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Pegasus Projekt: Spionage-Software späht Medien, Zivilgesellschaft und Oppositionelle aus

Die Überwachungssoftware «Pegasus» des israelischen Unternehmens NSO Group wird weltweit eingesetzt, um Medienschaffende, Menschenrechtsverteidiger und Aktivistinnen systematisch zu überwachen. Dies enthüllte ein gemeinsames Recherche-Projekt von mehr als 80 Medienschaffenden in zehn Ländern in Zusammenarbeit mit der NGO «Forbidden Stories» und Amnesty International. Die Spyware der NSO Group wurde eingesetzt, um auf der ganzen Welt in massivem Ausmass Menschenrechtsverletzungen zu ermöglichen. Das ergab eine gross angelegte Untersuchung des Leaks von 50’000 Telefonnummern potenzieller Überwachungsziele. Zu den Ausgespähten gehören Staatsoberhäupter, Kritiker und Medienschaffende.

Das Pegasus-Projekt umfasst derzeit mehr als 80 Journalist/innen aus 17 Medienorganisationen in 10 Ländern. Koordiniert wird diese bahnbrechende Zusammenarbeit von Forbidden Stories, einer in Paris ansässigen gemeinnützigen Medienorganisation, mit technischer Unterstützung von Amnesty International, die modernste forensische Untersuchungen an Mobiltelefonen durchführten, um Spuren der Spionagesoftware Pegasus zu finden.

«Bis diese Firma und die gesamte Industrie zeigen kann, dass sie in der Lage ist, die Menschenrechte zu wahren, muss sofort ein Moratorium für den Export, den Verkauf, den Transfer und die Nutzung von Überwachungstechnologie in Kraft treten.» Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

«Das Pegasus-Projekt legt offen, dass die NSO-Spyware das Mittel der Wahl für repressive Regierungen ist, die versuchen, Journalist*innen zum Schweigen zu bringen, Aktivist*innen anzugreifen und abweichende Meinungen zu unterdrücken, was unzählige Menschenleben in Gefahr bringt», sagte Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

«Diese Enthüllungen widerlegen alle Aussagen von NSO, dass solche Angriffe selten und auf eine böswillige Verwendung ihrer Technologie zurückzuführen seien. Während das Unternehmen behauptet, dass seine Spionagesoftware nur für legitime kriminelle und terroristische Ermittlungen eingesetzt werde, ist klar, dass die Technologie systemischen Missbrauch ermöglicht. Die Firma zeichnet ein Bild der Legitimität, während sie von grossflächigen Menschenrechtsverletzungen profitiert.

Es ist eindeutig, dass das Verhalten des Unternehmens grössere Fragen über den Mangel an Regulierung aufwirft – eine Situation, die die Verletzung der Menschenrechte von Aktivist*innen und Journalist*innen im grossen Stil ermöglicht. Bis diese Firma und die gesamte Industrie zeigen kann, dass sie in der Lage ist, die Menschenrechte zu wahren, muss sofort ein Moratorium für den Export, den Verkauf, den Transfer und die Nutzung von Überwachungstechnologie in Kraft treten.»

In einer schriftlichen Antwort an Forbidden Stories und seine Medienpartnerinnen sagte die NSO Group, dass sie «die falschen Behauptungen» in dem Bericht «entschieden bestreitet». Das Unternehmen schrieb, dass die Berichterstattung des Konsortiums auf «falschen Annahmen» und «unbestätigten Theorien» basiere und bekräftigte, dass das Unternehmen auf einer «lebensrettenden Mission» sei. Eine ausführlichere Zusammenfassung der Antwort der NSO Group finden Sie hier.

Die Untersuchung von Amnesty International und Medienpartnern

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Spyware Pegasus der NSO Group, die, wenn sie heimlich auf den Telefonen der Betroffenen installiert wird, einem Angreifer vollständigen Zugriff auf die Nachrichten, E-Mails, Medien, Mikrofon, Kamera, Anrufe und Kontakte des Geräts ermöglicht. Im Laufe der nächsten Woche werden Medienpartnerinnen des Pegasus-Projekts – darunter The Guardian, Le Monde, die Süddeutsche Zeitung und die Washington Post – eine Reihe von Berichten veröffentlichen, in denen Details darüber enthüllt werden, wie Staatsoberhäupter, Politiker*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen als potenzielle Ziele dieser Spionage-Software ausgewählt wurden.

Die NSO Group hat keine angemessenen Massnahmen ergriffen, um den Einsatz ihrer Tools für die unrechtmässige gezielte Überwachung von Aktivist*innen und Journalist*innen zu stoppen.Anhand der durchgesickerten Daten und ihrer Recherchen haben Forbidden Stories und seine Medienpartnerinnen potenzielle NSO-Kunden in elf Ländern identifiziert: Aserbaidschan, Bahrain, Ungarn, Indien, Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda, Saudi-Arabien, Togo und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).

Die NSO Group hat keine angemessenen Massnahmen ergriffen, um den Einsatz ihrer Tools für die unrechtmässige gezielte Überwachung von Aktivist*innen und Journalist*innen zu stoppen, obwohl sie entweder wusste oder hätte wissen müssen, dass dies geschieht.«Als ersten Schritt muss die NSO Group die Systeme ihrer Kund*innen sofort abschalten, wenn es glaubwürdige Hinweise auf Missbrauch gibt. Das Pegasus-Projekt liefert diese in Hülle und Fülle», sagte Agnès Callamard.

Familie Khashoggi im Visier

Im Zuge der Ermittlungen sind auch Beweise dafür aufgetaucht, dass Familienmitglieder des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi vor und nach seiner Ermordung am 2. Oktober 2018 in Istanbul von saudischen Agenten mit Pegasus-Software ins Visier genommen wurden – trotz wiederholter Dementis der NSO Group.Das Security Lab von Amnesty International stellte fest, dass die Spionagesoftware Pegasus nur vier Tage nach Khashoggis Ermordung erfolgreich auf dem Telefon seiner Partnerin Hatice Cengiz installiert wurde.Auch seine damalige Frau, Hanan Elatr, wurde zwischen September 2017 und April 2018 wiederholt mit der Spyware anvisiert, ebenso wie sein Sohn Abdullah, der zusammen mit anderen Familienmitgliedern in Saudi-Arabien und den VAE ebenfalls als Ziel ausgewählt wurde.

In einer Stellungnahme reagierte die NSO Group auf die Vorwürfe des Pegasus-Projekts und sagte, dass ihre «Technologie in keiner Weise mit dem abscheulichen Mord an Jamal Khashoggi in Verbindung steht». Das Unternehmen fuhr fort, dass es «diese Behauptung unmittelbar nach dem abscheulichen Mord untersucht hat, die wie gesagt ohne Bestätigung erhoben wurde».

Journalist*innen unter Beschuss

Die Untersuchung hat bisher mindestens 180 Journalist*innen in 20 Ländern identifiziert, die zwischen 2016 und Juni 2021 für potenzielle Angriffe mit der NSO-Spionagesoftware ausgewählt wurden, darunter in Aserbaidschan, Ungarn, Indien und Marokko – alles Länder, in denen das harte Durchgreifen gegen unabhängige Medien verstärkt wurde.

Bisher hat die Untersuchung mindestens 180 Journalist*innen in 20 Ländern identifiziert, die zwischen 2016 und Juni 2021 für potenzielle Angriffe mit der NSO-Spionagesoftware ausgewählt wurden, darunter in Aserbaidschan, Ungarn, Indien und Marokko.

  • In Mexiko wurde das Telefon des Journalisten Cecilio Pineda nur wenige Wochen vor seiner Ermordung im Jahr 2017 für eine gezielte Überwachung ausgewählt. Das Pegasus-Projekt hat herausgefunden, dass über einen Zeitraum von zwei Jahren mindestens 25 mexikanische Journalist*innen als Ziel ausgewählt wurden. Die NSO Group bestreitet, dass die von Pinedas Telefon gesammelten Daten zu seinem Tod beigetragen haben, selbst wenn Pinedas Telefon ins Visier genommen worden wäre.
  • Pegasus wurde auch in Aserbaidschan eingesetzt, einem Land, in dem es nur noch wenige unabhängige Medien gibt. Mehr als 40 aserbaidschanische Journalist*innen wurden laut der Untersuchung als potenzielle Ziele ausgewählt. Das Security Lab von Amnesty International fand heraus, dass das Telefon von Sevinc Vaqifqizi, einem freien Journalisten des unabhängigen Medienunternehmens Meydan TV, über einen Zeitraum von zwei Jahren bis Mai 2021 mit Spyware infiziert war.
  • In Indien wurden zwischen 2017 und 2021 mindestens 40 Journalist*innen aus fast allen grossen Medien des Landes als potenzielle Ziele ausgewählt. Forensische Tests ergaben, dass die Telefone von Siddharth Varadarajan und MK Venu, Mitbegründer des unabhängigen Online-Outlets The Wire, gerade erst im Juni 2021 mit Pegasus-Spyware infiziert wurden.
  • Die Untersuchung identifizierte auch Journalist*innen, die für grosse internationale Medien wie Associated Press, CNN, The New York Times und Reuters arbeiten, als potenzielle Ziele. Eine der profiliertesten Journalist*innen war Roula Khalaf, die Redakteurin der Financial Times.

«Die Anzahl der Journalist/innen, die als Zielpersonen identifiziert wurden, illustriert anschaulich, wie Pegasus als Werkzeug zur Einschüchterung kritischer Medien eingesetzt wird. Es geht darum, die öffentliche Berichterstattung zu kontrollieren, sich der Kontrolle zu entziehen und jede abweichende Stimme zu unterdrücken», so Agnès Callamard. «Pegasus als Werkzeug zur Einschüchterung kritischer Medien eingesetzt wird. Es geht darum, die öffentliche Berichterstattung zu kontrollieren, sich der Kontrolle zu entziehen und jede abweichende Stimme zu unterdrücken.»Agnès Callamard«Diese Enthüllungen müssen als Katalysator für Veränderungen wirken. Die Überwachungsindustrie darf nicht länger einen Laissez-faire-Ansatz von Seiten der Regierungen erfahren, die ein Interesse daran haben, diese Technologie für Menschenrechtsverletzungen zu nutzen.»

Aufdecken der Pegasus-Infrastruktur

Amnesty International veröffentlicht heute die vollständigen technischen Details ihrer umfassenden forensischen Untersuchungen im Rahmen des Pegasus-Projekts.Der Methodenbericht dokumentiert die Pegasus-Spyware-Angriffe seit 2018 und enthält Details zur Infrastruktur der Spyware, darunter mehr als 700 Pegasus-bezogene Domains.

«NSO behauptet, seine Spyware sei nicht nachweisbar und werde nur für legitime kriminelle Ermittlungen eingesetzt. Wir haben jetzt unwiderlegbare Beweise für diese absurde Unwahrheit vorgelegt», sagte Etienne Maynier, Technologe im Security Lab von Amnesty International. Natürlich weist nichts darauf hin, dass die Kund*innen von NSO Pegasus nicht ebenfalls für Terrorismus- und Verbrechensermittlungen genutzt haben, und das Forbidden Stories-Konsortium fand in den Daten auch Nummern, die zu mutmasslichen Kriminellen gehören. «Die grossflächigen Rechtsverletzungen, die Pegasus ermöglicht, müssen aufhören. Unsere Hoffnung ist, dass die vernichtenden Beweise, die in der nächsten Woche veröffentlicht werden, die Regierungen dazu bringen werden, eine Überwachungsindustrie zu überholen, die ausser Kontrolle geraten ist», sagte Etienne Maynier.

Als Antwort auf eine Anfrage von Medienorganisationen, die am Pegasus-Projekt beteiligt sind, sagte die NSO Group, dass sie die Behauptungen «entschieden bestreitet» und erklärte, dass «viele von ihnen unbestätigte Theorien sind, die ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit Ihrer Quellen sowie an der Grundlage Ihrer Geschichte aufkommen lassen.» Die NSO Group hat weder bestätigt noch dementiert, welche Regierungen Kundinnen der NSO Group sind, obwohl sie sagte, dass im Pegasus-Projekt in dieser Hinsicht «falsche Annahmen» gemacht worden seien. Ungeachtet des generellen Dementis der Behauptungen sagte die NSO Group, dass sie «weiterhin alle glaubwürdigen Hinweise auf Missbrauch untersuchen und basierend auf den Ergebnissen dieser Untersuchungen angemessene Massnahmen ergreifen wird.

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1993 entwickelte sich Vietnam schneller als ein Polaroid

Auszug aus dem Buch

Vietnamese schoolgirls and boys in a secondary school in the north of Vietnam. © GMC

Vorwort: Das Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisen-regionen rund um den Globus. Er beleuchtet das Schicksal indigener Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund und analysiert scharfsichtig und gut informiert die politischen Transformationsprozesse. Müller prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse in einigen Ländern auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend. Eine gelungene Mischung aus globalen Polit-Thrillern, geho-bener Reiseliteratur, gespickt mit sozialkritischen und abenteuerlichen Geschichten sowie persönlichen Essays – den Highlights und der Essenz seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Es erwartet Sie eine Reise durch die epochale Vergangenheit und metamorphorische Phasen vieler exotischer Länder rund um den Globus. Nach der Lektüre dieses Buchs zählen Sie zu den kulturell, ökologisch sowie politisch versierten Globetrotter.

Vietnames high school girs at the final celebration in Hanoi. Bild: © GMC

Durch die Kooperation mit Singapore Airlines, die gerade ihren Anfang nahm und dank Chrstina Hollenweger über 15 Jahre lang anhielt, brachte mich nach Vietnam zu einer Zeit, als die kriegsversehrte Nation noch am Boden lag und die Bevöl-kerung noch vor Hunger und Entbehrungen darbte. Doch von da an entwickelte sich Vietnam schneller als ein Polaroid-Foto. Ho-Chi-Mingh hat abgedankt – Honda und Coca Cola sind «in» geworden. Spektakuläre Landschaften, unverbrauchte Res-sourcen, faszinierende, uralte Kulte der Minoritäten und als Kontrast das schnelle Leben der Kinhs in einer turbulenten Aufbruchphase – Vietnam ist ein Land voller Wunder, Wonnen und Widerspenstigkeiten auf dem Weg zwischen gespenstischer Vergangenheit und hoffnungsgeladener Zukunft.

In den Strassen Saigons, dem heutigen Ho-Chi-Mingh City, spielte sich der verrückteste Tanz auf zwei Rädern ab, den man sich vorstellen kann: Tausende von Moped-FahrerInnen brausen oft mit der ganzen Familie, also auch schon Mal zu Viert kreuz und quer, hupend und knatternd durch die Strassen und auf die Kreuzungen zu, verweben sich dort zu einem dichten Knäuel, quetschen und quengeln sich durch den verqueren Richtungs-strom und stieben kurz darauf wieder wie ein FIschschwarm auseinander. Halsbrecherische Manöver sind die einzige Ordnung und verlässliche Konstante in diesem Verkehrschaos. Wer sich nicht selbst auf so ein gemietetes Moped wagt, kann sich von einem Cyclo-Fahrer durch die Strassen kutschieren lassen.

Vietnam: Tons of CO2-emmissions every day are polluting the air in Ho Chi Mingh City

Der Mobilitätswahn signalisierte damals die ungezügelte Aufbruchstimmung und spiegelte den «song voi», das schnelle Leben wieder,  dass die Bewohner von «Motorroller City» wie ein Fieber ergriffen hatte. Für Vietnams Jugend, die den zähen und blutigen Befreiungskampf nur noch aus den Schulbüchern kennt, sind Coca Cola, Hamburger und Honda wichtiger als Ho Chi Minghs Revolution. Frech geschminkte Mädchen in knallengen Jeans, glutroten Cocktailkleidern oder dottergelben Hot Pants, allesamt auf High Heels stolz durch die Strassen stolzierend, verkörperten den westlich orientierten Trend und kontrastierten das Bild traditionell gekleideter Frauen im blütenweissen, halbdurchsichtigen «ao dais» mit flatternden Haaren  wie Feen auf ihren Fahrrädern über den glühenden Asphalt hinweg glitten.

Durch die «Doi-Moi-Politik», die vietnamesische Perestroika Richtung Marktsozialismus, hat die Metamorphose vom abgehalftertem Kommunismus zum hemmungslosen Konsum rasend beschleunigt und im Land des aufsteigenden Drachens eine gewaltige unternehmerische Energie entfacht. Die Machtelite visierte damals bis zum Jahr 2000 den Beitritt zum Kreis der «asiatischen Tiger» zu schaffen und den Tourismus mächtig ankurbeln zu können. Und sie schafften beides.

Vietnamese ricefarmer working in the ricefields in the Mekong Delta.

Ho-Chi-Mingh-City und Hanoi tickten damals komplett anders und unterschieden sich wie Tag und Nacht. In der 1600 Kilometer nördlich von Ho-Chi-Mingh-City gelegenen Machtmetropole der kommunistischen Partei, spielte sich das Leben weitaus gemütlicher und beschaulicher ab, gedieh die neue Freiheit verhaltender und auch das Klima wahr angenehmer. Der Einfluss der Franzosen, die Hanoi 1883 zur Verwaltungsstadt von Tonkin und später von ganz Indochina erklärten, ist noch immer deutlich zu sehen und das nicht nur anhand der französischen Baguettes, die in Vietnam Tradition haben, sondern vereinzelt auch noch an den alten Kolonialstilbauten, welche das Savoir vivre der Franzosen und ihren Boheme-Einfluss auf die Kultur, die Malerei und die Infrastruktur wiederspiegelten und wenig mit der hektischen, freisinnigen Vitalität des Südens zu tun hatte. Aber natürlich hat auch hier der Dollar den Dong in eine blosse Zuschauerrolle gedrängt.

Zwischen den beiden Metroplen liegen die mystischen Welten der Bergvölker, wie die der Thai, der Khmer, Kohor und der Halbnomanden, den Hmong. Die 53 Minoritäten stellen zusammen zwar nur 10 Prozent der Bevölkerung der Kinh, wie sich die VietamesInnen selbst nennen, aber sie bewohnten damals fast siebzig Prozent der vietnamesischen Landoberfläche. Ausser der Region Lang Bien bei Dalat, wo sich am Fusse des Nui Baz (Frauenberg). In der «verbotenen Gegend» des gebirgigen Hinterlandes, eines der letzten Matriarchate verbirgt, gab es noch weitere Sperrbezirke für Ausländer entlang der chinesischen Grenze.

Die Hauptachsen vom Mekong Delta über Saigon nach Dalat im südvietamesischen Hochplateau und via dem Badeferienort Nha Trang bis zur alten Kaiserstadt Hue hoch waren dank den Amerikanern gut ausgebaut, die Strasse nach dem Wolkenpass bis nach Hanoi hingegen katastrophal, als wäre sie mit einem Bombenteppich überzogen worden, was ja auch stimmt. Zudem sind die Passstrassen ins Hochland in der Regenzeit oft unpassierbar.

Traumhaft: The Nam Hai Resort Hotel, Mitglied der Leading Hotels of the World, Bild: © GMC

Zu den touristischen Highlights gehörten: Da Lat, das «Valle d‘amour» der Hochzeitspärchen, der Ferienort der reichen aus dem damaligen Saigon und davor für die Franzosen. Ein schmuckes, melancholisch verträumtes Städtchen, mit gediegenen provenzialischen Kolonialstilhäusern und um den Seufzer-See, eingebettet in die Hügelzüge mit smaragdgrünen Reisterrassen, Gemüsefeldern, Reben, Kaffe- und Teeplantagen. Die Temperatur ist auch im Sommer moderat, das Klima angenehm kühl, wie in einem Schweizer Bergkurort.

Ferner: Der Badeferienort Nha Trang, ein quirliger Badeferienort, der mit einem malerischen Fischer-hafen, einer idyllischen Küsten- und Flusslandschaft, den Cham-Tempeln von Po Nagar (aus dem 7. Nis 12. Jahrhundert) sowie mit feinen französischen Strassencafés, schwülen Nachtclubs und ausgezeichneten Hotels sowie alle Facetten kultureller und touristischer Anreize. Auch Hue die Kaiserstadt am Parfümfluss mit den verbotenen Palästen, turmhohen Pagoden und prächtigen Boulevards zählt zu den schönsten Reisezielen Vietnams. Wer auch den Norden Vietnams bereist, sollte eine Schifffahrt durch die Halong Bay im Golf von Tonkin machen. Hast du die Bucht des herabsteigenden Drachens nicht besucht, hast du Vietnam nicht gesehen, flötet die bildhübsche Auflugsagentin Thuy (was klares Wasser bedeutet). Eine Fahrt auf einer Dschunke durch die mit 3000 steil aus dem Meer ragenden Felsnadeln gespickte Bucht, fühlt sich an wie ein kleines Piratenabenteuer.

Zwar war die Prostitution schon seit den Tagen von Madame Nhu, der ebenso schlitzäugigen wie schlitzohrigen Schwägerin des Präsidenten Diems, gesetzlich verboten, das änderte aber damals nichts daran, dass mehr als eine halbe Million Frauen und minderjährige Mädchen die Bars und Bordelle Südvietnams bevölkerten und man überall viele dieser con gai sah. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Zustrom devisenkräftiger Ausländer war die Prostitution wieder stark angestiegen. Das lebhafte Interesse und betörende Lachen einer Phu Nu Viet Nam könnten also auch von rein geschäftlicher Natur her gerührt haben. Vielen ging es wohl ums nackte Überleben zur Linderung der Armut und des Hungers. Denn selbst Mädchen im zarten Alter scheuten sich nicht mir ihre Schwester feilzubieten. Wie das zu dem konfuzianischen Weltbild passte, war mir nicht klar.

Handkehrum gab es bereits in der Dong-Son Kultur (700 bis 257 v. Chr.) etablierte sich fortan zusehends eine matriarchalisch dominierte Gesellschaft, die bekannt für ihre freizügigen Sitten und den konfuzianisch patriarchalisch eingefleischten Chinesen ein steter Dorn im Auge als auch die Ursache vieler Kriege. Die Vermutung, dass es die selbstbewussten und emanzipierten Frauen Vietnams sich nicht nur das gleiche Recht wie die Männer heraus nahmen, wobei auch die Inanspruchnahme von Liebesdiensten fast zum guten Ton gehörte, wurde weder bestätigt noch dementiert.

Weise sprach Konfuzius: «Mit Frauen und Untertanen umzugehen ist äusserst schwierig». Um die Schwierigkeiten zu verringern, ersann der chinesische Philosoph drei patriarchalische Regeln, die lange Bestand hatten. Die Frau hat sich als Mädchen, dem Vater, als Ehefau dem Mann und als Witwe dem ältesten Sohn unterzuordnen. Der Mann aber hatte alle Freiheiten, er durfte seine Frau verstossen und seine Töchter verkaufen. Dergestalt patriarchalische Vorstellungen kamen in der vietnamesischen Gesellschaft schlecht an. Auch wenn der Konfuzianismus rund hundert Jahre vor dem Christentum in Vietnam ankam und den Ahnenkult verdrängte, vermochte sich er die seit der Dong-Son Kultur etablierte Matriarchat nicht beseitigen.

Kurz nach Christi Geburt stellten sich die Trung Schwestern an der Spitze des Lac-Heeres und – auf ihren Kampf-elefanten – den Feinden entgegen. Trotz Heldinnen hafter Gegenwehr wurden sie schliesslich besiegt. Aber statt vor dem nach Rache dürstenden Gegner zu kapitulieren, gingen sie lieber in den Fluten des Roten Flusses unter, als sich dem übermächtigen Gegner zu ergeben. So werden die Hai-Ba Trung Schwestern bis heute als Heldinnen verehrt. Das machte sie auch für mich begehrt und so beschloss ich, in eines dieser Matriarchate zu gelangen, die sich ja in einem für Ausländer gesperrten Bezirk befanden. Mit Hilfe eines in Saigon lebenden Schweizers, der einen vietnamesichen Journalisten kannte, der wiederum Kontakte zu Medienschaffenden in einem dieser Gebiete pflegte, gelangte ich schliesslich im Kofferraum des lokalen Radioteams versteckt in das Matriarchat und am Ende des Tages auf dem gleichen Weg auch so wieder heraus.

Dazwischen standen spannende Stunden am Fusse des Nui Baz. Da und dort ragten die spitzen Strohhüte der Bäuerinnen über die Bepflanzung hinaus, bewegten sich rythmisch vorwärts und mit riesigen Heuballen beladene Frauen stapften breitbeinig über die dampfende Erde an uns vorbei. Unübersehbare Schilder mahnten uns unmissverständlich (wenn man vietnamesisch konnte), dass wir uns hier in Lang Bien in einer «verbotenen Zone» befänden. Bei unserer Ankunft im Dorf wurden wir kaum beachtet. Üblicherweise strömte das ganze Dorf zusammen und du wirst von einer Kinderschar umringt, die nach Bonbons betteln.

Hier interessanterweise nicht. Wir wandten uns an einen alten Mann, der im kühlen Schatten eines Tamarindenbaumes bei ein paar spielenden Kindern sass und fragten ihn nach dem oder der Dorfälteste/n, worauf er sich erhob und uns zu einer Hütte führte, die einzig von glimmenden Holzstücken beleuchtet wird, worauf erst vier Frauen mit mongolischen Gesichtern den dunklen Raum betraten, ein tönernes Gefäss vor unsere Füsse stellten und uns zum Trinken aufforderten. Schwerer, süsslicher Wein rannte durch unsere Kehlen, der eher schon ein alkoholischen Dicksaft glich.

Dann kommt das Gespräch über ihre Bräuche in Gang. Ihre Dorfgemeinschaft umfasst rund 35 Familien und über 300 Seelen. Wir kommen gleich zur Sache und wollen mehr über die matriarchalischen Strukturen wissen. Mit grosser Selbstverständlichkeit erzählen sie, dass hier die Frauen einen Mann aussuchen und dessen Familie um die Hand des Auserwählten bitten; dass der Mann nach der Heirat den Namen der Frau annimmt und in ihr Haus einzieht; dass das Erbe beim Tod der Frau an die älteste Tochter übergeht und dass der Witwer oft von der ältesten Schwester der Verstorbenen geheiratet wird. Will er dies nicht, muss er auf dem Grab seiner Frau einen Baum pflanzen und 13 Monate abwarten, bis er sich wieder vermählen darf.

Dass im Matriarchat nicht unbedingt alles viel idyllischer zugehen muss, als in männerdominierten Gesellschaften, zeigt sich an einem brutalen Brautschau-Wettkampf, dem erst französische Missionare ein Ende setzten. Begehrten zwei Frauen brennenden Herzens ein und denselben Mann, kam es unter Aufsicht der Dorfältesten zu einem brutalen Machtkampf. Die Frauen mussten ihre Köpfe tief ins Wasser des Dorfbaches strecken und die, die länger unten blieb, hatte gewonnen. Die Verliererin ihr Leben verwirkt. Es war also eine Entscheidung und ein Kampf auf Leben und Tod. Und so kam es auch vor, dass sich eine der Frauen angesichts einer langatmigeren Konkurrentin auf verlorendem Posten sahen, ihr Haar unter Wasser an einer Baumwurzel verknüpfte, um nicht früher als die Konkurrentin aufzutauchen und so einen wenngleich todbringenden Sieg errang. Denn die Verliererin wurde ja ebenfalls in den Tod geschickt. So musste der Bräutigam wieder auf Brautschau.

Bei den Bang-Tin, Lin-Hot und Chinh-Lah, wie die meisten Familien heissen, haben die Frauen zwar das Sagen, aber sie verrichten auch die Hauptarbeit im Haushalt auf dem Feld und bei der Kindererziehung. Die Männer führen im Vergleich ein geradezu feudales Leben. Ihre Arbeit beschränkt sich auf den Hausbau und Ausbau der Wasserleitungen. Daneben bleibt ihnen viel Zeit zum Spielen und Tratschen. Wichtige Entscheide in der Familie und im Geschäft, bei der Verwaltung des Geldes sowie bei der Familienfürsorge sind aber unbestrittene Domänen der Frauen. Wenn die starken Lat-Frauen von Lang Bien auch nicht die Gesellschaftsordnung von Onkel Ho(dessen Name der Aufklärende bedeutet), anerkannten, so waren sie mit seinen Worten an die starken Frauen Vietnams einverstanden: «Anh huug, bat khuat, trung han, dam dang» – Die vietnamesische Heldin kämpft unerbittlich, patriotisch und standhaft bis zur Selbstaufgabe.

Wie hat Ihnen die Story gefallen? Ich freue mich auf Ihre Kritik und Ihren Kommentar oder weitere interessante Details.

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Geschätzte Leserin, werter Leser

Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie einen Beitrag spenden wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at) gmx.ch. Vielen Dank im Namen der Empfänger/innen.

Gupta Leaks: „Südafrika als Beute“ eines indischen Klepokraten-Clans

Auszug aus dem Buch

VORWORT

Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund, prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend Eine gelungene Mischung aus gehobener Reiseliteratur, globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten und persönlichen Essays – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Der Autor publizierte Hunderte von Reportagen in deutschsprachigen Tageszeitungen und Magazinen.

Der Menschenrechtsanwalt Brian Currin erhielt 2017 Informationen zugespielt die von einem Laptop des Gupta Clans stammt. Das führt ihn auf die Spur eines riesigen Korruptionsskandal der die Züge von Staatsvereinnahmung durch private Unternehmer erreicht. Das Land am Kap der guten Hoffnung wird systematisch geplündert. Die Guptas machen Milliardengeschäfte im Energie- und Transport-sektor, waschen das Geld in Dubai, den Arabischen Emiraten und in Hong Kong und als es Ihnen an den Kragen geht, setzten sie sich mit all dem gestohlenen Geld nach Dubai ab. Wie es zur südafrikanischen Staatsplünderung kam, recherchierten auch die beiden Investigativ-Journalisten Susan Comrie und Thanduxolo Jika (Sunday Times/Mail & Guardian).

Zum ersten Mal richtig aufgefallen: Rund 200 Hochzeitsgäste mit Charter-Flugzeug auf Militärflug-platz eingeflogen, von Polizeifahrzeugen und vom Sicherheitsdienst eskortiert. Die Kosten von rund zwei Millionen Dollars für die Hochzeit haben die Guptas über «Estina» aus der Milchwirtschaft abge-zweigt und dafür die Beiträge für die schwarzen Bauern geplündert. Das Geld wurde mit Hilfe von «KPMG» in Dubai gewaschen und dann wurde damit die Kosten für die Hochzeit in Millionenhöhe bezahlt. Auch «McKinsey»und «SAP» profitierten erheblich von den Schatteneliten.

Pravin Gordhan, Südafrikas Finanzminister (2009 bis 2014) sagt, dass Südafrika schon wenige Wochen nach Zumas Inthronisierung einen gigantischen Stromausfall hatte und dass der nicht von Ungefähr kam. Barbara Hogan, die damalige Ministerin für staatliche Unternehmen wurde von Zuma gefeuert. Auch sie geht hart mit ihm ins Gericht: Zuma versprach zwar gigantische Investitonen in die Infrastruktur des Landes, doch das Geld dafür hatten wir nicht. „Das begriff er einfach nicht“ Und: „Ihm geht es nicht ums Land, nicht um die Probleme Südafrikas, ihm geht es einzig um seine Auserwählten“.

Mit Malusi Gigaba fing das Unheil an, als er in die Regierung kam und alle wichtigen Posten in den Staatsunternehmen sukkzessive mit Gupta-Vertrauten besetzte. Wo werden die meisten öffentlichen Gelder ausgegeben und wie kommen wir daran? Das war das Geschäftsmodel der drei indischen Brüder, die mit ihrem mausarmen Vater 1993 nach Südafrika kamen.

Zuerst kam «Transnet» dran. «Transnet» verwaltet alle Flughäfen, Bahnhöfe und Transportunternehmen. Malusi Gigaba setzte Brian Molefi als CEO und Arnosch Sinn als Finanzvorstand ein (2 Aufträge für Lokomotiven im Wert  von 5 Mia. gingen an zwei chinesische Firmen) Mc Kinsey» erhielt mehr als eine Milliarde für Berater-aufträge von Salim Essa, Geschäftspartner der Guptas. 450 Mio. Provision sprangen für die Guptas beim Lokomotiven-Deal heraus. Gelder die über Off-shore Firmen nach Hong Kong und in die Arabischen Emirate abflossen. Dann kam Duduzane Zuma,der  Sohn Zumas zum Zug. Erwar eng mit den Guptas verbandelt und hat mit ihnen die Korruption perfektioniert und der Kleptokratie Vorschub geleistet. 

Auch Cyril Ramaphosas, einst ein Gewerkschaftsanführer, der durch die Lizenzen der Bergbau-Unternehmen am Ende der Apartheid zum  Milliardär, wird Vizepräsident von Zuma und reist kurz darauf nach Russland für einen Atom-Deal und den Bau von acht Atomkraftwerken in Südafrika, die mehr als 100 Mia. US Dollar kosten würden, worauf die «Shiva» Uranmine von den Guptas gekauft wurde und Zumas Sohn einen Führungsposten zugeschanzt bekam. So brachten sie sich für den Atom Deal in Stellung, der den Geldregen noch vergrössern sollte. Und Russland wollte damit erreichen, dass Südafrika vom Geberland abhängig ist und der Zuma-Clan beabsichtigte sich mit Hilfe der Guptas einer noch grösseren Staatsplünderung zu verschreiben.

Moe Shaik, Leiter des südafrikanischen Geheimdienstes (2009 -2011) wurde zwar von Zuma angeheuert, aber als die Amerikaner besorgt waren, dass das Geld für die Atomkraftwerke aus dem Iran kämen, musste der damalige Geheimdienstchef mit seinem Chef, Präsidenten, also mit  Zuma darüber sprechen und kurzerhand aufgrund der Meinungsverschiedenheiten von seinem Job zurücktreten. Zuma ist wie Trump, nur die eigenen Interessen zählen.

Nicht viel besser erging es Finanzminister Nhlanhla Nene, der das Geld für den Atom-Deal mit Russland einfach nicht herbei zaubern konnte. Er wurde ebenfalls entlassen und durch Freunde der Guptas ersetzt. Desmond van Rooyen wurde darauf hin zum neuen Finanzminister erkürt, kam mit drei Beratern ins Finanzministerium, war aber nur vier Tage lang im Amt, dann wurde Zuma aufgrund der Proteste und gewaltigen Kursstürze an der Börse dazu gezwungen, das Trio wieder ab- und durch den langjährigen Finanzminister  Pravin Gorham zu ersetzen.

Ab 2016 gab es immer mehr Enthüllungen über die Kleptokratie der Guptas und ein mutiges ANC Mitglied, der damalige stv. Finanzminister Mcebesi Jonas enthüllte, dass auch ihm ein Ministerposten von den Guptas angeboten wurde. Mcebesi  war der erste, der die Käuflichkeit einzelner Personen und das enge Korruptionsgeflecht zwischen Zuma, den Guptas und einigen ANC-Profiteuren offen aussprach und kritisierte. Er lehnte es ab, ein Vasall der Guptas zu werden, weil es der hart umkämpften Demokratie Südafrikas einen Dolchstoss versetzen würde.

Die Guptas Leaks bestätigen die krummen Deals mit den staatlichen Konzernen «Escom», «Transnet» im Kohlebergbau und bei beim Waffenkonzern «Denel». 2015 wird Brian Molefi auch noch zum Chef von «Eskom» gemacht und auch Arnosch Sinn stösst dazu. Die beiden plündern das Unternehmen schamlos aus und machen den Zuma-Clan und die Guptas noch viel reicher.

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Zu den Print Reportagen von Gerd Müller über Südafrika:

Aargauer Zeitung: Der neue Feind heisst Kriminalität

Tages Anzeiger: Südafrika steht ein Bombenjahr bevor

Tages-Anzeiger: Alle 40 Minuten wird ein Mensch getötet

Travel Inside:  Vom ANC-Aktivist zum Tourismuspromotor    

Relax & Style: Ökopioniere und sozial Engagierte 

Südostschweiz: Beim Büffel auf den Baum                               

Sonntags Blick: Tierparks so gross wie die Schweiz                                            

Reiseplaner: Nächster Halt am Zebrastreifen                                   

On Trip: African Healer (On Trip)                    

Wellness live:  Bushmen-Medizin am schönsten Ende der Welt   

OnTripGuerrisseurs Africaines 

IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE

Geschätzte Leserin, werter Leser

Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie einen Beitrag spenden wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at)
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Malediven 93: Die ersten Anzeichen des Klimawandels

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

VORWORT

Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Hot-Spots und Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf und rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund. Er prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Resourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Sein Buch ist eine spannende Mischung aus gehobener Reiseliteratur und globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben.

Malediven 93: Erste Anzeichen des Klimawandels sichtbar

Die Touristen relaxen, die Inselbewohner schichten Sandsäcke gegen die Erosion auf.

Via Sri Lanka, dass ich zehn Tage lang auf einer kulturellen Rundreise kennenlernte und mit zahlreichen Besuchen in Ayurveda-Kliniken garnierte, um mehr über das 3000 jährige Gesundheitswissen zu erfahren, gelangte ich in die Malediven. Dank der grossen Entfernung zum Kontinent als auch die gigantischen insularen Distanzen von 764 km Länge und 128 km Breite, konnte sich das Inselreich dem Zugriff der Kolonialmächte entziehen. Das Staats-gebiet des Inselreichs umfasst 90’000qkm  und beherbergt über 1300 Islande. Den grössten Einfluss übten die Araber auf die Dhivehi-Insulaner aus. Die Islamisierung begann bereits im Jahre 1153, als der buddhistische König Kalamaninja zum Islam bekehrte. Die Kalamaninja Dynastie währte 148 Jahre und regierte mit 15 Sultanen. Weitere 78 Sultane folgten in der über 800 jährigen Geschichte der Malediven.

Wie eine leuchtend weisse Perlenkette heben sich die knapp 1800 Korallenatolle vom tiefblauen Indischen Ozean ab. Ein Mosaik aus Licht und Farben umspielt die von Norden nach Süden über sieben Breitengrade hinweg versprengte Inselkette. Jedes dieser von smargdgrüner Vegetation überzogenen und mit türkisblauen Lagunen und kranzförmigen Riffen umsäumte Eilande, welche sich aus der Tiefe des Meeresbodens erheben und dessen opulente Unterwasserpracht nach oben kehren, sieht wieder etwas anders aus. Die Aussenriffe schirmen das oft nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche ragende Atoll gegen die Brandung ab. Farben-prächtige Korallengärten beherbergten damals eine ungeheure Artenfülle. Eine Bilderbuchidylle von Meer, Sonne und Palmenstrand und abgeschiedener Inselromantik sowie ein Eldorado für Taucher als auch Wassersportler, erwartete mich auf der ersten Touristeninsel Ihuru.

Die Schattenseiten: Ein fragiles Ökosystem, das insbesondere durch den Tourismus gefährdet ist. Ein Inselreich, das durch die globale Klimaerwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels bereits in den frühen 90er Jahren sichtbar in seiner Existenz bedroht und wohl unwiderruflich dem Untergang geweiht ist. Die Abfallberge, die die Touristen auf den Inseln und auf der nahe Male gelegenen Müllinsel zurücklassen, sind Zeugnisse der wachsenden Umweltverschmutzung und der Zerstörung fragiler Ökosysteme. Seit der Tourismus den Fischfang als Haupteinnahmequelle abgelöst hat, hat sich mit dem Touristenboom auch eine Müllflut über die Touristeninseln und die Korallengärten ergossen. Ausser Fisch, Kokosnüssen und Bananen müssen alle anderen Konsumgüter importiert werden. Der Spritverbrauch für den Transport der Güter zu den Touristeninseln verschlang damals schon viel Treibstoff und schlug sich an zweiter Stelle in der Importstatistik nieder.

Auf Ihuru. sah ich damals schon, wie die einheimischen Fischer Schiffsladungen von Sandsäcken heranführten und am Strand Wälle gegen die Erosion aufschichteten. Dies führte mir vor fast 30 Jahren vor Augen, dass es einen Klimawandel gibt, der noch als «El-Nino-Effekt» heruntergespielt wurde. Doch mit zunehmender Erkenntnis über die zunehmenden Erkenntnis über die weltweite Gletscherschmelze und dass damit der Meeresspiegel ansteigen und die klimaentscheidende Atlantikwalze abrupt abreissen werde, publizierte ich mehrere Berichte und Kommentare in Schweizer Tageszeitungen. Damals schon zeichnete sich die globale Erwärmung ab, die dann vier Jahre später im ersten «IPPC»-Bericht ausführlich und wissens-chaftlich fundiert dargelegt wurde. Der «El nino Effekt» zerstörte 1993 die submarine Korallenwelt der Malediven dramatisch. Sie bleichte aus und starb weitgehend ab. Zum Glück erlebte ich die unglaubliche Farbenpracht der schillernden Weichkorallengärten noch bei meinen ersten Tauchgängen auf Ihuru und Rihiveli sowie auf den Schwesterinseln «Dighofinolu »und «Veliganda Hura». Vier Jahre später reiste ich ins Ari Atoll zur Insel Makafushi und nahm an einer Frachterversenkung teil, mit der wieder ein künstliches Korallenriff geschaffen werden sollte. Doch das alles sind Tropfen auf einen heissen Stein und so werden die Malediven in weniger als 50 Jahren wieder in den Fluten untergehen und als versunkenes Inselatoll in Erinnerung bleiben.

1992 an der Konferenz in Rio für nachhaltige Entwicklung war der Tourismus noch kein Thema. Doch das änderte sich danach rasch durch das globale Flugverkehrswachstum. 1994 publizierte das «World Travel and Tourism Council» (WTTC) und die «World Tourism Organization» (WTO) gemeinsam mit dem «Earth Council» die «Agenda 21» für die Reise und Tourismusindustrie» und wandten sich mit einem Appell an die Vereinten Nationen, die «Agenda 21» besser zu verankern.  Doch erst im April 1999 legte die Kommission ein erstes Vier-Jahresprogramm über «Tourismus und Nachhaltige Entwicklung» vor. In der Zwischenzeit entstand eine Flut von Öko-Gütelsiegel und Öko-Zertifizierungen und auch die CO2-Kompensationsmodelle wie  «My Climate» beim Fliegen, die alle eine Art ökologische Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen, was reel betrachte natürlich keineswegs der Fall ist.

1992 an der Konferenz in Rio für nachhaltige Entwicklung war der Tourismus noch kein Thema. Das änderte sich zwar danach rasch einmal durch das globale Wachstum. 1994 publizierte das «World Travel and Tourism Council» (WTTC) und die «World Tourism Organization» (WTO) gemeinsam mit dem «Earth Council» die «Agenda 21 für die Reise und Tourismusindustrie» und wandten sich mit einem Appell an die Vereinten Nationen, die Agenda 21 besser zu verankern.

Doch erst im April 1999 legte die Kommission ein erstes Vier-Jahresprogramm über «Tourismus und Nachhaltige Entwicklung» vor. In der Zwischenzeit entstand eine Flut von Öko-Gütelsiegel und Öko Zertifizierungen und auch die CO2-Kompensationsmodelle wie  «My Climate» beim Fliegen, die alle eine Art ökologische Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen, was natürlich keineswegs der Fall ist. Das beste beziehungsweise übelste Beispiel ist die Schweiz. Sie weist eine gute Klimabilanz auf, aber nur, weil wir all unsere dreckigen Prozesse ins Ausland verlagert und den CO2-Ausstoss kompensieren. In Tat und Wahrheit ist unser Fussabdruck der viertgrösste weltweit. So kann das Wachstum und der Konsum micht mehr weitergehen.

Links zu einigen Publikationen über die Malediven

Ein Requiem aufs Korallenriff (Solothurner Ztg.)

Die Ökozeitbombe tickt und tickt (AT/BT)                     

Ein Requiem aufs Korallenriff (Solothurner Zeitung)   

Vom Anfang bis zum Ende in nur 100 Jahren (St. Galler Tagblatt)

Borneo 96: Mit handicapiertem Orang Utan durch den Urwald pirschend

Der Orang Utan, auf malaiisch der „Waldmensch“, ist seit Mitte der 60er Jahre vom Aussterben bedroht. Trotz internationaler Artenschutzabkommen, damals noch äusserst restriktiven Handelsabkommen und den beiden Rehabilitationsstationen auf  Semengho in Sarawak und Sepilok in Sabah auf der malaiischen Insel Borneo sind die nahen Verwandten des Homo Sapiens akut gefährtet. Die Gier nach Tropenholz und Palmöl zerstören ihren Lebensraum, den Primärwald. Durch die Vernichtung ihrer Refugien sind sie heute in kleinen Gruppen isoliert. Bekannt sind die Menschenaffen durch den Schweizer Umwelt- und Menschenrecht-Aktivisten Bruno Manser geworden, der sich vehement für die Ureinwohner des Regenwaldes, die einstigen Kopfjäger, eingesetzt hat und dann spurlos verschwand und möglicherweise von der „Holzmafia“ ermordet wurde, denen er ein Dorn im Auge war.

1996 ging die Reise nach Malaysia zur Feier der 50 jährigen Unabhängigkeit von der britischen Krone und nach der Staatsfeier mit allen asiatischen Staatschefs flog ich nach Borneo und landete in Sarawak. Ziel war es, die Situation der Waldrodung für die Palmölgewinnung und die Lage der Orang Utan, deren Lebensraum zerstört wurde, zu erkunden. Beim Lake Batang Ai» startete ich die Expedition in den Regenwald und mietete einen Führer mit Einbaumboot der mich zu den hier lebenden Iban Headhunters, also zu den Kopfjägern führen sollte. Nach zwei Tagesreisen vom Lake Batang Ai aus mit einem Kanu Flussaufwärts durch das Meer der schwimmenden Tropenstämme, landete ich dann in so einem Langhaus-Dorf. Diese Langhäuser sind auf Stelzen gebaut, bis zu 100 Meter lang und haben einen durchgehenden breiten Gang der zur Längsveranda führt. Im Langhaus ist dann eine Wohnung neben der anderen angereiht. Damit jeder weiss, was der andere der Sippe macht.

Leider war es sehr umständlich, mit den Headhuntern Gespräche über ihre Traditionen und Lebensweise zu führen, da niemand Englisch verstand. Also ging alles nur über Beobachten und eine «Low-level»-Kommunikation. Zudem erkrankte ich an Malaria, die mich komplett flach legte. Zwar hatte ich einige «Lariam»-Tabletten geschluckt, aber es ging mir immer noch sehr schlecht. Von Fieberkrämpfen geschüttelt und schachmatt. Nach drei Tagen im «Longhaus» der Kopfjäger herumliegend, fuhr ich mit dem Einbaum retour zu einem Dschungelcamp, das über eine Funkstation verfügte. Dort versuchte ich mit der Schweiz eine über die Funkverbindung und dem ans Funkgerät gehalten Telefonhörer, mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen. Als zu Hause in der Schweiz das Tonbandgerät statt einer Verbindung zustande kam, weil es dort mitten in der Nacht war, sagte ich nur kurz, dass ich mich verabschieden wolle, weil ich die Nacht wohl nicht mehr überleben würde. Danach legte ich mich von weiteren Fieberschüben durchgeschüttelt draussen unter den nächtlichen Sternenhimmel hin. Ich wollte wenigstens im Freien sterben und nicht in der winzigen und stickigen Bretterbude, in der man mich einquartiert hatte.

Was nun geschah war einzigartig und fuhr mir fundamental ein. Ob es nur Halunzinationen waren oder ob ich tatsächlich von der Himmelfahrt zurückgeholt wurde, ist bis heute nicht klar. Jedenfalls sah ich rein optisch schon die Sterne mit kometenhaft rasender Geschwindigkeit auf mich zukommen und fühlte mich schwerelos in den Orbit hoch gezogen. Ich fühlte mich wie das Raumschiff «Enterprise», das mit Lichtgeschwindigkeit durch den Orbit düste. Da die Sterne ja nicht auf mich zukommen können, wurde mir klar, dass ich entweder abgehoben bin und nun mit Lichtgeschwindigkeit dem funkelnden Firmament entgegen raste oder mein Astralkörper seine Mätzchen mit meinem fiebernden Hirn treibt und die Reise zu den Sternen nur eine geistige Vision, ulta spannend und wahrlich erleuchtend war. Da erscholl ein Schrei und ein Kreischen in meinen Ohren und ich hörte meine Tochter und ihre Mutter in entsetzten Tönen heulen, verstand aber kein Wort. „Was zum Teufel wollen die denn hier oben“, dachte ich einen Moment lang und dann beschäftigte mich die Stimme meiner kleinen Tochter so sehr, dass mein Lichtgeschwindigkeit-Flug zu den Sternen jäh an Fahrt verlor und ich eine Schlaufe zurück zur Erde vollzog und mir sagte, dass die Zeit, abzutreten, noch nicht gekommen ist, da es ja zwei Menschen gibt, die mich brauchen. Also schluckte ich noch drei «Lariam»-Tabletten und hatte nun die Dosis für einen Elefanten erreicht, wie mir ein Tropenmediziner einige Tage später sagte. Doch ging es danach langsam wieder bergauf.

Mit Hilfe der Dschungelcamp-Bewohner kam ich wieder auf die Füsse und reiste weiter nach Kota Kinabalu zur Orang Utan Rehabilitationsstation in Sepilok und kam gerade zur rechten Zeit, weil um 11.00 Uhr die Fütterung der Orang Utan von einer Plattform ungefähr zwei Kilometer weiter im Waldesinnern stattfand. Zwei Touristengruppen waren schon vor mir auf dem Holzsteg losmarschiert, der gut zwei Meter über Boden in den Regenwald zur grossen Besucherplattform und den dahinter befindlichen zwei Fütterungsplätze in den Bäumen rein führte. Als ich mit meinem Teleobjektiv langsam auf die Szenerie zukomme und die jungen Orang Utans auf den Fütterungsplätzen, als auch den ausgewachsenen Orang Utan an dem Drahtseil hängend erkenne, das zwischen den beiden Fütterungsplätzen gespannt war, hörte ich auch die Rufe einzelner Besucher, die den grossen Orang Utan dazu bewegen wollten, sich umzudrehen, da er uns allen nur seinen Hintern entgegen reckte. Die vereinzelten Rufe waren vergeblich. Als Fotograf war ich ebenfalls interessiert, dass der fette Kerl uns sein Antlitz zeigt. So stiess ich ein paar laute Grunzlaute aus, wie ich sie schon gehört hatte und traf offenbar den richtigen Ton. Und siehe da, im Nu drehte sich der Orang Utan um und sah neugierig zu uns rüber. Perfekt: „Ready fürs Foto-Shooting!“

Danach blieb ich noch eine Weile, sah zu wie die Babies ihre Nahrung bekamen und verschlangen und dann wieder abrupt in den Bäumen verschwanden. Doch vor Ort wollte ich nach der Fütterung vor den anderen wieder zurück in der Reha-Station sein und machte mich etwas früher auf den Rückweg auf dem Steg. Als ich an einem jungen handicapierter Orang Utan, mit einem abgehackten, aber schon verheilten Arm vorbeischleichen wollte, der rücklings auf dem Steg lag und den Durchgang blockierte, packte er mich am Unterschenkel. Was sollte ich tun? Als ich seine Hand, die mein Bein umklammerte, sachte lösen wollte, nahm er mich einfach bei der Hand also am Handgelenk, worauf wir beide, der junge Orang Utan und der immer noch fiebernde und verschwitze Fotograf Hand in Hand bis zur Station liefen. Das war ein herrliches Gefühl. Der Orang Utan hätte mih gleich mit hinauf in die Baumkronen zu seinen Kumpanen mitnehmen können. Das ging zwar nicht, dafür hatte ich aber einen verdammt guten Approach in der Reha-Station, als wir immer noch Hand in Hand wie gute Freunde dort eintrafen, um mit dem Stations-Leiter zu sprechen. Also ich wenigstens, ob der Orang Utan auch mit ihm sprach, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Reportage über die «bedrohten» Menschenaffen kam in den Schweizer Medien gut an und nebst den sieben Tageszeitungen, die den Bericht abdruckten, publizierte auch der «Brückenbauer» damals die Story mit einem Spendenaufruf, worauf einige zehntausend Franken zusammen und der Orang Utan Reha Station in Sepilok zu Gute kamen.

Wie sieht die Situation heute aus? Der Lebensraum der Menschenaffen hat sich weiter drastisch reduziert und so ist auch ihr Bestand nicht gewachsen sondern wurde weiter dezimiert. Zwar haben Genomiker an Universität in Zürich kürzlich eine neue Art auf Sumatra entdeckt, den Tapanuli-Orang Utan, deren Refugium in den zerklüfteten Bergen der Region Batang Toru in Indonesien liegt. Ein erschossener Orang Utan in Raja wurde näher untersucht und von den Wissenschaftlern als neue Art eingestuft. Sie wird zugleich aber auch die Art sein, die am schnellsten wieder verschwunden sein wird. Die geschätzten 800 Primaten sind wie auf Borneo auch von Palmölplantagen, Waldrodungen, Zersiedlung und von einem Staudamm-Projekt betroffen. Und nicht nur sie sterben lautlos aus.  Eine Million Arten sind in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Das ist das vernichtende Fazit des «Weltbiodiversitätsrates» (IPBES) von 2019. Reptilien und Vögel haben es schwer, aber auch immer mehr Säugetiere sterben aus. 540 Landwirbelarten wurden im 20 Jahrhundert ausgerottet. Die meisten im asiatischen Raum. Die Schweiz beabsichtigt gerade mit Indonesien ein Wirtschaftsabkommen zu schliessen und setzt dabei im Abkommen auf «RSPO»-Standards, die in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Umweltorganisationen und Hilfswerken entstanden war. Gemäss dem Verordnungsentwurf würden Zertifizierungen nach vier Standards geprüft. Neben dem «Round table on sustainabel Palm Oil» (RSPO) der «Standard ISCC Plus» (International Sustainability and Carbon Certification) und die sogenannte «POIG» (Palm Oil Innovation Group). Doch damit werden weder die Abholzung noch Staudamm-Projekte gestoppt und auch der Lebensraum der Orang Utan und vieler anderer Spezies ist dem Untergang geweiht. Ein Abkommen mit Nachhaltigkeitszielen ist zwar ein Fortschritt, ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass der Raubbau weiter geht und es zu wenig Schutzgebiete gibt.

Der Bedarf an Palmöl ist extrem gestiegen. Entsprechend wuchs die Anbaufläche, die nur durch Rodung des Primärwaldes zustande kam. Seit 2008 ist die Fläche dafür jährlich um 0,7 Millionen Hektaren angestiegen, eine Fläche viermal so gross wie der Kanton Zürich. Und der Bedarf wird sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Auf der Insel Borneo gehen 50 Prozent der Rodungen auf den Palmölanbau zurück. Im viel grösseren Indonesien sind es auch schon 20 Prozent. Es gibt zwar auch positive Anzeichen der RSPO-Zertifizierung, doch das Gros der Betriebe handeln nach dem Prinzip der Okonomie der Grösse (70 Prozent) und nur ein Drittel werden über Kleinbauern und Kooperativen angebaut. Damit bleibt das weitere Zerstörungspotential eminent hoch.

Philippines 95: Unglaubliche Geistheiler-Fähigkeiten

Bei einer zweiten Reise in die Philippinen leistete ich mir erst eine Schiffsreise zur Erkundung der Insel Palawan, Busuanga Island und den Coron Inseln zu machen und hernach philippinische Geistheiler in Luzon aufzusuchen. Denn vor einem halben Jahr kam ein knapp 25 jähriger Heiler in die Schweiz und nach Deutschland, der offensichtlich schon Kultstatus hatte. Jedenfalls warteten damals in Zürich gewiss drei Dutzend Personen auf eine kurze Session mit dem Geistheiler. Der Reihe nach fanden sich die Personen in einem abgedunkelten Raum ein und sagten dem in Trance befindlichen Geistheiler kurz ihr Anliegen, worauf er sie untersuchte und abtastete und so merkwürdige Dinge vor meinen Augen tat, wie das Körperöffnen mit der Fingerspitze an gewissen Stellen, worauf die Fleischwunde aufklaffte und er mit den Fingern darin eintauchte.

Den philippischen Geistheilern wird nachgesagt, dass sie die Fähigkeit haben, ihre Finger beim Eintauchen zu entmaterialisieren und so mit dem Körpergewebe zu verschmelzen. Ob man daran und an ihre Fähigkeit Krebstumore zu entfernen glauben mag ist die eine Sache, was ich gesehen habe eine andere. Doch seine Finger, die er tief in das Fleisch reinschob, wurden sogleich unsichtbar sich unter der Hautoberfläche und verschmolzen mit dem Gewebe. Es waren keine Fingerspitzen oder kuppen mehr zu sehen, nur der Fingeransatz über der Hautoberfläche blieb ersichtlich. Ich konnte mir das von oben und seitlich von ganz nah anschauen, so unglaublich es war. Als er die Finger herauszog, verschloss sie die klaffende Wunde sofort und zurück blieb eine leicht gerötete Stelle an der Hautoberfläche. „Der absolute Wahnsinn!“ So etwas habe ich noch nie und nur zwei Mal bei zwei Geistheiler, dem in der Schweiz und eben dem hier in Luzon gesehen. Seither nehme ich die Welt mit anderen Augen und Sensoren wahr.

Dieses spirituelle Handwerk faszinierte mich derart, dass ich mich zuvor in Zürich ohne zu zögern in eine Session begab. Mein Anliegen war der starke chronische Husten infolge exesievem Rauchens. Also drang er erst mit der Hand in meinen Kehlkopf ein, dann als er in meine Brust eindrang, spürte ich einen leichten Spreizdruck auf den Rippen, aber nicht schmerzhaft und zum Schluss spürte ich seine Hände auch noch in meine Bauchhöhle eintauchen. Bei vollem Bewusstsein sah ich zu, wie seine Finger in der klaffenden Wunde verschwanden. Einfach unglaublich die Fähigkeiten dieses jungen spirituellen Geistheiler, der seine Magie direkt von der „Jungfrau Maria“ gespendet erhält, wie er sagte. Aber das verrückteste ist, dass sich der Husten augenblicklich in Luft auflöste, die Lungenfunktion beträchtlich besser war und dieser Zustand gewiss drei, vier Monate anhielt!

Auch bei Roberta, der Mutter meiner Tochter, die einen Krebsabstrich mit einem PAP3 Befund in der Schwangerschaft hatte und deshalb den Heiler aufsuchte, regenerierte sich und die Krebszellen nach dieser Session. Kein Mensch würde mir die Story glauben, wenn ich nicht einige Beweisfotos dieser OP-Schnitte und manuellen, spirituellen Eingriffe gemacht hätte. Das war so faszinierend, dass ich mehr über die Heiler-Methoden der philippinischen Geistheiler auf der Insel Luzon in Erfahrung bringen wollte und dort hin fuhr. Nach längerem Herumfragen fand ich dort dann einen weiteren Geistheiler, der auch westliche Touristen behandelte. Es hatte sich ähnlich, wie bei Ayurveda in Indien, in europäischen Kreisen bei Krebskranken herumgesprochen, dass vielleicht Hoffnung bestand, so geheilt zu werden, wenn die westliche Medizin an den Anschlag kam.

Beim Heiler in Luzon nahm ich an einer Elektro-Kabel-Session teil, bei der die Teilnehmer sich im Kreis die Hände gaben und dann an einen niedrigen Voltanschluss unter Strom gesetzt wurden. Auch der hiesige Geistheiler öffnete die Körper mit seinen Händen und wurstelte darin herum. Manchmal zog er kleine Gewebeteile heraus uns schmiss sie in einen Plastikeimer neben dem Untersuchungsbett. „Das sind Metastasen gewesen“, erklärte er und zu gern hätte ich Gewebeproben mitgenommen und untersuchen lassen.

Bei diesem Geistheiler war ich nicht ganz so überzeugt, ob es sich hier nicht um ein „Hokuspokus“ handelte, denn es gab auch Mitläufer unter ihnen, die versuchten mit dem Ruf der Geistheiler Geld mit westlichen Touristen zu verdienen. Der junge Philippino, der in der Schweiz war, geniesst aber meinen höchsten Respekt und mein uneingeschränktes Vertrauen. Schliesslich liess sich die Wirkung der aussergewöhnlichen Behandlung bei einigen Personen verifizieren. Die Session in Luzon hat bei mir scheinbar nichts bewirkt aber auch nicht geschadet.

Am Schluss dieser Philippinen Reise erlebte ich noch eine ungemütliche Überraschung. Ich wurde am Flughafen bei der Ausreise verhaftet. Angeblich weil ich den Namen einer Person habe, die in den Philippinen ausgeschrieben war und gesucht wurde. In der Tat haben die Grenzbeamten bei meiner ersten Einreise mich ausführlich zu meinen Namen und meiner Herkunft befragt und wollten wissen, ob ich schon mal in den Philippinen gewesen war? Als ich verneinte liessen sie mich einreisen.  Aber jetzt schien das alte Problem wieder auf dem Radar der Migrationsbehörden aufgetaucht und verhinderte meine Ausreise.

Unschuldig inhaftiert und später zur persona non grata erklärt

Also musste ich den Tourismusminister bemühen, auf dessen Einladung ich in den Philippinen war, um nach zwei Tagen von Fieber und Schüttelfrost geplagten Inhaftierung wieder frei kam und ausreisen durfte. Wäre er nicht gewesen, hätte ich nach Manila reisen und mich im Justizministerium präsentieren müssen. Das blieb mir glücklicherweise erspart und damit so etwas anderen Touristen in der Schweiz auch erspart würde, falls dies weiteren Reisenden passiert, publizierte ich die Telefonnummer des Justizministers in der Zeitung mit dem Verweis, in so einem Fall solle man sich doch direkt an den Chef der Justizbehörde wenden.

Dieser Hinweis in den Medien wurde von der philippischen Botschaft nicht goutiert. Mehr noch: Ein paar Jahre später bei einer weiteren Presseeinladung in die Philippinen wurde ich dann plötzlich wieder ausgeladen und auch meine Bemühungen bei der philippinischen Botschaft in Bern blieben erfolglos, obschon ich ihnen alle Passauszüge mit meinen Auslandreisen zugesandt habe. Als der philippinische Militärattache sich mit einem abschlägigen Bescheid bei mir meldete und mich zur Persona non grata stempelte, wusste ich, dass gewiss auch US-Behörden dahinter steckten. Die hatten nun gewiss auch detailliert Kenntnis von meinen zahlreichen Kuba- und Ostblockreisen. Damit war ich definitiv als Sozialisten-Freund auf dem «NSA und «CIA-Radar» angelangt.

Links zu einigen Philippinen-Reportagen (folgen)

Paradiese kurz vor dem Auftakt zum Massentourismus (AT/BT)

Paradiese kurz vor dem Massentourismus (Der Bund)          

Inselparadies für Abenteurer  (Neue Luzerner Ztg.)                       

 Inselwelt vom Feinsten (Südostschweiz)

: Inselparadies für Abenteurer (Südostschweiz)         

Zur Publikationsübersicht nach Ländern

IN EIGENER SACHE: IHR BEITRAG AN HUMANITAERE UND OEKO-PROJEKTE

Geschätzte Leserin, werter Leser

Der Autor unterstützt noch immer zahlreiche Projekte. Infolge der COVID-19 Pandemie ist es aber für den Autor selbst für und zahlreiche Projekte schwieriger geworden. Die Situation hat sich verschärft. Für Ihre Spende, die einem der im Buch genannten Projekte zufliesst, bedanke ich mich. Falls Sie einen Beitrag spenden wollen, melden Sie sich bitte per Mail bei mir gmc1(at) gmx.ch. Vielen Dank im Namen der Empfänger/innen.

Türkei Klima der Angst – Zivilgesellschaft zum Schweigen gebracht

In der Türkei erschwert die Regierung durch anhaltende und immer schärfere Repressalien die Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern und versetzt weite Teile der Zivilgesellschaft in einen Zustand ständiger Furcht. Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.

Der Bericht mit dem Titel «Weathering the storm: Defending human rights in Turkey’s climate of fear» zeigt auf, dass es in der Türkei nur sehr wenige Bereiche der ehemals dynamischen Zivilgesellschaft gibt, die von dem anhaltenden Ausnahmezustand nicht betroffen sind. Landesweit wurden massenhaft Menschen entlassen und festgenommen, das Rechtssystem ausgehöhlt und MenschenrechtsverteidigerInnen sowie Medienschaffende mittels Drohungen, Schikane und Inhaftierung zum Schweigen gebracht.

«Das Einsperren von JournalistInnen und AktivistInnen in der Türkei hat Schlagzeilen gemacht. Die Auswirkungen der Repression auf die breitere Gesellschaft sind hingegen schwerer zu quantifizieren, aber leider nicht weniger real», so Gauri van Gulik, Expertin für Europa bei Amnesty International.
«Unter dem Deckmantel des Ausnahmezustands haben sich die türkischen Behörden bewusst und planmässig daran gemacht, die Zivilgesellschaft zu demontieren, Menschenrechtler zu inhaftieren und  Organisationen zu schliessen. Ein erdrückendes Klima der Angst ist die Folge.»

Gegen 100’000 Personen wird ermittelt

Der Ausnahmezustand war ursprünglich im Juli 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch als vorübergehende Massnahme ausgerufen worden. Vergangene Woche wurde er jedoch zum siebten Mal verlängert. Zugleich wurden die Rechte auf freie Meinungsäusserung, Freiheit, Sicherheit und faire Gerichtsverfahren erheblich beschnitten. In Städten im ganzen Land wurden öffentliche Versammlungen pauschal verboten.
Gleichzeitig wurden gegen mehr als 100’000 Personen strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet, und mindestens 50’000 Menschen befinden sich in Untersuchungshaft. Mehr als 107’000 Angestellte des öffentlichen Dienstes wurden entlassen.

Viele der prominentesten JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen des Landes, darunter auch Taner Kılıç, der Ehrenvorsitzende von Amnesty International Türkei, sind auf der Grundlage haltloser Terroranschuldigungen inhaftiert worden. Doch diese Festnahmen sind lediglich die Spitze des Eisbergs.
Antiterrorgesetze und konstruierte Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Putschversuch werden zur Grundlage genommen, um Personen zum Schweigen zu bringen, die friedliche und legitime Kritik üben. Bekannte JournalistInnen, AkademikerInnen, Menschenrechtler und andere zivilgesellschaftliche Akteure werden willkürlich inhaftiert und vor Gericht gestellt. Wenn sie in unfairen Gerichtsverfahren für schuldig befunden werden, drohen ihnen lange Haftstrafen.

Im Februar wurden die Journalistin Nazlı Ilıcak und ihre Berufskollegen Ahmet Altan und Mehmet Altan wegen ihrer journalistischen Arbeit zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt, weil sie versucht haben sollen, «die verfassungsmässige Ordnung zu stürzen». Dem Menschenrechtsanwalt und Kolumnisten Orhan Kemal Cengiz könnte dasselbe Strafmass drohen, weil er in den sozialen Medien, in Vorträgen und in seinen Artikeln kritische Anmerkungen gemacht hat. Eine Entscheidung in seinem Fall wird für den 11. Mai erwartet.  
 
Die Menschenrechtlerin Şebnem Korur Fincancı sagte Amnesty International: «Ich habe zuhause eine kleine gepackte Tasche stehen» für den Fall einer Festnahme. Osman İşçi, Generalsekretär der türkischen Menschenrechts-NGO İHD, sagte Amnesty International: «Das Ziel ist es, dieses Klima der Angst aufrechtzuerhalten. Es ist willkürlich. Es ist unvorhersehbar. Es gibt keine wirksame Handhabe dagegen.»

Einschüchterung und Schikane

Das scharfe Vorgehen der Regierung gegen jede Art von Dissens hat im ganzen Land verheerende Folgen für die Meinungsfreiheit. Der Rechtsanwältin und Menschenrechtsverteidigerin Eren Keskin drohen 40 verschiedene Strafverfahren, ein Reiseverbot und Gefängnisstrafen, gegen die sie Rechtsmittel eingelegt hat. Sie sagte Amnesty International: «Ich versuche, meine Ansichten frei zu äussern, aber ich denke ganz klar zweimal nach, bevor ich etwas sage oder schreibe.»

Mit Beginn der türkischen Militäroffensive im nordsyrischen Afrin am 20. Januar 2018 wurden Hunderte Menschen ins Visier genommen, die sich gegen den Militäreinsatz stellten. Laut Angaben des Innenministeriums waren am 26. Februar bereits 845 Personen wegen Posts in sozialen Medien festgenommen worden; gegen 643 Menschen liefen Gerichtsverfahren, und bei 1719 Social-Media-Konten wurden in Verbindung mit Afrin Ermittlungen durchgeführt.

Der Menschenrechtler Ali Erol wurde fünf Tage lang in Polizeigewahrsam gehalten, nachdem er auf Twitter ein Bild mit einem Olivenbaum zusammen mit Hashtags gegen den Krieg gepostet hatte. Ihm droht ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren auf der Grundlage von «Propaganda für eine terroristische Vereinigung» und «Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass oder Feindseligkeit».

Im März wurden mehr als 20 Studierende von der Polizei festgenommen, weil sie auf dem Campus an einer Protestveranstaltung gegen den Krieg teilgenommen hatten. Zehn von ihnen wurden später in Untersuchungshaft genommen.

Im Rahmen des Ausnahmezustands sind bisher mehr als 1300 NGOs dauerhaft geschlossen worden, weil sie nicht näher benannte Verbindungen zu «terroristischen» Organisationen unterhalten haben sollen. Hierzu zählen auch Organisationen, die einst wichtige Dienstleistungen für bestimmte Gruppen bereitgestellt haben, beispielsweise für Überlebende sexualisierter und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt, für Vertriebene oder für Kinder.

Quelle: Amnesty International

Staatliche Angriffe auf NGO’s und Medien

Dass Regierungen und Streitkräfte einander ausspionieren, ist seit jeher bekannt. Doch seit mindestens fünf Jahren ist zu beobachten, dass auch NGO, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten von Staaten ausspioniert werden.

Als Google 2010 bekanntgab, einen Hacking-Angriff der chinesischen Regierung entdeckt zu haben, wurde erstmals bekannt, dass Staaten es auch auf «Zivilpersonen» abgesehen haben. Adobe Systems und Juniper Networks bestätigten daraufhin, dass auch sie Opfer derselben Offensive geworden waren, und weitere Untersuchungen zeigten, dass Yahoo und Symantec ebenfalls angegriffen wurden. Gleichzeitig nutzte die chinesische Regierung ähnliche Taktiken, um gegen tibetische NGO vorzugehen. Ihre Angriffe auf tibetische Ziele werden bis heute fortgesetzt.

Seitdem ist es für Regierungen aus aller Welt eine gängige Praxis geworden, Hacking-Angriffe auf AktivistInnen durchzuführen, um Zugang zu ihren Kommunikationsdaten, Netzwerken und Online-Aktivitäten zu erhalten. Als sich 2011 eine Welle revolutionärer Aufstände in der arabischen Welt ausbreitete, brachte sie eine gegen Aktivistengruppen gerichtete Überwachungskampagne mit sich.

Anwälte, Journalistinnen, Aktivisten im Visier der Behörden

Die marokkanische Regierung nutzte eine kommerzielle Spähsoftware des italienischen Spionagesoftware-Herstellers Hacking Team, um Mamfakinch, eine marokkanische Organisation von JournalistInnen, zu hacken. Bahrain Watch, eine NGO, die Waffenverkäufe an die bahrainische Regierung überwacht, wurde – neben weiteren bekannten bahrainischen Aktivistinnen sowie Anwälten – mithilfe von FinFisher, einem anderen kommerziellen Spionagesoftware-Paket, angegriffen. FinFisher wird in Deutschland hergestellt und von der britischen Firma Gamma Group vertrieben.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten öffnete Ahmed Mansoor, ein Mitglied des Beratenden Ausschusses der Nahost-Abteilung von Human Rights Watch, ein schädliches Dokument, das Spionagesoftware der Firma Hacking Team auf seinem Computer installierte. Dadurch konnten die lokalen Behörden seine Bewegungen verfolgen und seine E-Mails lesen. Eine die syrische Regierung unterstützende Hacker-Gruppe, die sich Syrische Elektronische Armee nennt, führte ebenfalls mehrere Hacking-Angriffe durch, wovon eine Reihe von NGO sowie Human Rights Watch betroffen waren.

Mittelbare Hacking-Angriffe

Allerdings treten diese Aktivitäten auch ausserhalb der arabischen Welt auf. Die Nachrichtendienste des Vereinigten Königreichs fingen private Kommunikationsdaten von Amnesty International ab. Ende 2012 wurde das US-amerikanische Center for Democracy and Technology von Gruppen angegriffen, die von der chinesischen Regierung unterstützt wurden. Im Dezember 2013 wurden Angestellte der Electronic Frontier Foundation (EFF) in den USA, die mit vietnamesischen AktivistInnen zusammengearbeitet hatten, Opfer von Hacking-Angriffen durch Gruppen, die mit der vietnamesischen Regierung in Verbindung standen.

Das Vorgehen gegen die Organisation EFF war Teil einer gezielten Operation, die Jahre andauerte. Zu ihr zählten auch Angriffe auf einen Journalisten der Associated Press, einen vietnamesischen Akademiker mit Sitz in Frankreich und den Gründer von «Ba Sam», einem der beliebtesten regimekritischen Blogs Vietnams. Im August 2015 wurde ein weiterer EFF-Aktivist Opfer einer aufwändigen Phishing-Attacke durch Personen, die mit der iranischen Regierung in Verbindung stehen.

Die Spitze des Eisbergs

Diese nachweisbaren Angriffe sind aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Spitze des Eisbergs. Die Untersuchung solcher Vorfälle mit dem Ziel, fundierte Aussagen über die Hacker machen zu können, erfordert Zeit und Fachkenntnisse, und selbst dann ist es möglich, dass sie keine schlüssigen Ergebnisse liefert. So schien eine Online-Attacke auf die NGO Committee for the Protection of Journalists aus dem Jahr 2012 politisch motiviert zu sein, konnte aber keiner Regierung eindeutig zugeordnet werden.

Es gibt noch weitere Gründe, aus denen Angriffe gegen NGO nicht ausreichend belegt werden. Viele der Organisationen verfügen einfach nicht über die Infrastruktur, die zum Erkennen eines Angriffs notwendig wäre. Selbst wenn ihnen etwas auffällt, wie beispielsweise eine Phishing-E-Mail, verfügen sie häufig nicht über das nötige interne Know-How oder wissen nicht, wo sie zusätzliche Unterstützung bekommen können. In anderen Fällen zögern sie, Hilfe einzuholen, da sie dann eingestehen müssten, einem solchen Angriff zum Opfer gefallen zu sein. Darüber hinaus entscheiden sich viele Nichtregierungsorganisationen gegen eine Bekanntmachung ihrer Sicherheitsprobleme, weil sie befürchten, damit das Vertrauen, das UnterstützerInnen in sie setzen, zu erschüttern.

Stillschweigen spielt den Angreifern in die Hände

Was können Menschenrechtsorganisationen also tun? Zunächst einmal müssen sie verstehen, dass die Verschlüsselung ihrer Kommunikation allein nicht ausreichend Schutz bietet. Der nächste Schritt ist der Entwurf eines Aktionsplans für den Umgang mit gezielten Angriffen. Dieser sollte den Aufbau eines Netzwerks von ExpertInnen, die im Notfall kontaktiert werden können, sowie die Finanzierung von Fachpersonal für Infrastruktur und Sicherheit beinhalten.

Schliesslich sollten Organisationen es in Betracht ziehen, staatliche Hacking-Angriffe öffentlich zu machen. Stillschweigen spielt bloß den Angreifern in die Hände. Der Öffentlichkeit zugängliche Informationen über staatliche Angriffe helfen anderen NGO, die ähnlichen Bedrohungen ausgesetzt sind. Weitere potentielle Opfer erhalten so die Informationen, die sie benötigen, um für einen besseren Schutz zu sorgen. Zudem ermöglicht dies einen Dialog darüber, welchen Bedrohungen AktivistInnen in aller Welt ausgesetzt sind und wie sie besser geschützt werden können.

Quelle: Amnesty International

Autor/innen:  Morgan Marquis-Boire und Eva Galperin

„Wir müssen mit allem und noch mehr rechnen“,warnen Terrorexperten

Paris  – Frankreich in höchster Alarmstimmung: Die Polizei hat eine Grossfahndung mit über 80’000 Beamten nach den flüchtigen Attentätern in Gang gesetzt, die offensichtlich eine Geisel genommen haben. Ein weiterer Mord in Paris und der Fund von Molotow-Cocktails schüren die Furcht vor weiterem Terror. Auch in der Schweiz. Das Weltwirtschaftsforum könnte ebenfalls eine Zielscheibe sein, auch wenn der Bund zur Zeit noch keine erhöhte Risikolage sieht.

Nach dem blutigen Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ am Mittwoch bleibt Frankreich in Alarmstimmung: Die Jagd nach den beiden islamistischen Terrorverdächtigen im Norden des Landes und ein weiterer Polizistenmord halten die Franzosen in Atem.

Der brutale Anschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ erschüttert ganz Europa. Sicherheitsexperte Joachim Krause erklärt, warum dieser Terrorakt so speziell ist und wieso auch hier zu Lande das Anschlagsrisiko gestiegen ist.

Noch ist nicht klar, wer das wirklich war. Die Täter haben sich maskiert, das ist ungewöhnlich für Dschihadisten, doch ihr Vorgehen lässt erkennen, dass sie Kampferfahrung haben. Die Attentät haben wie ein Killerteam agiert, nicht wie wildgewordene radikalisierte Jungs aus einem Pariser Vorort. Und wie sieht es bei uns in der Schweiz aus. Ist auch hier das Risiko gestiegen?

Sie steigt permanent.  Junge Leute radikalisieren sich in Europa, gehen nach Syrien oder in den Irak und bekommen dort militärische Ausbildung und Erfahrung. „Wenn sie einmal Menschen umgebracht haben, ist die Hemmschwelle geringer, auch hier Menschen zu töten. Sollte sich herausstellen, dass es in Paris Leute waren, die eine solche Ausbildung erhalten haben, können wir uns warm anziehen“. Warum?

Es ist zu befürchten, dass Radikalisierte und rivalisierende Gruppen versuchen, sich gegenseitig mit spektakulären Terrorangriffen in Europa oder Nordamerika zu übertreffen. Vor allem Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel betreibt massive Vorbereitungen für Anschläge im Westen und auf den zivilen Luftverkehr. Sie versuchen zum Beispiel Sprengstoffe zu entwickeln, die man bei Kontrollen nicht entdecken kann.

(Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Herausgeber des „Jahrbuch Terrorismus“)

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