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Sind wir alle potentiell so gefährlich?

Das Gesetz über Polizeimassnahmen gegen sogenannte «Gefährder» kann zu massiven Eingriffen in die Freiheitsrechte von Personen führen. Durch die zum Teil äusserst vagen Begriffe im Gesetz können auch Unschuldige zu Zielscheiben von präventiven Massnahmen werden, warnt Amnesty International.

Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass die Terror-Bedrohung immer weitergehende Repressionsmassnahmen rechtfertigt nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Noch bis Ende März läuft die Vernehmlassung zum «Gesetz über polizeiliche Massnahmen gegen den Terrorismus».

Kürzlich hat der Bundesrat das neue «Gesetz über polizeiliche Massnahmen gegen den Terrorismus» in die Vernehmlassung geschickt. Das Gesetz richtet sich gegen sogenannte Gefährder. Das sind Personen, die sich weder einer Straftat schuldig gemacht haben noch einer solchen verdächtigt werden. Wenn man bei der Lektüre nicht ständig die «Jihadisten» als implizite Zielgruppe mitdenkt, liest sich das Gesetz wie eine Vorlage für ein totalitäres System, das Gefahren immer tiefer im präventiven Bereich abzuwehren versucht.

Laut der Vorlage soll die Polizei eigenmächtig einschneidende Massnahmen wie Hausarrest, Kontaktverbote oder den Einsatz von elektronischen Fussfesseln anordnen können, wenn ihr eine Person als gefährlich erscheint, sie aber keine Gründe für eine Strafverfolgung findet. Mit Ausnahme des Hausarrestes braucht die Bundespolizei dafür nicht einmal eine richterliche Zustimmung. Selbst 12-jährige können mit den Massnahmen belegt werden; nur Hausarrest soll es «erst» ab 15 Jahren geben.

Der Begriff «Gefährder» wurde vor nicht langer Zeit aus Deutschland importiert und hat in der Schweiz eine schnelle Karriere gemacht. Das neue Gesetz definiert «Gefährder» als «potenziell gefährliche Personen». Eine unsinnige und höchst problematische Definition, denn potenziell gefährlich sind alle Menschen. Der Begriff dient dazu, die präventive Gefahrenabwehr auf Kosten der Grundrechte nochmals erheblich zu erweitern.

Denn die Strafbarkeit von terroristischen Delikten ist unlängst bereits weit in den präventiven Bereich vorverlagert worden. Mit der Revision der Antiterror-Strafgesetze von 2017, die vom Parlament noch abgesegnet werden muss, sollen neue Delikte eingeführt werden, wie beispielsweise die Vorbereitung einer Reise für terroristische Zwecke. Das klingt vernünftig, wird in der Praxis aber schnell spekulativ. Denn dieses Delikt ist vom eigentlichen Terrorakt (z.B. einem Anschlag durch den IS in Syrien) bereits zwei Schritte entfernt: Nicht nur die Reise nach Syrien, um sich dem IS anzuschliessen, ist strafbar, sondern bereits die Vorbereitung der Reise. Die Bedrohung durch Terrorismus wird offensichtlich dafür genutzt, das repressive  Strafrecht um ein strafendes Präventionsrecht zu ergänzen.

Die nun vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen gehen einen gefährlichen Schritt weiter und hantieren auf der Grundlage von reinen Vermutungen und Spekulationen über Absichten und mögliche Taten. Solche Vermutungen stützen sich etwa auf Informationen, die durch die nachrichtendienstliche Überwachung von Posts und Kommentaren in den sozialen Medien gewonnen werden. Aussagen über die potenzielle Gefährlichkeit einer Person sind immer spekulativ, und sie beziehen sich immer auch auf Wertauffassungen und politischer Haltung. Damit geraten die Behörden in die Nähe der Gesinnungsschnüffelei und gefährden dabei die Rechte auf Privatsphäre, freie Meinungsäusserung und Religionsfreiheit.

Die Voraussetzung für präventive Massnahmen ist nicht mehr wie im Strafrecht der Verdacht gegen bestimmte Individuen, sondern der Generalverdacht gegen ganze Gruppen, in welchen die Gefährder vermutet werden. Diese Gruppen werden mit Stereotypen und Merkmalen eingegrenzt. Attribute wie religiös, männlich, jung, eingewandert, arbeitslos werden zu einem Risikofaktor. Damit droht die Gefahr einer diskriminierenden Anwendung der neuen Massnahmen primär gegen junge Männer islamischen Glaubens. Doch einmal im Gesetz verankert kann dieses Instrumentarium auch gegen andere Personengruppen eingesetzt werden, die als politisch radikal oder gesellschaftlich randständig gelten.

Das neue Gesetz stellt zudem grundsätzliche Rechtsprinzipien wie die Unschulds­vermutung in Frage. Denn einmal mit einer einschneidenden Massnahme belegt, müssen Gefährder durch ihr Verhalten zeigen, dass sie nicht «potenziell gefährlich» sind, und auch in der Zukunft nicht straffällig werden, was nicht nur der Umkehr der Beweislast gleichkommt, sondern auch eine kafkaeske Unmöglichkeit ist.

Grundsätzlich ist fragwürdig, ob eine weitere gesetzliche Aufrüstung zur Terrorbekämpfung überhaupt erforderlich ist. Die Schweiz hat in jüngster Zeit mehrere scharfe Instrumente geschaffen: Das Nachrichtendienstgesetz (NDG), das Antiterror-Strafgesetz und den Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Radikalisierung. Bevor deren Wirksamkeit überhaupt geprüft werden kann, macht der Bund überstürzt einen weiteren Schritt in Richtung einer präventiven und umfassenden Kontrolle.

Wir können nur hoffen, dass die Reaktionen in der Vernehmlassung dazu führen, dass das Gesetz deutlich nachgebessert und die Hürden für die Massnahmen erhöht werden. Der Anspruch auf garantierte Sicherheit wird zunehmend allgewaltig und führt zu polizeistaatlichen Methoden, die eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig sind.

Quelle: Amnesty International

Autoren:

Patrick Walder, Amnesty International Schweiz
Alex Sutter, humanrights.ch
Viktor Györffy, grundrechte.ch