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Menschenrechte im Parlament: Herbstsession 2020

3. September 2020 Die Räte debattieren erneut über die mit Bezug auf die Grundrechte bedenklichen Vorlagen zur Terrorbekämpfung. Die Herbstsession ist die vorerst letzte Chance für den Gesetzgeber, die rechtsstaatlich umstrittenen Geschäfte abzulehnen. Ebenfalls beraten die Räte über die Vorlage über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Krise. Leider verfehlt der Entwurf das Ziel, das Recht auf Gesundheit, insbesondere von Gesundheitsangestellten zu stärken.

Die viel kritisierten Vorlagen zur Terrorbekämpfung gehen in eine weitere Runde, obwohl nur wenige Differenzen zwischen den Räten verbleiben. Trotzdem ist die Herbstsession die vorerst letzte Chance für den Gesetzgeber, sich seiner Verantwortung zur Wahrung der Grundrechte zu erinnern, und die rechtsstaatlich umstrittenen Geschäfte abzulehnen.

Beide Kammern werden zudem die im Eiltempo erarbeitete Vorlage über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Krise beraten, welche mit vielen Zusatz-Anträgen aus verschiedenen Kommissionen kommt. Leider verfehlt der Entwurf das Ziel, das Recht auf Gesundheit, insbesondere von Gesundheitsangestellten zu stärken. Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung, welche die Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitspersonal aufzeigen und die getroffenen Massnahmen zur Krisenbewältigung evaluieren soll.

Nachfolgend die Empfehlungen von Amnesty International zu diesen und weiteren menschenrechtsrelevanten Geschäften der kommenden Session.

Übersicht

In beiden Räten

18.071 s Terrorismus und organisierte Kriminalität. Übereinkommen des Europarates (Differenzen) und 19.032 s Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Bundesgesetz (Differenzen)

20.058 ns Covid-19-Gesetz

20.033 n Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024
und 20.3468 Mo. APK-NR. Absicherung der bisherigen Erfolge der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Zentralamerika und der Karibik (nur Nationalrat)

Ständerat

20.3143 Mo. Nationalrat (SPK-NR). Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland sowie Reform des Dublin-Abkommens

20.3424 Mo. Sommaruga Carlo. Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit

Nationalrat

19.081 s ZGB. Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister

18.321 s Kt. Iv. Genf. Stopp der Administrativhaft für Kinder!

In Beiden Räten

8. September 2020, Ständerat und evtl. 22. September 2020, Nationalrat
18.071 s Terrorismus und organisierte Kriminalität. Übereinkommen des Europarates (Differenzen) und 19.032 s Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Bundesgesetz (Differenzen)

Der Ständerat wird sich erneut mit den beiden Antiterrorgesetzen beschäftigen, welche in allen Etappen der bisherigen Behandlung von nationalen und internationales Experten kritisiert wurden. Während beim Polizeimassnahmengesetz (PMT) lediglich kleine sprachliche Unterschiede in der französischen Fassung verbleiben, geht es beim Übereinkommen des Europarats um gewichtige inhaltliche Differenzen. Eine Minderheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates möchte sicherstellen, dass humanitären Organisationen keine Strafe droht für die «Unterstützung einer terroristischen Organisation», sofern die Tätigkeit im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht arbeiten. Ungewöhnlich deutliche Kritik am geplanten Gesetz für Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) wurde von fünf UNO-Sonderbeauftragten für Menschenrechte in einer gemeinsamen Stellungnahme (PDF)  und vom Europarat geäussert. Beide internationalen Expertengremien sind der Ansicht, das Parlament müsse die Vorlagen überprüfen, um sicherzustellen, dass alle Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Entsprechend erinnert Amnesty International an bereits früher geäusserte grundsätzliche Bedenken zu beiden Vorlagen, und empfiehlt beide zur Ablehnung sollte es in dieser Session zur Schlussabstimmung kommen. 

Stellungnahmen von Amnesty und der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz: Link

Der Ständerat behandelt ebenfalls die etwas ältere Motion 16.3673, welche unter anderem die Möglichkeit der Präventivhaft fordert. Dies wäre ein menschenrechtswidriges Instrument, welches vom Nationalrat bereits in der Sommersession aus der PMT Vorlage entfernt wurde. Folgerichtig und im Einklang mit der Position von Amnesty International beantragt die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates die Ablehnung der Motion.

15. September 2020
20.058 ns Covid-19-Gesetz (Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie)

Nachdem in einem abgekürzten Vernehmlassungsverfahren über 1000 Stellungnahmen eingegangen sind, und verschiedene Kommissionen beider Räte das Geschäft ausführlich behandelt haben, werden sich beide Kammern mit dem Covid-19 Gesetz beschäftigen. In der aktuellen Form verpasst der Entwurf die Gelegenheit sicherzustellen, dass bestehende und zukünftige Massnahmen auf ihre Konformität mit den Menschenrechten überprüft werden, wie von Amnesty International in ihrer Stellungnahme (deutsch) gefordert.

Des Weiteren verfehlt der Entwurf das Ziel, das Recht auf Gesundheit, insbesondere von Menschen welche im Gesundheitsbereich arbeiten, zu stärken. Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung, welche die Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitspersonal aufzeigen und die getroffenen Massnahmen zur Krisenbewältigung evaluieren soll. Angesichts der überdurchschnittlichen Vertretung von Frauen und Menschen ausländischer Herkunft in diesen Berufen fordert Amnesty zudem, dass eine geschlechts- und herkunftsbezogene Perspektive in die Analyse miteinbezogen wird.

Beide Räte haben in der Herbstsession die Gelegenheit, das Covid-19 Gesetz entsprechend nachzubessern.

15. September 2020, Ständerat und 21. September 2020, Nationalrat
20.033 n Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024
und 20.3468 Mo. APK-NR. Absicherung der bisherigen Erfolge der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Zentralamerika und der Karibik (nur Nationalrat)

Amnesty International bedauert den vorgesehenen Rückzug der bilateralen Programme aus Lateinamerika. Die Entwicklungen in mehreren Ländern Zentralamerikas sind alarmierend hinsichtlich der Konzentration der Macht in der Exekutive, der fehlenden Gewaltenteilung und Transparenz. Ein Rückzug der Schweizer IZA aus Zentralamerika würde die Bemühungen für den Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte empfindlich schwächen.

Amnesty International fordert, wie in der Stellungnahme von Amnesty Schweiz zur internationalen Zusammenarbeit der Schweiz für 2021 – 2024 detailliert, dass insbesondere die wertvollen Schweizer Programme in den Schutz von MenschenrechtverteidigerInnen und der Rechtstaatlichkeit weitergeführt werden.

Entsprechend empfiehlt Amnesty International die Motion 20.3468 zur «Absicherung der bisherigen Erfolge der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Zentralamerika und der Karibik» im Nationalrat zur Annahme.

Ständerat

23. September 2020
20.3143 Mo. Nationalrat (SPK-NR). Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland sowie Reform des Dublin-Abkommens

Die Motion der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats fordert den Bundesrat dazu auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Situation auf den ägäischen Inseln substanziell verbessert wird. Zudem soll die Schweiz auch eigene Solidaritätsleistungen ergreifen. Weiter wird der Bundesrat damit beauftragt, sich auf europäischer Ebene für eine Reform des Dublin-Abkommens einzusetzen, hin zu einer gerechteren und gleichmässigeren Verteilung unter Sicherstellung einer menschenwürdigen Behandlung der Flüchtlinge. Amnesty International unterstützt diesen Vorstoss.

Die Menschenrechtsorganisation begrüsst die im ersten Halbjahr 2020 erfolgte Aufnahme von 52 unbegleiteten Minderjährigen. Der Schritt ist jedoch völlig unzureichende, um der humanitären Krise in den griechischen Flüchtlingslagern zu begegnen, wo Tausende von bedrohten Menschen Schutz benötigen. Zusätzliche Anstrengungen, um Griechenland zu entlasten und die Flüchtlinge vor den mutmasslich dramatischen Folgen zu schützen, die ein Ausbruch von Covid-19 in den Lagern haben würde sind dringend nötig. Fast 28’000 Menschen, darunter rund 1000 unbegleitete Minderjährige, leben zurzeit unter desaströsen Umständen in Zelten und unter Blachen in den Lagern auf den griechischen Inseln. Amnesty International fordert deshalb zusätzlich zu den bereits eingetroffenen unbegleiteten Minderjährigen so schnell wie möglich ein substanzielles Kontingent von Flüchtlingen aus den griechischen Inseln zu übernehmen, in erster Priorität besonders Verletzliche, darunter mindestens 200 unbegleitete Minderjährige. Zudem sollte sich die Schweiz auf europäischer Ebene für eine Reform des Dublin-Abkommens und für ein System einsetzen, das eine solidarische Aufteilung der Flüchtlinge vorsieht mit dem Ziel, dass jedes Land seinen Beitrag an einem gesamteuropäischen Effort leistet. Amnesty International ruft die Schweiz dazu auf, dass sie sich in diesem Sinne engagiert.

24. September 2020
20.3424 Mo. Sommaruga Carlo. Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit

Die Motion beauftragt den Bundesrat, ein Einfuhrverbot für Waren zu erlassen, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden oder in Zwangsarbeit hergestellte Bestandteile enthalten.  

 Zwangsarbeit ist weltweit verbreitet und hat enorme menschenrechtliche Konsequenzen. Entsprechend ist Amnesty International der Meinung, dass ein Einfuhrverbot von solchen Waren ein mögliches Instrument sein kann, um die Nachfrage danach einzuschränken. Die Schweiz ist unter internationalem Recht verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen durch Drittparteien zu verhindern. Amnesty International erwartet, dass dafür alle geeigneten Mittel, inklusive gesetzliche Vorgaben ergriffen werden. 

Ein Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit befreit jedoch Unternehmen nicht von ihrer menschenrechtlichen Verantwortung. Wie die UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte darlegen, müssen Unternehmen durch geeignete Prozesse menschenrechtliche Risiken durch ihre Produkte, Dienstleistungen und Geschäftstätigkeit und -beziehungen verhindern und abwenden. 

NATIONALRAT

24. September 2020
19.081 s ZGB. Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister

Der Ständerat hat sich als Erstrat dem bundesrätlichen Vorschlag angeschlossen und sich für die vereinfachte Personenstandsänderung von trans Menschen entschieden. Für die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags und des Vornamens soll künftig eine einfache Erklärung ausreichen. Amnesty begrüsst den auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruhenden Vorschlag im Grundsatz. Wie das Transgender Network Schweiz sieht Amnesty aber auch kritische Punkte, bei denen Nachbesserungsbedarf besteht.

Dies betrifft insbesondere die vorgesehene Kompetenz der Zivilstandsbeamt*innen, zusätzliche Abklärungen vornehmen zu dürfen, welche das Prinzip der Selbstbestimmung untergraben würde. Zudem sollen künftig urteilsfähige Minderjährige einen Antrag auf Geschlechtsänderung nur noch mit Zustimmung der gesetzlichen Vertretung stellen, was ein deutlicher Rückschritt wäre. Schlussendlich sieht der bundesrätliche Vorschlag ein binäres System «männlich-weiblich» vor und missachtet damit die Rechte von Personen mit einer nicht-binären Geschlechtsidentität.

Amnesty International fordert, dass der Vorschlag in diesen Punkten angepasst wird.

18.321 s Kt. Iv. Genf. Stopp der Administrativhaft für Kinder!

Der Grosse Rat des Kantons Genf fordert in dieser Standesinitiative ein Ende der Administrativhaft für Kinder in der Schweiz, da ein Freiheitsentzug bei Kindern zu ernsten gesundheitlichen Problemen wie Angstzustände, schwere Depression, posttraumatische Belastungsstörung und sogar Selbstverstümmelung führen kann. Die Inhaftierung von Kindern aus migrationsrechtlichen Gründen verstösst gemäss einhelliger Ansicht diverser internationaler Instanzen gegen die Kinderrechte.

Um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, sieht das Ausländergesetz in der Schweiz die Mög-lichkeit vor, Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren zu inhaftieren. Dabei ist eine maximale Haftdauer von einem Jahr erlaubt. Die Administrativhaft für Kinder unter 15 Jahren ist demgegenüber ausgeschlossen.

Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Juni 2018 brachte jedoch zutage, dass in der Schweiz nicht nur Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, sondern auch jüngere Kinder von Administrativhaft betroffen sind. Bei den unter 15-Jährigen handelte es sich dabei mehrheitlich um Kinder, die zusammen mit Familienangehörigen in Haft genommen wurden.

Am 28. September 2018 nahm der Bundesrat zu den Empfehlungen der GPK-N Stellung und hielt dabei fest, dass für Kinder unter 15 Jahren aufgrund fehlender Gesetzesgrundlage die Anordnung der ausländerrechtlichen Administrativhaft ausgeschlossen sei. In solchen Fällen müssten die Kantone Alternativen prüfen. Nicht ausgeschlossen wurde jedoch die Administrativhaft für Kinder zwischen 15 und 18 Jahren, wie dies gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz möglich ist.

Amnesty International ist der Meinung, dass migrationsrechtliche Gründe eine Inhaftierung von Kindern nie zu rechtfertigen vermögen und hat die Staaten bereits im Rahmen der Diskussion zum Global Compact on Migration dazu aufgerufen, eine «Nulltoleranz» bei dieser Frage zu verfolgen. Auch als letztes Mittel ist die Anordnung von Administrativhaft bei Minderjährigen nicht zu rechtfertigen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um unbegleitete oder begleitete Kinder handelt. Amnesty International ist deshalb der Ansicht, dass die Staaten nach alternativen Lösungen suchen müssen, wenn Kinder betroffen sind. (Quelle: Amnesty International)

Kehrtwende bei der verlängeren Datenspeicherung

Der Ständerat krebst wieder zurück: Die Daten aus der Telekommunikation sollen nur sechs Monate aufbewahrt werden dürfen. Das Urteil des Euopäischen Gerichtshofs von 2014, der die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärte half nach.

Der Ständerat auf auf das drohende Reverendum gegen das Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) reagiert. Er beschloss letzten Montag, dass die Telefonranddaten aucvh künftig nicht länger als sechs Monate aufbewahrt werden dürfen. Der Kommissionssprecher der Kleinen Kammer, Stefan Engler (CVP/GR) begründete die Kehrtwende mit dem Widerstand gegen das Büpf. Auch der Bundesrat, der die Erhöhung auf 12 Monate wollte, erklärt sich nun damit einverstanden, dass die Randdaten wie bisher nur sechs Monate aufbewahrt werden. (Quelle: SDA)

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Der Fiskus will den Ärmsten den letzten Franken ausreissen

Wer vom Sozialdienst Geld kassiert, soll auch dafür arbeiten und alles tun, um sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Social welfare recipients should work for the money they get and try hard to re-integrate in the labour market

Viele Sozialhilfeempfänger arbeiten 50 Stunden pro Woche, um die Integrationszulage von 300 Franken zu erhalten

Geht es nach dem Willen des Ständerates, werden Sozialhilfegelder künftig besteuert. Auch Ergänzungsleistungen für Rentner. Das Existenzminimum soll geschützt bleiben. Wie bleibt offen.Betroffen von der Reform sind auch mittellose Rentner und Behinderte, die Ergänzungsleistungen beziehen.

Aus Sicht des bürgerlich dominierten Ständerates sind Menschen, die Sozialhilfe beziehen heute manchmal besser gestellt, als Working Poor Familien oder Einzelpersonen. Eine Familie, die von der Sozialhilfe lebt muss keine beziehungsweise nur die Kopfsteuer von Franken 24 pro Person dem Fiskus bezahlen. Die „Einnahmen“ aus dem Grundbedarf von Fr. 960.- werden hingegen nicht besteuert im Gegensatz zu einer Familie, bei der beide Partner ein Einkommen haben.

Das mag sich plausibel anhören, doch geht der Vorstoss in die falsche Richtung. Unsere Gesetze bieten Steuerschlupflöcher und Pauschalbesteuerungsoptionen in Milliardenhöhe, die Unternehmenssteuerreform hat viele Unternehmen steuerlich entlastet und unsere Finma lässt kriminellen Bankern frei Hand. Dass der Fiskus nun ausgerechnet bei den Sozialhilfebezügern, die ausserdem noch die AHV-Mindestbeiträge aus dem Grundbedarf berappen müssen, zugreifen möchte, dürfte weder die negativen Schwelleneffekte zwischen Sozialhilfebezügern und Porking Poor abbauen, noch einen Beitrag zur angestrebten Steuergerechtigkeit bieten. Auf die paar Mäuse von den Sozialhilfeempfängern kann der Staat locker verzichten. Es gibt genug andere Quellen, die der Fiskus anzapfen kann, Allein bei einer steuerbefreiten Firma oder einem steuerbefreiten Verein wie die FIFA würde der Fiskus mehr Geld reinholen, als bei Tausenden von Sozialhilfebezügern zusammengerechnet.

Also geht es den bürgerlichen Kreisen auch in Krisenzeiten nur um einen weiteren versteckten Sozialabbau. Wie man das der zunehmend verunsicherten Bevölkerung im Hinblick auf Jobverlust und Null Chancen ab 46 Jahren im Arbeitsmarkt erklären und verkaufen will, steht in den Sternen geschrieben.

Natürlich könnte man den Kantonen vorschreiben, das Existenzminimum zu garantieren – so wie es das Parlament 2004 vorschlug – doch bräuchte es dann auch einen nationalen Konsens über die Höhe dieses Existenzminimums und Garantien für die Unantastbarkeit der untersten Grenze von Humanität. Damals plante das Parlament mit dem Steuerpaket 2004 im Gesetz nichts anderes, als die Befreiung des Existenzminimums zu verankern. Hier müsste man also ansetzen.

Unsinniges und „gefährliches Vorgehen“. Auch mittellose Rentner bedroht

Auch Nationalrat Paul Rechsteiner (SP) hält die Motion für „gefährlich, ungerecht und anangebracht“. So sieht das auch Carlo Knöpfel, Professor an der FHNW-Hochschule für Soziale Arbeit: „Personen, die Sozialhilfe beziehen, haben nicht das Geld um Steuern zu bezahlen“. Dass der Ständerat den Kantonen freistelle, wie sie neue Härtefälle verhinderten, sei gefährlich“. Der Spardruck und das schlechte Image könnten die Versuchung vorantreiben, Sozialhilfebezüger noch stärker zu belasten, was verheerende Folgen hätte.

Denn auch mittellose Rentner und Behinderte wären von der Reform betroffen. Neu würden auch die Ergänzungsleistungen zur AHV besteuert. Da Senioren mehr Ansehen als Sozialhilfeempfänger haben, sollten sie sich nun auflehnen und dafür einsetzen, dass der Grundbedarf weiterhin steuerbefreit bleibt.

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Caritas will die Armut in der Schweiz bis 2020 halbieren

Die Stärke einer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen. Darum ruft Caritas zu einer Dekade der Armutsbekämpfung auf: Bis 2020 soll die Armut in der Schweiz halbiert werden.

Mit der Erklärung „Armut halbieren“ forderte Caritas Ende 2009 eine Dekade der Armutsbekämpfung (2010 – 2020) in der Schweiz. Ziel der Dekade ist es, die Zahl der armutsbetroffenen Menschen zu halbieren und das Risiko der sozialen Vererbung von Armut markant zu verringern. Die Kampagne wird von allen Mitgliedern der Schweizerischen Bischofskonferenz und zahlreichen weiteren Organisationen mitgetragen.

Caritas formuliert in der Erklärung „Armut halbieren“ vier zentrale Forderungen an Politik und Wirtschaft: Bund und Kantone müssen alljährlich Rechenschaft darüber geben, was sie zur Bekämpfung der Armut unternehmen. Die Sozialhilfe soll nach landesweit einheitlichen Grundsätzen festgelegt werden. Bund, Kantone und Wirtschaft sollen die Bildung von Sozialfirmen fördern. Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sind, finden so Arbeit und soziale Integration. Bund und Kantone müssen dafür sorgen, dass alle einen Berufsabschluss machen können.

Aber Caritas intensiviert auch ihr eigenes Engagement in der Armutsbekämpfung: Das Hilfswerk beobachtet und überprüft die Anstrengungen von Bund und Kantonen in der Armutspolitik. Armut muss ein Thema sein! Es verstärkt die Sozialberatungen und die Überbrückungshilfen für Arme in prekären Lebenssituationen, erhöht die Anzahl der Caritas-Märkte auf 30 Läden und baut das bisherige Angebot an Sozialfirmen aus.

Seit Beginn der Kampagne wurden auf Initiative der Caritas in zahlreichen kantonalen Parlamenten Vorstösse eingereicht, die einen jährlichen Armutsbericht fordern. Die Sozialberatung wurde durch eine umfassende Schuldenberatung erweitert und die Zahl der Caritas Märkte hat sich von 19 auf aktuell 24 erhöht.

Weiterführende Informationen

 

Sozialalmanach 2015

Der Sozialalmanach nimmt jährlich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz unter die Lupe. Zudem widmet er sich einem ausgewählten Thema aus der aktuellen Sozialpolitik. Expertinnen und Experten analysieren das Thema in seinen verschiedenen Facetten und und schlagen Stategien für eine sozial gerechte Politik vor.

Jeder Fünfte von uns ist eine Migrantin oder ein Migrant. Fast ein Drittel des Arbeitsvolumens wird von Migranten erbracht. Die Migrantinnen und Migranten steigerten die staatlichen Nettoeinnahmen 2011 um 11 Milliarden Franken. Kurzum: Sie tragen zum Wohlstand der Schweiz wesentlich bei.

Dennoch beschäftigt sich die Schweiz intensiv mit ihrer Migrationspolitik. Dabei konzentriert sich die Debatte auf die Eingrenzung der Zuwanderung. Einwanderer werden für strukturelle Probleme im Land verantwortlich gemacht. Angesichts der einseitigen und festgefahrenen Diskussion um Vor- und Nachteile der Zuwanderung hat sich Caritas Schweiz entschlossenen, einen ungewöhnlichen Sozialalmanach 2015 herauszugeben: persönlich und berührend.

Der erste Teil des Buches zeigt mit dem «Bericht über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz 2013/2014» von Bettina Fredrich sozialpolitische Trends auf. Der zweite Teil und Schwerpunktteil «Herein. Alle(s) für die Zuwanderung» ist ein Bekenntnis der Caritas zur Zuwanderung und zu einer Migrationspolitik, die soziale Chancengerechtigkeit zum Ziel hat. 20 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft äussern sich in persönlichen Essays, Beiträgen und Interviews zu einer Schweiz der offenen Türen.