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Mixteken Indios: Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen

Auszug aus dem Buch des Zürcher Fotojournalisten Gerd Michael Müller

VORWORT

Dieses Buch des Zürcher Foto-Journalisten Gerd Michael Müller nimmt Sie ab den wilden 80er Jahren mit auf eine spannende Zeitreise durch 30 Länder und 40 Jahre Zeitgeschichte mit Fokus auf viele politische Vorgänge in Krisenregionen. Er beleuchtet das Schicksal der indigenen Völker, zeigt die Zerstörung ihres Lebensraumes auf, rückt ökologische Aspekte und menschenrechtliche Schicksale in den Vordergrund, prangert den masslosen Konsum und die gnadenlose Ausbeutung der Ressourcen an, zeigt die Schmetterlingseffekte der Hedge Funds und Auswirkungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse auf und skizziert Ansätze zur Bewältigung des Klimawandels. Pointiert, hintergründig, spannend und erhellend Eine gelungene Mischung aus gehobener Reiseliteratur, globalem Polit-Thriller, gespickt mit abenteuerlichen Geschichten und persönlichen Essays – den Highlights seines abenteuerlich wilden Nomaden-Lebens für die Reportage-Fotografie eben. Der Autor publizierte Hunderte von Reportagen in deutschsprachigen Tageszeitungen und Magazinen

Glanzvoll erstrahlt Mexicos Antlitz, die Wiege archaischer Indio-Hochkulturen. Sowohl die antiken Tempelanlagen als auch die kontrastreichen, prächtigen Kolonialstädte Oaxaca und San Cristobal de las Casas ragen wie Juwelen aus der schillernden Sierra Madre heraus. In der Heimat der Tzotziles, Tzetales, Chamulas und Lacandonen, geben sich die Ureinwohner in etwa so urtümlich wie Walliser oder Bündner Bergler. Und doch sind diese Kulturen, die Geschichte und die Landschaft der unsrigen nicht gleichzusetzen. Ihre Kulturen sind naturverbundener, anarchischer, sippenhafter und spiritueller.

Ich verbrachte einige Tage in Oaxaca, einer prächtigen Kolonialstil-Stadt. Auf dem Weg, meine Wäsche abzuholen, blickte ich zufällig in einen Hinterhof rein, in dem eine Frau mit langen, gekrausten Haaren an einer eigentümlichen Maschine stand und eine Arbeit verrichtete, die mich neugierig machte. Sie bemerkte meine Anwesenheit und rief mich zu sich rein, worauf ich sah, was sie tat. Sie stand vor einer uralten, französischen Lithografie-Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert und bedruckte gerade ein paar Lithos. Unverhofft war ich in das Atelier des berühmten oaxacenischen Malers Tamayo reingelaufen.

Wir kamen miteinander ins Gespräch und das über zwei Stunden lang. Sie erzählte mir, dass sie über Ostern in die Berge zu den Indios und ihren Prozessionen über die Osterfesttage fahren wolle, weil sie einem Lehrer einige Schulbücher bringen wolle. Das hörte sich verlockend an und beflügelte mich, denn ich wollte schon immer zu den Indios, für die ich seit meiner Kindheit durch die Winnetou Filme ein Faible hatte. Er war das Vorbild in meiner Kindheit, die Apachen meine Inspiration.

So schloss ich mich Marcela Vera umgehend an und so fuhren wir am nächsten Morgen mit dem öffentlichen Bus in die Berge nach Zacantepec auf fast 3000 Meter Höhe. Die gut zehn stündige Fahrt war sehr beschwerlich. Die ganze Zeit oben am Griff festhaltend, stand ich zwischen Säcken, Hühnern und am Boden sitzenden Kindern, ständig hin und her schaukelnd, da sich der Bus über eine enge Geröll-Passstrasse mit grossen, tiefen Löchern in die Berge fauchend hochschraubte. Zwei Mal Rast gab es aufgrund der beiden Reifenwechsel. Als einziger Gringo im Bus überragte ich die Indios immerhin um eine Kopfhöhe und so konnte ich nicht nur das Schaukeln der Fahrgäste sehen sondern auch stundenlang ungeniert Ihre Mimik und Gestik einzuprägen.

In düsterster Dunkelheit und bei dichtem Nebel kamen wir in dem Zapoteken-Indio Kaff an, das aus drei Steinhäusern, einem Zocalo (Dorfplatz) und einer Kirche mit Wellblechdach bestand. Es gab ein einziges Guesthouse über dem einzigen kleinen Laden, der ausser ein paar Tonbüchsen, Senf-Gläser, Mayonaise-Tuben ein paar Bündel Pfefferschoten, etwas Kaffee und Mezcal-Schnaps anzubieten hatte. Eine Woche lang, gab es praktisch nichts zu essen. Schon nach drei Tagen waren Marcela, die bildhübsche Malerin und ich in recht mystischer Stimmung und kuschelten uns in dem engen, kargen und kalten Zimmer oft eng aneinander. Unsere Herzen begannen immer wilder zu pochen und bald liebten wir uns hemmungslos.

Noch in völliger Finsternis aber im Morgengrauen erscholl plötzlich eine dunkle düstere Stimme im Indio-Dialekt aus einem knisternden Lautsprecher vom Dorfplatz her, begleitet zu schwerer düsterer Kirchen-Musik. Wir schauten zu unserem Zimmerfenster raus und sahen, wie der gespenstische Nebel aus allen Richtungen herbei strömende, tief verhüllte Indio-Gestalten ausspuckte, die zur Wellblech-Kirche strömten.

Wir verliessen das Zimmer und gingen auch dort hin. Dort hielt ein Padre in weisser Soutane vor einer Statue der Virgen de Guadaloupe, der schwarzen Maria Jungfrau, eine pastorale Rede im hiesigen Indio-Dialekt. Faszinierender waren all die von tiefen Furchen geprägten Indio-Gesichter unter ihren bunten Rebozas, den bunten Schals, die sie als Kopfbedeckung und über die Schultern trugen. Spärliches Kerzenlicht, Kopal-Weihrauchschwaden und ein am Boden ausgebreitetes, duftendes Meer von Fichtennadeln sowie prächtig kostümierte Honoratoren mit silberbeschlagenen Stöcken als Insignien ihrer Würde, verwandelten das Kirchenschiff in eine sehr spirituelle und mystische Welt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, Indios in so einer christlichen Pose zu sehen. Ich hatte eine von Winnetou– Filmen geprägte Vorstellung von den Indianern, obschon ich in den USA zuvor welchen Sioux Indios begegnet bin. Dann ging es los! Die Indio-Frauen schulterten die Virgen de Guadaloupe und die Männer eine Jesus Christi Statue auf ihre Schultern, dann zog der ganze Indio-Tross in die Berge hoch. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und ich entschloss mich dem Frauen Fackel- und Kerzenlichterzug anzuschliessen und so kletterten wir die schmalen, rutschigen Pfade hoch. Unterwegs gab es ein paar Kreuzweg-Rituale und bei der Siebten Station versammelten sich die beiden Züge auf einer kleinen Lichtung mit einem Platz um die Bannerträger und den knienden Frauen mit ihren Weihrauchgefässen. Jetzt hielt der Padre wieder eine Ansprache und in diesem Moment riss der Himmel zum ersten Mal vollends auf und die Sonne erschien wie ein göttlicher Bannstrahl auf die kleine Indio-Gemeinde gerichtet, wie wenn dies ihre Zusammenkunft speziell segnen würde. Auch die Gesänge versetzen mich in Trance. Es war aussergewöhnlich diese spirituelle Erfahrung als einziger „Gringo“ und Ausländer unter den Mixteken-Indios zu erleben. Ich verschmolz sozusagen mit ihnen und ihren Ahnen. Dies müssen auch die Indios gespürt haben und schenkten mir ihr Vertrauen.

Als sich aus dem Kreis der Würdenträger einer der Bannerträger herauslöste und auf mich zukam, erschrak ich heftig, da ich im Geheimen versteckt Fotos von der Wiedervereinigung von Jesu Christi und Maria Jungfrau machte. Ich bekam Schiss, sie hätten mich beim Fotografieren erwischt und ich würde nun als Sühne-Opfer dargebracht und an einer der Lanze aufgespiesst. Die Furcht war nicht unbegründet, denn in Chiapas wurden schon Touristen umgebracht, die die einheimischen Indios fotografierten. Stattdessen wurde ich als Geste ihrer reichlichen Gastfreundschaft mitten ins Zentrum der Prozession geholt und ich durfte einer der drei Bannerträger sein. Welch eine Geste und Ehre für mich, die mich sehr berührte, wo ich ihnen gegenüber vorerst abgründig kritisch war! Ich war echt gerührt. Auf vielen weiteren Reisen zu den Urvölkern rund um den Globus stellte ich immer wieder fest, dass ich einen besonderen spirituellen Draht zu den Indigenen habe und offensichtlich auch über telepathische Fähigkeiten verfüge, mich über Sprachbarrieren hinweg, verständigen zu können.

Umso mehr öffnete ich mich nun den Indios und verfiel in den folgenden Tagen und anderen abgefahrenen Prozessionen öfters wieder Mal in Trance bis zur Ekstase geratend. Und das ganz ohne die Nanacatl-Pilze oder andere Drogen wie Mescalin. Nur mit einer halben Flasche Mezcal Schnaps pro Tag, beruhigte ich den Hunger und die Rache Montezuma’s, also die Magenverstimmung. Und infolge des Nahrungsmittelmangels und der Höhe wirkte sich der Alkoholpegel besonders gut auf die rauschartigen Trancezustände aus. Da gab es keine Sprachbarrieren mehr und das universell Verbindende überwand alle kulturellen Grenzen. Dank der jungen Malerin aus dem Atelier des berühmten mexikanischen Malers «Tamayo» erfuhr ich mehr und mehr über die Geschichte und Identität der Mixteken. Fortan haben mich die Ureinwohner auf allen Kontinenten besonders interessiert, um nicht zu sagen, magisch angezogen.

Zeuge Zapatistischer Indio-Aufstände in Chiapas

Dank der jungen Marcela erfuhr ich mehr und mehr über die Geschichte und Identität der Mixteken und verbrachte noch einige Wochen auf Streifzügen durchs Indio-Land  mit ihr. Jahre später kehrte ich als Journalist nach Mexico zurück, als 1994 als in Chiapas die Indio-Aufstände eskalierten und die Soldaten der mexikanischen Armee in die Region der sechs Dörfer und in San Cristobal de las Casas einmarschierten, um die «MARCOS»-Rebellen zurückzudrängen und den Indio-Aufstand zu zerschlagen. Die sechs Buchstaben «MARCOS» waren die Anfangsbuchstaben der sechs aufständischen Indio-Kommunen in der Umgebung um San Cristobal. «M»argaritas, «A»ltimirano, «R»ancho, «N»uevo, «C»omitan, «O»cosingo und «S»an Cristobal. Zehn Kilometer weiter, liegt San Juan Chamula, dem Dorf der traditionsverhafteten Chamulas, wo am 1.1.1994 der Aufstand begann. Daraus ergab sich der als Anführer bekannte uns stets verhüllte «Subcomandante Marcos». Das Juwel und der Kristallisationspunkt der chamulenischen Glaubenswelt, wo Gott und die Götter verschmelzen, Christus vom Kreuz gestiegen ist, um als Sonne wiederaufzuerstehen, steht eine barocke Dorfkirche aus dem 17. Jahrhundert.

Dort fuhren wir an Panzern und Strassensperren vorbei, am Himmel kreisten Militärhubschrauber und überall waren Soldaten überall verstreut zu sehen. Der Chiapas-Aufstand wurde vom «Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional» (EZLN), einer sogenannt linksradikalen Bewegung ausgelöst, die sich gegen neue staatliche Auflagen im Bundesstaat Chiapas auflehnte und der mexikanischen Revolution sehr ähnelte. Die Maya-Indios litten unter dem Freihandelsabkommen der Globalisierer und der rassistischen Politik in der mexikanischen Verwaltung und dagegen wollten sie sich wehren, weil sie unterdrückt und von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen wurden.

Der Konflikt begann als im Januar 1994 eine EZLN-Offensive vier Städte rund um San Cristobal de las Casas besetzte, worauf das mexikanische Militär die Situation vor Ort mit Gewalt und Unterdrückung beenden sollte und dabei auch Foltermethoden einsetzten. 2001 machten die Zapatisten unter der Führung von MARCOS einen Marsch von Chiapas nach Mexico-Stadt und am 1. Januar 2003 nahmen sie San Cristobal de las Casas ein. Erst danach setzten sich mehr und mehr NGOs für Friedensverhandlungen ein und übten Druck auf die Regierung aus. Letztlich hat sich das Schicksal der Indio-Gemeinschaften aber nicht viel zum Guten gewendet. 

In Ocosingo flogen uns in dieser Zeit, als ich mit einer Ernährungsberaterin für Säuglinge der UNO-Hilfsorganisation (DIF) vor Ort war, die Kugeln nur so um die Ohren und wir hatten Glück, dass uns davon keine traf und nur Einschusslöcher in den Häuserwänden zurück blieben. Nachdem ich diesem brandgefährlichen Ort entflohen war, erlebte ich in Chiapas noch ein schweres Erdbeben und in Yucatan einen turbulenten Hurrikan. Also Mexico hat wirklich nicht mit Eindrücken gespart. Das war schon immer ein höllisch heisses Land, mal ganz abgesehen von all den Drogenkartellen, die sich damals gerade bekämpften. Soviel zu Mexico. Nun geht es weiter nach Kuba, ins sozialistische Zucker- und Tabakparadies in elenden Zeiten.

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Zur Publikationsübersicht nach Ländern

Zu den Print Reportagen über Mexico (Links folgen in Kürze):

AT/BT: Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen                                                        

Basler Zeitung: Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen  

Der Bund: Kreuzweg durch die Bergwelt Oaxacas

AT/BT: Von Göttern inspiriertes, von Gott beselltes Indio-Reich  

Aargauer Tagblatt: Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen 

Aargauer Zeitung: Kreuzweg durch die Bergwelt Oacacas  

Sonntags Zeitung: Zukunftsprojekt ohne die Sünden der Vergangenheit      

Brückenbauer: Mexicos wilder Süden                                        

Contruire:L’Etat rebelle du Chiapas   

Sonntags Zeitung: Lockruf eines geschmähten Kontinents

Mexico: Kreuzweg im Kreuzfeuer der Religionen

Mexico: Osterprozessionen Indios Zacantepec

Mexico: Osterprozessionen der Mixteken-Indios im Hochland von Oaxaca bei Zacantepec. GMC

Im Hochland Mexico’s feiert eines der ältesten Völker, die Mixteken, jedes Jahr über Ostern seine eindrücklichen Kreuzwegprozessionen. Die Zeremonie stellet eine Symbiose des Christentums und der Götterwelt der Mixteken dar. In tiefster Religiosität verehren die Indios sowhl Jesum Christum als auch ihren charismatischen Helden Rey Condoy, der sie einst vor Vernichtung und Untersrückung bewahrte, indem er mit seinem Volk in die unwegsamen Berge des mexikanischen Hochlandes zog.

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Osterzeremonie: Die Kreuzwegprozession der Mixteken

Zu den ältesten Völkern Mittelamerikas zählen die Zapoteken. Sie beherrschten in ihrer Blütezeit (200-900 n. Chr.) von den 12 km südlich von Oaxaca gelegenen Tempelstadt Monte Alban aus ganz Zentralamerika. Aus unbekannten Gründen verliessen sie ihre Hochburg, welche später von den Mixteken besetzt wurde.

Die Schilderungen der Malerin Marcela Vera über die mystischen Osterprozessionen der Mixteken faszinieren uns derart, das wir kurzfristig einen Abstecher in das verlassene Bergdorf Zacantepec beschliessen. Unterwegs passieren wir Mitla, eine wegern ihrer reichhaltigen ornamentalen Architektur und Mosaikkunst sehenswerte Kulturstätte.

In Zacantepec auf 3000 MeterHöhe gibt es kaum Steinbauten ausser dem Versammlungsgebäude der Gemeinde (Communidad) tagt, dem Mehrzweckbau mit Schule, Praxis und einer Unterkunft sowie der Kirche. Alle anderen, eng aneinander geschmiegten Häuser sind einfache Lehmbauten mit Ziegel-, Blech- oder Strohdächern. Sie säumen den Zocalo (Hauptplatz) des kleinen Bergdorfes, als wollten sie sich gegenseitig beschützen.

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Die Mixteken-Indios verehren „La Morena“, die VIrgen de Guadaloupe. Bild: GMC/Gerd Müller

Am Tag darau, Karfreitag, erschallt schon um fünf Uhr in der Früh, eine knisternde Stimme durch die Stiller der sich zu Ende neigenden Nacht. Über Lautsprecher informiert der Gemeindepräsident die Bevölkerung über die bevorstehnden Feierlichkeiten und ruft die Indios zusammen. Schwermütige Musik mit Blasinstrumenten, Trommeln und den Tönen einer Marimba (eine Art Xilophon) schallt durch die vor Dunkelheit und Nebelschwanden verhüllten Berge und gibt die intonale Einstimmung für die Oster-Zeremonie. Sie begleitet die vor Sonnenaufgang aufbrechenden Mixes von den abgelegenen Kaffee, Kakaoo, Mais- und Chiliplantagen.

Der Padre wirkt wie ein Geist unter der bunten Indioschar

Mexico: Mixteken-Indio-Osterprozessionen

Die Indioschar auf der Kreuzzwegprozession. BIld: GMC

Etwas unheimlich und fast geräuschlosch spuckt der Nebel kurz darauf immer mehr herbeiströmende Gestalten aus. Stimmengemurmel und Glockengeläute hauchen dem öden Platz Leben ein. Frauen und Männer nehmen Platz. Kinder und Hochbetagte knien vor den tönernen Weihrauchgefässen nieder.

Süsslich duftende Rauchschwaden umhüllen den gespenstisch wirkenden Padre in seiner weissen Soutane. Flackernde Kerzen erleuchten all die ernsten, von Entbehrungen gezeichneten Antlitze. Für einmal schmilzt ihr Stolz dahin. Die, die harte Realität kaschierende, unkomplizierte, fröhliche und heissblütige Lebenseinstellung, weicht der Offenbarung der Nöte und Ängste ihres leidgeprüften Bergbauern- und Indiodaseins. Der trostspendende Leidensweg Jesu Christi verkörpert eine von der Inquisition übernommene Auffassung, die Benachteiligung und Unterdrückung als unumstössliche Tatsache zu akzeptieren.

Mexico: Mixteken-Indio-Osterprozessionen

Die Mixteken-zählen zu den ältesten Völker Lateinamerikas. Bild: G>MC/Gerd Müller

Daneben existiert aber auch die Legende Rey Condoys, sozusagen des Wilhelm Tell der Mixteken. Seine Sage bewirkt, dass die Mixteken die Kluft zwischen der hochherrschaftlichen Blütezeit ihres Reichs und ihrem heutigen Stellenwert in der mexikanischen Gesellschaft leichter zu überwinden.

Einst rettete er die Mixteken vor dem Untergang oder der Unterdrückung der Conquistadores, in dem er sich mit seinem Volk in die unwegsamen Berge zurückzog. Er verkörperte die Klugheit und Kraft des gewaltlosen Widerstandes, er war auch wegweisend für die Sozialstrukturen der comunidad indigena.

Der tiefverweurzelte Katholizismus ist teilweise auch damit erklärbar, dass seit Rey Condoy keine charismatische Führernatur aus dem Kreis der Mixes hervorging. Somit haben und hatten sie kaum eine Chance, epochale Veränderungen mitzugestalten. Auch Zapatas Revolution, der Ölboom und die Wirtschaftsreformen sind spurlos an den Mixteken-Indios vorbeigezogen.

Ein Teil dieser fremden Welt …

Mexico Indio women

Auch die Chamulas sind ein stolzes Volk. Sie leben vom Kakao- und Kaffeeanbau. Bild: GMC

Zur Feier der 14 Stationen des Kreuzweges erscheint rechtzeitig, wie von Gottes Hand bewirkt, die Sonne und erhellt zum ersten Mal seit unserer Ankunft die Bergwelt um uns herum. Die Indio-Frauen brechen mit der Jungfrau von Guadaloupe und einem Teil des Blasorchester in die Berge auf, während die Männer mit dem Jesus-Standbild auf den Schultern einen anderen Aufstieg wählen.

Wir verfolgen den Klagelieder singenden Frauenzug. Ihre Gesichtszüge wiederspiegeln die unsäglichen Leiden Marias bei der Gefangennahme; Geisselung und Krönung Jesu Christi so anschaulich, dass wir nicht mehr in der Rolle der Zuschauer sind, sondern und in die Vergangenheit ebendieser Ereignisse zurückversetzt fühlen. Andächtig und überwältigt von diesem authentischen Schauspiel tiefster Glaubensbekenntnisse sind wir Teil dieser Welt geworden.

… im Mittelpunkt der entrückten Indios

Mexico: Osterprozessionen Indios Zacantepec

Kreuzwegprozession: Der Aufstieg mit den Frauen und der VIrgen de Guadaloupe Zacantepec

Auch die Mixteken scheinen dies zu spüren. Aus dem Kreis der betenden Frauen, die vor dem gekreuzigten Jesus und der flehenden Maria löst sich einer der würdevollen Bannerträger und bitte mich an seine Stelle in den innersten Kreis zu treten.

Alle Augen auf uns gerichtet, komme ich zögernd der spontanen Aufforderung nach. Vereint bestreitet die kunterbunte Indioschar dann die restlichen Stationen bis zur Abnahme des geschnitzten Heiligenbildnisses auf dem Zocalo. Der Grablegung und Messe in der Kirche folgt die gotteslästernde Verbrennung Jesu Christi. Verehrt werden jetzt wieder die Götter der Ahnen. Ein natloser ritueller Übergang zum Kult der Mixteken.

Nach aztekischer und mixtekischer Auffassung muss göttliche Autorität erworben werden. Die Überlieferung besagt, das Nanauatzin, der beim Sprung ins Feuer gleich beim ersten Mal wagte, so zur Sonne wurde, während es dem nachstürzenden Tecuciztecatl nur zum Mond gereichte. Durch den Opfertod wird die Autorität erworben und gefestigt. Ein Religionskonflikt entsteht dadurch nicht. Den Dschihad, das überlassen die Indios lieber den Göttern. Wie weise.

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