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Wie gefährlich Gesichtserkennung für die Menschenrechte sind

Wir haben das Recht, uns frei und unerkannt im öffentlichen Raum zu bewegen. Doch automatische Gesichtserkennung macht es möglich, dass man uns auf der Strasse jederzeit persönlich identifiziert. Dies möchten wir mit einer Petition verhindern.In der Schweiz fehlen gesetzliche Schranken gegen Überwachung mittels automatischer Gesichtserkennung.

Biometrische Erkennungssysteme eröffnen Behörden und Privaten die Möglichkeit, im öffentlichen Raum eine Massenüberwachung durchzuführen – zu jeder Tages- und Nachtzeit, alles vollautomatisch. Da sich der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen derzeit in Europa rasant ausbreitet, ist damit zu rechnen, dass bald auch in der Schweiz gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die die Verwendung dieser Technologien erlauben.

Neueste Recherchen zeigen, dass manche Polizeien bereits heute höchst umstrittene Gesichtserkennungssoftwares nutzen. Der Schritt zur flächendeckenden und permanenten Massenüberwachung liegt nahe.

Weltweit wehren sich Menschen gegen die Überwachung mit Gesichtserkennung und fordern den Schutz ihrer Rechte. Denn, wenn wir im öffentlichen Raum mittels Gesichtserkennungssystemen jederzeit identifiziert oder verfolgt werden, kommt dies einer Massenüberwachung gleich. Die Gefahr besteht, dass nicht nur Schwerverbrecher*innen ins Visier der Behörden geraten, sondern die gesamte Bevölkerung. Dies ist nicht mit unseren Grundrechten vereinbar. Eine solche Massenüberwachung verletzt die Privatsphäre und schreckt Menschen davon ab, grundlegende Rechte wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen – Rechte, die in einer demokratischen Gesellschaft wie der Schweiz von zentraler Bedeutung sind. Doch derzeit fehlt eine gesetzliche Grundlage, die unsere Rechte schützt und unsere Selbstbestimmung gewährleistet.

Zusammen mit AlgorithmWatch CH und der Digitalen Gesellschaft setzen wir uns für den Schutz unserer Grundrechte und für eine selbstbestimmte Zukunft ein. In Zürich und Lausanne haben Politiker*innen verschiedener Parteien Vorstösse eingereicht, um ein Verbot auf kommunaler Ebene zu erwirken. Diese Vorstösse zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Aus diesem Grund lancieren wir die Petitionen zum Verbot von automatischer Gesichtserkennung.

Was ist automatische Gesichtserkennung?

Automatische Gesichtserkennung ist eine Form der biometrischen Überwachung. Biometrische Überwachungssysteme nutzen zur Identifikation sensible biometrische Daten, die beidem jedem Menschen einzigartig sind – Fingerabdrücke, Augenfarbe, die Stimme oder eben das Gesicht. Solche Technologien werden in der Schweiz bereits eingesetzt. Manche Länder gehen sogar noch weiter und verknüpfen die Überwachungskameras im öffentlichen Raum mit einer Software zur Gesichtserkennung. So wird es möglich, die Bilder in Echtzeit oder nachträglich auszuwerten und abgebildete Gesichter darauf zu analysieren und zu identifizieren. Das kommt einer Massenüberwachung gleich.

Was will unsere Petition genau?

Wir wollen Schranken setzen gegen diese neue Form der Massenüberwachung und eine öffentliche Diskussion zur Verwendung der Technologien starten. Konkret fordern wir ein kommunales Verbot der automatischen Gesichtserkennung und von anderen biometrischen Überwachungssystemen im öffentlichen Raum. Wir wollen diese Massenüberwachung verhindern, bevor es zu spät ist. Mit einem Verbot der automatischen Gesichtserkennung wahren wir unsere Grundrechte und setzen uns für eine selbstbestimmte Zukunft ein, in der Menschen und nicht Maschinen im Zentrum stehen.

Was ist so schlimm daran, wenn automatische Gesichtserkennung zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt wird?

Straftaten müssen polizeilich und juristisch verfolgt werden können. Dem Staat stehen dafür bereits heute umfassende Mittel zur Verfügung, die er auf verhältnismässige Weise einsetzen kann. Mit dem Einsatz von automatischer Gesichtserkennung und anderen biometrischen Überwachungssystemen im öffentlichen Raum wird dieses Gebot der Verhältnismässigkeit verletzt. Denn alle von uns würden permanent überwacht und persönlich identifiziert, auch wenn wir keiner Straftat verdächtigt werden. Eine Massenüberwachung mit automatischer Gesichtserkennung und anderen biometrischen Überwachungssystemen verletzt die Privatsphäre aller und schreckt Menschen davon ab, grundlegende Rechte wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Das gefährdet unsere demokratische Gesellschaft und beschneidet unsere Freiheit. Zudem erkennen Gesichtserkennungssysteme oft Frauen und People of Color schlechter, als andere. Das führt dazu, dass diese Menschen öfter verwechselt werden, dass es also zu sogenannt «falsch positiven» Treffen kommt – was gravierende Auswirkungen haben kann, wenn sie aufgrund eines solchen vermeintlichen Treffers irrtümlich verdächtigt oder gar festgenommen werden. Die automatische Gesichtserkennung macht zwar langsame Fortschritte, wird jedoch nie fehlerfrei funktionieren. Um gefährliche Massenüberwachung und falsche Verdächtigungen durch eine Maschine zu verhindern, braucht es ein Verbot von Gesichtserkennungstechnologien. Nur so wahren wir unsere Grundrechte und legen den Grundstein für eine selbstbestimmte Zukunft.

Ist automatische Gesichtserkennung nicht bereits heute verboten?

Nein. Obwohl biometrische Daten laut Datenschutzgesetz zu den besonders schützenswerten Personendaten gehören, gibt es kein explizites Verbot zu deren Verwendung. Das bedeutet zwar, dass es auch keine umfassende Erlaubnis gibt – eine gesetzliche Grundlage wäre für den Einsatz nötig. Trotzdem wird die Technologie bereits heute verschiedentlich eingesetzt wird. In anderen Ländern Europas wird die automatische Gesichtserkennung bereits zur Durchführung einer Massenüberwachung im öffentlichen Raum eingesetzt. (Siehe hier und hier) Diese Entwicklungen lassen befürchten, dass auch bei uns bald ein solch grossflächiger Einsatz gesetzlich erlaubt wird.

Könnte ich mich nicht mit einer medizinischen Schutzmaske gegen automatische Gesichtserkennung schützen?

Die neusten automatischen Gesichtserkennungssysteme werden dazu trainiert, auch Gesichter unter medizinischen Schutzmasken zu erkennen. Die Masken bieten daher keinen Schutz vor einer Massenüberwachung. Zudem ist eine weiterreichende Verhüllung des Gesichts in der Schweiz seit dem 7. März 2021 verfassungsrechtlich verboten. Darum braucht es ein umfassendes Verbot der automatischen Gesichtserkennung.

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Fragen und Antworten zum Thema Überwachung und Schutz der Privatsphäre

 

Wann ist Überwachung rechtmässig? Was sagt Amnesty zu Massenüberwachung? Ist Massenüberwachung nicht notwendig im Kampf gegen Terrorismus? Die wichtigsten Fragen & Antworten zum Thema Überwachung und Privatsphäre.

Was ist Überwachung?

Überwachung ist das Beobachten der Kommunikation, Handlung oder Bewegung einer Person. Regierungen können Überwachung rechtmässig einsetzen, wenn sie gezielt und begründet ist, oder sie kann dazu dienen, AktivistInnen einzuschüchtern, eine Gesellschaft zu kontrollieren und abweichende Meinungen einzudämmen.

Zur Überwachung der Kommunikation zählen alle Aktivitäten wie das Überwachen, Abfangen, Sammeln, Auswählen, Zurückhalten, Analysieren, Teilen oder weiteren Gebrauch von jeder Art von Kommunikation, der Kommunikationsinhalte und der Kommunikationsdaten (Metadaten).

Spricht sich Amnesty grundsätzlich gegen Überwachung aus?

Amnesty International richtet sich nicht grundsätzlich gegen Überwachung, lehnt aber jede Form der verdachtsunabhängigen Massenüberwachung ab. Überwachung ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt und die Massnahme gezielt, notwendig, verhältnismässig sowie richterlich angeordnet ist.

Was ist verdachtsunabhängige Massenüberwachung?

Verdachtsunabhängige Massenüberwachung ist beispielsweise die Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation einer grossen Anzahl Personen – teilweise ganzer Länder – ohne dass diese Personen Anlass zu einem begründeten Verdacht gegeben haben.

Gibt es eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung, die rechtmässig ist?

Nein. Regierungen können zwar in ihrem Land Massenüberwachungsprogramme legalisieren, aber sie würden damit klar internationalem Recht widersprechen, das die meisten Staaten ratifiziert haben. Nach Amnesty International kann verdachtsunabhängige Massenüberwachung niemals einen notwen­digen und verhältnismässigen Eingriff in die Menschenrechte darstellen.

Ist Massenüberwachung nicht notwendig, um Terrorismus zu bekämpfen?

Eingriffe in Menschenrechte werden häufig mit dem Verweis auf die «nationale Sicherheit» gerecht­fertigt. Doch gibt es bislang keine Beweise dafür, dass verdachtsunabhängige Überwachungs­mass­nahmen zusätzliche Sicherheit schaffen.

Eine von Präsident Obama eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission (PCLOB) kam im Januar 2014 zu dem Ergebnis, dass die Vorratsdatenspeicherung der NSA illegal sei und eine «ernsthafte Bedrohung» für die Bürgerrechte und die Demokratie darstelle. Im Kampf gegen den Terrorismus habe sie sich als nutzlos erwiesen: «Es gibt keinen einzigen Fall, in dem das Programm zur Aufdeckung eines zuvor unbekannten Terrorplans oder zur Verhinderung von terroristischen Angriffen beigetragen hätte», heisst es im Abschlussbricht der Kommission.

Auch in Deutschland wurde eine Studie zur Wirksamkeit von Massenüberwachungsmassnahmen (Vorratsdatenspeicherung) durchgeführt: Es konnte keine Nutzen dieser Massnahme festgestellt werden. Das Max-Planck-Institut kommt im Gutachten, das vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben worden war, zum Schluss: «Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahr praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.»

Wann ist Überwachung rechtmässig?

Eine Überwachung ist nur unter folgenden Bedingungen rechtmässig:

  • wenn sie durch ein Gesetz geregelt ist; d.h. wenn sie klaren gesetzlichen Vorschriften folgt, die öffentlich zugänglich sind;
  • wenn sie durch eine Bewilligung autorisiert ist, die von einer unabhängigen Behörde wie etwa einem Richter erteilt wird;
  • wenn sie einem legitimen öffentlichen Interesse dient, etwa einer Strafuntersuchung oder der Wahrung der nationalen Sicherheit;
  • wenn sie gezielt ist auf eine Person, eine definierte Gruppe von Personen oder auf eine bestimmte Örtlichkeit, die relevant ist, um das legitime Ziel zu erreichen;
  • wenn sie notwendig ist; wenn die Überwachung erforderlich ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen und sie die am wenigsten einschneidende Methode ist für die Zielerreichung;
  • wenn sie verhältnismässig ist; d.h. der Eingriff in die Menschenrechte durch die Überwachung ist angemessen im Verhältnis zum angestrebten legitimen Ziel.

Zum Beispiel kann die Überwachung der Telefon- und Internet-Kommunikation eines verdächtigten Geldwäsche-Netzwerkes für eine Strafuntersuchung rechtmässig sein wenn sie diese Regeln befolgt.

Im Gegensatz dazu ist die Massenüberwachung der Kommunikation eines ganzen Landes – wie sie etwa der US-amerikanische Dienst NSA betreibt – unrechtmässig. Eine solche Überwachung ist unverhältnismässig und die Regierungen haben keine zwingenden Beweise für ihre Notwendigkeit erbracht. Zudem sind viele Überwachungsprogramme nur durch vage Gesetze autorisiert, die sowohl vom Gesetzgeber als auch von Gerichten schwer zu interpretieren sind. In vielen Ländern wird Überwachung auch in geheimen Gerichten ohne Transparenz angeordnet.

Welchen rechtlichen Schutz gibt es gegen Überwachung?
  • Artikel 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte schützt jeden Menschen vor «willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr».
  • Artikel 19 derselben Konvention schützt das Recht auf freie Meinungsäusserung, «dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art (…) sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben».

Die international verbrieften Menschenrechte schützen die Rechte auf Privatsphäre und auf freie Meinungsäusserung. Staaten sind verpflichtet, diese Rechte zu respektieren und zu schützen. Das internationale Recht erlaubt es den Regierungen zwar diese Rechte unter bestimmten Umständen einzuschränken, was beispielsweise auch für die Überwachung der Kommunikation gilt. Doch jeder Eingriff in die Privatsphäre muss verhältnismässig sein, das heisst, die Überwachungsmassnahme muss notwendig und zielführend sein, um ein legitimes Ziel zu erreichen, sie muss zumutbar und die am wenigsten einschneidende Methode für die Zielerreichung sein.

Wie ist das Verhältnis von nationalem und internationalem Recht bezüglich Überwachung?

Die Überwachungskompetenzen werden durch nationale Gesetze definiert. Doch nicht jede Über­wachung, die gesetzlich geregelt ist, ist auch rechtmässig. Staaten haben nicht nur ihre eigenen Gesetze, sondern auch Verpflichtungen gegenüber den international verbrieften Menschenrechten. Überwachung, die nicht mit den Menschenrechten kompatibel ist, ist nicht rechtmässig. Überwachung der Kommunikation ist ein Eingriff in das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungs­äusserung wie sie z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert sind.

Warum sind die Enthüllungen von Edward Snowden so wichtig?

Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden haben gezeigt, was viele bereits befürchteten: Regierungen speichern und analysieren im Geheimen unsere privaten Daten sowie unsere Kommuni­kation aus E-Mails, Anrufe und SMS. Sie überwachen Millionen von Menschen – ohne Aufsicht, Transparenz und Kontrolle. Dank den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Snowden wissen wir heute von den umfangreichen Überwachungsprogrammen der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste. Ein paar Beispiele:

  • US-Geheimdienste geben jeden Tag 200 Millionen Textnachrichten an britische Dienste weiter.
  • Geheimdienste der USA und der UK können das Mikrofon Ihres Mobiltelefons anschalten und Ihnen zuhören, selbst wenn das Telefon ausgeschaltet ist.
  • Geheimdienste der USA und der UK speichern Webcam-Bilder von Millionen von Internetusern, die keiner Straftat verdächtigt sind.
Werde ich überwacht?

Benutzen Sie ein Mobiltelefon oder das Internet? Falls die Antwort ja ist, werden Sie wahrscheinlich überwacht. Überwachungsprogramme wie Prism und Upstream (der NSA) und Tempora (des GCHQ) haben Zugriff auf die Daten der grössten Internetfirmen wie Google, Microsoft, Facebook und Yahoo. Ausserdem zapfen sie direkt die Datenkabel an, in denen die globale Internetkommunikation fliesst. Auch die Mobilfunkkommunikation wird in vielen Ländern in einem riesigen Ausmass überwacht. Leider sind Sie für diese Programme nichts weiter als eine Telefonnummer, Email- oder IP-Adresse, die in die Datenzentren aufgesogen wird.

Welche Daten sammeln sie von mir?

Wann immer wir selbst oder Behörden und Unternehmen digitale Technologien nutzen, entstehen Daten mit persönlichen Informationen: am Geldautomaten, beim Surfen im Internet, durch Überwachungskameras oder in der öffentlichen Verwaltung (z.B. Steuer- oder Gesundheitsdaten). Die Überwachungsprogramme speichern und analysieren die Browser-Geschichte, Ihre Suchanfragen, Emails, Instantnachrichten, Webcam-Konversationen und Telefon­anrufe. Sie sammeln auch die Metadaten, auch «Daten über Daten» genannt: mit wem sie wann wie lange telefoniert haben; wo Sie sich zu jeder Minute aufgehalten haben; wem Sie Mails geschrieben haben; usw.

Was passiert mit meinen Daten?

Das Problem ist: Niemand weiss genau, was mit Ihren Daten passiert. Und – Sie können sich gegen die Verwendung Ihrer Daten auch nicht wehren. Sicher ist: Ihre Daten werden in riesigen Datenzentren gespeichert und mittels Computer-Algorithmen analysiert. Daten werden unter verschiedenen Staaten ausgetauscht und verschiedenen Nachrichtendiensten zugänglich gemacht.

Warum ist das Datensammeln gefährlich?

Für sich genommen mögen die unterschiedlichen Daten und Informationsschnipsel wertlos erscheinen. Durch die zunehmende Vernetzung von Systemen lassen sie sich aber zu aussagekräftigen Persönlich­keitsprofilen zusammenfassen. Politische Gesinnung, sexuelle Präferenzen, Lebensstil, sozialer Umgang, Bildungsgrad oder die angebliche potenzielle Straffälligkeit eines Menschen werden ablesbar.

Wie beeinträchtigt Überwachung das Recht auf freie Meinungsäusserung?

Das Bewusstsein, unter staatlicher Überwachung zu stehen, führt bei vielen Menschen zu Selbstzensur. Diese «Schere im Kopf» beeinträchtigt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wer Angst hat, über­wacht zu werden, sagt weniger frei seine Meinung und traut sich seltener, im Internet zu Protest aufzu­rufen oder sich über sensible Themen zu informieren. Das Recht auf Privatsphäre ist eine wichtige Grundlage für zahlreiche andere Menschenrechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit, das Recht auf friedliche Versammlung und das Recht auf Freiheit von Diskriminierung.

Wie setzen Regierungen Überwachung als Repression ein?

Online-Plattformen werden zunehmend zur Mobilisierung für Proteste genutzt, etwa im Arabischen Frühling. Viele Regierungen weltweit beschneiden deshalb die neuen Ausdrucks- und Informations­möglichkeiten oder nutzen sie für repressive Zwecke. Die Bedrohung der Meinungsfreiheit durch Zensur zeigt sich zum Beispiel an der Blockade von Twitter und Youtube durch die türkische Regierung oder an der umfangreichen Kontrolle des Internets in China. Während der Maidan-Proteste in Kiew 2014 erhielten Besitzer von Mobiltelefonen, die in der Nähe der Kundgebungen geortet wurden, eine einschüchternde SMS, in der es hiess: «Sehr geehrter Empfänger, Sie wurden als Teilnehmer einer Massenunruhe registriert.»

Was geht mich Überwachung an, wenn ich nichts zu verbergen habe?

Die Frage sollte sein: Warum wird meine Privatsphäre missachtet, obwohl ich nichts falsch gemacht habe? Wir würden niemals akzeptieren, dass die Regierung eine Videokamera bei uns zuhause installiert, jeden Brief von uns öffnet und unsere Gespräche mit Bekannten belauscht. Doch das tut die Regierung bei der digitalen Massenüberwachung.

Eine Gesellschaft, die Freiheit und Rechtstaatlichkeit respektiert, muss auch die Privatsphäre ihrer BürgerInnen respektieren, ausser es gibt den begründeten Verdacht, dass sie in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. Wenn dieser Respekt fehlt, gelten plötzlich alle BürgerInnen als potentiell schuldig bis sie ihre Unschuld beweisen können. Wir wissen, dass private Daten in einigen Ländern gezielt gegen Journalistinnen und Aktivisten eingesetzt werden, um sie einzuschüchtern, zu verleumden und mundtot zu machen. Wenn Sie denken, dass Ihnen das in Ihrem Land nicht passieren könnte, bedenken Sie, dass es dazu vielleicht nur einen Regierungswechsel braucht. Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir eine Gesellschaft ganz ohne Privatsphäre.

Was kümmert mich die Überwachung durch Staaten, wenn die Internetfirmen bereits alle meine persönlichen Daten sammeln?

Sie sollten sich sicher auch darum kümmern, wie Firmen Ihre Daten gebrauchen. Als Minimum müssten die Firmen sie informieren, was sie mit Ihren Daten tun, sie müssen Ihre Daten ausreichend schützen und dürfen nichts damit tun, dem Sie nicht zugestimmt haben. Aber es gibt einen grossen Unterschied zwischen dem was Firmen tun und dem was Regierungen tun: Wenn Sie sich bei einem sozialen Netzwerk einschreiben, stimmen Sie freiwillig zu, der Firma Ihre Daten zu übergeben. Die Firmen sammeln nicht beliebig Daten von allen Personen, egal ob sie ihr Produkt nutzen oder nicht.

Was sind die Forderungen von Amnesty International?

Amnesty fordert Regierungen weltweit auf,

  • alle Programme zur Massenüberwachung unverzüglich zu beenden und sicherzustellen, dass alle Überwachungsmassnahmen internationale Menschenrechtsstandards einhalten;
  • sicherzustellen, dass Kommunikationsüberwachung nur bei einem konkreten Verdacht und nur mit einer richterlichen Genehmigung stattfindet und dass dabei die Mittel gewählt werden, die so wenig wie möglich in die betroffenen Menschenrechte eingreifen. Die Überwachungsmassnahme muss gezielt, notwendig und verhältnismässig sein;
  • sicherzustellen, dass die Meinungs- und Informationsfreiheit online geschützt ist und Menschen auch über das Internet ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedanken suchen, empfangen und verbreiten können.
 
 

Amnesty und Privacy International fordern ein Stopp der Massenüberwachung

Zwei Jahre nach den Snowden-Enthüllungen, zeigt sich

Regierungen halten an Massenüberwachung fest

Edward Snowden
Edward Snowden auf einer Amnesty-Veranstaltung in London, Juni 2015. | © Rudi Netto

Amnesty International und Privacy International fordern in ihrem neusten Bericht zur Massenüberwachung, dass Regierungen ihre menschenrechtsverletzende und unrechtmässige Politik ändern müssen. Auch das Vorgehen der Schweizer Regierung steht am Pranger.

Im Bericht «Two years after Snowden: Protecting human rights in an age of mass surveillance» stellen die beiden Organisationen fest, dass Regierungen an der Massenüberwachung festhalten oder diese gar ausbauen wollen, obwohl Gerichte, Parlamente und Menschenrechtsinstitutionen diese Praxis als Menschenrechtsverletzung verurteilen.

«Dank Whistleblower Edward Snowden wissen heute Millionen von Menschen, dass nicht einmal ihre intimsten Geheimnisse vor der Überwachung der Regierungen geschützt sind. Nationale und internationale Expertengremien haben sich klar ausgesprochen: Die verdachtsunabhängige Massenüberwachung ist eine Verletzung der Menschenrechte», sagt Carl Nyst von Privacy International. «Es ist enttäuschend, dass Regierungen nicht akzeptieren wollen, dass Massenüberwachung die Menschenrechte verletzt. Die Verabschiedung des USA Freedom Act zeigt zwar, dass Überwachung eingeschränkt werden kann. Zugleich zeigen Entwicklungen in vielen Ländern, dass der Datenhunger der Regierungen weiterhin unersättlich ist», kritisiert Sherif Elsayed-Ali von Amnesty International.

Ausbau der Überwachung trotz Widerstand

Trotz wachsender Kritik an der Massenüberwachung – etwa durch die Uno oder den Europarat – bleiben die Überwachungsprogramme der USA und Grossbritanniens durch Geheimhaltung geschützt, während andere Regierungen ihre Überwachung noch ausbauen. Dazu zählen beispielsweise Dänemark, Finnland, Frankreich, Pakistan – und die Schweiz.

Im Juni verhandelt das Parlament das neue Nachrichtendienstgesetz sowie die Revision des Überwachungsgesetzes Büpf, die neue und weitergehende Überwachungsmassnahmen vorsehen. Mit der Kabelaufklärung könnte der Nachrichtendienst alle Datenströme anzapfen, die von der Schweiz ins Ausland fliessen. Er hätte dabei sowohl auf Metadaten Zugriff wie auch auf sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation (Mails, Suchanfragen, Internet-Telefonie). Amnesty International und andere NGOs kritisieren diese Ausweitung scharf.

Der neue Bericht warnt davor, dass technologische Fortschritte die Überwachung billiger, einfacher und wirkungsvoller machen – und sie immer weiter verbreitet ist. Technologie, die heute vor allem in den Händen grosser Mächte ist, wird sehr bald vielen Ländern zur Verfügung stehen.

Sieben Forderungen für die Menschenrechte

Amnesty International und Privacy International fordern die Regierungen in einem Sieben-Punkte-Plan auf, Einschränkungen und Kontrollen für die Überwachung einzuführen, damit diese rechtmässig und menschenrechtskonform ist.

Um menschenrechtskonform zu sein, muss jegliche Überwachung gezielt, durch einen ausreichenden Verdacht begründet, sowie richterlich angeordnet sein. Zudem braucht es Kontrollen durch Gerichte, eine parlamentarische Aufsicht sowie klare gesetzliche Grundlagen und Regeln.

Die beiden Organisationen rufen auch die mächtigen Internet- und Telekommunikationsfirmen auf, mehr zu tun, um das Internet und die Kommunikation von Milliarden von Menschen besser vor Überwachung und Kriminalität zu schützen. Firmen müssen Verschlüsselungstechnik entwickeln und anbieten.

Den Amnesty/Privacy International Bericht auf englisch herunterladen

Nein zum neuen Nachrichtendienstgesetz

Wie jedes Jahr gehen auch am heutigen 1. Mai Gewerkschaften und linke Parteien für die Anliegen der Arbeitnehmer auf die Strasse. Angeprangert werden besonders die sich immer weiter öffnende Lohnschere sowie die Absicht der bürgerlichen Parteien, die Renten zu kürzen. «Mehr Schutz, mehr Lohn, mehr Rente» – das Motto des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes

Wir alle werden laufend und bald lückenlos überwacht. Von Kameras, Mobile-App’s, Nachrichtendiensten. Bild: GMC

Der Nationalrat wird am 16. März über das Nachrichtendienstgesetz und damit auch über die Kabelaufklärung verhandeln. Das bedeutet, dass der Nachrichtendienst alle Datenströme anzapfen kann, die von der Schweiz ins Ausland fliessen. Er hätte somit nicht nur auf Metadaten Zugriff, sondern auf sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation wie Mails, Suchanfragen oder Internet-Telefonie. Das geht eindeutig zu weit und untergräbt die demokratische Freiheit.

Gemeinsam mit der Digitalen Gesellschaft und der Stiftung für Konsumentenschutz ruft Amnesty International den Nationalrat deshalb auf, sich gegen die Kabelaufklärung auszusprechen und bei allen Überwachungsmassnahmen die Verhältnismässigkeit zu wahren. Auch die Presse- und Bildagentur GMC Photopress, Herausgeberin der Newsblogs allmynews.eu und allmytraveltips.ch, fordert den Nationalrat auf, auf die präventive Massenüberwachung zu verzichten und auf adäquatere und zielgerichtete Massnahmen einzuschwenken.


Offener Brief zum neuen Nachrichtendienstgesetz

Schützen wir Freiheit und Privatsphäre vor der Massenüberwachung

In der Frühjahrssession wird der Nationalrat über das neue Nachrichtendienstgesetz befinden (14.022). Die Digitale Gesellschaft, Amnesty International und die Stiftung für Konsumentenschutz SKS kritisieren die Kabelaufklärung und die verdachtsunabhängige Massenüberwachung als unverhältnismässige Eingriffe in die Grundrechte.

Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz soll eine Reihe neuer Massnahmen für die Überwachung eingeführt werden. Ein besonders heikler Punkt ist die Kabelaufklärung, die bisher kaum öffentlich diskutiert wurde. Die Kabelaufklärung würde dem Nachrichtendienst des Bundes ermöglichen, «grenzüberschreitende Signale aus leitungsgebundenen Netzen zu erfassen». Das heisst, der Nachrichtendienst könnte alle Datenströme anzapfen, die von der Schweiz ins Ausland fliessen. Da der Grossteil der Internetaktivitäten in der Schweiz über das Ausland stattfindet, wären alle von dieser Überwachung betroffen. Der Nachrichtendienst hätte nicht «„bloss» auf Metadaten Zugriff, sondern auf sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation wie Mails, Suchanfragen oder Internet-Telefonie.

Die Kabelaufklärung stellt eine Form der verdachtsunabhängigen Überwachung dar. Mit Suchbegriffen wird der gesamte Datenstrom abgescannt, über sämtliche Daten wird eine Rasterfahndung vollzogen und so nach der Nadel im Heuhaufen gesucht. Dies führt unweigerlich zu sehr vielen Falschtreffern und unschuldig verdächtigten Personen. Eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung ist unrechtmässig und mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren.

Die verdachtsunabhängige Massenüberwachung kollidiert mit mehreren Grundrechten aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Neben dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und dem Fernmeldegeheimnis sind auch die freie Meinungsäusserung und die Unschuldsvermutung betroffen. Im Umgang mit Ärzten, Rechtsanwältinnen, Pfarrern und Journalistinnen sind ausserdem die Verschwiegenheitspflichten sowie der Quellenschutz gefährdet.

Die geplante Kabelaufklärung in der Schweiz erinnert an das Programm Tempora des britischen Geheimdienstes GCHQ, dessen Ausmass vom Whistleblower Edward Snowden enthüllt wurde. Tempora hat die Kapazität, den gesamten Internetverkehr für dreissig Tage zu speichern. Technisch sind der Überwachung und Datensammlung heute kaum mehr Grenzen gesetzt. Umso mehr braucht es politische Entscheide zum Schutz der Grundrechte.

Die im Nachrichtendienstgesetz vorgesehenen Einschränkungen und Kontrollen der Kabelaufklärung begrenzen zwar die Verwendung der gewonnenen Informationen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Datenströme angezapft und abgescannt werden.

Die Digitale Gesellschaft, Amnesty International und die Stiftung für Konsumentenschutz SKS rufen den Nationalrat auf, sich gegen die Kabelaufklärung auszusprechen und bei allen Überwachungsmassnahmen darauf zu achten, dass die Verhältnismässigkeit gewahrt wird, die sich zwingend aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt.

Unsere Grundrechte dürfen nicht der Überwachung geopfert werden. Die Kabelaufklärung ist ein Mittel, auf das ein freies und demokratisches Land verzichten muss.

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