Schlagwort-Archive: Klimaziele

Klimawandel: Bundesrat verabschiedet Bericht zu negativen CO2-Emissionen

Schaut man sich die schwindende Biodiversität an, fragt man sich in der Tat, was von der Welt noch übrig ist. Bild: GMC/Gerd Müller

Bern, 02.09.2020 – Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 2. September 2020 einen Bericht über die Bedeutung von negativen CO2-Emissionen für die künftige Schweizer Klimapolitik gutgeheissen. Um CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre zu entfernen (sogenannte negative Emissionen), bedarf es spezieller Technologien, die erst teilweise vorhanden sind. Der Bericht kommt zum Schluss, dass negative Emissionen zur Erreichung der langfristigen Klimaziele unverzichtbar sind. Er empfiehlt dem Bund, bereits heute die Rahmenbedingungen für den starken Ausbau dieser Technologien zur Entnahme und dauerhaften Speicherung von CO2 zu schaffen. Die Schweiz sei dank ihrer Forschungs- und Innovationskraft so gut aufgestellt, dass sie eine wichtige Rolle bei der Entwicklung dieser Technologien einnehmen kann.

Der Bericht in Erfüllung des Postulats von Ständerätin Adèle Thorens Goumaz (Grüne Fraktion, Kanton Waadt / 18.4211) liefert einen systematischen Überblick der heute bekannten biologischen und technischen Verfahren zur Entnahme und dauerhaften Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre (sog. Negativemissionstechnologien, NET). Er zeigt den aktuellen Wissensstand zum Potenzial dieser Verfahren für die Schweizer Klimapolitik auf und skizziert Handlungsoptionen für das Ziel einer klimaneutralen Schweiz bis 2050. Es gilt zu prüfen, inwiefern die Erkenntnisse aus dem Bericht in die langfristige Klimastrategie des Bundesrates einfliessen sollen.

Negative Emissionen für die Erreichung der Klimaziele unverzichtbar

Im Jahr 2018 hat der Weltklimarat (IPCC) aufgezeigt, dass bereits ab einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius mit gravierenden Veränderungen der Ökosysteme zu rechnen ist. Um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, muss der weltweite CO2-Ausstoss bis 2050 Netto-Null betragen. Der Bundesrat hat deshalb Ende August 2019 beschlossen, sein langfristiges Klimaziel zu verschärfen: Die Schweiz soll bis 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Dieses Ziel kann und muss vorrangig durch die Abkehr von fossilen Energieträgern (insb. Öl, Gas, Benzin und Diesel) erreicht werden. Nach aktuellem Stand des Wissens verbleiben bis 2050 dennoch unvermeidbare Emissionen, z.B. aus der Landwirtschaft oder bestimmten industriellen Prozessen. Zu deren Ausgleich werden negative Emissionen unverzichtbar sein.

Rahmenbedingungen für Negativemissionstechnologien heute schaffen

Heute werden bereits verschiedene NET-Ansätze im kleinen Rahmen erprobt; sie sind jedoch noch nicht in einem klimawirksamen Umfang einsatzbereit. Die Schweiz steht beim Verständnis für die Bedeutung von NET, wie fast alle Staaten, noch am Anfang. Aus dem Übereinkommen von Paris und dem Netto-Null Ziel des Bundesrates ergibt sich der Handlungsbedarf, die Rahmenbedingungen für die Erforschung und den Ausbau von NET heute festzulegen.

Es braucht auf allen Ebenen mehr Verständnis für die Wirkung und das Potenzial von NET: in der Politik und Verwaltung sowie in Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft. Um die Chancen für die nachhaltige Nutzung in Zukunft zu erhöhen, sollten die erfolgsversprechenden NET-Ansätze nebeneinander erforscht und vorangetrieben werden, heisst es im Bericht. Innerhalb der Bundesverwaltung koordiniert das Bundesamt für Umwelt BAFU den Austausch und die Erarbeitung der notwendigen NET-Rahmenbedingungen unter den betroffenen Bundesämtern. Dank ihrer Forschungs- und Innovationskraft ist die Schweiz in einer guten Position, um eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und dem weltweiten Einsatz dieser Technologien einzunehmen.

Der Bund soll prüfen, wie auf internationaler Ebene die Forschungs- und Innovationszusammenarbeit im Bereich der NET unterstützt werden kann. Im Rahmen internationaler Konventionen, wie dem Pariser Klimaschutz-Übereinkommen oder dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen, sind die Gespräche über das Wissen um NET und ihre internationale Regelung weiter voranzutreiben. (Quelle: UVEK)

Vision Null: Warum wir langfristig kein CO2 mehr freisetzen dürfen

Headerbild Airial shot of a Coral-Reef in the Whitsunday Islands, Great Barrier Reef, Queensland, Australia. © GMC Photopress, Gerd Müller, gmc1@gmx.ch

El Nino wird diese Jahr wieder gravierende Auswirkungen auf die Südliche Hemisphäre und das Korallenriff Great Barrier Reef haben. © GMC Photopress, Gerd Müller

Jedes Klimaziel gewährt uns ein Budget an Emissionen. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, braucht es eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft in den nächsten 50 Jahren. Dazu reicht es nicht aus, dass wir die existierenden Prozesse effizienter gestalten. Es braucht tiefgreifende Umwälzungen in fast allen Aspekten unserer Gesellschaft. Von: Prof. Nicolas Gruber, ETH Zürich

CO2-Absenkpfad
© Fotolia.com / stockWERK

Nächsten Mittwoch findet an der ETH Zürich die dritte «Klimarunde» statt. Sie dreht sich um das Thema «Vision Null» und fragt nach möglichen Wegen zu einer CO2-neutralen Gesellschaft. In diesem Beitrag möchte ich den wissenschaftlichen Hintergrund dieser Vision diskutieren.

Ein Etat an globalen CO2-Emissionen

Die Forschung der letzten zehn Jahre hat klar gezeigt, dass uns für jedes gewählte Klimaziel nur eine beschränkte Menge an CO2-Emissionen zur Verfügung steht. Wie viel das genau ist, bestimmen die so genannte Klimasensitivität und die Aufnahmekapazität von Wäldern und Ozeanen, also die Stärke von CO2-Senken. Die Klimasensitivität beschreibt, wie stark sich die Erde erwärmt, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zunimmt. Und die Stärke der CO2-Senken bestimmt, wie stark CO2 in der Atmosphäre zunimmt bei einer gegebenen Menge an Emissionen.

Nehmen wir an, dass die Wälder und Ozeane wie bisher rund die Hälfte der CO2-Emissionen aufnehmen, und dass die Erde sich um ca. drei Grad Celsius erwärmt, wenn sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Vergleich zur vorindustriellen Zeit verdoppelt. Dann ergibt eine Abschätzung anhand einiger vereinfachender Annahmen (siehe Kasten am Ende des Beitrags), dass uns das Zwei-Grad-Ziel ein Budget von rund 800 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C) erlaubt. Das sind 800 Milliarden Tonnen C oder rund 3000 Milliarden Tonnen CO2. Simulationen mit den modernsten Klimamodellen, die auch Rückkopplungen zwischen dem Klima und dem Kohlenstoffkreislauf erlauben, ergeben eine sehr ähnliche Zahl. Die uns zustehenden Emissionen können wir uns als Kuchen vorstellen, den wir langsam aufessen dürfen. Der Kuchen scheint auf den ersten Blick lange zu reichen – schliesslich ist er ja dank den starken Senken im Meer und den Wäldern auch doppelt so gross, wie wenn diese uns nicht helfen würde, der Atmosphäre CO2 zu entziehen.

Schon mehr als die Hälfte weggegessen

Wenn wir aber nachrechnen, wie viel CO2 die Menschheit in den letzten 150 Jahren durch verbrannte fossile Energieträger und abgeholzte Wälder emittiert hat, dann bleibt leider nur noch weniger als die Hälfte des Kuchens übrig. Konkret haben wir von diesem Budget schon mehr als 500 Gt C verbraucht, so dass uns nur noch rund 300 Gt C bleiben [1]. Wenn wir von den heutigen Emissionen (ca. 10 Gt C pro Jahr) und deren Trends ausgehen, dann werden wir das Budget in weniger als drei Jahrzehnten aufgebraucht haben [2]. Danach darf netto kein weiteres CO2 in die Atmosphäre gelangen, ansonsten erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit stark, dass wir übers Zwei-Grad-Ziel hinausschiessen.

Entwicklung der Emissionen und Illustration des CO2-Budgets für das Zwei-Grad-Ziel: Die schwarze Linie zeigt die Zunahme der Emissionen seit 1950. Die roten Flächen stellen die projizierten Emissionen in den IPCC Baseline Szenarien (ohne Klimaschutzmassnahmen) dar, während die grünen Flächen die Emissionen zeigen, die mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar sind. Die verschiedenen Farben zeigen Unsicherheiten. (Figur aus Knutti und Rogelj (2015), modifiziert)

Das bedeutet, dass ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die globalen CO2-Emissionen auf null gehen müssen. Demzufolge sollten wir uns nicht an einer CO2-armen, sondern an einer CO2-freien Zukunft orientieren.

Welche Reduktionsrate ist realistisch?

Ein schneller Absenkpfad würde es erlauben, dass auch zukünftige Generationen noch CO2 emittieren könnten. Solch schnelle Absenkpfade sind aber nur sehr schwierig zu erreichen. Wir haben einen starken «Lock-In»-Effekt, der dadurch zustande kommt, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark in die fossil getriebene Infrastruktur investiert haben und es immer noch tun. Bei durchschnittlichen Laufzeiten von fossilen Kraftwerken von mehreren Jahrzehnten haben es die neuen Energiequellen nicht einfach, diesen Markt zu knacken, auch wenn mittlerweile die Preise durchaus kompetitiv sind (siehe Blogbeitrag von Tony Patt nächste Woche). Zudem müssen die Windturbinen, Solarpanels, und die ganze zugehörige Infrastruktur zuerst gebaut und installiert werden. Und das bedingt den Bau von neuen Fabriken, die Ausbildung von neuen Spezialisten, und substantielle Investitionen. Das braucht Zeit. Anhand der Geschwindigkeit der Marktdiffusion von neuen Technologien in der Vergangenheit kann man abschätzen, dass es sehr schwierig wird, eine Absenkrate von mehr als sechs Prozent pro Jahr zu erreichen.

Vision Null

Selbst wenn wir diesem optimistischen Absenkpfad folgen, werden wir das globale Budget noch vor Ende des Jahrhunderts aufgebraucht haben. Bei der Aufteilung der Emissionsrechte auf die einzelnen Staaten müssen wir aber noch berücksichtigen, dass den entwickelten Ländern aufgrund ihrer vergangenen Emissionen wohl künftig proportional weniger Emissionen zur Verfügung stehen werden [3]. Und falls wir die Trendwende bei den CO2-Emissionen global verschlafen, dann kann das Zwei-Grad-Ziel nur noch mit «negativen Emissionen» erreicht werden, d.h. dass wir netto CO2 aus der Atmosphäre entfernen müssen. Das ist technologisch heute schon möglich [5], aber es ist sehr teuer, und es bleibt unklar, wo das CO2 dann gelagert werden soll.

Fazit

Für die Schweiz sehe ich die Notwendigkeit einer vollständigen Dekarbonisierung unserer Gesellschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts [4]. Wir haben zwar fast 50 Jahre Zeit, diesen Prozess umzusetzen – aber es ist ein langer Weg, der nicht 2030 aufhört, sondern weiter führt bis die Emissionen auf null gesenkt sind.

Verdankung: Ich danke Prof. Reto Knutti für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Text.

Weiterführende Informationen

[1] Aufgrund der grossen Unsicherheiten ist dieser Wert mit 500 Gt C bewusst vorsichtig gewählt. IPCC bezifferte die gesamten anthropogenen Emissionen auf 555 Gt C.

IPCC AR5, WG1, Summary for Policy Maker, schreibt: „From 1750 to 2011, CO2 emissions from fossil fuel combustion and cement production have released 375 [345 to 405] Gt C to the atmosphere, while deforestation and other land use change are estimated to have released 180 [100 to 260] GtC. This results in cumulative anthropogenic emissions of 555 [470 to 640] GtC.“

[2] CO2-Zähler: Link

[3] Beitrag zum CO2-Kuchen und dessen Aufteilung

[4] Beitrag zum Thema Vision Null

[5] Climeworks: CO2-Speicherung

(Quelle: ETH Zürich)

Weitere Klimaberichte, die Sie interessieren könnten:

Klimawandel bedroht Weinanbaugebiete mit Goldgelber Vergilbung

Bundesrat-Botschaft zum Klima- und Energielenkungssystem

Kohlenstoffrisiken: Erste Studie für den Schweizer Finanzplatz

ETH Zürich: Wie moderne Klimamodelle funktionieren

Alle Naturgefahren auf einen Blick in einer App des Bundes

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

Bessere Einschätzung der Entwicklung von Naturgefahren

Migros und Bühler finanzieren Forschung gegen Food Waste