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Konfliktforschung von gesellschaftlicher Relevanz

Michael Ambühl, Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement, publiziert aktuell seinen vieldiskutierten Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaften. ETH-News sprach mit ihm über das Verhältnis von Forschung und Politik.

Michael Ambühl
Im Verhandlung-Engineering arbeitet ETH-Professor Michael Ambühl auch mit mathematischen Formeln. (Bild: Thomas Langholz / ETH Zürich)

 

ETH-News: Herr Ambühl, mit Ihrem Vorschlag, dass man mit der EU über eine Schutzklausel verhandeln könnte, um nicht das Freizügigkeitsabkommen zu verletzen, greifen Sie in eine aktuelle politische Debatte ein. Darf sich ein ETH-Professor in die Politik einmischen?
Michael Ambühl: Wir möchten von Seiten der Forschung mit einem Diskussionsbeitrag zur Lösung eines Problems beitragen. An unserem Lehrstuhl wollen wir den Forschungsansatz weiterentwickeln, den wir «Verhandlungs-Engineering» nennen und der letztlich eine Konzeptualisierung meiner als Verhandlungsleiter gemachten Erfahrungen darstellt. Wir haben deshalb versucht, unsere Methoden am aktuellen Beispiel der Umsetzung der Einwanderungsinitiative anzuwenden. In diesem Fall haben wir wohl deshalb eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten, weil bei dieser Studie die gesellschaftliche Relevanz direkt sichtbar wird.

Beeinflusst die Forschung die Politik?
ETH-Klimaforschende wollen den Klimawandel besser verstehen, auch um damit Grundlagen für die zukünftige Klimapolitik zu schaffen. Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure entwickeln energieeffizientere Systeme, um zur Energiewende beizutragen. Wer an der ETH forscht, ist – jeder auf seinem Gebiet – auf der Suche nach Lösungen und Ideen, welche langfristig von direktem oder indirektem gesellschaftlichen Nutzen sind. Aber es gilt die verschiedenen Rollen zu unterscheiden: Forschung liefert Entscheidungsgrundlagen und Lösungsansätze. Entscheiden, Umsetzen und Handeln ist Sache der Politik.

Warum haben Sie sich der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitative angenommen?
Es ist ein besonders interessanter und auch besonders relevanter Fall. Hier treffen zwei auf den ersten Blick unvereinbare Prinzipien aufeinander. Die Schweizer Regierung hat einerseits den verfassungsmässigen Auftrag, mit der EU über die Einführung von Kontingenten zu verhandeln, die EU will andererseits am Grundsatz der Personenfreizügigkeit festhalten. Welchen Verhandlungsspielraum hat man bei einer solch schwierigen Ausgangslage? Wie kann man ein solches Problem anpacken? Genau solchen Fragen möchten wir am Lehrstuhl für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement nachgehen.

Wie geht man in einem solchen Fall wissenschaftlich vor?
Migration ist überall ein emotionales Thema, was ein nüchternes Verhandeln erschwert. Der erste Schritt muss also sein, eine Problembeschreibung zu finden, die für beide Seiten rational nachvollziehbar und objektivierbar ist. Ein guter Einstieg besteht erfahrungsgemäss darin, komplexe Probleme in Unter-Probleme aufzuteilen. Diese sind dann in der Regel leichter lösbar und können möglicherweise auch mit quantitativen Methoden, zum Beispiel mit Hilfe einer Formel, angegangen werden. Wenn sich die Verhandlungspartner grundsätzlich darauf einigen können, so vorzugehen, müssen «nur» noch die einzelnen Parameter verhandelt werden.

Man  hat den Eindruck, dass zurzeit nur Ihr Vorschlag vorliegt.
So ist es sicher nicht. Es freut uns aber, dass  unser Vorschlag auch diskutiert wird. Es kann jedoch gut sein, dass unser Vorschlag abgewandelt wird oder nur ein Denkanstoss ist, der zu neuen, anderen Ideen führt. Damit sind wir beim Kern der Ausbildung an unserem Departement Management, Technologie und Ökonomie: Wir bilden talentierte junge Menschen aus, die in alle Richtungen denken können und akzeptieren, dass es – anders als in den exakten Disziplinen – nicht immer ein «Richtig» oder «Falsch» gibt. Deshalb ist es wichtig, ihr kritisches Denken und ihre Kreativität zu fördern.

Die Studierenden an der ETH sind sehr motiviert und leistungsorientiert; da fällt einem das Unterrichten leicht. Im Rahmen eines Seminars haben wir zusammen mit der Universität Zürich im Herbst die Verhandlungen mit der EU simuliert. Ich war begeistert, wie engagiert die Studierenden bei diesem Projekt dabei waren. Die Uni-Studierenden, welche mehrheitlich Juristinnen und Juristen waren, und unsere ETH-Studierenden lernten jeweils die Herangehensweisen der andern kennen, was sie sehr inspirierte. Dass unsere Rektorin persönlich an der Schlussbesprechung teilgenommen hat, war ein besonderes Zeichen der Wertschätzung für alle.

Welches sind Ihre nächsten Forschungsprojekte?
Wir versuchen, unseren Ansatz des Verhandlungs-Engineerings in verschiedenen anderen Bereichen anzuwenden: Aktuell arbeitet mein Lehrstuhl unter anderem an Abrüstungsfragen, also an der Kosten/Nutzen-Analyse von Atomwaffen, und analysiert die Wirksamkeit von Sanktionen.

Schutzklausel: Der Vorschlag

Der Kerngedanke besteht darin, dass der Grundsatz der Freizügigkeit nicht in Frage gestellt werden soll: Die Schweiz partizipiert weiterhin im EU/EFTA Raum an der Freizügigkeit mit den im Freizügigkeitsabkommen festgelegten Rechten und Pflichten, hat jedoch im Fall einer übermässigen Migration die Möglichkeit, eine (neu auszuhandelnde) Schutzklausel anzurufen. Mit Hilfe einer Formel könnte berechnet werden, wie gross die Einwanderung aus EU/EFTA-Staaten sein darf, bevor die Schutzklausel greift. Dabei werden keine fixen Zahlen im Voraus festgeschrieben, sondern die Migration in die Schweiz wird in ein Verhältnis zur Migration in der EU gesetzt.

Genauer gesagt errechnet sich der Schwellenwert aus dem Mittelwert der Migrationsraten aller EU/EFTA-Staaten plus einem Vielfachen der Standardabweichung, wobei zudem noch der Bestand an EU/EFTA-Ausländern sowie die Arbeitsmarktsituation berücksichtigt werden. Idealerweise würden parallel zur Aushandlung einer Schutzklausel, die Massnahmen, bei denen die inländischen Arbeitsressourcen besser genutzt werden, so greifen, dass weniger ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz kommen müssen. Die Schutzklausel müsste dann gar nicht, oder nur selten, zur Anwendung kommen. (Quelle: ETH Zürich)

Literaturhinweis

Ambühl M, Zürcher S: Immigration and Swiss-EU Free Movement of Persons: Question of a Safeguard Clause, Swiss Political Science Review, 18. Februar 2015, doi: 10.1111/spsr.12143

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„Ohne Inländervorrang geht es nicht mehr“

Appelle an die Freiwilligkeit der Unternehmen, mehr inländische Arbeitnehmer anzustellen reichen offensichtlich nicht aus. Da hilft nur die Peistsche. Das Zuckerbrot war gestern. Denn: Die Beschwörungsformeln für mehr Selbstverantwortung greifen ins Leere und seien längst zu unglaubwürdigen Worthülsen geworden, konstatiert Rudolf Strahm, der einstige Preisüberwacher in seiner Kolumne im Tages Anzeiger. Der Fachkräftemangel sei nur «ein Vorwand, um jüngere und billiger Arbeitskräfte ins Land zu holen» und die Ü50 Generation in den vorzeitigen Ruhestand beim Sozialamt zu spedieren.

«Wir haben es schon länger mit einem schleichenden und versteckten Verdrängungseffekt von ausländischen gegenüber schweizerischen Arbeitskräften im Inland zu tun». Strahm spricht damit aus, was zig zehntausende von Arbeitnehmern schon lange vermutet haben. «Die steigende Sockelarbeitslosigkeit ist ein Beweis dafür», konstatiert der ehemalige Preisüberwacher.

Strahm zieht für seine These die Statistiken zur Hand und zeigt auf, dass im Dezember 5300 Gesundheitsfachleute arbeitslos seien, derweil die Spitäler lauthals den Mangel an Pflegepersonal beklagen. Auch die Banken und Informatikbranche sagt, sie könne nur noch Fachkräfte im Ausland rekrutieren, im Inland sei dieser erschöpft. Gleichzeitig sind aber 3717 Bankenfachleute und 3061 IT-Fachleute als arbeitslos registriert. Die RAV melden 13814 Arbeitslose aus dem Gastgewerbe und 19951 arbeitslose Baukräfte. Auch diese Branchen zeichnen sich durch einen exzessiv hochen Ausländeranteil aus.

Auch Tourismus- und Kommunikationsbranche will keine älteren Schweizer

Zwei weitere Beispiele aus der Tourismus- und Kommunikationsbranche. In vielen Schweizer Hotels werden die Gäste von einem deutschen Receptionisten empfangen, von einem deutschen Koch bekocht und von einer deutschen Spa-Therapeutin betreut. Weit über 50% Prozent aller Kommunikationsstellen in der gehobenen Hotellerie und in der Industrie sind mit deutschen PR-Damen besetzt.

Auch in den PR-Agenturen und Medienhäusern gibt es einen hohen Anteil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem nördlichen Nachbarland. Dieser Trend hat schon vor der Finanzkrise Einzug gehalten. Damals schon konnte man als Kommunikationsfachmann beobachten, wir monatlich ein oder zwei PR-Mitarbeiterinnen aus den Metropolen und Hamburg ein Mail schrieben, sie kämen jetzt auch in die Schweiz arbeiten und hätten eine Stelle in einem Hotel erhalten.

Für einen Ü50 jährigen Schweizer PR- und Kommunikationsspezialisten gibt es aber keine Jobs mehr. Schon lange nicht mehr. Rund 50‘000 Beschäftigte sind in den letzten fünf Jahren ausgesteuert geworden. Kaum einer wird je wieder einen Job finden, wenn die Politik nicht endlich handelt und die künstliche Verteuerung älterer Arbeitskräfte aufgrund der höheren Sozialabgaben nicht endlich abschafft. Ausgesteuerte und Ausgegliederte werden gar nicht mehr in der Statistik erfasst. Daher sind die der Öffentlichkeit präsentierten Zahlen falsch und wiederspiegeln keineswegs die reale Situation.

Diskriminierung und Augenwischerei mit System

Die Diskriminerung lässt sich auch bei den Medien und in der Kommunikationsbranche relativ einfach nachvollziehen. Probe auf’s Exempel: Wenn man als gut gebildeter Arbeitssuchender mit einer kaufmännischen Ausbildung samt einem PR-Abschluss und einer Webpublisher-Weiterbildung sowohl von den Stellenbüro’s als auch von den HR-Damen bei der Nennung des Jahrganges und der Frage, ob man da ein Handicap habe, klar als nicht vermittelbar beziehungsweise chancenlos gilt, ist die düstere Ausgangslage schon glasklar. Auch beim Tages-Anzeiger war man so offen, zu sagen, dass man im Cross-Media-Bereich als Ü50 chanchenlos dasteht.

Würden alle Stellensuchenden über 50 Jahre die Frage des Alters und des Lohns gleich direkt ansprechen und notieren, dann könnte man eine reale Statistik und eine Realsatire über die Absagegründe und Vorwände erstellen, die ein ganz anderes Bild ergeben würden, als das uns von Politikern, Wirtschaftsverbänden und Arbeitgebern servierte Szenario.

Inländervorrang mit Indikationsmodell und Schutzklausel verknüpfen

Ein weiteres Indiz, dass über 55 Jährige chancenlos auf dem Arbeitsmarkt sind, ist die Tatsache, dass jedes Jahr rund 6000 Arbeitnehmer vor ihrer Pensionierung ausgesteuert werden. Auf die ganze Altersgruppe hochgerechnet seien dass über 30‘000 Personen, schreibt Strahm in seiner Kolumne. Er schlägt vor, dass den Inländervorranges mit einem Indikatorenmodell zu verknüpfen, welches den echten Fachkräftemangel branchenweise viel exakter erfasst. Man könne diesen auch mit der von den Industrieverbänden geforderten Schutzklausel verbinden. Strahm verweist darauf, dass auch andere Länder de facto einen Inländervorrang kennen und anwenden. Wir dürfen uns nicht von dem Dogma der totalen Marktliberalisierung einschüchtern lassen.

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