dass der «BND» und die «CIA» zwischen1970 und 1993 ein Geheimbündnis hatten, um rund 100 Staaten auszuspionieren. Auch das Verfahren gegen die «Crypto AG» musste ergebnislos eingestellt werden. In den Medien sind diverse Namen aus dem bürgerlichen Lager aufgetaucht. Der geheime CIA-Bericht «Minerva» nannte als Mitwisser beispielsweise den Zuger FDP-Parlamentarier Georg Stucky, ein Mitglied des Verwaltungsrats von «Crypto AG» und Alt-Bundesrat Kaspar Villiger.
Die Affäre Bühler der 1992 beim Verkauf von Verschlüsselungsgeräten an das iranische Verteidigungsministerium ver-haftet wurde. Der Aussendienst-Mitarbeiter wurde der Spionage verdächtigt und sass neun Monate lang in einem iranischen Gefängnis. Der Fall Bühler zwang die Bundesanwaltschaft, eine Untersuchung zur «Crypto AG» durchzuführen. Diese kam fälschlicherweise zum Schluss, dass es keine Manipulation an Geräten gab. Mehrere Quellen aus dem «NDB»-Umfeld bezeugen aber, wie eng der Ex-Chef des Strategischen Nachrichtendiensts mit den Amerikanern zusammenarbeitete. Sie nannten ihn «den Souffleur» mit engem Draht zum damaligen «CIA»-Direktor William H. Webster, dem israelischen Geheimdienst «Mossad» oder dem südafrikanischen Geheimdienst – alles Protagonisten aus dem «Club de Berne».
Der militärisch ausgerichtete Nachrichtendienst «SND» punktete mit dem Satellitenabhörsystem «Onyx» in Leuk, Zimmerwald und Heimenschwand. Damit gelang es der Schweiz uneingeschränkt alle Datenübertragungen via Fax, E-Mail oder Telefon nach Suchkriterien abzuhören. Zudem gab es den Dienst für Analyse und Prävention (DAP). Dieser wurde nach der Fichenaffäre 1989 gegründet und war beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement angesiedelt.
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Das Buch des Zürcher Foto-Jouralisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisen-regionen rund um den Globus. Er beleuchtet das Schicksal indigener Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes aDas Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen rund um den Globus. Er beleuchtet das Schicksal indigener Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund und analysiert scharfsichtig und gut informiert die politischen Transformations-prozesse. Müller prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse in einigen Ländern auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend. Eine gelungene Mischung aus globalen Polit-Thrillern, gehobener Reiseliteratur, gespickt mit sozialkritischen und abenteuerlichen Geschichten sowie persönlichen Essays – den Highlights und der Essenz seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Es erwartet Sie eine Reise durch die epochale Vergangenheit und metamorphorische Phasen vieler exotischer Länder rund um den Globus. Nach der Lektüre dieses Buchs zählen Sie zu den kulturell, ökologisch sowie politisch versierten Globetrotter.
Brasilien/Salvador de Bahia: Im Hexenkessel magischer Sklavenenergie
Bei einer der ersten von insgesamt fünf Reisen nach Brasilien entdeckte ich nach den Iguacu-Fällen, Rio de Janeiroauch Salvador de Bahia, den Landeplatz der Europäer und die erste Hauptstadt Brasiliens. Wer die exotischen Facetten des baianischen Lebens kennen lernen will, der mache sich zumindest in Karnevalszeiten auf heisse anmache, coole Abweisung und köstliche Trostspender gefasst. Taucht man in die mystische Welt des Candoble ein und lässt sich von der überwältigenen Spiritualität überwältigen, verlässt die hiesige Welt und gerät in Trance bis zur Ekstase. Eine Reise nach Salvador de Bahia ist wie ein Aufbruch zu neuen Ufern. Zunächst einmal bewunderswert we beschwingt die Baihanos durch das Leben gehen. Bemerkenswert wie sie Ihre Freude und Trauer ausdrücken. Die mystische Göterwelt und spirituelle Quelle der Bahanos wiederspiegelt sich im Candomble, der Grund zur christlichen Mission gab zumal Bahia der Augangspunkt der westlichen Entdecker und Eroberer war Davon zeugen nicht nur die Bastionen entlang der Küste. Die Wurzeln des Sklaventurms sind in der hiesigen Kultur tief verankert. Gerade die im Verborgenene ausgelebte Candomble-Spiritualität zeugt davon. Wenn Hunderte von Gospelstimmern aus voller Inbrunst ertönen, dann erzittert nicht nur die Erde, sondern vibriert auch die Luft im weiten Umkreis, wie bei einem heranheulenden Orkan. Da hört sich der Pslame quietschende katholische Knabenchor nebenan im Kloster Sao Fransico im barocken Altstadtviertel Pelourinho wirklich eher kläglich an.
Selten entdeckt man so ein verspieltes Volk, dass unglaublich viele tänzerischen und musikalisch begabte Leute hervorgebracht hat. In Salvador de Bahia, der Wiege des Karnevals und des Samba gibt es kein Stillstehen und kein stocksteifes Auftreten. Alles ist im Fluss, alle sind ständig in Bewegung, mehr oder minder grazil. Eine weitere bahianische Spezialität ist der Capoeira, der als Tanz getarnte Kampfsport. Auch hier sind die anmutigen fliessenden Bewegungen erkennbar, die das ganze Leben durchströmen und Impulse auslösen. Doch nicht nur im Gefühle ausdrücken auch der Körperkult steht ganz oben auf der Agenda. Darin unterscheiden sich die Bahianos kaum von den Cariocas. Kaum ein Adonis, der nicht seinen sportlich gestählten Körpger im knappen Slip präsendtiert. Keine Frau, die nicht stolz in ihrem Fio dental (Zahnfaden)-Bikini am Strans rumspaziert und mit ihrer Grazie und Freizügigkeit kokettiert. Kein Wunder hat die Kirche hier her mehr Ordensbrüder entsandt, als sonstwo in der Welt. Allein in Salvador de Bahia wurden 165 Gotteshäuser errichtet.
2003 wurde ich für drei Monate als Resident Manager für ein Schweizer Reiseunternehmen in Fortalezza im Nordosten Brasilien stationiert und hatte dort eine verdammt gute Zeit. Wenig Gäste, also keinen Stress, ein Hotelzimmer direkt an der Beira Mar (das ist wie die Copaca-bana in Rio) und ein gutes Fahrzeug, mit dem ich bis nach Jericoacoara zu den fantastischen Sanddünen oder in den Süden bis nach Moro Branco fahren konnte. Das brasilianische Lebensgefühl, die Musik, die Sprache und die Kulturen haben mich schon auf früheren Reisen sehr angezogen, dadurch habe ich auch ein wenig portugiesisch gelernt. Da ich gut spanisch sprach, viel mir der Einstieg leicht und die brasi-lianischen Dialekte gefallen mir besser, als die harten spanischen Akzente. Auch die Musik vieler lateinamerikanische Klänge verzaubern mich: Vom Tango in Argentinien über den Bossa Nova eines Gilberto Gil in Brasilien oder den Volkstanz Forro, wie in Fortalezza, vom Salsa und Son auf Kuba zum Merengue auf der Dominikanischen Republik, all diese Musikstile und Tanzformen sprechen mich sehr an.
In Fortalezza lebte ich während dieser drei Monate als Station Manager an der Beira Mar, ideal gelegen auch für tägliche Auflüge an den schönen Stadtstrand die Praia do futuro und nachts hin zur Iracema am Ende der Beira Mar, wo sich das touristische Vergnügungsquartier mit allen Nachtclubs befand, was sehr praktisch für die Touristenbetreuung vor Ort war. Nach Ablauf der drei Monate wurde ich in den Sinai verfrachtet, kehrte aber nach dem sechsmonatigen Einsatz in Sharm el Sheikh, wieder arbeitslos nach Fortalezza zurück, weil der Tsunami über Asien heringebrochen war und dadurch alle Reiseunternehmen weniger Station Managers und Reiseleiter brauchten. Bei meiner Rückkehr nach Fortalezza, lebte und wohnte ich erst zwei Monate im Favela Serviluz nahe der Praia do Futuro bei einem Freund, der ein kleines Backstein-Häuschen nahe der Praia do Futuro hatte und fühlte mich da ganz wohl. Bald kannte ich via Heldon und seinen Freund Joaquin viele Leute und die Nachbarn im Favela kannten mich ebenfalls, sodass ich mich dort Tag und nachts frei bewegen konnte.
Es war eine gemütliche Zeit, denn ich hatte im Sinai und schon zuvor in Brasilien gute Devisengeschäfte mit den Touristen gemacht. Das war immer eine erträgliche Neben-Einnahmequelle bei diesem Job. In Polen bin ich so ja fast Zloty-Millionär geworden. Dann besuchte mich eine Freundin aus der Schweiz und wir mieteten uns einen «Highlux», also einen Offroader, um entlang der brasilianischen Küste von Fortalezza im Staat Ceara via die Bundesstaaten Maranhão und Piaui bis nach Manaus hochzufahren und im Inland die Rückreise zu vollziehen. Das sind gut 6000 Kilometer, die wir in 11 Tagen zurücklegen wollten. Die Geländefahrten waren bequemer, als die Fahrt auf der Asphaltstrasse, die mit Löcher, bis zu einem halben Meter tief, völlig übersät war.
Der Asphalt sah aus, wie nach einem flächendeckenden Bombenbangriff! Deshalb fuhr ich oft auf dem Geröllstreifen rechts der Fahrbahn. Da kommt man grundsätzlich schneller voran und wirbelte kräftig Staub auf, was schon von weitem zu sehen ist und der Unfallgefahr vorbeugt. Die Reise verlief über Jericoacoara, mit seiner fantastischen Dünnenlandschaft, die aber im nächsten Bundesstaat Maranhao noch an Schönheit übertroffen wurde von den kristallklaren Seen in den Sanddünen-Landschaften. Eine äusserst faszinierende Gegend! Der tiefblaue Atlantik mit einsamen Traumstränden zur Linken, ein gigan-tischer Sanddünenstreifen entlang der Küste und im Inland der esmeradgrüne Dschungel. Die Nationalparks von Jericoacoara und Lençóis Maranhenses an der Atlantikküste sind einzigartige Biotope.
Also fuhr ich mit viel Speed durch den gut 30 Meter breiten, seichten Flussverlauf auf die Insel zu, geriet dort aber durch die Steigung ins Stocken und hatte dadurch zu wenig Schwung um in den Strömungskanal mit dem reissenden Durchfluss zu durchqueren. und kam mit der Motorhaube im 45 Grad Winkel zu dreiviertel im Wasser feststeckend abrupt an. Nach einigen Stunden kamen ein paar Fischer herbei. Nur dank eines Bootes im Strömungskanal, das den Wagen ein wenig anhob und einem Auto, das uns von hinten mit dem Drahtseil über die seichte Flussstelle zurück zog, schaften wir es aus dem Fluss herauszukommen.
Wüsten gefallen mir besser, als Urwälder. Man kommt besser voran. Im 4×4 wenigstens. Doch auch hier, wäre ich ohne die Hilfe der einhei-mischen Fischer arg gestrandet, denn auf dieser Reise mussten zahlreiche Flüsse überquert werden. Bis auf ein Mal ging das ganz gut, doch dann kamen wir zu einem Fluss, der auf unserer Seite erst ca. 30 Meter weit seicht war, dann gab es ein kleines Sandinselchen vor der Stelle, wo der Fluss eine enge, reissende Mündung, wie in einem Trichter durchfloss. Das konnte man aus 40 Metern Entfernung gerade noch erkennen und war wohl die gefährlichste Stelle. „Wenn ich nicht mit Vollgas die letzten zehn Meter nach der winzigen Flussinsel würde durchqueren können“, sähe es schlecht aus, dachte ich. Und genau so war es dann auch.
Mit dem Pick-up Car im Fluss steckengeblieben. Fischer helfen das Auto zu bergen.
Ein anderes Mal, als ich gerade alleine in der brütenden Mittagshitze unterwegs war, blieb ich im tiefen Treibsand stecken. Es dauerte vier Stunden, viele Schweisstropfen und unendlich viele Ruckelstösse für ein paar Meter weiter. Der Sand war glühend heiss, ich schaufelte stundenlang wie ein Verrückter und dachte nicht, dass ich es noch schaffen würde. Doch schliesslich klappte es doch noch. Und so ging die Reise weiter zur Ilha de Maranhão, eines der grössten Schwemmgebiete der Welt an den Ausläufern des Amazonas. 800‘000 Büffel bevölkern die Insel, die nur wenigen Hindert Grossgrundbesitzern gehören, welche kaum Arbeiter beschäftigen. Wo die Tiere in der Trocken-zeit passieren, dort entsteht in der Regenzeit ein Flusslauf. So wird das fragile Ökosystem und die dünne Humusschicht schon in wenigen Jahren zerstört. Jahr für Jahr werden riesige Urwald-Flächen erst für die Rinderzucht und dann für eine intensive Landwirtschaft wie die der Sojaplantagen vereinnahmt. In den vergangen 30 Jahrne wurde fast ein Viertel des Amazonas Deltas vernichtet. Dabei ist die Artenvielfalt hier unvergleichlich. Allein im Amazonas gibt es über 2000 verschiedene Fische. Zum Vergleich: In ganz Europa sind es gerade Mal 150 Fischarten. Das gleiche gilt für alle Tierarten und Spezies, die meisten davon sind endemisch.
Weiter verlief die abenteuerliche Reise durch den Bundesstaat Piaui und von dort bis nach Manaus weiter. Dann nochmals gut 3000 Kilometer im Inland zurück nach Fortalezza, wobei wir am Nationalpark Ubajara, rund 300 km westlich von Fortaleza entfernt, die Gruta de Ubajara, Brasiliens grössten Höhlen mit neun Kammern und einer Tiefe von gut einem Kilometer besichtigten.
Amazonas Artensterben durch Raubbau und Cruise von Peru bis Kuba
Sein Name ist Legende und klingt so exotisch, wie der Mythos, der ihn umrankt: Der Rio Amazonas. Er ist der zweitlängste und wasser-reichste Fluss der Erde, der mit den meisten Nebenflüssen, dem stärksten Wasserabfluss, dem grössten Einzugsgebiet und gewaltigsten Delta. In abertausenden von Mäandern fliesst er majestätisch durch den facettenreichsten und opulentesten Regenwald der Erde, nährt, tränkt und erhält eine unermessliche Vielfalt von Fauna und Flora und ist die Lebensader von Millionen von Menschen. Der spanische Konquistador Francisco de Orellana war sein erster Botschafter, als er der westlichen Welt nach seinem Vorstoss in „die grüne Hölle“ um 1542 vom grössten Flusssystem erzählte; der deutsche Forscher Alexander von Humboldt war sein aufregendster Berichterstatter und Cineasten erinnern sich bestimmt an die fantastischen Impressionen des Films «Fitzcarraldo» mit Klaus Kinsky in der Hauptrolle des verrückten und angefressenen Opernfans.
Der Amazonas wird von den Indios „Maranao“ genannt, der „den nur Gott allein enträtseln kann“ und besteht aus einem bizarren Geflecht von über 1100 Flüssen, davon 20 länger als der Rhein. Doch erst nach dem encuentro dos aguas, dem Zusammenfluss des Rio Negro und Rio Branco bei Manaus, wird der Fluss Rio Amazonas genannt. Mit seinem Einzugsgebiet, dass mehr als sieben Millionen km2 gross ist und seiner täglichen Ablagerung von drei Million Tonnen Sedimenten im Delta, läuft der Amazonas allen anderen Strömen den Rang ab. Ein Fünftel des Süsswassers in den Weltmeeren wird vom König der Flüsse gespiesen. Über 30’000 Pflanzenarten, die auf drei Etagen übereinander gedeihen und mehr als 2000 Fisch- und Vogelarten leben in seinem Einzugsgebiet.
Eine Expedition in den Amazonas-Urwald ist sowohl eine Reise in eine exotische Welt voller überwältigender Flora als auch eine Begeg-nung mit einer artenüppigen Fauna – voll von Riesenschlangen, wie die Anaconda, Ameisenbären, Faultiere, Brüllaffen, Piranhas, scheuen Flussdelfinen, bunten Papageien (Aras) oder prächtigen Tucans als auch flinken Kolibris. Die Liste liesse sich, so scheint es, fast unendlich fortsetzen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Anzahl der vom Aussterben bedrohten Arten nimmt dramatisch zu.
Experten zufolge ist er Regenwald unwiderbringlich zerstört, wenn 40 Prozent seiner Fläche vernichtet wurden. In den letzten 50 Jahren wurde ein Viertel des Regenwaldes abgeholzt und abgebrannt – mit katastrophalen Folgen für das Klima, die Umwelt, die Menschen und die Tiere. Die Ureinwohner in den Regenwäldern hatten über den Zeitraum der letzten 15‘000 Jahre kaum ein Prozent des Regenwaldes vernichtet. Eine einzige Generation reicht nun aus, um das ganze Ökosystem des Planeten Erde aus dem Gleichgewicht und die Menschheit als solche in Gefahr zu bringen.
In Brasilien gibt es heute noch rund eine Million Quadratkilometer Amazonas Regenwald, der nicht geschützt und nicht eingezont ist und auch nicht indigenen Stämmen gehört (wobei die in langwierigen Prozessen erst ihre jahrhunderte alte Legitimität beweisen müssen) und damit das Ziel der Investoren-Raubgier ist. Das Prinzip verläuft folgendermassen. Die Gebiete werden illegal beschlagnahmt und abgebrannt und/oder gerodet und damit ausgebeutet und zerstört. In den Jahren danach wird dann versucht, die Landnahme auf diesem Gebiet durch die lukrative Viehwirtschaft zu legalisieren, was spätenstens seit Präsident Bolsonaro ein Kinderspiel ist. Die Bodenspekulation wird durch internationale Investoren angeheizt. In der Region werden in den nächsten Jahren rund 30 Milliarden US-Dollars in Strassenbau, Elektrizität und die Infrastruktur zur Erschliessung und Ausbeutung des Primärwaldes gesteckt. 92 Staudämme sind im Amazonas Gebiet geplant.
Zu allem Elend plant die Regierung von Jair Bolsonaro eine Eisenbahn fast 1000 Kilometer quer durch den Urwald und viele indigene Schutzgebiete zu bauen. Die Agrarlobby ist entzückt, verspricht das Infrastrukturprojekt des Ferrogrão doch in Zukunft tiefere Transportkosten bis zum Atlantik und damit höhere Gewinne. Das befeuert weitere Rodungen des Urwaldes mit desaströsen Folgen: Eine Studie der Ökonomen Juliano Assunçao, Rafael Araújo und Arthur Bragança hat ergeben, dass dadurch mit zusätzlichen Rodungen auf einer Fläche von 2050 Quadratkilometern, was rund 300’000 Fussballfeldern entspricht. Das Abholzen dieses Urwaldes würde nicht nur rund 75 Millionen Tonnen Kohlenstoff produzieren, sondern der zunehmende Verlust der grünen Lunge führt bald zum Kollaps des ganzen Klima- und Bewässerungssystems im gesamten Amazonas Becken.
Wo jetzt Wald ist, droht Viehzucht, Sojaplantagen und dann die Wüste. Je weni-ger zusammenhängenden Regenwald vorhanden ist, umso weniger funktioniert der Kreislauf der im Amazonsbecken aufgesogenen Feuch-tigkeit und dem Abregnen an den Andenhängen, sagt der renommierte Amazonas-Ökologe Lovejoy von der «George Mason University». Er ist auch der Meinung dass der «Tipping Point», der Zeitpunkt an dem der Kollaps droht, bedrohlich nahe ist. Das renommierte Nature Magazin kommt zum Schluss, dass der Regenwald bereits heute so angeschlagen ist, dass er mehr CO2 ausstösst als absorbiert. Das wird sich auf für Fauna und Flora in allen Amazonasregionen katastrophal auswirken. Die nächsten zehn Jahre werden entscheind sein, ob wir das Amazonas-Refugium vernichten und für immer verlieren. Die Aussicht auf eine Abkehr der Abholzung und Ausbeutung sowie ein Umdenken erscheint allerdings minimal. Eine traurige Geschichte.
Einer der bequemsten und zugleich aufregendsten Wege, dieses opulente Naturwunder und ausgeklügelte Ökosystem zu erkunden, ist eine Schiffsreise, wie man sie beispielsweise mit der MS Bremen – dem Expeditionsschiff von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten oder der Hanseatic, einem weiteren Kreuzfahrtschiff der Hamburger Reederei unternehmen kann. Da wird die sonst eher mühselige, schweisstreibende und gefährliche Amazonas-Expedition zum unbeschwerlichen Hochgenuss. Doch infolge (m)eines Terminfehlers, hatte die «MS Bremen» in der peruanischen Amazonas-Metropole Iquitos – einem 400’000 Seelen-Provinznest, dass zwar sehr ärmlich ist, aber unzählige Casinos mit Geldspielautomaten und Spieltischen hat – schon vor Stunden ohne mich abgelegt.
Nun stand ich da und versuchte während drei Tagen ein Boot zu chartern, um dem Luxusdampfer hinterher zu fahren. Es dauerte schliesslich eine ganze Woche lang, bis ich endlich mit kleinen Speed-Booten im brasilianischen Manaus ankam und die «MS-Bremen» nach 1000 km wilder Bootsfahrt durch den Urwald endlich eingeholt hatte. Auf der abenteuerlichen Bootsreise wurde mir ein Rucksack gestohlen und der Grenzübertritt von Peru nach Brasilien war auch nicht ohne. Wir kamen in finsterster Nacht an der Grenze an. Vor Ort gab es keine Hütte zum Schlafen. Auf der anderen Seite in Brasilien schon. Zwei Mitreisende und ich fanden einen alten Mann, der uns in der stockfinsteren Nacht über den Grenzfluss fuhr und am nächsten Morgen wieder in Brasilien abholte und uns nach Peru zurück brachte, da wir einen ordentlichen Grenzübertritt machen mussten, um nicht illegal in Brasilien anzukommen.
Nachdem die Operation ordentlicher Grenzübertritt soweit gelungen war und ich also sechs Tage später als geplant, abgebrannt sowie am Ende meiner Kräfte an Bord der «MS Bremen» war, entspannte ich mich erst einmal auf dem Luxusdampfer und wurde wahrlich köstlich und exotisch verpflegt. Nicht nur kulinarisch sondern auch mit wertvollen Informationen und super Vorträgen über die jeweilige Region, garniert mit fantastischen Büffets und niveauvollem Unterhaltungsangebot.
Die MS Bremen bietet alles, was das Entdeckerherz begehrt: Eine 100-köpfige, perfekt aufeinander abgespielte Crew, die stets darum bemüht ist, den Passagieren jeden Wunsch zu erfüllen und sie mit kleinen Aufmerksamkeiten glücklich zu machen. Auch bietet das Kreuz-fahrtschiff eine große Auswahl an Möglichkeiten zur abwechslungsreichen Gestaltung der Tage an Bord mit verschiedensten individuellen Tätigkeiten. Ausflüge mit den PS-starken Schlauchboten ermöglichen den Zugang zu sonst unzugänglichen Regionen und daher auch eine sehr intensive Wahrnehmung all der geheimnisvollen und wunderschönen exotischen Orte und Begegnungen mit der Fauna, die aus beeindruckender Nähe erlebt werden können. Und dank den sich an Bord befindlichen wissenschaftlichen Referenten erfährt man mehr über die ökologischen und ökonomischen Zusammenhänge zwischen Nutzung und Ausbeutung.
Kaimane, Rosa Flussdelfine und Wasserbüffel bevölkern den mächtigen Fluss und lassen sich höchst bequem vom Deck des Luxus-Kreuzschiffes aus beobachten. Das Schiff bahnt sich unbeirrt den Weg durch den Dschungel. Vorbei an flinken Affen und gemächlichen Faultieren geht die Fahrt von Peru, durch Kolumbien und Brasilien bis zum Delta am Atalantik. Da der Flusslauf des Amazonas im Oberlauf noch sehr untief ist, kommen eben nur kleinere Flusskreuzfahrt und Expeditionsschiffe zum Einsatz.
So verläuft die Schiffsreise über gut 1700 Kilometer via Pevas bis nach Leticia ins Dreiländereck Brasilien, Peru und Kolumbien und ins Reich der Drogenbarone und Schmuggler hinunter. In der oberen Amazonasregion am Rio Negro und Rio Tabajos werden die Expeditions-gäste komfortabel und sicher mit den Zodiac’s des Mutterschiffs in die umliegenden Wasseradern des grössten Flussgebietes der Welt geführt. Wissenschaftler begleiten die Ausflüge und erklären den Kreuzfahrern die üppige Wildnis sowie die artenreiche Fauna und Flora. Stück um Stück setzt sich ein komplexes Puzzle biologischer, geologischer und meteorologischen Einflüssen zusammen und ergeben ein facettenreiches Bild dieses fantastischen Ökosystems.
Durch die Vorträge renommierter Wissenschaftler, Amazonas-Forscher und Umwelt-schützern erhalten die Gäste an Bord der MS Bremen fundierte Hintergrundinformationen über die Biodiversität des Regenwaldes. In den täglichen „Recap’s“ fassen die Referenten die Eindrücke zusammen und geben weitere Geheimnisse des Urwaldes preis. So vergeht die Zeit an Bord der MS Bremen sehr schnell und nach fünf fantastischen Flussfahrtstagen ist bereits die Oper von Manaus in Sichtweite gerückt.
Das berühmte «Theatro do Amazonas» mit seiner glitzernden Kuppel ist das krönende Kulturerbe des hiesigen Kautschukbooms, der das Urwaldnest Mitte des 19. Jahrhunderts über Nacht in die reichste Stadt Brasiliens und der Welt verwandelte.Der Prachtbau im Urwald ist Zeuge des ungeheuren Reichtums der Gummibarone, die zu jener Zeit den höchsten Verbrauch an Diamanten und Edelsteinen hatten, ihre Hemden zum Stärken nach Lissabon schickten und die Fin-de-Siècle-Markthalle bei Gustave Eiffel in Auftrag gaben.50 Jahre lang dauerte die Goldgräberstimmung der eitlen und mächtigen Gummibarone an, bis ein Engländer die wertvollen Kautschuksamen in einem ausgestopften Krokodil ausser Landes nach England schmuggelte.
In London konnten daraufhin ein Dutzend Samen der hevea brasiliensis kultiviert und bald darauf in Malaysia en gros angepflanzt werden. Schon 1912 hatten die britischen Plantagen in Asien Manaus vom Weltmarkt verdrängt. Zwei Millionen Gummizapfer wurden innert Kürze im Amazonas arbeitslos. Heute baumeln in den Markthallen von Manaus nebst Fleisch- und Fischstücken zwischen Frucht- und Gemüseständen auch allerlei Indianer-Fetische. Auch breitet sich ein würziges Sammelsurium von Pulvern und Salben, Pasten und Wurzeln aus. Eine der Mixturen nennt sich Viagra regional und findet reissenden Absatz. Kondome hingegen sind bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung verpönt. Der Kinderreichtum ist entsprechend hoch.
Gleich nach Manaus kommt es zur Vereinigung der beiden grossen Urwaldströme Rio Negro und Rio Solimoes. Aus der Luft siehtes aus. wie wenn zwei Riesen-Anacondas sich umschlingen. Erst nach der Vereinigung der beiden Flüsse, dem encouentro das aguas, erlaubt der Atlas die offizielle Bezeichnung Rio Amazonas. Die beiden Fluss-Mäander umschlingen sich wie zwei Riesen-Anacondas, bevor sie sich gemeinsam weit über tausend Kilometer durch die grüne Lunge Brasiliens winden. Sie hinterlassen links und rechts der Hauptschlagader zahlreiche Seitenarme, Tümpel und Biotope. In diesen Refugien steigen Wolken von bunten Papageien auf, schiessen die Eisvögel flink übers Wasser und die Brüllaffen turnen um die Wette im Geäst der tennisplatzgrossen Baumkronen.
Denn die Urwaldriesen wie die Parakautschuk-, Woll-, Paranuss- oder Kapokbäume werden 40 bis 60 Meter hoch und beanspruchen das meiste Sonnenlicht für sich und für die Fotosyntese, die der Welt ihren Atem einhauchen. In den darunter liegenden schattigen Etagen gedeihen Palmen, Myrten, Lorbeer, Zedrelen und die begehrten Mahagonibäume. Diese bieten ihrerseits wiederum anderen Pflanzen Lebensraum, insbesondere allen Arten von Epiphyten, die ohne Wurzeln im Boden als Schmarotzer in den Rinden ihrer Artgenossen vegetieren.
Der nächste Halt der «MS Bremen» ist in Paritins. Jeweils Ende Juni verwandelt sich die Stadt auf der Fluss- Insel für drei Tage in einen brodelnden Hexenkessel. Dann beginnt die grösste Amazonas-Party – ein Spektakel, dass dem Karneval ähnelt. Fast haushohe, fantastische Kostüm- kreationen paradieren durch die Strassen: Delphine in Schiffsgrosse, Riesen-Wildschweine, Schlangen, Federvieh und Fabelwesen gibt es zum tänzerischen und musikalischen Spektakel zu bewundern. Dazu drehen und winden sich federnumwölkte Primaballerinas und spärlich bekleidete Flussnympfen im Schein der bunten Lichter.
Auch die Sänger, Musikanten und das Publikum lassen ihre kräftigen, halbnackten Körper ekstatisch zu den Trommelwirbeln und Klängen der Sertaneja-Musik rythmisch zucken. Natürlich fliesst auch der Caipirinha (Zuckerrohrschnaps) in Strömen und Wolken von Marihuana liegen in der Luft. Bis zu 250’000 Besucher aus allen Teilen des Amazonasgebietes strömen auf Einbäumen, Yachten und Amazonasschiffen durch die zahlreichen Flussläufe nach Paritins. Der Höhepunkt findet im Bumbodromo, dem eigens für die Show eingerichteten Amphitheater am Flussufer statt. Bis zu 35’000 Menschen reiben sich dann schwitzend bis zum orgiastischen Delirium aneinander.
Der amazonische Regenwald verbraucht für die Fotosynthese mehr Kohlendioxyd, als irgendein anderes Gebiet auf der Welt. Durch die Bindung von Feuchtigkeit bilden tropische Regenwälder die grösste Süsswasserreserve der Welt. Existieren sie nicht mehr, verstärken sich die Verdunstungseffekte und die Niederschläge gelangen direkt ins offene Meer, was Trockenheit und Dürre zur Folge hat. Durch die Verringerung des Waldbestandes steigt der Kohlendioxydgehalt in der Erdatmosphäre, was wiederum auch den Treibhauseffekt anheizt.
Auch als Sauerstoff-Produzent dürfen die Regenwälder nicht unterschätzt werden. Nach dem Phytoplankton im Meer produzieren sie am meisten Sauerstoff. Anderseits binden Sie durch die Fotosynthese grosse Mengen an CO2. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Brandrodung verschärft sich das Problem ausserordentlich. Laut Wissenschaftlern sind bereits 17% des Amazonas-Regenwaldes durch Rodung verloren gegangen. Und ein Ende des Raubbaus ist nicht in Sicht. Dabei enthält ein Hektar Wald hier 60 bis 200 verschiedene Baumarten. In unseren Breitengraden sind es nur etwa zehn im Schnitt. Die Zahl der Pflanzenarten wird auf über 30’000 geschätzt, davon über 4000 Baum- und nahezu 1500 Bromelienarten.
Nach diesem vertieften Einblick in der brasilianischen Kulturszene ging die Schiffsreise weiter via Santarem zum brasilianischen Bade-ferienort Alter do Chao am Rio Tapajos, die den Gästen einen wunderschönen Badeausflug auf der Landzunge zwischen den beiden Fluss-armen bietet. Als die MS Bremen bei Sonnenuntergang von hier ablegt, bricht über Nacht auch der letzte Teil der Amazonas-Flussreise an, denn das Delta ist erreicht und das Meer in Sicht. Nun begibt sich das Schiff auf hohe See mit dem Ziel Frz. Guyana, wo Europa in der grünen Hölle des Amazonas ausufert und die exotischsten Europäer leben. Die Überfahrt war ruhig, spiegelglatt das Meer und endlos der Horizont. Zum ersten Mal bin ich in Havanna mit einem Kreuzschiff angekommen und an der Skyline des Malecons vorbeigefahren und das ist schon ein ganz anderer, erhabener Anblick und eine neue Form der Begrüssung auf der Zucker- und Tabakinsel. Viel besser als der Anblick auf die Bucht von der gegenüberliegenden Festung. Jetzt verlassen wir Lateinamerika und brechen nach Asien auf. Mal sehen, was es dort spannendes zu erleben gibt.
Bevor wir Kuba ansteuerten war ein Zwischenstopp auf Französisch Guyana angesagt. Ich kannte das französische Departement d’outre Mèr schon. Vor Jahren besuchte ich die «ESA»-Raumfahrtstation in Kourou und fuhr sowohl nach Cayenne als auch auf die Teufelsinsel. Damals war ich mit einer kleinen Schweizer Journalisten-Truppe hier und nutzte die Zeit nach Ihrer Abreise um in das Survival Camp «CISAME» zu gehen und dort eine Woche den Überlebenskampf im Urwald üben. Das Camp hatten Ex-Söldner der Legion etrangère, also der Fremdenlegion gegründet. Zuerst um dort selbst das Ueberleben im Urwald zu trainieren, dann um Westlern dieses Existenzialisten-Abenteuer anzudienen.
Dank der Kooperation mit der «AOM», welche die französischen Departements d’outre Mèr, also Französisch Guyana, Guadeloupe, Martinique, die Südsee oder Neu-Kaledonien mit Paris verband, konnte ich fast jährlich einmal nach Kuba fliegen und war auch kurz auf Guadeloupe, drei Wochen in der Südsee und nun auf dem Flug nach Französisch Guyana in den Hinterhof der Grande Nation, „wo der Pfeffer wächst“, wo politische Gefangene auf einer Insel verbannt wurden und die Europäische Weltraumstation (ESA) sich in Kourou niedergelassen hat. Das exotischste aller EU-Mitglieder ist bestenfalls durch den Film „Papillon“, als einstige Strafkolonie bekannt und so ist das Bild von Französisch Guyana auch von diffusen Vorstellungen und schillernden Legenden geprägt. Guyanas Ruf als gemeingefährliches Land, das mit Heerschaaren von giftigen Insekten, fürchterlichen Vogelspinnen, tödlichen Schlangen, meterlangen Aligatoren und Piranhas bevölkert ist, stimmt wohl, aber darüber hinaus, ist das Land, wo Europa ausläuft, verdampft und im grünen Urwald-Dickicht verschwindet, eines der stabilsten in der Region.
«Das gefährlichste Wesen hier ist der Mensch, gefolgt von den Wespen», relativiert Philippe Gilabert, der Gründer von «CISAME» (Centre Initiation Survie et Aventure au Millieu Equatorial), einem idyllischen Camp inmitten der grünen Hölle nach ungefähr 60 Kilometern Pirogenfahrt flussaufwärts am Ufer des Approuague nahe der brasilianischen Grenze gelegen. „Die Menschen“, so erzählt der einstige Fallschirmspringer der «Legion Etrangère» und Terrorismusexperte Gilabert, „ist die schädlichste Kreatur für den fragilen Ökokreislauf des Primärwaldes. Dann kämen die Wespen, die aber nur für den unachtsamen Menschen eine Bedrohung seien, fügte der damals 43-jährige Franzose ironisch hinzu. Er und Manoel, ein Karipuna-Urwald-Indio müssen es wissen, denn sie haben sich darauf spezialisiert, möglichst vielen Zivilisierten den wilden Urwald näher zu bringen (als ihnen lieb ist) und den Härtesten ein 10 Tage Survival Training anzubieten. Also übt sich der Zivilisationsgeschädigte erst einmal in Bogenschiessen, Fallen stellen, Klettern, Kanufahren, Fischen, Feuermachen und Behausungen bauen, bevor er seine eigenen Erfahrungen macht, wie es ist, im Urwald überleben zu müssen.
«Das gefährlichste Wesen hier ist der Mensch, gefolgt von den Wespen», relativiert Philippe Gilabert, der Gründer von «CISAME» (Centre Initiation Survie et Aventure au Millieu Equatorial), einem idyllischen Camp inmitten der grünen Hölle nach ungefähr 60 Kilometern Pirogenfahrt flussaufwärts am Ufer des Approuague nahe der brasilianischen Grenze gelegen. „Die Menschen“, so erzählt der einstige Fallschirmspringer der «Legion Etrangère» und Terrorismusexperte Gilabert, „ist die schädlichste Kreatur für den fragilen Ökokreislauf des Primärwaldes. Dann kämen die Wespen, die aber nur für den unachtsamen Menschen eine Bedrohung seien, fügte der damals 43-jährige Franzose ironisch hinzu. Er und Manoel, ein Karipuna-Urwald-Indio müssen es wissen, denn sie haben sich darauf spezialisiert, möglichst vielen Zivilisierten den wilden Urwald näher zu bringen (als ihnen lieb ist) und den Härtesten ein 10 Tage Survival Training anzubieten. Also übt sich der Zivilisationsgeschädigte erst einmal in Bogenschiessen, Fallen stellen, Klettern, Kanufahren, Fischen, Feuermachen und Behausungen bauen, bevor er seine eigenen Erfahrungen macht, wie es ist, im Urwald überleben zu müssen.
Zum ersten Mal bin ich per Schiff in Havanna angekommen und das ist schon ein ganz anderer Anblick. Viel besser als die der Bucht gegenüberliegenden Burg.
IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE
Geschätzte Leserin, werter Leser
Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie einen Beitrag spenden wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at) gmx.ch. Vielen Dank im Namen der Empfänger/innen.
Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller
Hier sehen wir die San beim Feuer machen. Es sind die Hüter der heiligen Felsen Tsodillo Hills mit den Felsmalerein.
1986 nach dem ersten Aufenthalt in Südafrika mit drei Schweizer Reiseleiter aus London, brach ich zu einer Expedition ins Okavango Delta im Nachbarstaat Botswana auf. Mittlerweile hatten wir unsere Expedition ins Okavango Delta im Nachbarstaat Botswana aufgegleist und waren bereit, mit zwei Landrovern los zu fahren. Als drei weitere KollegInnen aus London eintrafen, ging es los auf eine aussergewöhnlich abenteuerliche Reise. Erst fuhren wir von Johannesburg nördlich zum Grenzfluss, der schon eine echte Herausforderung zu Überquerung darstellte und nur dank zwei Fahrzeugen und Seilwinden zu bewerkstelligen war. Dann ging es durch die Madikgadikdadi Salt Panels nach Maun und von dort über Kasane weiter zur «3rd Bridge», dann zum Savuti Channel im Moremi Game Reserve und schliesslich gelangten wir bei den Victoria-Fällen an. Das hört sich jetzt ganz einfach an, war aber ein höllisch heisser Trip mit vielen Lehrstücken beim Überleben in der afrikanischen Wildnis.
Zum Glück war Johann, ein erfahrener und verlässlicher südafrikanischer Safari-Guide, der uns in die Gefahren und Bush-Erlebnisse einführte. Es war beängstigend in einem kleinen Zelt zu schlafen und ein paar Elefanten vor bzw. über einem stehen zu haben und die Aeste herunter prasselten, als sie über uns in den Kronen frassen. Erst wollten wir nicht im, auf oder unter den Landrovern schlafen und umstellten unser Zelt mit den Camping Stühlen zur dilettantischen Abwehr und als ein Art akustisches Alarmsignal vor dem Gefressen werden. Zum Glück hatte der Guide ein gutes Ohr und den sechsten Spürsinn eingeschaltet und warnte uns eines Nachts mit den Worten. „Die Löwen kommen, kommt schnell her und klettert aufs Dach rauf.“ Also hüpften wir wie die Gazellen mit Riesenschritten zu den Fahrzeugen und sprangen geschmeidig hoch. Dann kam das Löwengebrüll auch schon näher und ein beachtliches Rudel strich um unsere Fahrzeuge rum. Da wäre es im Zelt schon sehr ungemütlich geworden.
Es gibt nicht viel zu tun für ältere San Frauen. Erst wenn die Jäger zurück kommen sind sie beschäftigt
In einer anderen Nacht wachte ich auf und musste das viele Bier ausspülen, dass wir jeden Abend soffen. Also suchte ich mit der Taschenlampe aus dem Zeltschlitz heraus die Umgebung nach Augen ab, die im Schein der Taschenlampe aufblitzen würden. Noch etwas benommen vom Alkohol und der nächtlichen Hitze über 40 Grad sah ich nichts und wollte schon raus. Da lief das Flusspferd, das direkt vor dem Eingang stand, ein paar Schritte weiter und nun sah ich mehr von der nächtlichen Umgebung, blieb aber infolge des tierischen Nachbars vorsichtshalber geräuschlos im Zelt, denn Flusspferde sind die Todesursache Nummer eins in Botswana.
Und als wir nach einer Woche staubtrockener Tour bei über 40 Grad halb verdurstet endlich bei «3rd Bridge», ankamen, gab es kein Halten mehr, als wir Wasser sahen. Alle stürzten sich in den Hippo- und Krokodil-Pool rein, als gäbe es keine Gefahr. Wir waren ziemlich „lucky“. Ein anderes Mal musste ich beim Durchstreifen des Bush einen herannahenden Löwen mit Steinwürfen, Staub aufwirbeln und wütendem Fauchen in die Flucht schlagen. Was den Ausschlag für seinen majestätischen Rückzug gab, erfuhr ich nie.
Ja und dann stiessen wir auf Willy Zingg, einen ehemaligen Schweizer Militärpiloten, der hier in Botswana hängen blieb und zu einer Legende heran wuchs. Nicht nur seine furchtlosen Alligator-Beutezeuge auch seine tollkühne Flugakrobatik war weit herum bekannt. Er war ein Haudegen wie er im Bilderbuch steht. Wir lernten ihn unter dramatischen Umständen kennen. Wir fuhren gerade auf einen der selten zu sehenden Safari-Trupps zu und sahen, dass ein mächtiger Elefant den Landrover in die Mangel genommen hatte und kräftig durchrüttelte.
Später erfuhren wir, dass es ihm dabei um die Orangen gegangen war. Als nächstes sahen wir einen Mann zum anderen Fahrzeug spurten, der dann durchstartete und von hinten in den Elefanten rein fuhr. Das wirkte. Der Elefant bog mit lautem Trompengeheul links ab, trampelte dabei aber versehentlich über ein Zelt, in dem eine Frau lag und die dann an der Hüfte verletzt wurde. Ja, solche oder ähnlich heisse Situationen gab es einige auf diesem Trip. Wir blieben gottseidank alle verschont. Der Wahnsinn.
Dieser junge San sieht bei der Schmuckherstellung mit Knochenteilen zu. Gerd M. Müller/GMC
Eine weitere abenteuerliche Situation ergab sich, als Willy Zingg seine Landepiste bei den Tsodillo-Hills, den heiligen Bergen der San, der auch als Bushmänner bekannten Uhreinwohner der Kalahari, fertiggestellt hatte und mit dem San-Oberhaupt einen Rundflug machen wollte. Da bei der Landung das Fahrwerk nicht raus klappen wollte, musste der erfahrene Kampfpilot einen Looping drehen und das Flugzeug überrollen, um dank der Fliehkraft das verklemmte Fahrwerk wieder auszufahren. Das gelang und der erste San, der in den Himmel abhob, war zwar etwas „trümmlig“ aber hell begeistert.
Botswana: Die Wächterinnen der heiligen Tsodillo Hills
In der Zentral-Kalahari leben damals rund 16‘000 Buschmänner und im gesamten südlichen Afrika schätzt man ihre Zahl auf rund 100‘000. Sie sind meisterhafte Spurenleser, berüchtigte Jäger, begnadete Bogenschützen – und wahre Ökologen. Sie leben nach dem Eros-Prinzip, das alles mit allem verbindet: «Alles gehört Mutter Natur und Mutter Erde. Keiner be-sitzt etwas. Alles wird geteilt», erklärt mir der junge San Suruka die Welt-anschauung der San am Fusse der Tsodillo-Hills mit den uralten Fels-zeichnungen. Um dies zu verdeutlichen, erzählen uns die kleinwüchsigen, zähen Menschen mit den kurzen, pechschwarzen Locken und pfirsich-farbenen Hauttönen von der Jagd. Sie bestreichen den Schaft ihrer Pfeile mit einem Gift, das sie aus Raupen gewinnen. Die Dosis des Gifts wird je nach Tier, das erlegt wird, exakt gewählt. Nichts wird verschwendet – nicht einmal ein Tropfen Giftes. Die San haben gelernt, auch in den unwirtlichsten Gegen-den des Kontinents zu überleben. Diese Anpassungsfähigkeit wurde aus der Not geboren, wie uns Suruka weiter erzählt: „Wir Buschmänner kennen kein Privat-eigentum, weder Zäune noch Grenzen. Unser Lebensrhythmus ist auf die Wanderung der Tiere und Gezeiten abgestimmt. Wir leben nach dem Prinzip, dass die Natur allen Menschen gehört und jeder sich nur das nehmen soll, was er braucht. Dies hatte zur Folge, dass man unser Volk während Jahrhunderten wie Freiwild gejagt, vertrieben und getötet hat.“ Täter waren sowohl andere afrikanische Stämme als auch die europäischen Kolonialherren unter ihnen die Deutschen. Ein weiteres mystisches Erlebnis hatte ich dann beim Aufstieg zu den über 6000 Jahre alten Felszeichnungen in den zerklüfteten Felsen. Suruka versuchte mir in seiner Klicklaut-Sprache irgendetwas zu sagen, so in der Art, dass wir auf Wächter stossen werden, vor denen ich mich aber nicht fürchten sollte. Die Wächter waren wohl die beiden Klapper-schlangen, die vor unseren Augen quer von einem Felsvorsprung auf den anderen rüber glitten und zwar gleichzeitig von zwei Seiten. Wäre ich allein gewesen, wäre ich wohl nicht weitergegangen. Mit Suruka fühlte ich mich sicher und durfte mit ihm die magischen, uralten Felsmalereien bestaunen. Gut 12 Jahre später sah ich dann einen Film auf dem britischen TV-Sender «BBC» bei dem Suruka wieder auftauchte und die Filmcrew eben zu den Tsodillo-Hills führte, wie mich damals.
Das Okavango-Delta ist ein einzigartig schillerndes ja geradezu überirdisches Naturparadies und ein Tierreich, solange der Mensch aussen vorbleibt. Dies ist der Regierung in Botswana, einem der reichsten afrikani-schen Ländern, dank den reichhaltigen Diamentenvorkommen gut gelungen. Sie hat die Vorteile des nachhaltigen Safari-Tourismus früh erkannt und gefördert und viele grosse Gebiete unter Schutz gestellt. Ich bin im Laufe der 90er Jahre mehrfach ins Okavango-Delta gereist, dann aber schon eher auf luxuriöse Art und Weise mit Besuchen in den teuersten Luxus-Lodges von «Wilderness Safari». Nun, da man die Elefanten immer noch nicht ausreichend vor Wilderern schützen kann, kommt eine neue Seuche infolge des Klimawandels auf die Elefanten zu.
Allein 2020 waren in Botswana im Okavango Delta beim Moremi Game Reserve 330 tote Tiere gezählt worden und das rätselhafte Massensterben setzt sich auch 2021 fort. Damals hatten die Behörden Cyanobakterien, auch Blaualgen als mögliche Todesursache ausgemacht. Der Internationale Tiersachutz Fonds (IFAW) kommt zum Schluss, dass das Massensterben mit einem beschränkten Zugang zu Frischwasser haben und deren Lebensräume u.a. durch die Viehwirtschaft immer mehr eingeengt werden. Zudem ist das Ansteigen der Cyanobakterien auf den Klimawandel zurückzuführen.
Der unsäglichen Wilderung könnte wohl nur Einhalt geboten werden, wenn China den Import stoppen und die Einfuhrbeschränkungen drastisch kontrollieren und durchsetzen würde. Warum also sollte die internationale Staatengemeinschaft und die Länder Afrikas nicht den Hauptverursacher für das Schlachten zur Verantwortung ziehen und China dazu zwingen, gegen den Elefenbeinhandel rigoros vorzugehen. China wäre mit all ihren Überwachungsmassnahmen in der Lage einen signifikaten Beitrag zur Lösung des Problems beizutragen.
Auszug aus dem unveröffentlichten Buch Highlights of a wildlife
IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE
Geschätzte Leserin, werter Leser
Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich.
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Das Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf mehrere politische und ökologische Vorgänge in Krisenregionen rund um den Globus. Er beleuchtet das Schicksal indigener Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenliche Schicksale in den Vordergrund, analysiert scharfsichtig und gut informiert die politischen Transformationsprozesse. Müller prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert hintergründig, spannend und erhellend. Eine Mischung aus globalem Polit-Thrillern, gehobener Reiseliteratur, gespickt mit sozialkritischen und abenteuerlichen Geschichten sowie persönlicher Essays – den Highlights und der Essenz seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie. Nach der Lektüre dieses Buchs zählen Sie zu den kulturell, ökologisch sowie politisch versierten Globetrotter.
Durch die Jugendunruhen der frühen 80er Jahre politisch sensibilisiert, als AKW-Gegner, Pazifist, und Dienstverweigerer auf der politisch linken Seite angelangt sowie durch die berufliche Tätigkeit während der Lehre bei der «Oerlikon Bührle Waffenschmiede für das Geschehen auch in humanitärer Hinsicht auf Südafrika fokussiert, beschloss ich also durch die in London geknüpften Kontakte zu ANC-Exilanten und die durch die «Anti Apartheid-Bewegung» (AAB) in der Schweiz zusätzlich geknüpften Kontakte Ende 1986 nach Johannesburg zu fliegen mit dem Ziel, die angespannte Situation und die menschenunwürdigen Zustände selbst vor Ort kennenzulernen. Und da der Bruder eines der Reiseleiter-Kollegen in London in Südafrika lebte, hatte und wir 1987 eine Expedition ins Okavango Delta im benachbarten Botswana planten, hatte ich ein ambitiöses und abenteuerliches Programm vor mir.
Erst lebten mein ehemaliger Vorgesetzter in London und ich einige Wochen im Nobelquartier der Weissen in Hillbrow. Gewöhnungsbedürftig war zunächst einmal die schwarze Haushälterin, die im Mietpreis inbegriffen war! Dann natürlich die Beschränkungen für die schwarze Bevölkerung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, jene menschenverachtende Rassentrennung und –diskriminierung, mit den entsprechenden Passgesetzen für die jeweiligen Ethnien.
Es gab auch eine indische Community in Durban und die malayischen Mischlinge in Kapstadt, was ganz schön kompliziert war, vor allem die Umsiedlungspläne, die auch in die Tat umgesetzt wurden. So wurde gemäss Angaben des Innenministeriums und der NGO «Black Sash», über eine halbe Million Schwarze Menschen in die Homelands zwangsumgesiedelt und enteignet. Damit kamen die weissen Farmer zu ihren grossen Farmen in ertragsreichen Regionen.
Behutsam machte ich mich mit den lokalen Verhältnissen vertraut, besuchte das «Khotso House» in dem einige Widerstandsorganisationen wie die «Black Sash» aber auch die «UDF» Gewerkschaft ihre Büro’s hatte. Das Haus wurde rund um die Uhr bespitzelt und öfters von der Polizei durchsucht und viele engagierte Leute wurden verhaftet, gefoltert oder ohne Anklage eingesperrt. Eines der prominentesten Opfer des Apartheid-Regimes, neben Nelson Mandela war Stephen Biko.
Stephen Biko beteiligte sich 1972 an der Gründung der Graswurzelbewegung Black Community Programmes (BCP), die von der Regierung mit einem Bann belegt wurde. Auch war er an der Gründung des Zimele Trust Fund, einem Fond für die Opfer des Apartheid-Regimes beteiligt. Im August 1977 wurde er von der Sicherheitspolizei verhaftet, weil er gegen Auflagen verstossen hatte. Sie verhörten und folterten Biko und schleppten ihn bewusstlos 1000 Kilometer nach Pretoria, wo er am 13. September 1977 verstarb. Die gewaltsame Tötung Bikos führte zu einem internationalen Eklat. Biko wurde zu einem Symbol der Widerstandsbewegung gegen das Apartheid-Regime.
Ich kam just zu dem Zeitpunkt in Südafrika an, als die «New Nation», eines der letzten liberalen, kritischen Blätter der katholischen Bischofskonferenz unter Desmond Tutu verboten und geschlossen wurde und führte mit dem soeben entlassenen Chefredaktor Gabu Tugwana ein letztes Interview, das damals in der «WOZ» (Wochenzeitung) erschien und war der erste ausländische Journalist, der das Dekret des verhassten Innenministers sah und fotografierte. Das Apartheid-Regimes zensurierte oder verbot viele Zeitungen, bis alle möglichen kritischen Stimmen verstummt waren. Die Ausgaben für die Innere Sicherheit, das heisst für die Aufrechterhaltung des rassistischen Apartheidsystems verschlang über 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes.
Dann getraute ich mich, mit dem Vororts-Zug von Down town Johannesburg nach Soweto, also in die schwarzen Townships zu fahren, damals eine äusserst gefährliche Sache. In Soweto angekommen, war man als Weisser zu dieser Zeit ziemlich allein und auffällig unterwegs. Zum Glück hatte ich lange Haare und sah weder wie ein Bure noch wie ein Engländer aus, was wohl viele davon abhielt, mich nicht gleich umzulegen. Da wuchs dann doch die Neugier in ihnen, was ich denn hier zu suchen hatte und so konnte ich sie dann dank meinen in London und Zürich geknüpften «ANC»-Kontakte beruhigen, sodass sie mir vertrauten und mich in die Town Ships einführten.
Vor den SADF-Panzerfahrzeugen in Soweto aufgelaufen
Mandelas Freilassung bedeutete das Ende der Apartheid
Aus dieser ersten Reise entstand eine tiefe Verbindung mit dem Land, dass ich über 20 Mal besuchte und dabei NelsonMandela zwei Mal traf. Das erste Mal kurz nach seiner Freilassung hier in Soweto, das zweite Mal, als Präsident von Südafrika und frisch gekürter Nobelpreisträger im Zürcher «Dolder Hotel» vor der «class politique» und wirtschaftlichen Elite (Nationalbankpräsident und Bankenvertreter) über seine Vision eines neuen Südafrikas sprach. Auch ich war zu diesem historischen Treffen eingeladen und machte ein paar Bilder von Mandela. Allerdings war ich nicht darauf vorbereitet, dass er infolge seines durch die lange Haft eingebüssten Augenlichts durch Blitzlicht geblendet würde und hatte ohne Blitzlicht die falsche Filmempfindlichkeit im Kasten.
Als Mandela sich nach seiner Ansprache beim Apéro unter die Menge mischte, hielt ich mich diskret im Hintergrund auf. Doch offensichtlich hatte Mandela ein gutes Gedächtnis und sehr aufmerksame Augen, vielleicht erinnerte er sich sogar, wo und wann in Soweto ich in der Menge der Schwarzen kurz nach seiner Freilassung als einziger Weisser stand.
Auf jeden Fall veranlasste ihn das, auf mich zuzutreten und mich darauf anzusprechen, ob wir uns schon mal getroffen hätten. Da war ich erstaunt! Als ich ihm antwortete, „ja in Soweto“, reichte er mir verblüffenderweise beide Hände. Das war sehr berührend! Dieses Gefühl, vielleicht doch etwas bewirkt zu haben und dafür einen prominenten Dank samt unglaublicher Wertschätzung zu erfahren. Daraufhin starrten mich alle anwesenden Banker und Politiker im Raum an und fragten sich, wer wohl der langhaarige Freak hier sei. Das blieb zum Glück ein Geheimnis von mir, Mandela und der südafrikanischen Botschafterin in Bern, Frau Dr. KonjiSebati, bei der ich einst zu Gast in der Botschaft in Bern bei einem hochrangig besetzten Anlass war.
Der neu Präsident Südafrikas und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela im Zürcher Dolder Hotel
Durch diesen Kontakt kam ich als Reisejournalist und PR-Berater zu dieser Zeit tätig zu einem PR-Mandat für das südafrikanische Fremdenverkehrsamt «SATOUR» und erhielt dazu das PR-Mandat der südafrikanischen Fluggesellschaft («SAA») über Jahre hinweg. Das hatte ich dem diplomatischen Spagat zwischen den Untergrund-Kontakten (von denen nur wenige wussten) und den Kontakten zur weissen Elite, die ebenfalls sehr diskret abliefen, zu verdanken und auch dem traurigen Umstand, dass die Schweizer in Südafrika eine zentrale Rolle beim Goldhandel spielten, bei den «AKW’s», bei der militärischer Unterstützung des Apartheid-Regimes mit Kampfjets und Pilotentraining und letztlich sowohl bei der Umschuldung als auch beim Transformationsprozess eine wesentliche Rolle spielten und so auch den Goldhandel übernahmen. Bis heute ist die Schweiz die Goldhandelsgrossmacht geblieben und wickelt fast 80 Prozent des Edelmetallhandels ab.
Blenden wir kurz zurück, zum 5. August 1962 als Mandela zusammen mit Cecil Williams während einer Autofahrt nahe Howick in Natal unter dem Vorwurf festgenommen wurde, er führe den verbotenen «ANC» im Untergrund an. Die Verhaftung erfolgte, nachdem er knapp eineinhalb Jahre in Freiheit und im politischen Untergrund gearbeitet hatte, unterbrochen von öffentlichen Auftritten für den ANC im Ausland. Der Prozessauftakt wurde auf den 15. Oktober 1962 festgesetzt.
Die Folge war Mandelas Verurteilung am 7. November 1962 zu fünf Jahren Gefängnis wegen Aufruf zur öffentlichen Unruhe (drei Jahre Haft) und Auslandsreisen ohne Reisepass (zwei Jahre). Er übernahm in dieser Gerichtsverhandlung seine Verteidigung selbst. Nach Verkündigung des Urteils wurde er Ende Mai 1963 auf die Gefängnisinsel Robben Island geschafft, aber schon bald wieder nach Pretoria geholt, nachdem am 11. Juli die übrige «ANC» Führungsspitze festgenommen worden war.
Ab dem 7. Oktober 1963 stand Mandela in Pretoria im «Rivonia»-Prozess mit zehn Mitangeklagten wegen «Sabotage und Planung bewaffneten Kampfes» vor Gericht. Am 20. April 1964, dem letzten Prozesstag vor der Urteilsverkündung, begründete Mandela in seiner vierstündigen, vorbereiteten Rede ausführlich die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes, weil die Regierung weder auf Appelle noch auf den gewaltlosen Widerstand der nicht-weißen Bevölkerung in ihrem Bestreben nach Gleichbehandlung eingegangen sei und stattdessen immer repressivere Gesetze erlassen habe.
Am 11. Februar 1990 wurde Mandela nach 26 Jahren aus der Haft entlassen. Staatspräsident Frederik de Klerk hatte dies veranlasst und Tage zuvor das Verbot des «African National Congress» (ANC) aufgehoben. Mandela und de Klerk erhielten 1993 den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste. Am Tage seiner Freilassung hielt Mandela eine Rede vom Balkon des Rathauses in Kapstadt aus, Tage später richtete er einen weiteren Appell an die gut 120‘000 Zuhörerinnen und Zuhörer im Fussballstadion in Johannesburg. Dort stellte er seine Politik der Versöhnung («reconciliation») vor, indem er «alle Menschen, die die Apartheid aufgegeben haben», zur Mitarbeit an einem «nichtrassistischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle» einlud.
Im Juli 1992 wurde Mandela einstimmig zum Präsidenten des «ANC» gewählt. So konnte er die Verhandlungen mit der Regierung über die Beseitigung der Apartheid und Schaffung eines neuen Südafrikas an die Hand nehmen. 1994 erschien seine Autobiographie «Der lange Weg zur Freiheit» und schrieb dort:«Während dieser langen, einsamen Jahre der Haft wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit aller Völker, ob weiß oder schwarz».
Hier ein paar Dokumente aus dieser Zeit zur Umsiedlungspolitik des Regimes:
Ein Plakat in Soweto zur Zeit der Apartheid. Bild: Gerd M. Müller /GMC Photopress
IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE
Geschätzte Leserin, werter Leser
Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie dies tun wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at) gmx.ch. Vielen Dank im Namen der Hilfsprojekt-Empfänger/innen.
Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller
Bei den Mixteken-Indios in Zacantepec im mexikanischen Hochland bei den Osterprozessionen Bild: GMC
VORWORT
Der Zürcher Autor (Jg. 62) reiste als Fotojournalist durch mehr als 70 Nationen und lebte in sieben Länder, darunter auch in Südafrika im Untergrund während der Apartheid. In den 80er Jahren war er Politaktivist bei den Zürcher Jugendunruhen und dann im Autonomen Jugendzentrum (AJZ) tätig. Dann engagierte er sich für wegweisende Wildlife & Oekoprojekte im südlichen Afrika und weltweit. Schon 1993 berichtet Müller über den Klimawandel und 1999 gründete er das Tourismus & Umwelt Forum Schweiz. Durch seine humanitären Einsätze lernte er Nelson Mandela, den Dalai Lama und weitere Lichtgestalten kennen. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus Politthriller, Reiseberichten und voller abgefahrenen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Lebens eben.
In den folgenden Jahren machte ich noch eine längere Reise und einen Segeltörn durch die Windward Islands in der Karibik von St. Lucia und St. Vincent über Grenada bis nach Trinidad und Tobago runter, dann durch den Süden von Mexico nach Oaxaca und Chiapas. Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca fuhr ich mit einer jungen Malerin ins Hochland nach Zacantepec hoch, um die Mixteken Osterprozessionen zu erleben.
Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrast-reichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie Juwelen aus der schillernden Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen nicht gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturver-bundener, anarchischer, sippenhafter und weitaus spiritueller. Im Hochland von Mexico feiert eines der ältesten Völker Zentralamerikas, die Mixteken, jedes Jahr seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellt eine seltsame Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowohl Jesu Christi und Maria Jungfrau, die Virgen de Guadaloupe, als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie vor der Vernichtung und Unterdrückung bewahrte.
Von 200 bis 900 n. Chr. Herrschten in der Tempelstadt Monte Alban die Zapoteken über ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie die nahe Oacaxa gelegene Hochburg, welche in der Zeit danach von den Mixteken besetzt wurde. Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt und besichtigte die imposanten Kultstätten wie Mitla, Zaachila und Yagul. Zurück in der pittoresken Kolonialstadt, auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie hiess Marcela und erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Osterfesttage fahre, weil sie einem Lehrer Schulbücher bringen wolle. Das hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.
Also schloss ich mich MarcelaVera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die zehnstündige Fahrt war abenteuerlich und sehr beschwerlich. Die ganze Zeit oben am Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd eng an die anderen Passagiere und Marcela gepresst, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern fauchend in die Berge hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert ihre zerfurchten Mimiken und lebendigen Gestiken einprägen. In Zacantepec endete die Strasse. Hier beginnt das Reich der Söhne und Töchter Rey Condoys.
Das war eine einzigartige Erfahrung, als einziger Weisser und Ausländer unter den Mixteken Indios an ihrer Kreuzweg-Prozession durch die Berge auf fast 3000 Metern teilzunehmen. Vor dieser Reise habe ich drei Monate lang vier Stunden täglich Spanisch gelernt, aber die hiesige Indio-Sprache verstand ich gar nicht. Umso eindrücklicher war die Prozession, von der ich versteckt Fotos machte und dann bei der 7. Station des Kreuzzugs, bei der Wiedervereinigung von Jesu Christi und Maria Jungfrau von den Indios mitten ins Zentrum der Prozession geholt wurde und einen der drei vor den Weihrauch-Gefässen niederknieenden Bannerträger sein durfte.
Kreuzzug der Religionen: DIe Indios begehen an Ostern die katholischen Prozessionen, dann pflegen sie ihre indigenen Kulte. Bild: Gerd M. Müller
Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrast-reichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie Juwelen aus der schillernden Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen nicht gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturver-bundener, anarchischer, sippenhafter und weitaus spiritueller. Im Hochland von Mexico feiert eines der ältesten Völker Zentralamerikas, die Mixteken, jedes Jahr seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellt eine seltsame Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowohl Jesu Christi und Maria Jungfrau, die Virgen de Guadaloupe, als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie vor der Vernichtung und Unterdrückung bewahrte.
Von 200 bis 900 n. Chr. Herrschten in der Tempelstadt Monte Alban die Zapoteken über ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie die nahe Oacaxa gelegene Hochburg, welche in der Zeit danach von den Mixteken besetzt wurde. Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt und besichtigte die imposanten Kultstätten wie Mitla, Zaachila und Yagul. Zurück in der pittoresken Kolonialstadt, auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen. Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie hiess Marcela und erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Osterfesttage fahre, weil sie einem Lehrer Schulbücher bringen wolle. Das hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.
Also schloss ich mich MarcelaVera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die zehnstündige Fahrt war abenteuerlich und sehr beschwerlich. Die ganze Zeit oben am Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd eng an die anderen Passagiere und Marcela gepresst, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern fauchend in die Berge hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert ihre zerfurchten Mimiken und lebendigen Gestiken einprägen. In Zacantepec endete die Strasse. Hier beginnt das Reich der Söhne und Töchter Rey Condoys.
Nun hielt ein Padre vor einer Statue der Virgen de Guadaloupe, der schwarzen Maria Jungfrau, eine pastorale Rede im hiesigen Indio-Dialekt. Doch faszinierender waren all die vor Ehrfurcht geprägten Indio-Gesichter unter ihren bunten Rebozas, den Schals, die sie als Kopfbedeckung und über die Schultern geschlungen, trugen. Das spärliche Kerzenlicht, die Kopal-Weihrauchschwaden und das am Boden ausgebreitete, duftende Meer von Fichtennadeln sowie die prächtig kostümierte Honoratoren mit den silberbeschlagenen Stöcken als Insignien ihrer Würde, verwandelten das Kirchenschiff in eine sehr spirituelle und mystische Welt. Die flackernden Kerzen erleuchteten all die ernstenvon Entbehrungen gezeichneten Antlitze. Für einmal schmilzt der Stolz dahin. Die harte Realität kaschierende unkomplizierte, fröhliche und heissblütige Lebenseinstellung weicht der Offenbarung der Nöte und Ängste ihres leidgeprüften Berbauerndaseins.
Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, Indios in so einer christlichen Pose zu sehen. Ich hatte eine von Winnetou-Filmen geprägte Vorstellung von den Indianern, obschon ich in den USA zuvor den Sioux Indios begegnet bin. Dann ging es los! Die Indio-Frauen schulterten die Virgen de Guadaloupe und die Männer eine Jesus Christi Statue auf ihre Schultern, dann zog der ganze Indio-Tross in die Berge hoch. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und ich entschloss mich dem Frauen Fackel- und Kerzenlichterzug anzuschliessen und so kletterten wir die schmalen, rutschigen Pfade hoch. Unterwegs gab es ein paar Kreuzweg-Rituale und bei der Siebten Station versammelten sich die beiden Züge auf einer kleinen Lichtung mit einem Platz um die Bannerträger und den knienden Frauen mit ihren Weihrauchgefässen. Jetzt hielt der Padre wieder eine Ansprache und in diesem Moment riss der Himmel zum ersten Mal vollends auf und die Sonne erschien wie ein göttlicher Bannstrahl auf die kleine Indio-Gemeinde gerichtet, wie wenn dies ihre Zusammenkunft speziell segnen würde. Auch die Gesänge versetzen mich in Trance. Es war aussergewöhnlich diese spirituelle Erfahrung als einziger „Gringo“ und Ausländer unter den Mixteken-Indios zu erleben. Andächtig und überwältigt von diesem authentischen Schauspiel tiefster indigener Glaubensbekenntnisse und ergreifender Emotionen, sind auch wir Teil dieser Welt geworden. Ich verschmolz sozusagen mit ihnen und ihren Ahnen. Dies müssen auch die Indios gespürt haben und schenkten mir ihr Vertrauen und eine Ehrbezeugung.
Als sich aus dem Kreis der Würdenträger einer der Bannerträger herauslöste und auf uns zukam, erschrak ich erst heftig, da ich im Geheimen versteckt Fotos von der Wiedervereinigung von Jesu Christi und Maria Jungfrau machte. Ich bekam Schiss, sie hätten mich beim Fotografieren erwischt und ich würde nun als Sühne-Opfer dargebracht und an einer der Lanze aufgespiesst. Die Furcht war nicht unbegründet, denn in Chiapas wurden schon Touristen umgebracht, die die einheimischen Indios fotografierten. Stattdessen wurde ich als Geste ihrer reichlichen Gastfreundschaft mitten ins Zentrum der Prozession geholt und ich durfte einer der drei Bannerträger sein. Welch eine Geste und Ehre für mich, die mich sehr berührte, wo ich ihnen gegenüber vorerst abgründig kritisch war! Ich war echt gerührt! Auf vielen weiteren Reisen zu den Urvölkern rund um den Globus stellte ich immer wieder fest, dass ich einen besonderen spirituellen Draht zu den Indigenen habe und offensichtlich auch über telepathische Fähigkeiten verfüge, mich über Sprachbarrieren hinweg, verständigen zu können.
Nunmehr vereint, bestreiten Frauen und Männer gemeinsam die restlichen sieben Kreuzwegstationen bis zur Abnahme des geschnitzten Heiligenbildes auf dem Zocalo. Der Grablegung und Messe folgtdann die gotteslästernde Verbrennung Jesu Christi. Verehrt werden jetzt wieder die Götter und Ahnen nach traditioneller Art. Nach aztekischer und mixtekischer Auffassung muss göttliche Autorität erworben werden, erklärt uns der Lehrer der Dorfschule von Zacantepec. Die Üeberlieferung besagt, dass Nanauatzin, der den Sprung ins Feuer gleich beim ersten Mal wagte, so zur Sonne wurde, während der ihm nachstürzende Teciciztecatl nur zum Mond gereichte. Eines scheint klar, dass der christliche Gott einer der vielen Götter in der Indiowelt ist. Daher sei an dieser Stelle die Frage gestattet, ob es wirklich eine Rolle spielt an welchen Gott, Glauben oder an welche Götter und Dogmen man glaubt? Ist Allah besser als Gott und sind nun die Sunniten, Shiiten, Wahabiten oder Alewiten auf dem richtigen Pfad? Die Christen oder Buddhisten erleuchteter? Zurück zu den Indios. Wenigsten hier findet kein von Menschen ausgerufener „Heiliger Krieg“ statt. Den überlassen die Indios lieber den Göttern.
Umso mehr öffnete ich mich nun den Indios gegenüber und verfiel in den folgenden Tagen und anderen abgefahrenen Prozessionen öfters wieder Mal in Trance bis zur Ekstase geratend, und das ganz ohne die Nanacatl-Pilze oder andere Drogen wie Mescalin. Nur mit einer halben Flasche Mezcal Schnaps pro Tag, mit der ich die Rache Montezuma’s, also die Magenverstimmung beruhigte. Und infolge des Nahrungsmittelmangels und der Höhe wirkte sich der Alkoholpegel besonders gut auf die rauschartigen Trancezustände aus. Da gab es keine Sprachbarrieren mehr und das universell Verbindende überwand alle kulturellen Grenzen. Dank der jungen Malerin Marcela Vera aus dem Atelier des berühmten mexikanischen Malers Tamayo erfuhr ich mehr und mehr über die Geschichte und Identität der Mixteken. Fortan haben mich die Ureinwohner auf allen Kontinenten besonders interessiert, um nicht zu sagen, magisch angezogen.
DIe Journalisten und Auslandberichterstatter auf der Pressereise, die uns in die Konfliktregion Chiapas führte
Bei den Indio-Aufständen und Friedensverhandlungen in Chiapas
10 Jahre nach meiner ersten ausgedehnten Reise durch Mexico kehrte ich als Journalist nach Mexico zurück, als 1994 als in Chiapas die Indio-Aufstände eskalierten und die Soldaten der mexikanischen Armee in die Region der sechs Dörfer und in San Cristobal de las Casas einmarschierten, um die «MARCOS»-Rebellen zurückzudrängen und den Indio-Aufstand zu zerschlagen. Die sechs Buchstaben «MARCOS» waren die Anfangsbuchstaben der sechs aufständischen Indio-Kommunen in der Umgebung um San Cristobal. «M»argaritas, «A»ltimirano, «R»ancho, «N»uevo, «C»omitan, «O»cosingo und «S»an Cristobal. Zehn Kilometer weiter, liegt San Juan Chamula, dem Dorf der traditionsverhafteten Chamulas, wo am 1.1.1994 der Aufstand begann. Daraus ergab sich der als Anführer bekannte uns stets verhüllte «Subcomandante Marcos». Das Juwel und der Kristallisationspunkt der chamulenischen Glaubenswelt, wo Gott und die Götter verschmelzen, Christus vom Kreuz gestiegen ist, um als Sonne wiederaufzuerstehen, ist eine barocke Dorfkirche aus dem 17. Jahrhundert. Dort fuhren wir an Panzern und Strassensperren vorbei, am Himmel kreisten Militärhubschrauber und überall waren Soldaten und Truppenbewegungen zu sehen. In Ocosingo flogen uns in dieser Zeit, als ich mit einer Ernährungsberaterin für Säuglinge der UNO-Hilfsorganisation (DIF) vor Ort war, die Kugeln nur so um die Ohren und wir hatten Glück, dass uns davon keine traf und nur Einschuss-löcher in den Häuserwänden zurück blieben.
Der Malerin Marcela Vera aus den berühmten oaxacenischen Atelier Tamayo verdanke ich die tollen Kontakte zu den Indios.
Der Chiapas-Aufstand wurde vom «Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional» (EZLN), einer sogenannt linksradikalen Bewegung ausgelöst, die sich gegen neue staatliche Auflagen im Bundesstaat Chiapas auflehnte und der mexikanischen Revolution sehr ähnelte. Die Maya-Indios litten unter dem Freihandelsabkommen der Globalisierung und der rassistischen Politik in der mexikanischen Verwaltung und dagegen wollten sie sich wehren, weil sie unterdrückt und von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen wurden. Der Konflikt begann als im Januar 1994 eine EZLN-Offensive vier Städte rund um San Cristobal de las Casas besetzte, worauf das mexikanische Militär die Situation vor Ort mit Gewalt und Unterdrückung beenden sollte und dabei auch Foltermethoden einsetzten. 2001 machten die Zapatisten unter der Führung von MARCOS einen Marsch von Chiapas nach Mexico-Stadt und am 1. Januar 2003 nahmen sie San Cristobal de las Casas ein. Erst danach setzten sich mehr und mehr NGOs für Friedensverhandlungen ein und übten Druck auf die Regierung aus. Letztlich hat sich das Schicksal der Indio-Gemeinschaften aber nicht viel zum Guten gewendet.
Nachdem ich diesem brandgefährlichen Ort entflohen war, erlebte ich in Chiapas noch ein schweres Erdbeben und in Yucatan einen turbulenten Hurrikan. Also Mexico hat wirklich nicht mit Eindrücken gespart. Das war schon immer ein höllisch heisses Land, mal ganz abgesehen von all den Drogenkartellen, die sich damals gerade bekämpften. Eindrücklich war die Flussfahrt durch den Sumidero-Canyon, an dessen glitschigen bis zu 1000 Meter hohen Felswänden sich geübte Kletter über den Köpfen gefrässiger Krokodile emporziehen und auch schon dutzende Geier auf ihre Opfer warten. Auch die nebelverhangenen Täler und zauberhaften See- und Flusslandschaften Lago Monte Bellos an der guatemaltekischen Grenze und die wildsprudelnden Kaskaden von Agua Azul zählten zu den Highlights dieser Reise. Soviel zu Mexico. Nun geht es weiter nach Kuba, ins sozialistische Zucker- und Tabakparadies in elenden Zeiten.
Als ich mit Mitarbeitern des «DIF-Ernährungsprogrammes der UNO in einem Indio-Dorf war, pfiffen uns plötzlich die Kugeln um die Ohren und wir mussten ins Innere flüchten, worauf es minutenlang zu einem Schusswechsel rund um das Dorf kam. Nach stundenlangem Abwarten brachen wir dann im Schutz der Dunkelheit auf und verschwanden von Ocosingo.
Auf dieser Mexico-Reise gab es noch einen Hurrican in Yucatan, der uns mächtig durchschüttelte aber nichts im Vergleich zu dem schweren Erdbeben an der Pazifikküste bei Huatulco, das mich zwar verschonte, aber nachhaltige Spuren hinterliess. Ich blieb unverletzt, obschon grosse Betonbrocken runterflogen. Aber ich hörte beziehungsweise spürte noch monatelang zu Hause jedes Vibrieren der Tramschienen in 200 Meter Entfernung. Es war als hätte man hochaktive Seismographen in meinem Hirn installiert, die die geringste Erschütterung registrieren.
Höllentrip in Kolumbien im Dienste der Swissair
Kolumbien: Der Flugzeug-Friedhof in Villa Vicencio Bild: Gerd M. Müller/GMC Photopress
Und dann flog ich nach Kolumbien und traf in Bogota meinen Berufskollegen Hans-Jörg Egger vom Airport Magazin. Von Bogota flogen wir in alle Richtungen. Nach Letiza im Dreiländereck im Süden des Landes am Amazonas, nach Cartagena in die Kolonialperle, nach Cali, damals die Drogenhochburg vn Pablo Escobar. Dann nach Villa Vicencio und zur Karibikinsel San Andres hoch, die vor der Küste Nicaraguas liegt. Ein recht ambitioniertes Programm in einer woche und das ging nur, weil wir jeweils so 15 Minuten vor Abflug der Maschine beim Flughafen eintraffen. Das klappte bestens, nur beim letzten Flug nach Equador, der somit wieder ein Auslandflug war, hatten wir nicht daran gedacht, dass das Prozedere ja viel länger dauern würde.
So waren schon alle Fluggäste an Bord, als wir eintraffen. Over, lautete die Message. Hans-Jörg und ich sahen uns entsetzt an und zogen beide unsere Dokumente und zwei Visitenkarten hervor. Die knallte ich auf den Check-in Counter und sagte: „Stop the airplaine, now, immediately“. Und rannte einfach durch das Gate vorbei an den überrumpelten Securities auf das Flugfeld hinaus. Hans-Jörg keuchte neben mir, schliesslich hatten wir viel Kameragepäck im Schlepptau. Ohne dass auf uns geschossen wurde rannten wir dem Flugzeug entgegen, das alle Türen geschlossen hatte und im Anrollen war. Gleichzeig sahen wir ein Treppenfahrzeug auf das Flugzeug zu rasen und der Jet stoppte. Nach einigen Dutzend Metern hatten wir es dann geschafft und durften die Treppe hocheilen, die Türen wurden geöffnet und wir waren an Bord. „Wow, was für eine geile Action“.
Auf dem FLughafen von Villa Vicencio wird jedes FLugzeug auf Drogen kontrolliert. Bild: GMC
Warum die funktionierte und das Flugzeug anhielt, möchten Sie wissen? Tja, die eine Visitenkarte war die des kolumbischen Luftfahrt-Minister und die andere, die des Flughafendirektors. Beide hatten wir interviewt. Und so kam es also, dass für uns zwei Schweizer Journalisten in Kolumbien ein Verkehrsflugzeug auf einem internationalen Flug auf der Rollpiste gestoppt wurde und die Bord-Türen aufgingen.
Da schon unser Boarding recht spektakulär verlief, durften wir auch gleich im Cockpit dieser Maschine abwechslungsweise auf dem dritten Piloten-Sitz Platz nehmen und den Flug nach Quito so erleben. Da wurde mir zum ersten Mal sichtbar bewusst, wie schnell es geht, wenn zwei Verkehrsflugzeuge mit je 700 Stundenkilometern auf einander zurasen. Das konnte ich beim spektakulären Landeanflug in Quito miterleben, als eine von dort gestartete Maschine recht nah und sehr schnell an unserem Cockpit vorbei flog. Erst sah ich nur einen winzigen Punkt, der rasch grösser wurde und ganz schnell an uns vorbei zischte. Noch ein wenig krasser war dann nur noch der Flug mit den Militärmaschinen über die Anden, bei dem ich allerdings ziemlich benommen war.
Columbia: Two policemen securing an airplaine after a cocain drug catch at the airport of Villa Vicencio
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Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Hot-Spots und Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf und rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund. Er prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Resourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus gehobener Reiseliteratur und globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben.
Der Orang Utan, auf malayisch der „Waldmensch“, ist seit Mitte der 60er Jahre vom Aussterben bedroht. Trotz internationaler Artenschutzabkommen, damals noch äusserst restriktiven Handelsabkommen und den beiden Rehabilitationsstationen auf Semengho in Sarawak und Sepilok in Sabah auf der malayischen Insel Borneo sind die nahen Verwandten des Homo Sapiens akut gefährtet. Die Gier nach Tropenholz und Palmöl zerstören ihren Lebensraum, den Primärwald. Durch die Vernichtung ihrer Refugien sind sie heute in kleinen Gruppen isoliert. Bekannt sind die Menschenaffen durch den Schweizer Umwelt- und Menschenrecht-Aktivisten Bruno Manser geworden, der sich vehement für die Ureinwohner des Regenwaldes, die einstigen Kopfjäger, eingesetzt hat und dann spurlos verschwand und möglicherweise von der „Holzmafia“ ermordet wurde, denen er ein Dorn im Auge war.
1996 ging die Reise nach Malaysia zur Feier der 50 jährigen Unabhängigkeit von der britischen Krone und nach der Staatsfeier mit allen asiatischen Staatschefs flog ich nach Borneo und landete in Sarawak. Ziel war es, die Situation der Waldrodung für die Palmölgewinnung und die Lage der Orang Utan, deren Lebensraum zerstört wurde, zu erkunden. Beim Lake Batang Ai» startete ich die Expedition in den Regenwald und mietete einen Führer mit Einbaumboot der mich zu den hier lebenden Iban Headhunters, also zu den Kopfjägern führen sollte. Nach zwei Tagesreisen vom Lake Batang Ai aus mit einem Kanu Flussaufwärts durch das Meer der schwimmenden Tropenstämme, landete ich dann in so einem Langhaus-Dorf. Diese Langhäuser sind auf Stelzen gebaut, bis zu 100 Meter lang und haben einen durchgehenden breiten Gang der zur Längsveranda führt. Im Langhaus ist dann eine Wohnung neben der anderen angereiht. Damit jeder weiss, was der andere der Sippe macht.
Eine Iban Headhunter Zeremonie in Longhaus eine Tagesreise von Batang Ai in Sarawak auf Borneo. GMC
Leider war es sehr umständlich, mit den Headhuntern Gespräche über ihre Traditionen und Lebensweise zu führen, da niemand Englisch verstand. Also ging alles nur über Beobachten und eine «Low-level» Kommunikation. Zudem erkrankte ich an Malaria, die mich komplett flach legte. Zwar hatte ich einige «Lariam»-Tabletten geschluckt, aber es ging mir immer noch sehr schlecht. Von Fieberkrämpfen geschüttelt und schachmatt. Nach drei Tagen im «Longhaus» der Kopfjäger herumliegend, fuhr ich mit dem Einbaum retour zu einem Dschungelcamp, das über eine Funkstation verfügte.
Dort versuchte ich mit der Schweiz eine über die Funkverbindung und dem ans Funkgerät gehalten Telefonhörer, mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen. Als zu Hause in der Schweiz das Tonbandgerät statt einer Verbindung zustande kam, weil es dort mitten in der Nacht war, sagte ich nur kurz, dass ich mich verabschieden wolle, weil ich die Nacht wohl nicht mehr überleben würde. Danach legte ich mich von weiteren Fieberschüben durchgeschüttelt draussen unter den nächtlichen Sternenhimmel hin. Ich wollte wenigstens im Freien sterben und nicht in der winzigen und stickigen Bretterbude, in der man mich einquartiert hatte.
Was nun geschah war einzigartig und sollte meinen ausgeprägten Realitätssinn fundamental erschüttern. Ob es nur Halunzinationen waren oder ob ich tatsächlich von der Himmelfahrt zurückgeholt wurde, ist mir bis heute nicht klar. Jedenfalls hob mein Astralkörper ab und dann sah ich rein optisch schon die Sterne mit kometenhaft rasender Geschwindigkeit auf mich zukommen und fühlte mich schwerelos in den Orbit hoch gezogen und gleitete sozusagen wie das Raumschiff «Enterprise», das mit Lichtgeschwindigkeit durch den Orbit düste, dem Sternenhimmel entgegen. Aber da die Sterne ja nicht auf mich zukommen können, wurde mir klar, dass ich wohl wie ein Engel abgehoben bin und nun dem funkelnden Firmament entgegen raste, es sei denn, mein fieberndes Hirn treibe seine Mätzchen und hallunzigone Vision mit mir. So oder so die Reise zu den Sternen verlief ebenso spannend wie erleuchtend.
Kurz darauf erscholl ein Schrei und Kreischen in meinen Ohren und ich hörte meine Tochter und ihre Mutter in entsetzten Tönen heulen, verstand aber keines ihrer Worte. „Was zum Teufel wollen die denn hier oben“, dachte ich einen Moment lang und dann beschäftigte mich die Stimme meiner kleinen Tochter so sehr, dass mein Lichtgeschwindigkeit-Flug zu den Sternen jäh an Fahrt verlor und ich eine Schlaufe zurück zur Erde vollzog und mir sagte, dass die Zeit, abzutreten, noch nicht gekommen ist, da es ja zwei Menschen gibt, die mich brauchen. Also schluckte ich noch drei «Lariam»-Tabletten und hatte nun die Dosis für einen Elefanten erreicht, wie mir ein Tropenmediziner einige Tage später sagte. Doch ging es danach langsam wieder bergauf.
Mit Hilfe der Dschungelcamp-Bewohner kam ich nach zwei Tagenwieder auf die Füsse und reiste weiter nach Kota Kinabalu zur Orang Utan Rehabilitationsstation in Sepilok und kam gerade zur rechten Zeit, weil um 11.00 Uhr die Fütterung der Orang Utan von einer Plattform ungefähr zwei Kilometer weiter im Waldesinnern stattfand. Zwei Touristengruppen waren schon vor mir auf dem Holzsteg losmarschiert, der gut zwei Meter über Boden in den Regenwald zur grossen Besucherplattform und den dahinter befindlichen zwei Fütterungsplätze in den Bäumen rein führte.
Faszinierende Begegnungen mit Menschenaffen, die von der Abholzung ihres Lebensraums bedroht sind.
Als ich mit meinem Teleobjektiv langsam auf die Szenerie zukomme und die jungen Orang Utans auf den Fütterungsplätzen, als auch den ausgewachsenen Orang Utan an dem Drahtseil hängend erkenne, das zwischen den beiden Fütterungsplätzen gespannt war, hörte ich auch die Rufe einzelner Besucher, die den grossen Orang Utan dazu bewegen wollten, sich umzudrehen, da er uns allen nur seinen Hintern entgegen reckte. Die vereinzelten Rufe waren vergeblich. Als Fotograf war ich ebenfalls interessiert, dass der fette Kerl uns sein Antlitz zeigt. So stiess ich ein paar laute Grunzlaute aus, wie ich sie schon gehört hatte und traf offenbar den richtigen Ton. Und siehe da, im Nu drehte sich der Orang Utan um und sah neugierig zu uns rüber. Perfekt: „Ready fürs Foto-Shooting!“ Klick, klick, klick.
Danach sah ich zu, wie die Babies ihre Nahrung bekamen und verschlangen und dann wieder abrupt in den Bäumen verschwanden. Doch wollte ich nach der Fütterung vor den anderen wieder zurück in der Reha-Station sein und machte mich deshalb vor den anderen auf den Rückweg auf dem Steg. Als ich an einem jungen handicapierter Orang Utan, mit einem abgehackten, aber schon verheilten Arm vorbeischleichen wollte, der rücklings auf dem Steg lag und so den Durchgang blockierte, packte er mich am Unterschenkel. Was sollte ich tun? Als ich seine Hand, die mein Bein umklammerte, sachte lösen wollte, packte er mich einfach am Handgelenk, worauf wir beide, der junge Orang Utan und der immer noch fiebernde und verschwitze Fotograf Hand in Hand durch den Urwald bis zur Station liefen. Das war ein herrliches Gefühl. Der Orang Utan hätte mich gleich mit hinauf in die Baumkronen zu seinen Kumpanen mitnehmen können. Das ging zwar nicht, dafür hatte ich aber einen verdammt guten Auftritt in der Reha-Station, als wir immer noch Hand in Hand, wie gute alte Freunde dort eintrafen, um mit dem Stations-Leiter zu sprechen.
Meine Reportage über die «bedrohten» Menschenaffen kam hernach in den Schweizer Medien gut an und nebst sieben Tageszeitungen, die den Bericht abdruckten, publizierte auch der «Brückenbauer» mit Millionenauflage damals die Story mit einem Spendenaufruf, worauf einige zehntausend Franken gespendet wurden und der Orang Utan Reha Station in Sepilok zu Gute kamen. Bekannt sind die Menschenaffen durch den Schweizer Umwelt- und Menschenrecht-Aktivisten Bruno Manser geworden, der sich vehement für die Ureinwohner des Regenwaldes, die einstigen Kopfjäger, eingesetzt hat und dann spurlos verschwand und möglicherweise von der „Holzmafia“ ermordet wurde, denen er ein Dorn im Auge war.
Der Appenzeller Bruno Manser lebte von 1984 bis 1990 auf Borneo, machte Aufzeichnungen über die Fauna und Flora des tropischen Regenwaldes und lernte die Sprache und Kultur der Penan, einer NomadenVolksgruppe auf Borneo kennen und lebte mit ihnen zusammen. 1990 musste er in die Schweiz fliehen, nachdem er von der malaysischen Regierung ausgewiesen und zur „unerwünschten Person“ erklärt wurde. Auch ein Kopfgeld von 50000 Dollar wurden auf ihn ausgesetzt. 1993 beteiligte sich Manser an einer Fastenaktion und. einem Hungerstreik vor dem Bundeshaus in Bern zum Protest gegen den Import von Tropenholz. Im Jahr 2000 reiste er trotz Einreiseverbot und ausgesetztem Kopfgeld vom indonesischen Teil Borneos (Kalimantan) über die grüne Grenze in das malaysische Sarawak zu den Penan und ward nie mehr gesehen. Seither gilt Bruno Manser als verschollen und wurde 2005 amtlich für tot erklärt.
Der Orang Utan, auf malaiisch der „Waldmensch“, ist seit Mitte der 60er Jahre vom Aussterben bedroht. Trotz internationaler Artenschutzabkommen, damals noch äusserst restriktiven Handelsabkommen und den beiden Auffang- und Rehabilitationsstationen auf Semengho in Sarawak und Sepilok in Sabah auf der malaiischen Insel Borneo sind die nahen Verwandten des Homo Sapiens akuter den je gefährtet. Die Gier nach Tropenholz und Palmöl zerstören ihren Lebensraum, den Primärwald. Durch die Vernichtung ihrer Refugien sind sie heute in kleinen Gruppen isoliert. Der Kahlschlag des Regenwaldes vernichtet nicht nur die materielle sondern auch die geistige Existenzgrundlage vieler Naturvölker, weil die Vorstellung der Orang Ulu, Melanau, Kenzah und Kajan-Stämme davon ausgehen, dass ihre Ahnen als Vögel, Insekten oder Tiere in der heimischen Umgebung weiterleben. Somit wird mit jedem Baumschlag das kulturelle Erbe entweiht und erbarmungslos vernichtet. Und der weitaus grösste Bevölkerungsteil in Sarawak, die Bidayuh-Reisbauern glauben an die Symbiose des menschlichen und pflanzlichen Lebenszyklus und glauben daran, dass die Menschen nach ihrem Tod als Wassertropfen auf die Erde zurückkehren, welche die Böden befruchten und Leben spenden.
Wie sieht die Situation heute aus? Der Lebensraum der Menschenaffen hat sich weiter drastisch reduziert und so ist auch ihr Bestand nicht gewachsen sondern wurde weiter dezimiert. Zwar haben Genomiker an Universität in Zürich kürzlich eine neue Art auf Sumatra entdeckt, den Tapanuli-Orang Utan, deren Refugium in den zerklüfteten Bergen der Region Batang Toru in Indonesien liegt. Ein erschossener Orang Utan in Raja wurde näher untersucht und von den Wissenschaftlern als neue Art eingestuft. Sie wird zugleich aber auch die Art sein, die am schnellsten wieder auf dem Primatenradar verschwinden wird.
Die geschätzten 800 Primaten sind, wie auf Borneo auch hier in Indonesien von Waldrodungen für Palmölplantagen, Zersiedlung und von einem Staudamm-Projekt betroffen. Und nicht nur sie sterben lautlos aus. Auch viele andere Spezies gehen unter. Eine Million Arten sind in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Dies ist das vernichtende Fazit des «Weltbiodiversitätsrates» (IPBES) von 2019. Reptilien und Vögel haben es schwer, aber auch immer mehr Säugetiere sterben aus. 540 Landwirbelarten wurden im 20 Jahrhundert ausgerottet. Die meisten im asiatischen Raum.
Die Schweiz hat gerade eben mit Indonesien ein umstrittenes Wirtschaftsabkommen abgeschlossen und setzt dabei im Abkommen auf «RSPO»-Standards, die in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Umweltorganisationen und Hilfswerken entstanden war. Gemäss dem Verordnungsentwurf würden Zertifizierungen nach vier Standards geprüft. Neben dem «Round table on sustainabel Palm Oil» (RSPO), dem «Standard ISCC Plus» (International Sustainability and Carbon Certification) und der sogenannten «POIG» (Palm Oil Innovation Group). Doch damit werden weder die Abholzung noch Staudamm-Projekte gestoppt und auch der Lebensraum der Orang Utan und vieler anderer Spezies ist weiterhin dem Untergang geweiht. Ein Abkommen mit Nachhaltigkeitszielen ist zwar ein kleiner Fortschritt, ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass der Raubbau weiter geht und es zu wenig Schutzgebiete gibt, denn der Bedarf an Palmöl ist extrem gestiegen und steigt weiter.
Entsprechend wuchs auch die Anbaufläche, die durch die Rodung des Primärwaldes zustande kam. Seit 2008 ist die Fläche dafür jährlich um 0,7 Millionen Hektaren angestiegen, eine Fläche viermal so gross wie der Kanton Zürich. Und der Bedarf wird sich bis 2050 voraussichtlich nochmals mehr als verdoppeln. Auf der Insel Borneo gehen 50 Prozent der Rodungen auf den Palmölanbau zurück. Im viel grösseren Indonesien sind es auch schon 20 Prozent. Es gibt zwar auch positive Anzeichen der «RSPO»-Zertifizierung, doch das Gros der Betriebe handeln nach dem Prinzip der Ökonomie der Grösse (70 Prozent) und nur ein Drittel werden über Kleinbauern und Kooperativen angebaut, womit das weitere Zerstörungspotential eminent hoch bleibt.
Sechs Prozent aller Tierarten befinden sich auf der Insel Borneo. Seit über 4000 Jahren werden die Regenwälder Borneos von den Indigenen bevölkert. Im Laufe der letzten 50 Jahren wurde knapp die Hälfte des Regenwaldes in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos abgeholzt. Es gibt Tausende von Landkonflikten von indigenen Gemeinden gegen grosse Holzunternehmen, doch der Staat und die Justiz machen es der Bevölkerung schwer, an ihre Rechte heranzukommen und ihr Land gegen den Raubbau zu verteidigen.
Zwar gibt es seit 30 Jahren eine Konvention zum Schutz der Regenwälder, doch die wurde nie vom indonesischen Parlament ratifiziert und umgesetzt. Ausserdem ist zu beobachten, dass fast alle Politiker entweder ehemalige oder noch amtierende Holzindustrielle in Jakarta sind, wie Norman Jiwan von der NGO «TuK» berichtet. Und von der Palmölindustrie profitieren nur weniger als 30 der reichsten indonesischen Familien. Da die Rechte der indigenen Völker und ihre seit Jahrhunderten ökologisch genutzter Grundbesitz nicht annerkannt sind, kann die Holzindustrie schalten und walten wie sie will, notabene mit den notwendigen Papieren der Regierung.
Die Abnehmer der Holzfirmen sind auch die Eigentümer der Palmölindustrie-Betriebe, die so durch den Raubbau gleich doppelt verdienen, denn nur fünf Jahre nach dem Abholzen des Regenwaldes können schon erste Gewinne aus dem Palmölgeschäft vernbucht werden. Die Kleptokratie in Indonesien kennt keine Grenzen. Die Rechte der Indigenen Völker werden gnadenlos unterminiert, ihr Grundbesitz kaum oder ohne Entschädigung enteignet. Ist der Urwald einmal gerodet kann die Regierung ihn problemlos als minderwertigen Wald bzw. landwirtschftliche Nutzfläche deklarieren und durch Lizenzen an die Palmölgesellschaften verpachten womit die lokalen Gemeinschaften so für immer ihre Rechte an eigenen Land verlieren. Die internationalen Profiteure nebst den indonesischen Firmen sind global Players wie «Nestle», «Cargill», «Unilever», «Procter & Gamble» usw..
Die Hafenstadt Samarinda an der Mündung des Flusses Mahakam, ideal gelegen um das Die Hafenstadt Samarinda an der Mündung des Flusses Mahakam, ist ideal gelegen um das „Grüne Gold“ nach Übersee zu verschiffen. Das lokale Sägewerk in Samarinda und die Holzfällerfirma sind «FSC»-zertifiziert. Viele streben die «FSC»-Zertifizierungen an und erhalten sie auch, obschon sie ihr Geschäft mit Landraub auf indigenen Gebieten rücksichtslos ausdehnen. Daher kann man den wenigsten Zertifizierungen Glauben schenken. Es ist reine Augenwischerei, darauf vertrauen zu wollen. Denn die Kontrolleure sogenannter Zertifizierungslabels sind private Firmen, die sich die nächsten Aufträge dadurch sichern wollen, dass sie möglichst viel und bedenkenlos zertifizieren, vermeldet die österreichische «Greenpeace-Sprecherin» Ursula Bittner. „Eines der grössten Probleme bei den Kontrollen sind die Akteure im Geschäft. Je lascher die Kontrollen sind, desto mehr Aufträge fliessen den Kontrolleuren zu“. Das führe zu wenigen und ungenügenden Kontrollen, zu Intransparenz, die kaum eine echte Ursprungs-Rückverfolgbarkeit zulassen, moniert «Greenpeace». Die Entscheidungen orientieren sich an der Industrie und der korrupten Politik. Auch Lukas Straumann vom «Bruno Manser Fond» in Basel bestätigt, dass die Korruption in Malaysia und in Indonesien weitverbreitet ist.
Tropisches Regenwald-Sperrholz gelangte so auch zu den Olympischen Spielen in Tokyo und wurden dort über die «Firma Sumitomo Forestry», die der wischtigste Holzlieferant für die Olympischen Spiele in den Stadien dafür gebraucht wurden, die Betonfundamente auszuformen, so .Hanna Heineken, Finanzexpertin von «Rainforest Action Network». Die japanische Regierung musste in der Folge zugeben, dass in allen Olympischen Stadien tropisches Regenwaldholz verbaut wurde, das aus zwielichtigen Quellen und von Firmen kam, die in Landkonflikte, Menschenrechtsverletzungen, Steuerbetrug, Lizenz-Betrug und viele andere Wirtschaftsdelikte involviert waren. Tja und wo ist der Sitz der Olympischen Gemeinde? In der Schweiz, in Lausanne. Und wie weit reicht die Verantwortung des Olympischen Kommitees. Nirgendwo hin. Die scheren sich offensichtlich keinen Deut um nachhaltige Spiele und sollten fortan in die Pflicht genommen werden.
IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE
Geschätzte Leserin, werter Leser
Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie einen Beitrag spenden wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at) gmx.ch. Vielen Dank im Namen der Empfänger/innen.